Entscheidungsstichwort (Thema)
Genehmigung der Rechtsmitteleinlegung nach Wiedereinsetzung; Nichterhalten einer ordnungsgemäßen Ladung
Leitsatz (NV)
- Wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der für den Rechtsbehelf auf Grund eines vorherigen PKH-Verfahrens abgelaufenen Rechtsmittelfrist gewährt, kann das Rechtsmittel unter Beachtung des Vertretungszwangs des § 62a FGO wirksam eingelegt oder das von dem Beteiligten bereits selbst eingelegte Rechtsmittel durch eine nach dieser Vorschrift zum Auftreten vor dem BFH befugte Person trotz Ablaufs der Rechtsmittelfrist genehmigt werden.
- Ein Beteiligter ist nur dann im Verfahren "nicht vertreten", wenn das Gericht zu der mündlichen Verhandlung nicht ordnungsgemäß geladen und dem Beteiligten dadurch die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung unmöglich gemacht hat, nicht hingegen schon dann, wenn dieser trotz ordnungsgemäßer Ladung von einem Verhandlungstermin keine Kenntnis erhält.
Normenkette
FGO §§ 56, 62a, 119 Nr. 4, § 142; ZPO § 418 Abs. 1, § 117 Abs. 2, 4; GG Art. 103 Abs. 1
Tatbestand
I. Die Klägerin, Beschwerdeführerin und Antragstellerin (Antragstellerin) begehrt vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt) die Erstattung von Einkommensteuer zuzüglich Zinsen. Über ihre deswegen erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) am 22. Oktober 2001 in Abwesenheit der Antragstellerin mündlich verhandelt. Zu diesem Termin war die Antragstellerin am 4. Oktober 2001 geladen worden; da sie der Zusteller in ihrer Wohnung nicht antraf, hat er die Ladung ausweislich der von ihm darüber erstellten Postzustellungsurkunde niedergelegt und eine Benachrichtigung hierüber in den Hausbriefkasten der Antragstellerin eingelegt.
Gegen das Urteil des FG, das die Klage als unzulässig abgewiesen hat, hat die Antragstellerin ―ohne durch eine vor dem Bundesfinanzhof (BFH) postulationsfähige Person vertreten zu sein― Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision eingelegt. Mit Rücksicht auf den vor dem BFH bestehenden Vertretungszwang begehrt sie, ihr einen Rechtsanwalt zu stellen, da sie aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage einen Rechtsanwalt nicht selbst beauftragen könne.
Entscheidungsgründe
II. Der Antrag muss abgelehnt werden, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) nicht vorliegen.
PKH, deren Bewilligung Voraussetzung für die Beiordnung eines Rechtsanwalts oder eines Steuerberaters (vgl. dazu § 142 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) ist, kann nach § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) nur gewährt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint (§ 114 ZPO) und wenn der PKH-Antragsteller nach Maßgabe der dazu, insbesondere in § 117 ZPO, aufgestellten Formvorschriften nachgewiesen hat, dass er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht selbst tragen kann (vgl. § 114 Halbsatz 1 ZPO). Für den vorgenannten Nachweis ist es nach § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO erforderlich, dass dem Antrag auf PKH eine Erklärung des Antragstellers über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beigefügt wird. Dabei muss sich der Beteiligte nach § 117 Abs. 4 ZPO des auf der Grundlage des § 117 Abs. 3 ZPO eingeführten Vordrucks bedienen. Dieser ist dem BFH innerhalb der Rechtsmittelfrist vollständig ausgefüllt vorzulegen. Denn nur dann kann dem Antragsteller Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der für den Rechtsbehelf ―hier die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision― bis zur Entscheidung des BFH über den PKH-Antrag in der Regel abgelaufenen Rechtsmittelfrist gewährt werden; erst damit wird jedoch die für einen Erfolg dieses Rechtsmittels und mithin auch für die Gewährung von PKH unabdingbare Voraussetzung geschaffen, dass das Rechtsmittel unter Beachtung des Vertretungszwanges des § 62a FGO wirksam eingelegt wird oder dass ―wenn das Rechtsmittel wie hier von dem Beteiligten bereits selbst eingelegt worden ist― das Rechtsmittel durch eine nach dieser Vorschrift zum Auftreten vor dem BFH befugte Person trotz Ablaufs der Rechtsmittelfrist noch wirksam genehmigt werden kann.
Die Antragstellerin hat diese Erklärung nicht vorgelegt, wobei vorsorglich darauf hinzuweisen ist, dass sie dazu ohne besondere Aufforderung bei Gefahr der Ablehnung ihres PKH-Antrags verpflichtet war. Sie hat sich überdies nicht einmal sonst substantiiert über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erklärt. Schon daran muss ihr PKH-Antrag scheitern.
Ihr PKH-Antrag ist aber ungeachtet dessen auch deshalb abzulehnen, weil eine Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des FG in der Sache keine Aussicht auf Erfolg hätte. Denn dieses Urteil ist verfahrensfehlerfrei ergangen. Nach der bei der Akte des FG befindlichen Postzustellungsurkunde ist der Antragstellerin die Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem FG ordnungsgemäß zugestellt worden. Der durch diese Urkunde erbrachte Beweis für den Zustellungsvorgang kann, weil es sich um eine öffentliche Urkunde i.S. von § 418 Abs. 1 ZPO handelt, durch die bloße Behauptung der Antragstellerin, keine Kenntnis von der Zustellung erlangt, insbesondere keine Nachricht über die Niederlegung der Ladung erhalten zu haben, nicht entkräftet werden (BFH-Beschluss vom 17. Dezember 1996 IX R 5/96, BFHE 183, 3, BStBl II 1997, 638). Im Übrigen spricht für die Richtigkeit der Beurkundung, dass die Ladung, welche die Antragstellerin nicht erhalten haben will, zumindest bis zur Versendung der FG-Akte an den BFH im Dezember 2001 nicht an das FG zurückgelangt ist; dies wäre indes zu erwarten gewesen, wenn sie von der Antragstellerin nicht bei der Post abgeholt worden sein sollte.
Da zu dem Verhandlungstermin ordnungsgemäß geladen worden war, konnte das FG ohne die Antragstellerin verhandeln. Es musste insbesondere keine Nachforschungen darüber anstellen, ob die Antragstellerin Kenntnis von dem Termin erhalten hat (BFH-Beschluss in BFHE 183, 3, BStBl II 1997, 638). Selbst wenn unterstellt würde, dass die Behauptung der Antragstellerin zutrifft, dass sie die Ladung bzw. die Nachricht über deren Niederlegung nicht erhalten hat, litten im Übrigen die gleichwohl vom FG durchgeführte mündliche Verhandlung und folglich das auf ihrer Grundlage erlassene Urteil des FG nicht an dem Mangel, dass die Antragstellerin in dem Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten gewesen wäre und mithin das Urteil als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen und aufzuheben wäre (§ 119 Nr. 4 FGO). Denn ein Beteiligter ist i.S. des § 119 Nr. 4 FGO nur dann "nicht vertreten", wenn das Gericht bei der Vorbereitung und Durchführung der mündlichen Verhandlung den Vorschriften der FGO nicht genügt, insbesondere zu der Verhandlung nicht ordnungsgemäß geladen und dem Beteiligten dadurch die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung unmöglich gemacht hat; hingegen nimmt es das Gesetz in Kauf, dass ein Beteiligter trotz ordnungsgemäßer Ladung von einem Verhandlungstermin keine Kenntnis erhält und dadurch möglicherweise unverschuldet an der Teilnahme gehindert ist (BFH-Urteil vom 10. August 1988 III R 220/84, BFHE 154, 17, BStBl II 1988, 948). Ein aufgrund einer solchen mündlichen Verhandlung ergehendes Urteil ist folglich nicht verfahrensfehlerhaft zustande gekommen; durch seinen Erlass werden insbesondere auch nicht der Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör und der dieses verbürgende Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes verletzt, der einen Anspruch auf eine mündliche Verhandlung nicht gewährt (BFH-Urteil in BFHE 154, 17, BStBl II 1988, 948).
Fundstellen