Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Amtsermittlungspflicht des FG ‐ Bekanntgabe durch Druckzentrum
Leitsatz (NV)
Hat das FA unter Hinweis auf ein FG-Urteil substantiiert vorgetragen, bei Absendung des Steuerbescheides durch ein Druckzentrum sei der Absendezeitpunkt ‐ mit einem höheren Grad der Wahrscheinlichkeit als bei manueller Absendung mit Absendevermerk ‐ feststellbar, darf das FG seine Entscheidung nicht allein auf das Fehlen des Absendevermerks stützen, sondern muss ggf. den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufklären und würdigen.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3; AO 1977 § 122 Abs. 2
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 01.07.2004; Aktenzeichen 8 K 1079/03) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) war Unternehmer. Weil er für das Streitjahr 2001 keine Umsatzsteuererklärung abgegeben hatte, erließ der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) unter dem 23. September 2003 einen auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen beruhenden Umsatzsteuerbescheid für 2001. Streitig ist, ob der Kläger gegen diesen Bescheid rechtzeitig Einspruch eingelegt hat.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und verpflichtete das FA, den Kläger unter Beachtung der eingereichten Umsatzsteuererklärung neu zu bescheiden.
Das FA begehrt die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Von der weiteren Wiedergabe des Sachverhalts wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des FA ist begründet. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO (Verfahrensmangel) liegen vor. Das Urteil des FG wird aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 116 Abs. 6 FGO).
1. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Gemäß § 96 Abs. 1 FGO hat das FG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden. Dazu muss es den Sachverhalt, der die tatsächliche Grundlage seiner Entscheidung bildet, von Amts wegen unter Ausschöpfung aller verfügbaren Beweismittel bis zur Grenze des Zumutbaren so vollständig wie möglich aufklären (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO; Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. April 1988 VII R 124/85, BFHE 153, 463, m.w.N.).
Das FA hat im Klageverfahren mit Schriftsatz vom 21. Juni 2004 geschildert, dass die Versendung des Umsatzsteuerbescheids vom Druckzentrum im vollautomatischen Verfahren erfolgt, dort die Erstellung, Kuvertierung und Versendung der Steuerbescheide vollautomatisch erfolgt. Es hat weiter vorgetragen, dass danach die Tag genaue Absendung zu einem höheren Wahrscheinlichkeitsgrad feststehe als bei manueller Absendung mit entsprechendem Absendevermerk durch das FA. Es sei davon auszugehen, dass aufgrund der im Bescheid gespeicherten Daten der Absendetag feststellbar sei; davon sei auch das FG Köln im Urteil vom 17. Juli 2003 2 K 168/03 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2003, 1450) ausgegangen.
Das FG hat sich insoweit mit der Feststellung, der Umsatzsteuerbescheid sei "unstreitig vom Druckzentrum versandt worden" begnügt, ohne sich weiter mit dem Vorbringen des FA auseinander zu setzen und ohne den Sachverhalt in Bezug auf die Abläufe im Druckzentrum von der Erstellung bis zur Absendung der Bescheide zu ermitteln. Angesichts des substantiierten Vortrags des FA hätte das FG den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufklären und bei seiner Entscheidung würdigen müssen.
Auf dem mithin vorliegenden Verfahrensmangel kann die Vorentscheidung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO beruhen.
Ob es im Streitfall auf den Zeitpunkt der Aufgabe des Bescheids zur Post rechtlich überhaupt ankommt --was das FA verneint--, muss bei der Prüfung, ob ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vorliegt, offen bleiben. Denn maßgeblich ist insoweit der materiell-rechtliche Standpunkt des FG, mag dieser richtig oder falsch sein (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 29. Juli 2003 V B 11/02, BFH/NV 2004, 59; Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 96, m.w.N.).
2. Liegen --wie hier-- die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vor, kann der BFH in dem Beschluss, in dem er über die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision entscheidet, das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO).
Diese Vorschrift ist auch dann anzuwenden, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde --wie vorliegend-- nicht nur auf einen Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, sondern auch auf weitere Revisionszulassungsgründe i.S. des § 115 Abs. 2 FGO gestützt ist (z.B. BFH-Beschluss vom 30. Juni 2004 V B 2/04, BFH/NV 2004, 1554, m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 1447888 |
BFH/NV 2006, 84 |