Leitsatz (amtlich)
Da inländische juristische Personen oder parteifähige Vereinigungen neben weiteren Voraussetzungen Prozeßkostenhilfe nur erhalten, wenn die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde, muß sich bei Antragstellung durch eine parteifähige Vereinigung aus dem unterbreiteten Sachverhalt ergeben, daß außer den an der Führung des Prozesses wirtschaftlich Beteiligten ein erheblicher Kreis von Personen durch die Unterlassung der Rechtsverfolgung in Mitleidenschaft gezogen werden kann.
Normenkette
FGO § 142; ZPO § 116 Nr. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) - eine GmbH & Co. KG - war in den Jahren 1974 bis 1976 Kommanditistin der X KG in Y. Aufgrund einer Betriebsprüfung erließ der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) in bezug auf die zuletzt genannte KG Gewinnfeststellungsbescheide für die Jahre 1974 bis 1976, in denen für die Jahre 1974 und 1975 Verluste und für das Jahr 1976 ein Gewinn von null DM festgestellt worden waren. Der Antragstellerin wurden für 1974 und 1975 je ein Verlustanteil und für 1976 ein Gewinnanteil von null DM zugerechnet. Das FA stellte weiterhin aufgrund der Betriebsprüfung den Einheitswert des Betriebsvermögens der X KG zum 1. Januar 1975 auf ./. 168 000 DM und den Anteil der Antragstellerin an diesem Einheitswert mit null DM fest. Nach erfolglosen Einsprüchen erhob die Antragstellerin Klage wegen der genannten Gewinnfeststellungesbescheide und Klage wegen der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens. In den Klageschriften beantragte sie, ihr Prozeßkostenhilfe zu bewilligen, weil sie arm im Sinne des Gesetzes sei.
Das Finanzgericht (FG) lehnte in getrennten Beschlüssen die Anträge ab.
Hiergegen richten sich die Beschwerden der Antragstellerin. Ausführungen zu ihrer Begründung hat die Antragstellerin nicht gemacht. Das FG hat den Beschwerden nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerden, die der Senat zu gemeinsamer Entscheidung verbunden hat, sind nicht begründet.
Das FG hat die in den anhängigen Klageverfahren gestellten Anträge auf Prozeßkostenhilfe mit zutreffender Begründung zurückgewiesen.
Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 116 Nr. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erhält eine inländische juristische Person oder parteifähige Vereinigung Prozeßkostenhilfe - bei Vorliegen noch anderer Voraussetzungen, wie den Erfolgsaussichten des Rechtsstreits - nur dann, wenn die Kosten weder von ihr noch von den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und wenn die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde. Die Antragstellerin, die in der Rechtsform der KG organisiert ist, gehört zu den parteifähigen Vereinigungen; denn sie kann in Verfahren vor den FG als Klägerin auftreten. Sie ist Beteiligte am Verfahren (§ 57 FGO).
Das FG hat seine Entscheidung darauf gestützt, daß im Falle der Antragstellerin die Unterlassung der Rechtsverfolgung allgemeinen Interessen nicht zuwiderlaufen würde. Die gleichen Voraussetzungen, wie sie jetzt in § 116 Nr. 2 ZPO für die Gewährung der Prozeßkostenhilfe für juristische Personen und parteifähige Vereinigungen enthalten sind, galten nach § 114 Abs. 4 ZPO a. F. dür die Gewährung des Armenrechts für juristische Personen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in dem Beschluß vom 3. Juli 1973 1 BvR 153/69 (BVerfGE 35, 348, 358) in der sachlichen Ausgestaltung des § 114 Abs. 4 ZPO a. F. keinen Verfassungsverstoß gesehen. Der Richter sei bei Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "allgemeine Interessen" in die Lage versetzt, alle nur denkbaren allgemeinen Interessen zugunsten der juristischen Person in die Überlegung einzubeziehen, ob die Bewilligung des Armenrechts gerechtfertigt ist. Bei annähernd gleicher Gesetzeslage ist § 116 Nr. 2 ZPO n. F. ebenfalls als verfassungsgemäß anzusehen.
Von dem allgemeinen Interesse ist das Einzelinteresse des Betroffenen zu unterscheiden. Dem Interesse des einzelnen wird in der Regel schon durch die Prüfung genügt, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung aussichtsreich ist und nicht mutwillig erscheint. Kommt der Antragsteller bei dieser Prüfung zu einem negativen Ergebnis, wird dadurch nicht das Interesse der Allgemeinheit, sondern sein eigenes berührt. Das Erfordernis, daß die Interessen der Allgemeinheit berührt sein müssen, wenn die Rechtsverfolgung unterbleibe, muß eine über das Einzelinteresse hinausgehende Bedeutung haben (vgl. die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 20. September 1957 VII ZR 62/57, BGHZ 25, 183). Nach dem Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 31. Juli 1973 VII R 125/71 (BFHE 110, 176, BStBl II 1973, 851) muß in jedem Falle außer den an der Führung des Prozesses wirtschaftlich Beteiligten ein erheblicher Kreis von Personen durch die Unterlassung der Rechtsverfolgung in Mitleidenschaft gezogen werden können. Nach dieser Entscheidung ist an Fälle zu denken, in denen die juristische Person, z. B. eine Gemeinde oder gemeinnützige Stiftung, an der Erfüllung ihrer der Allgemeinheit dienenden Aufgaben behindert werden würde, wenn der Prozeß nicht durchgeführt werden könnte; möglich sei auch, daß von der Durchführung des Prozesses die Erhaltung einer großen Zahl von Arbeitsplätzen abhänge.
Das FG erwähnt in seiner Entscheidung, daß in der Begründung der Bundesregierung zu einem Gesetz über die Prozeßkostenhilfe (BT-Drucks 8/3068 vom 17. Juli 1979) als Fälle, in denen ein Unterlassen der Rechtsverfolgung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde, Sachverhalte genannt sind, in denen eine juristische Person (parteifähige Vereinigung) ohne die Durchführung des Rechtsstreits behindert wäre, der Allgemeinheit dienende Aufgaben zu erfüllen. Darüber hinaus sei nach der Gesetzesbegründung denkbar, daß ein allgemeines Interesse dann zu bejahen sei, wenn von der Durchführung des Prozesses die Existenz eines Unternehmens abhänge, an dessen Erhaltung wegen der großen Zahl der von ihm beschäftigten Arbeitnehmer ein allgemeines Interesse bestehe.
Anhaltspunkte für einen derartigen möglichen Sachverhalt hat die Antragstellerin nicht vorgetragen. Sie lassen sich auch nicht aus den Akten entnehmen. Mit Recht weist das FG darauf hin, daß sich die Antragstellerin in Liquidation befindet und ihre persönlich haftende Gesellschafterin nach Durchführung des Konkursverfahrens im Handelsregister gelöscht ist. Eine weitere Tätigkeit der Antragstellerin ist nicht zu erwarten. Es ergibt sich auch nichts, daß von der Durchführung des Rechtsstreits der Bestand einer Vielzahl von Arbeitsplätzen abhängt.
Auch im Lichte der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes (GG) ist eine andere Auslegung des § 116 Nr. 2 ZPO nicht geboten. Art. 14 GG, der auch für juristische Personen und sonstige Personenvereinigungen gilt, schützt das Vermögen grundsätzlich nicht vor der staatlichen Auferlegung von Geldleistungspflichten und öffentlichen Abgaben. Die Eigentumsgarantie greift erst dann ein, wenn die Steuer den Pflichtigen übermäßig belastet, nämlich die Ausübung des Eigentumsrechts in aller Regel wirtschaftlich unmöglich macht (BFH-Urteil vom 14. Mai 1974 VIII R 95/72, BFHE 112, 546, 563, BStBl II 1974, 572, 580, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BVerfG).
Es kann nach alledem dahinstehen, ob die von der Antragstellerin beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und ob die Kosten von der Antragstellerin oder von ihren Gesellschaftern oder von den sonst am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich beteiligten Personen aufgebracht werden könnten.
Fundstellen
BStBl II 1982, 600 |
BFHE 1983, 62 |