Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB ‐ Übergangsrecht; zur Anwendung strafrechtlicher Regeln im Abgabenrecht
Leitsatz (NV)
- Zur Erfüllung der Darlegungspflicht in Divergenzfällen (altes Recht).
- Der auch im Steuerrecht anwendbare Grundsatz "in dubio pro reo" ist eine Beweislast-, keine Beweismaßregel.
- Mit Einwänden gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des FG kann der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt des Verfahrensmangels weder nach altem noch nach neuem Zulassungsrecht gehört werden.
- Auch die Zulassung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO erfordert das Vorliegen eines über das Individualinteresse der Beteiligten hinausreichendes allgemeines Interesse an der höchstrichterlichen Klärung bestimmter grundsätzlich bedeutsamer Rechtsfragen sowie ‐ gemäß § 116 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 FGO ‐ ein entsprechend substantiiertes und in sich schlüssiges Beschwerdevorbringen.
Normenkette
AO 1977 § 370; 2. FGOÄndG Art. 4, 6; FGO §§ 76, 96, 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, § 116 Abs. 3 Sätze 1, 3
Gründe
Das Rechtsmittel ist teils unzulässig, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund nicht in der erforderlichen Weise dargelegt wurde, teils unbegründet, weil die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen nicht gegeben sind. Dabei kann dahingestellt bleiben, inwieweit dies nach § 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden alten Fassung (a.F.), inwieweit nach § 116 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 FGO in der seit 1. Januar 2001 geltenden Fassung (n.F.) zu beurteilen ist (s. dazu Art. 4, 6 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze ―2.FGOÄndG― vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757; Neuverkündung: BGBl I 2001, 442; s. auch Spindler, Der Betrieb ―DB― 2001, 61 ff.).
1. Ausdrücklich berufen haben sich die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) nur auf § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO a.F. Zur Bezeichnung der Divergenz (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F.) wäre es erforderlich gewesen, tragende abstrakte Rechtssätze des angefochtenen Urteils einerseits und einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) oder des Bundesverfassungsgerichts andererseits einander gegenüberzustellen und auf diese Weise eine Abweichung darzutun (BFH in ständiger Rechtsprechung; s. z.B. Beschlüsse vom 4. Mai 2000 I B 121/99, BFH/NV 2000, 1477, und vom 23. Juni 2000 VIII B 52/99, BFH/NV 2000, 1487). Das ist hier nicht geschehen: In der Beschwerdebegründung wird eine solche Abweichung zu den BFH-Urteilen, die sich zur Bedeutung der im Strafrecht geltenden Beweisregel "in dubio pro reo" äußern (z.B. Senatsurteil vom 14. August 1991 X R 86/88, BFHE 165, 458, BStBl II 1992, 128), nur ganz allgemein behauptet.
Darüber hinaus hat das Finanzgericht (FG) in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BFH (z.B. Urteil vom 27. August 1991 VIII R 84/89, BFHE 165, 330, BStBl II 1992, 9) im rechtlichen Ausgangspunkt dargelegt, dass die Festsetzung von Hinterziehungszinsen objektiv und subjektiv die Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung i.S. des § 370 der Abgabenordnung (AO 1977) voraussetzt. Auf dieser Grundlage hat es entschieden, es stehe zu seiner subjektiven Überzeugung fest, "daß die Kläger auch in den Streitjahren in der bestandskräftig festgesetzten Höhe zu wenig Steuern erklärt und entrichtet, also verkürzt haben". Auch am subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung hege es "keinen Zweifel". Demzufolge war für das FG der Grundsatz "in dubio pro reo" nicht entscheidungserheblich. Dies steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BFH: Obwohl auch im finanzgerichtlichen Verfahren der strafverfahrensrechtliche Grundsatz "in dubio pro reo" zu beachten ist, ist das Vorliegen der objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung nicht nach der Strafprozeßordnung, sondern nach den Vorschriften der Abgabenordnung und der Finanzgerichtsordnung zu prüfen. Für die Feststellung der Steuerhinterziehung, die nach § 76 Abs. 1 Sätze 1 und 5 FGO von Amts wegen zu treffen ist, ist kein höherer Grad von Gewissheit notwendig als für die Feststellung anderer Tatsachen, für die das Finanzamt die Feststellungslast trägt (BFH-Urteil vom 19. März 1998 V R 54/97, BFHE 185, 351, BStBl II 1998, 466). Die Einwände der Kläger gegen die diesbezüglichen Feststellungen des FG betreffen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung; mit ihnen können sie im vorliegenden Verfahren grundsätzlich nicht gehört werden.
2. Auch unter dem Gesichtspunkt des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO a.F. und n.F. oder des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO n.F., die als Auffangtatbestand zu § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO a.F. gelten (s. dazu ―hinsichtlich der früheren Rechtslage― näher: Gräber, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, § 115 Rz. 16, m.w.N.) kann das Rechtsmittel keinen Erfolg haben: Grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO a.F. nämlich kommt nur in Betracht, soweit der Rechtsuchende zur Beschwerdebegründung substantiiert und in sich schlüssig eine konkrete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Allgemeinheit, also in einem über das Interesse der Beteiligten am Ausgang des anhängigen Verfahrens hinausreichenden Interesse, höchstrichterlich klärungsbedürftig und in diesem Verfahren klärungsfähig ist (BFH-Beschlüsse vom 22. Dezember 1999 I B 46/99, BFH/NV 2000, 955, 956, und vom 18. Mai 2000 V B 178/99, BFH/NV 2000, 1504, 1505; Gräber, a.a.O., § 115, Rz. 7 ff., jeweils m.w.N.). Prinzipiell nichts anderes gilt für die Begründung eines Zulassungsgrundes i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO n.F. gemäß § 116 Abs. 3 Sätze 1 und 3 FGO n.F. (s. auch BTDrucks 14/4061, S. 6). Hierzu haben die Kläger nichts vorgetragen.
3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO n.F.).
Fundstellen