Nach Anwaltsfehler muss Ex-Ehemann Unterhalt zahlen
Der BGH hat in einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung strenge Maßstäbe an die Sorgfaltspflichten einer Anwältin angelegt, die nach einem Fehler des Gerichts eine Beschwerde zurücknahm und dadurch die Beschwerdefrist versäumte.
Fehlerhafter Rechtskraftvermerk im Scheidungsbeschluss
In einem Scheidungsverfahren wurde der Antragsteller von seiner Anwältin vertreten. Durch Beschluss hat das Familiengericht die Ehe der Beteiligten geschieden, den Versorgungsausgleich durchgeführt und den Antragsteller zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt und Zugewinnausgleich an die Antragsgegnerin verpflichtet. Eine beglaubigte Abschrift des Beschlusses versehen mit einem umfassenden Rechtskraftvermerk wurde dem Antragsteller bzw. seiner Anwältin zugestellt. Noch am selben Tag hat der Antragsteller eine Berichtigung des Beschlusses dahingehend beantragt, dass dieser nur hinsichtlich des Scheidungsausspruchs rechtskräftig sei.
Familiengericht forderte die übersandten Beschlussausfertigungen zurück
Daraufhin hat das Familiengericht die übersandten Abschriften mit dem Hinweis zurückgefordert, dass eine schwerwiegende Abweichung von der Urschrift vorliege, die zur Unwirksamkeit der Zustellung führe. Die Zustellung solle nach Berichtigung erneut erfolgen. Gegen den Unterhaltsbeschluss hat der Antragsteller, vertreten durch seine Anwältin, Beschwerde eingelegt unter dem Hinweis, die Beschwerde erfolge vorsorglich fristwahrend, da die Zustellung des Beschlusses wegen schwerwiegender Abweichung von der Urschrift ja unwirksam sei. Daraufhin teilte das Familiengericht mit, dass eine erneute Zustellung veranlasst werde, sobald sämtliche fehlerhaften Ausfertigungen zurückgelangt seien. Auf diesen Hinweis hat die Anwältin die Beschwerde zurückgenommen.
Scheidungsbeschluss nach Berichtigung erneut zugestellt
Eine erneute Abschrift des Beschlusses mit fehlerfreiem Rechtskraftvermerk wurde dem Antragsteller darauf einige Wochen später zugestellt. Hierauf hat seine Anwältin erneut Beschwerde eingelegt und diese begründet. Bezogen auf den 2. Zustellungszeitpunkt traf die Beschwerde rechtzeitig bei Gericht ein, allerdings war die Beschwerdefrist bezogen auf die erste Zustellung des fehlerhaften Scheidungsbeschlusses abgelaufen.
Beschwerde gegen Unterhaltsbeschluss verfristet
Das Beschwerdegericht hielt die Beschwerde für verfristet. Es hat den hierauf gestellten Wiedereinsetzungsantrag des Antragstellers zurückgewiesen und die Beschwerde als unzulässig verworfen. Hiergegen hat der Antragsteller, vertreten durch seine Anwältin, Rechtsbeschwerde eingelegt. Die Rechtsbeschwerde hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Ursprüngliche Zustellung setzte Beschwerdefrist in Gang
Nach Auffassung des BGH ist der Scheidungsbeschluss bereits zum 1. Zustellungszeitpunkt wirksam zugestellt worden. Die Wirksamkeit der Zustellung folge daraus, dass
- der Beschluss mit Zustellungswillen des Gerichts in Form einer beglaubigten Abschrift
- der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers zugeleitet worden sei und
- diese den Empfang mit Empfangsbekenntnis gegenüber dem Gericht bestätigt habe (BGH, Beschluss v. 20.10.2021, XII ZB 314/21).
Weitere Wirksamkeitsvoraussetzungen habe eine Zustellung nicht.
Zustellung nur bei wesentlichen Abweichungen unwirksam
Der BGH räumte ein, dass trotz eines wirksam ausgestellten Empfangsbekenntnisses eine Zustellung unwirksam sein könne, wenn zwischen der Urschrift und der beglaubigten Abschrift so starke Abweichungen bestünden, dass der Zustellungsadressat den wesentlichen Inhalt der Urschrift und den Umfang seiner Beschwer nicht mehr zweifelsfrei erkennen könne (BGH, Beschluss v. 10.11.2011, IX ZB 165/10). Diese Voraussetzungen seien hier aber nicht erfüllt. Die Tenorierung und der Inhalt des Beschlusses seien klar erkennbar gewesen. Die in sich nicht konsistente Rechtsbehelfsbelehrung ändere hieran nichts.
Anwälte dürfen nicht auf offenkundig unrichtige gerichtliche Belehrungen vertrauen
Die Vermutungsregel des § 233 Satz 2 ZPO, wonach bei fehlerhaften Rechtsmittelbelehrungen vermutet wird, dass für ein Fristversäumnis kein Verschulden vorliegt, kommt nach der Entscheidung des BGH Anwälten bei Offenkundigkeit eines gerichtlichen Fehlers nicht zugute. Von einem juristisch geschulten Anwalt müsse erwartet werden, dass er die Grundzüge des Verfahrensrechts und des Rechtsmittelsystems in der jeweiligen Verfahrensart kennt. War die Rechtsbelehrung des Gerichts – wie in diesem Fall – offenkundig falsch, so könne sie in Anbetracht des bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstandes nicht den Anschein der Richtigkeit erwecken (BGH, Beschluss v. 25.11.2020, XII ZB 256/20).
Anwälte müssen den sicheren Weg wählen
Die Rücknahme der zuerst eingelegten ursprünglichen Beschwerde war nach Auffassung des BGH unverständlich, zumal ein Rechtsmittel auch schon vor dem gesetzlich festgelegten Fristbeginn eingelegt und begründet werden könne. Die Anwältin hätte daher den sicheren Weg beschreiten und die wirksam eingelegte ursprüngliche Beschwerde innerhalb der Beschwerdefrist begründen müssen. Gegebenenfalls hätte sie auch eine Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist beantragen können.
Im Ergebnis kommt Anwaltsregress in Betracht
Das Fristversäumnis war daher nach Auffassung des BGH nicht unverschuldet. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kam damit nicht in Betracht. Im Ergebnis muss der Antragsteller den im Unterhaltsbeschluss ausgeurteilten Unterhalt zahlen und kann gegebenenfalls seine Anwältin auf Regress in Anspruch nehmen.
(BGH, Beschluss v. 6.3.2024, XII ZB 408/23)
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