Versäumnisurteil wegen mangelhafter Videotechnik
Bereits seit dem 1.1.2002 ist der Einsatz der Videotechnik in der mündlichen Verhandlung bei Zivilgerichten möglich. Seit dem 1.11.2013 ist darüber hinaus den Beteiligten auf Antrag gemäß § 128a ZPO zu gestatten, sich während der mündlichen Verhandlung unter Einsatz von Videotechnik an einem anderen Ort aufzuhalten. Macht das Gericht von der Möglichkeit der Anordnung einer Videoverhandlung gebraucht, sind die Beteiligten umgekehrt verpflichtet, die technischen Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Teilnahme an der Verhandlung sicherzustellen.
Prozessvertreter im Gerichtssaal zu hören, aber nicht zu sehen
In dem vom LG Bielefeld entschiedenen Fall stellte sich nach Beginn der vom Gericht angeordneten Videoverhandlung heraus, dass der Anwalt einer Prozesspartei im Gerichtssaal zwar zu hören, aber auf der Leinwand nicht zu sehen war. Die Überprüfung der Videotechnik im Gerichtssaal ergab keinerlei Beanstandungen, sodass nach Überzeugung des Gerichts die Gründe für die Nichtübertragung des Bildes allein in der Sphäre des Prozessvertreters der Partei zu suchen waren.
Kanzleitechnik muss mit Gerichtstechnik kompatibel sein
Weil Anwalt keine nachvollziehbaren Erklärungen für die fehlende Bildübertragung vorbringen konnte, hatte er es nach Auffassung des Gerichts schuldhaft versäumt, eine ordnungsgemäße Videoübertragung sicherzustellen. Nach Auffassung des Gerichts hätte der Anwalt prüfen müssen, ob die in seiner Kanzlei verwendete Übertragungstechnik mit dem Videokonferenzsystem der Justiz kompatibel ist und funktioniert. Dass er eine solche Überprüfung vorgenommen hatte, konnte der Anwalt nicht glaubhaft belegen.
Fehlende Bildübertragung führt zur Säumnis
Die Übertragung lediglich des Tons reichte dem Gericht für eine ordnungsgemäße Teilnahme an der Gerichtsverhandlung nicht aus. Das Gericht bewertete die fehlende Bildübertragung als Säumnis, die der Anwalt zu vertreten hatte. Nach Auffassung des Gerichts waren die Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteils gegeben, das dann auch antragsgemäß erging.
(LG Bielefeld, Urteil v. 25.9.2023, 3 O 219/20)
Hintergrund:
Das Versäumnisurteil des LG Bielefeld sollte auch den letzten Technikmuffel unter den Anwälten endgültig aufschrecken. Das Nichterscheinen, das heißt die Nichtsichtbarkeit oder die Nichthörbarkeit in der virtuellen Verhandlung wird allgemein als Säumnis im Sinne der §§ 330 ff. ZPO angesehen. Allerdings hat sich insoweit noch keine gefestigte Rechtsprechung entwickelt.
Abweichende Entscheidung des OLG Celle
Kürzlich hat das OLG Celle in einem ähnlichen Fall vorsichtiger entschieden. Infolge nicht aufklärbarer technischer Probleme konnte in der mündlichen Videoverhandlung die Verbindung zum Prozessbevollmächtigten einer Partei nicht hergestellt werden. Das erstinstanzliche Gericht hatte vom Erlass eines Versäumnisurteils abgesehen und die Verhandlung vertagt.
Risiko der Säumnis soll durch Videotechnik nicht erhöht werden
In dem Beschwerdeverfahren gegen den Vertagungsbeschluss stellte das OLG maßgeblich auf den Normzweck des § 128a ZPO ab. Nach dieser Vorschrift solle die Option der Videoverhandlung für die Beteiligten eine Erleichterung darstellen und nicht das Risiko einer Säumnis im Verhältnis zum persönlichen Erscheinen im Sitzungssaal erhöhen. Auch das OLG bestätigte, dass in solchen Fällen ein Fall der Säumnis vorliegt, die aber unverschuldet sein könne.
Im Zweifel Vertagung statt Versäumnisurteil?
Der Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gebiete es, die Sorgfaltsanforderungen an das, was der Betroffene veranlasst haben muss, nicht zu überspannen (BGH, Urteil v. 25.11.2004, VII ZR 320/03). Komme eine Videoverbindung über den vom Gericht zur Verfügung gestellten Einwahllink nicht zustande, dürfe das Risiko dafür bei Unklarheit der Gründe nicht auf eine Prozesspartei abgewälzt werden. Das OLG bestätigte mit dieser Argumentation die Richtigkeit des Vertagungsbeschlusses (OLG Celle, Beschluss v. 15.9.2022, 24 W 3/22).
Auch Gerichte müssen technische Mindestanforderungen beachten
Bei einer Verhandlung, die vor dem FG Münster per Videokonferenz durchgeführt wurde, war die Kamera so platziert, dass über weite Strecken der Verhandlung nur der Vorsitzende Richter und nicht die komplette Richterbank zu sehen war. Der BFH entschied, dies sei eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter. Sämtliche Verfahrensbeteiligten hätten Anspruch darauf, während der gesamten Verhandlung alle beteiligten Richter zu sehen. Nur so seien sie in der Lage, zu beurteilen, ob sämtliche Richter der Verhandlung in ihren wesentlichen Teilen tatsächlich folgen (BFH, Beschluss v. 30.6.2023, VB 13/22).
Zeitgleiche Wahrnehmung aller Beteiligten muss möglich sein
Nach einer weiteren Entscheidung des BFH ist auch eine zeitgleiche Wahrnehmung aller Beteiligten zu gewährleisten. Ist die Videotechnik im Gerichtssaal so angebracht, dass der anwesende Prozessbevollmächtigte per 180°-Wendung nach hinten schauen muss, um die anderen Beteiligten wahrzunehmen, so entspricht dies nach Auffassung des BFH nicht den Vorgaben des § 128a ZPO. Sämtliche Beteiligten müssten, ohne große körperliche Verrenkungen gleichzeitig zu sehen sein (BFH, Beschluss v. 18.8. 2023, IX B 104/22)
Reformpläne der Bundesregierung
Die Bundesregierung und das BMJ planen, die Videotechnik in der Zivilgerichtsbarkeit zukünftig noch intensiver zu nutzen. Der im Juni von der Bundesregierung beschlossene Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des Einsatzes der Videotechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten hat die Kritik der BRAK an dem ursprünglichen Referentenentwurf berücksichtigt. Zukünftig soll der Vorsitzende Richter eine Videoverhandlung anordnen können, die Parteien sollen entsprechend den Forderungen der BRAK allerdings ein Einspruchsrecht gegen die richterliche Anordnung einer Videoverhandlung erhalten. Der Einspruch soll keiner Begründung bedürfen und unmittelbar dazu führen, dass mündlich zu verhandeln ist.
Recht auf Durchführung einer Videoverhandlung
Auch die Parteien sollen ein eigenes Recht auf Durchführung einer Videoverhandlung erhalten, § 128a Abs. 2 Satz 2 ZPO –E. Das Gericht soll über einen entsprechenden Antrag nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, bei übereinstimmendem Antrag der Parteien soll das Gericht dem Antrag stattgegeben. Die Ablehnung des Antrags eines Verfahrensbeteiligten zur Durchführung einer Videoverhandlung soll dem Gericht (nicht dem Vorsitzenden) vorbehalten bleiben. Die Ablehnung soll durch Gerichtsbeschluss erfolgen, der begründet werden muss, § 128a Abs. 2 Satz 3 und 4 ZPO-E.
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