Leitentscheidungsverfahren beim BGH

Künftig soll der BGH eine Leitentscheidung als rechtlichen Kompass für die Instanzgerichte auch dann erlassen können, wenn ein Revisionsverfahren durch Rücknahme der Revision oder durch Vergleich vorzeitig beendet wird.

Das vom Bundestag am 26.9.2024 beschlossene Gesetz zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim BGH verfolgt das Ziel, die Justiz von massenhaften Einzelklagen zu entlasten. Die massenhafte Geltendmachung gleichgelagerter Verbraucheransprüche vor Gericht (Dieselklagen, Gültigkeit von AGB-Klauseln in Bank- und Versicherungsverträgen) soll durch eine frühzeitige, höchstrichterliche Klärung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen eingedämmt werden.

Ziel der Reform: Rechtssicherheit und Orientierungshilfe

Ein Problem in massenhaft bei den Instanzgerichten anhängigen Verfahren ist häufig, dass entscheidungserhebliche Rechtsfragen noch nicht höchstrichterlich geklärt sind. Die höchstrichterliche Klärung beim BGH wird häufig sogar bewusst verhindert, indem dort anhängige Revisionsverfahren aus taktischen Gründen durch Klagerücknahme oder durch Vergleich vorzeitig beendet werden (häufige Praxis bei VW-Dieselklagen). Hierdurch bleibt die Rechtsunsicherheit in bestimmten rechtlichen Fragen oft unnötig lange bestehen und führt dazu, dass sich Klageverfahren in massenhaft gleich gelagerten Fällen bei den Instanzgerichten stauen.

BGH wählt geeignetes Revisionsverfahren aus

Mit dem neuen Gesetz soll dieses Dilemma beendet und der BGH in die Lage versetzt werden, auch bei einer vorzeitigen Beendigung des Verfahrens durch Rücknahme der Revision oder durch Vergleich die in den Verfahren aufgeworfenen grundsätzlichen Rechtsfragen in Form einer Leitentscheidung zu klären. Hierbei kann der BGH gemäß § 552b ZPO-E aus mehreren bei ihm anhängigen Revisionen ein geeignetes Verfahren mit einem möglichst breiten Spektrum an offenen Rechtsfragen auswählen.

Form der Leitsatzentscheidung

Das Gesetz sieht folgende Entscheidungsmodalitäten für Leitentscheidungsverfahren vor:

  • Die Leitentscheidung ergeht durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung, § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO-E.
  • Der Beschluss ist unter Beschränkung auf die Erwägungen zur Entscheidung der maßgeblichen Rechtsfragen zu begründen § 565 Abs. 3 ZPO-E.
  • Der Beschluss enthält eine Darstellung des Sachverhalts und der Rechtsfragen, deren Entscheidung für eine Vielzahl anderer Verfahren von Bedeutung ist, § 552b Abs. 1 Satz 2 ZPO E.

Informationswirkung im Vordergrund

Die wichtigste Wirkung einer Leitentscheidung liegt darin, dass Rechtssuchende und Anwälte möglichst bereits im Vorstadium eines Prozesses darüber informiert sind, wie der BGH über eine bestimmte Rechtsfrage denkt. Auch sollen in anhängigen Verfahren die Gerichte frühzeitiger als bisher über die höchstrichterliche Rechtsprechung in einer bestimmten Rechtsfrage Klarheit erhalten. Der Gesetzgeber erhofft sich hiervon für sämtliche Beteiligten - Juristen und Laien - ein deutliches Plus an Planbarkeit und Rechtssicherheit.

Leitentscheidung ohne unmittelbare Bindungswirkung

Eine direkte formale Bindungswirkung wird den Leitentscheidungen nicht zukommen. Sie haben weder bindende Wirkung für das der Leitentscheidung zu Grunde liegende konkrete Revisionsverfahren, noch hat die Leitentscheidung eine rechtliche Bindungswirkung für die Instanzgerichte. Die Bedeutung liegt allein in der Orientierungs- und Richtschnurfunktion für die Öffentlichkeit und für die Gerichte. Folgerichtig sieht der Gesetzentwurf eine Verpflichtung des BGH zur Veröffentlichung von Leitentscheidungen vor.

Erweiterung der Aussetzungsoptionen der Instanzgerichte

Der Gesetzentwurf enthält durch eine Neufassung des § 148 Abs. 4 ZPO auch eine Erweiterung der Aussetzungsmöglichkeiten für bei den Instanzgerichten anhängige Verfahren. Die Instanzgerichte sollen künftig im Hinblick auf ein Leitentscheidungsverfahren mit Zustimmung der Parteien Verfahren aussetzen können, wenn die zu erwartende Leitentscheidung für das anhängige Verfahren maßgeblich ist.

Gesetz soll kurzfristig in Kraft treten

Nach Annahme durch den Bundestag in 2. und 3. Lesung am 26.9.2024 in der vom Rechtsausschuss modifizierten Fassung soll das Gesetz nach Ausfertigung durch den Bundespräsidenten am Tag nach seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft treten.


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