Entscheidungsstichwort (Thema)
Bekanntgabe eines Steuerbescheids an den Zustellungsbevollmächtigten
Leitsatz (NV)
Eine dem Wohnsitz-Finanzamt vorliegende Zustellungsvollmacht verpflichtet nicht auch das Betriebsstätten-Finanzamt, einen von ihm erlassenen Steuerbescheid dem Zustellungsbevollmächtigten bekanntzugeben.
Normenkette
AO 1977 § 122 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) unterhielt im Streitjahr 1983 in W ein Einzelhandelsgeschäft. Ein weiteres, im März 1983 eröffnetes, branchengleiches Geschäft in B meldete er im Juli 1983 wieder ab. Der hierfür zuständige Beklagte (das Finanzamt - FA -) forderte den Kläger mehrfach auf, den Betriebseröffnungsfragebogen sowie die Gewinnfeststellungs- und Umsatzsteuererklärung für den neu eröffneten Betrieb abzugeben. Da der Kläger dieser Aufforderung nicht nachkam, erließ das FA im Juli 1985 einen Gewinnfeststellungsbescheid. Dabei schätzte es den erzielten Gewinn auf 5 000 DM. Mit Schriftsatz vom 30. Oktober 1985 legte der Kläger Einspruch ein und beantragte zugleich Aussetzung der Vollziehung. Er machte geltend, das FA habe eine Zustellungsvollmacht nicht beachtet und den Bescheid zu Unrecht an den Kläger selbst adressiert. Das FA verstand den Schriftsatz vom 30. Oktober 1985 auch dahingehend, daß der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand habe beantragen wollen. Mit Datum vom 15. November 1985 wies es - nur - den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zurück. Gleichzeitig machte es den Kläger darauf aufmerksam, daß der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keine Aussicht auf Erfolg haben könne, da die vom Kläger erwähnte Zustellungsvollmacht beim FA nicht eingereicht worden sei. Sofern eine solche dem für die Einkommensteuerfestsetzung zuständigen FA vorliege, sei sie nur von diesem zu beachten; sie habe keine Wirkung zugleich für und gegen das Betriebsstätten-FA. Mit Bescheid vom 9. Mai 1986 verwarf das FA den Einspruch, soweit dieser sich gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand richtete, als unzulässig.
Im Klageverfahren macht der Kläger weiterhin geltend, das FA hätte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren müssen. Nach der inzwischen abgegebenen Feststellungserklärung sei ein Verlust von 116 153 DM entstanden. Er, der Kläger, habe mangels Erfahrungen in steuerlichen Angelegenheiten nicht erkennen können, daß für die Feststellung des Gewinns aus dem Betrieb in B das FA und nicht das Wohnsitz-FA zuständig gewesen sei. Darüber hinaus sei er in dem fraglichen Zeitraum in erheblichen persönlichen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten gewesen. Der Schätzungsbescheid hätte überdies nicht endgültig ergehen dürfen.
Das Finanzgericht (FG) hat den während des Klageverfahrens gestellten Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe (PKH) zurückgewiesen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete.
Mit der Beschwerde macht der Kläger geltend, entgegen der Ansicht des FG habe er den Wiedereinsetzungsantrag bereits im Einspruchsverfahren begründet. Dessen ungeachtet sei es zulässig, die Wiedereinsetzungsgründe noch im Klageverfahren vorzutragen, wenn das FA es - wie im Streitfall - unterlassen habe, die Begründung anzufordern (vgl. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Dezember 1980 IX 94/80, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1981, 377). Wiedereinsetzung sei auch deshalb zu gewähren, weil dem Kläger als einem steuerlichen Laien die Rechtsfolgen eines Feststellungsbescheids völlig unbekannt gewesen seien und er deshalb habe davon ausgehen können, daß er die Einwendungen gegen die Höhe des Gewinns auch im Einspruchsverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid habe geltend machen können.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat den Antrag des Klägers, ihm PKH zu gewähren, zu Recht zurückgewiesen.
1. PKH ist u. a. nur dann zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 der Zivilprozeßordnung - ZPO - i. V. m. § 142 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das Vorliegen dieser Voraussetzung hat das FG zutreffend verneint.
a) Es war zu Recht der Ansicht, daß der Gewinnfeststellungsbescheid 1983 vom 15. Juli 1985 dem Kläger wirksam bekanntgegeben worden ist; denn dem FA lag keine Zustellungsvollmacht vor, die dieses verpflichtet hätte, den Steuerbescheid dem Zustellungsbevollmächtigten bekanntzugeben. Nachdem das FA den Kläger auf das Fehlen der genannten Vollmacht mit Schreiben vom 15. November 1985 hingewiesen hatte, hat dieser selbst das Vorliegen der Vollmacht nicht mehr behauptet. Ob dem Wohnsitz-FA des Klägers eine entsprechende Vollmacht vorgelegen hat, ist unerheblich; denn sie wäre von dem beklagten FA als dem Betriebsstätten-FA nicht zu beachten.
Da der angefochtene Bescheid am 15. Juli 1985 zur Post gegeben wurde und der 18. August 1985 ein Sonntag war, endete die Einspruchsfrist am 19. August 1985. Der Einspruch vom 30. Oktober 1985 ging erst am 1. November 1985 und damit verspätet beim FA ein.
b) Das FG ist ferner zutreffend zum Ergebnis gelangt, daß dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren ist.
Gemäß § 110 der Abgabenordnung (AO 1977) kann jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Innerhalb dieser Monatsfrist sind grundsätzlich auch die Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags darzulegen. Dabei müssen die wesentlichen Tatsachen angegeben werden, aus denen sich ergibt, daß der Betroffene ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten (vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Tz. 26 zu § 110 AO 1977). Derartige Tatsachen hat der Kläger während des Einspruchsverfahrens nicht vorgetragen. Er hat lediglich zunächst das Vorliegen einer Zustellungsvollmacht behauptet (Schreiben vom 30. Oktober 1985) und sodann Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheids selbst erhoben (Schreiben vom 3. Dezember 1985). Soweit sich der Kläger zur Begründung seiner gegenteiligen Auffassung auf das Urteil des FG Baden-Württemberg in EFG 1981, 377 beruft, übersieht er, daß in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall die Frage zu beurteilen war, bis zu welchem Zeitpunkt die Gründe für eine Wiedereinsetzung glaubhaft gemacht werden können. Die glaubhaft zu machenden Tatsachen waren aber rechtzeitig vorgetragen.
Gründe, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen rechtfertigen würden, liegen nicht vor.
c) Da es bereits an den formellen Voraussetzungen für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fehlt, kann unerörtert bleiben, ob der Kläger die Einspruchsfrist schuldhaft versäumt hat. Dies ist nicht entscheidungserheblich.
Fundstellen