Fehler des Zustellers geht nicht zulasten einer Prozesspartei
In einem vom BGH entschiedenen Fall ist es dem Prozessvertreter einer Klägerpartei trotz einer falschen Angabe der Adresse der Beklagten in der Klageschrift knapp gelungen, einen Haftungsfall wegen Verjährung der Klageforderung zu vermeiden.
Klage mehr als einen Monat vor Verjährungsablauf eingereicht
Mit der von dem Rechtsanwalt für seine Mandantin eingereichten Klage forderte die Klägerin von der Beklagten restlichen Werklohn in Höhe von ca. 200.000 EUR. Der Anwalt hatte die Klage Ende November 2018 eingereicht. Der Zeitraum bis zum Eintritt der 3-jährigen Verjährung der Werklohnforderung am 31.12.2018 war nach der Beurteilung des Anwalts ausreichend bemessen.
Veraltete Beklagtenadresse angegeben
Was dem Anwalt zunächst nicht aufgefallen war: In der Klageschrift hatte er eine veraltete Adresse des beklagten Unternehmens angegeben. Dieses hatte bereits über 2 Jahre vor Klageerhebung seinen Geschäftssitz verlegt, was sowohl aus dem Handelsregister als auch aus dem Internet problemlos ersichtlich gewesen wäre. Infolge der unrichtigen Adressierung verzögerte sich die vom Gericht veranlasste Zustellung der Klageschrift.
Klageschrift in Drittbriefkasten eingeworfen
Die Folgen der fehlerhaften Beklagtenadresse verschlimmerten sich durch einen hinzutretenden Fehler des Postzustellers. Dieser sandte die Klageschrift nicht - wie bei einer unrichtigen Adressierung vorgeschrieben - als unzustellbar an das Gericht zurück, vielmehr warf er den Umschlag mit der Klageschrift kurzerhand in einen anderen Briefkasten an der unrichtigen Adresse. Dadurch verzögerte sich der Rücklauf der Klageschrift an das Gericht. Die Zustellung an die aktuelle Adresse der Beklagten verzögerte sich um insgesamt 20 Tage und erfolgte erst am 12. Februar des Folgejahres.
Klage zunächst wegen Verjährung abgewiesen
Die Vorinstanzen hatten darauf die Klage wegen Verjährung der Werklohnforderung abgewiesen. Das Berufungsgericht wies darauf hin, dass die Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB erst mit Klageerhebung, d.h. mit Zustellung der Klage eintrete. Gemäß § 167 ZPO trete die verjährungshemmende Wirkung einer Klage rückwirkend mit Eingang der Klage bei Gericht ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt. Die Zustellung sei hier aber nicht „demnächst“ erfolgt, sondern mit großer Verzögerung, die der Kläger durch die unrichtige Adressangabe zu vertreten habe.
BGH bejaht Zustellung als „noch demnächst“
Der BGH teilte die Auffassung des Berufungsgerichts nicht. Nach Auffassung des BGH war die Zustellung der im November beim LG eingegangen Klageschrift am 12.2.2019 „noch demnächst“ im Sinne von § 167 ZPO erfolgt, sodass die verjährungshemmende Wirkung erhalten blieb. Die Verzögerung sei zu einem wesentlichen Teil dadurch entstanden, dass der Zusteller fehlerhaft gehandelt und die Klageschrift nicht an das Gericht zurückgesendet, sondern in irgendeinen der an der unrichtigen Adresse vorgefundenen Briefkästen gelegt habe.
Postzusteller ist Zustellorgan des Gerichts
Der Senat stellte klar, dass die Zustellung einer Klageschrift gemäß § 168 Abs. 1 Satz 2 ZPO durch das Gericht von Amts wegen zu veranlassen sei. Damit gehöre der Zustellvorgang zum gerichtlichen Geschäftsablauf. Der Postzusteller sei das Zustellorgan des Gerichts. Ein vorschriftswidrig vorgenommener Zustellvorgang sei damit rechtlich als unrichtige Sachbehandlung durch das Gericht zu werten und könne nicht einer Prozesspartei angelastet werden. Bei ordnungsgemäßer Zustellung müsse das Zustellorgan im Fall einer fehlerhaften Adressierung die Klage mit einem Vermerk über den Grund der Unzustellbarkeit unverzüglich an das Gericht zurückleiten.
Entscheidend für Verjährungshemmung ist die Zustellung „demnächst“
Der BGH stellte klar, dass
- die Zustellung einer Klageschrift noch dann „demnächst“ im Sinne von § 167 ZPO erfolgt und damit auf den Eingang der Klage bei Gericht zurückwirkt, wenn eine vom Kläger verschuldete Verzögerung der Zustellung einen Zeitraum von 14 Tagen nicht überschreitet (BGH, Urteil v. 25.7.2024, VII ZR 646/21).
- Hierauf sei der auf vermeidbare Verzögerungen im Geschäftsablauf des Gerichts oder der Post zurückzuführende Zeitraum nicht anzurechnen.
- Ebenso wenig seien der Partei Verzögerungen im Zustellverfahren anzulasten, da die Zustellung Teil der Sachbehandlung durch das Gericht sei (BGH, Urteil v. 21.7.2023, V ZR 215/21).
Verzögerte Zustellung durch Fehler im Geschäftsablauf des Gerichts
Vor diesem Hintergrund kam der BGH zu dem Ergebnis, dass die im konkreten Fall eingetretene Zustellungsverzögerung den vom Kläger verschuldeten, noch hinnehmbaren Rahmen von 14 Tagen, nicht überschritten hatte. Die Verzögerung infolge des Fehlers des Zustellers durch den Einwurf der Klageschrift in den Briefkasten eines Dritten sei nicht auf die der Klägerin im Rahmen ihres Verschuldens zuzugestehende 14-tägige Verzögerung aufzuschlagen. Auf die unrichtige Adressangabe entfalle hier lediglich eine Verzögerung von 12 Tagen, die sich damit noch innerhalb der Toleranzgrenze von 14 Tagen bewege.
Berufungsgericht muss erneut entscheiden
Im Ergebnis ist nach der Bewertung des BGH die Zustellung der Klageschrift am 12.2.2019 daher „noch demnächst“ im Sinne des § 167 ZPO erfolgt. Die Verjährung der mit der Klage geltend gemachten Werklohnforderung war damit wirksam gehemmt. Demgemäß hätten die Vorinstanzen die Klage nicht wegen Verjährung abweisen dürfen. Da die materiellen Voraussetzungen des Werklohnanspruchs von den Vorinstanzen bisher nicht geprüft wurden, hat der BGH den Rechtsstreit zur weiteren Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
(BGH, Urteil v. 10.10.2024, VII ZR 240/23)
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