Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit
Leitsatz (NV)
1. Ein gespanntes Verhältnis zwischen dem Prozeßbevollmächtigten einer Partei und einem Richter kann die Ablehnung des Richters durch die Partei nur begründen, wenn es zu der Besorgnis Anlaß gibt, der Richter werde sein persönliches Verhältnis zu dem Prozeßbevollmächtigten nicht hinreichend von dem konkreten Rechtsstreit trennen können.
2. Hat eine Partei in einem Erörterungstermin (§ 79 Satz 2 FGO) weder einen Ablehnungsgrund gegen den Richter geltend gemacht noch sich geweigert, den Erörterungstermin weiter wahrzunehmen, so verliert sie das Ablehnungsrecht.
3. Mit der Beschwerde gegen einen Beschluß des FG, durch den ein Befangenheitsantrag abgelehnt wird, können keine neuen Ablehnungsgründe vorgebracht werden.
4. Zu den Voraussetzungen, unter denen Äußerungen eines Richters in seiner dienstlichen Stellungnahme zum Befangenheitsgesuch einer Partei die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen können.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1 S. 1; ZPO § 42 Abs. 2
Tatbestand
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhoben gegen den Einkommensteuerbescheid 1981 des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt - FA -) Klage, über die das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden hat.
Der zum Berichterstatter bestimmte Richter am FG A machte den Rechtsstreit zum Gegenstand eines Erörterungstermins mit den Beteiligten. Im Anschluß an diesen Termin nahm deren Prozeßbevollmächtigter mit zwei Schreiben zu der streitigen beruflichen Veranlassung einer Auslandsreise des Klägers Stellung, ohne eine Befangenheit des später abgelehnten Richters zu rügen.
Mit Schreiben vom 14. November 1989 beantragten die Kläger, den Berichterstatter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Zur Begründung trugen sie unter Hinweis auf Verfahren Dritter, die ebenfalls von ihrem Prozeßbevollmächtigten vertreten wurden oder werden, vor, der Richter praktiziere eine unfaire, zum Teil feindselige und unberechenbare Haltung gegenüber ihnen und anderen Mandanten des Prozeßbevollmächtigten.
Zu diesem Befangenheitsgesuch sowie weiteren entsprechenden Gesuchen des Prozeßbevollmächtigten in anderen Verfahren gab der Berichterstatter zwei dienstliche Äußerungen ab, zu denen der Prozeßbevollmächtigte der Kläger unter Hinweis auf behauptete Verfahrensfehler des Berichterstatters auch in anderen Verfahren Stellung nahm.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die dienstlichen Äußerungen des Berichterstatters sowie auf die Stellungnahme der Kläger verwiesen.
Das FG lehnte den Befangenheitsantrag mit der Begründung ab, die Kläger hätten keine Tatsachen vorgetragen, die ein Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters rechtfertigten. Alle vorgetragenen Umstände beträfen ausschließlich Verfahren Dritter, aus denen eine Befangenheit des Berichterstatters gegenüber den Klägern nicht ersichtlich sei.
Dagegen haben die Kläger Beschwerde erhoben, der das FG nicht abgeholfen hat.
Die von den Klägern benannten und beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängigen oder anhängig gewesenen Verfahren anderer Mandanten des Prozeßbevollmächtigten sind zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde der Kläger und ihr Ablehnungsgesuch sind unbegründet.
1. Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dies setzt voraus, daß ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Es müssen Anhaltspunkte dafür sprechen, daß das Verhalten des Richters auf einer unsachlichen Einstellung oder auf Willkür beruht; dabei muß die für die Ablehnung maßgebliche Einstellung des Richters zumindest auch im Verhältnis zu der allein ablehnungsberechtigten Partei in Erscheinung treten, weil der Prozeßbevollmächtigte selbst aus Gründen seiner Person kein Recht hat, Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27. September 1988 VII B 95/88, BFH/NV 1989, 379, und vom 26. September 1989 VII B 75/89, BFH/NV 1990, 514).
Danach kann ein gespanntes Verhältnis zwischen dem Prozeßbevollmächtigten einer Partei und einem Richter die Ablehnung des Richters durch die Partei nur begründen, wenn es zur Besorgnis Anlaß gibt, der Richter werde sein persönliches Verhältnis zu dem Prozeßbevollmächtigten nicht hinreichend von dem konkreten Rechtsstreit trennen können (BFH-Beschlüsse vom 5. Juni 1986 IX B 30/83, BFH/NV 1986, 551, und vom 6. Februar 1989 V B 119/88, BFH/NV 1990, 45 m. w. N.). Eine solche Besorgnis wird in der Regel veranlaßt sein, wenn sich der Richter nicht auf sachbezogene Äußerungen zum Sach- und Rechtsstand eines anhängigen Verfahrens beschränkt, sondern darüber hinaus abwertende Beurteilungen zu den beruflichen Qualitäten eines Prozeßbevollmächtigten sowie zur fachlichen Qualität der von diesem eingereichten Schriftsätze abgibt (vgl. Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Zivilprozeßordnung, 49. Aufl., § 42 Anm. 2 B ,,Beleidigung"). In einem solchen Fall darf ein Kläger bei objektiver und vernünftiger Betrachtung berechtigterweise die Sorge haben, der abgelehnte Richter werde die von dem Prozeßbevollmächtigten vorgetragenen Argumente nicht mehr unvoreingenommen würdigen, sondern von vornherein als fragwürdig ansehen (BFH-Entscheidung in BFH/NV 1990, 45).
2. Nach diesen Grundsätzen hat das FG das Ablehnungsgesuch der Kläger zu Recht als unbegründet zurückgewiesen.
a) Wegen der behaupteten Verfahrensmängel im Zusammenhang mit dem in der Sache durchgeführten Erörterungstermin kommt eine Ablehnung des Berichterstatters schon deshalb nicht in Betracht, weil die Kläger ihr Rügerecht insoweit verloren haben (§§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO, 43 ZPO). Danach kann eine Partei einen Richter nicht mehr wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen, wenn sie sich in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen.
Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.
Der Erörterungstermin i. S. des § 79 Satz 2 FGO ist eine Verhandlung nach Maßgabe des § 43 ZPO (BFH-Beschlüsse vom 15. April 1987 IX B 99/85, BFHE 149, 424, BStBl II 1987, 577, und vom 28. September 1989 X B 19/89, BFH/NV 1990, 515). In dieser Verhandlung haben die Kläger weder einen Ablehnungsgrund geltend gemacht noch sich geweigert, den Erörterungstermin weiter wahrzunehmen; dies wäre jedoch erforderlich gewesen, um einen Verlust des Ablehnungsrechts zu vermeiden (BFH-Beschluß in BFH/NV 1990, 515 m. w. N.).
b) Eine Ablehnung des Berichterstatters wegen des erstmals im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Vorwurfs, auch im Falle der Kläger habe der Richter - wie in den anderen zum Gegenstand von Befangenheitsanträgen gemachten Verfahren Dritter - ständig einseitig mit dem FA Kontakt aufgenommen, kommt ebenfalls nicht in Betracht.
Denn mit der Beschwerde gegen den einen Befangenheitsantrag ablehnenden Beschluß des FG können keine neuen Ablehnungsgründe vorgebracht werden. Der Vortrag neuer Tatsachen und Beweismittel im Beschwerdeverfahren ist nur im Rahmen des Verfahrensgegenstandes der angefochtenen Entscheidung zulässig; Gegenstand der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch nach den §§ 51 FGO, 45 ZPO ist indessen ausschließlich die behauptete Befangenheit des abgelehnten Richters aus den im Gesuch genannten Gründen (BFH-Beschluß vom 24. Juli 1990 X B 115/89, BFH/NV 1991, 253 m. w. N.).
c) Anhaltspunkte für eine berechtigte Besorgnis der Kläger i. S. der §§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO, 42 Abs. 2 ZPO ergeben sich schließlich nicht aus den von ihnen gerügten dienstlichen Äußerungen des Richters.
Der Richter hat in seiner dienstlichen Stellungnahme ausgeführt, bei dem (Befangenheits-)Gesuch handele es sich erkennbar um den Versuch eines Prozeßbevollmächtigten, die Erfolgsaussichten der von ihm betriebenen Verfahren durch Diffamierung eines Richters zu verbessern, dessen prozessuale Maßnahmen und Rechtsansichten den eigenen subjektiven Wünschen und Vorstellungen zuwiderliefen. Die in dem Schreiben enthaltenen Sachverhaltsdarstellungen seien zu einem großen Teil unzutreffend, zu einem anderen Teil unvollständig und im übrigen nicht geeignet, den Vorwurf einer ,,unfairen", ,,feindseligen" oder ,,unberechenbaren" Haltung zu stützen.
. . . Wenn einzelne Ermittlungsmaßnahmen die Erfolgsaussichten eines Klageverfahrens minderten, könne daraus nicht auf eine feindselige Haltung des Richters gegenüber dem Kläger geschlossen werden. In verschiedenen Verfahren habe er den Eindruck gewonnen, daß der Prozeßbevollmächtigte bereits die Überprüfung des Klagevortrags durch ihn als Ausdruck von Parteilichkeit angesehen habe. In mehreren Verfahren habe der Prozeßbevollmächtigte verärgert reagiert, wenn er dem Kläger persönlich Fragen zur Aufklärung des Sachverhalts gestellt habe, und seine Ermittlungsversuche massiv behindert. So habe der Prozeßbevollmächtigte - regelmäßig, ohne vorher um das Wort zu bitten - in die Anhörung und Protokollierung eingegriffen und seinen Mandanten in anderen Verfahren geraten, Fragen schriftlich oder überhaupt nicht zu beantworten. Des weiteren habe er die Befragung immer wieder unterbrochen und die Erheblichkeit der Fragen angezweifelt, ihre Beantwortung von der vorherigen Darstellung seiner Rechtsansicht abhängig gemacht sowie die Fragen anstelle des Klägers beantwortet, dessen nachteilige Antworten nachgebessert, ausgelegt oder dem Kläger die Antwort in den Mund gelegt.
Ob die unmittelbar auf diese Darlegungen bezogene Äußerung der Kläger, entgegen der dienstlichen Äußerung läge weder eine massive Behinderung der Sachverhaltsermittlung noch eine Diffamierung des Richters vor, als Rüge eines weiteren eigenständigen Ablehnungsgrundes anzusehen ist, kann dahinstehen. Denn den dienstlichen Äußerungen ist insoweit unter Berücksichtigung der Gesamtumstände kein Ablehnungsgrund zu entnehmen.
Die Feststellung, der Prozeßbevollmächtigte habe Sachverhaltsermittlungen massiv behindert, wird als Folgerung des Richters aus einer Mehrzahl von Beispielen vermittelt und ist angesichts des erhobenen Vorwurfs unfairer, feindseliger und unberechenbarer Sachbehandlung in mehreren Verfahren als insoweit sachbezogene - nämlich unmittelbar auf die geltend gemachten Ablehnungsgründe ausgerichtete - Äußerung nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen.
Entsprechendes gilt unter den besonderen Umständen des Falles auch für die Würdigung des Befangenheitsantrags als Versuch, die Erfolgsaussichten der Klageverfahren ,,durch Diffamierung eines Richters" zu verbessern. Zur Besorgnis der Befangenheit könnte diese Äußerung nur führen, wenn sie ohne jeden Sachbezug wäre und deshalb bei objektiver und vernünftiger Betrachtung davon ausgegangen werden müßte, der Richter werde die von dem Prozeßbevollmächtigten vorgetragenen Argumente nicht mehr unvoreingenommen würdigen (vgl. BFH-Beschluß in BFH/NV 1990, 45). Aufgrund des erheblichen Vorwurfs unfairen, feindseligen und unberechenbaren Verhaltens sowie klägerfeindlicher ,,exhibitionistischer Sachaufklärung" kann jedoch ein Sachbezug der Würdigung des Befangenheitsantrags als Diffamierung - vor dem Hintergrund der weiteren Darlegung des Richters zu seiner Arbeitsweise und den Vorwürfen im einzelnen - nicht verneint werden. Infolgedessen kann ein von dem Prozeßbevollmächtigten vertretener Kläger aufgrund der Darlegungen in der dienstlichen Äußerung des Richters keinen Anlaß für die Besorgnis haben, die von ihm vorgetragenen Argumente würden nicht mehr unvoreingenommen geprüft. In diesem Sinne hat der BFH bereits in einem Fall entschieden, in dem der abgelehnte Richter in seiner dienstlichen Äußerung das Ablehnungsgesuch als teilweise beleidigend bezeichnet hatte (BFH-Beschluß vom 21. September 1977 I B 32/77, BFHE 123, 305, BStBl II 1978, 12).
d) Schließlich hat die Beschwerde auch nicht im Hinblick auf das in bezug auf andere Klageverfahren geltend gemachte Spannungsverhältnis zwischen dem Prozeßbevollmächtigten und dem abgelehnten Richter Erfolg. Da das Ablehnungsrecht nur der Partei selbst, nicht aber ihrem Prozeßbevollmächtigten zusteht, kann ein gespanntes Verhältnis zwischen diesem und einem Richter die berechtigte Besorgnis der Befangenheit nur begründen, wenn die ablehnende Einstellung des Richters gegenüber dem Bevollmächtigten auch gegenüber der Partei in Erscheinung getreten ist (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 123, 305, BStBl II 1978, 12, und vom 28. Januar 1986 VII B 118/85, BFH/NV 1986, 415 m. w. N.; vgl. auch Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, a. a. O., ,,Spannung"). Derartige Anhaltspunkte sind indessen - wie ausgeführt - nicht gegeben.
Fundstellen