Betriebsstättenbegriff nach altem und dem ab 2014 geltenden Reisekostenrecht

Hintergrund: PKW-Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte
X unterhielt seit 2010 einen Abbruch- und Reinigungsbetrieb in R, wo er auch wohnte. Im Rahmen dieses Betriebs führte er Arbeiten auf dem Gelände seines (einzigen) Auftraggebers (A) in E aus.
Die Fahrten nach E unternahm X von R aus. Für diese Fahrten nutzte er während der Streitjahre 2012 bis 2014 zum Teil einen im Betriebsvermögen befindlichen PKW.
Das FA ging davon aus, die einzige Betriebsstätte des X habe sich auf dem Gelände des A in E befunden. Deshalb seien die Fahrten von R nach E als Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte anzusehen und die entsprechenden Aufwendungen daher nicht nach Reisekostengrundsätzen zu berücksichtigen, sondern mit der Entfernungspauschale.
Das FG folgte dem FA und wies die Klage ab. Nach der Rechtslage bis 2013 habe X zwei Betriebsstätten gehabt, eine aufgrund der vielen Einzelaufträge für A in E und eine in R, wo er seine Geräte gelagert und gewartet habe. Daran habe sich aufgrund der Einführung des Begriffs der "ersten Tätigkeitsstätte" (für Arbeitnehmer) ab 2014 (§ 9 Abs. 4 EStG n.F.) nichts geändert. Unabhängig davon lägen auch bei sinngemäßer Anwendung des § 9 Abs. 4 EStG n.F. dessen Voraussetzungen aufgrund der langjährigen Tätigkeit des X für A im Streitfall vor.
Entscheidung: Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte nach altem und neuem Recht
Der BFH wies die Revision zurück. Nach beiden Fassungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG (Zeiträume vor 2014 und ab 2014) handele es sich um mit der Entfernungspauschale abgegoltenen Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte.
Betriebsstätte beim Auftraggeber – Rechtslage bis 2013
Nach der bis 2013 geltenden Begriffsbestimmung ist der Begriff der Betriebsstätte schon wegen der Verweisung in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 2 EStG a.F. auf die Regelung in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG a.F. (ebenso wie der dort für Arbeitnehmer verwendete Begriff der "Arbeitsstätte") dadurch gekennzeichnet, dass er eine ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung voraussetzt, die der Steuerpflichtige nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder zur Ausübung seiner betrieblichen Tätigkeit aufsucht (BFH v. 12.6.2018, VIII R 14/15, BStBl II 2018, S. 755, Rz. 21). Bei dem Betrieb des Auftraggebers des X (A) in E handelte es sich sonach um eine Betriebsstätte des X i.S. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG a.F. Das Merkmal der "Dauerhaftigkeit" war erfüllt. Denn X ging im Betrieb des A regelmäßig (aufgrund einer Vielzahl von Einzelaufträgen) seinen Tätigkeiten nach.
Weitere Betriebsstätte bis 2013 in den eigenen Räumen
Der Annahme einer Betriebsstätte beim Betrieb des A in E steht nicht entgegen, dass X an seinem Wohnort in R eine weitere Betriebsstätte unterhalten hat. Nach der bis 2013 geltenden Rechtslage waren mehrere Betriebsstätten - eine in eigenen Räumlichkeiten und eine beim Auftraggeber - möglich (BFH v. 23.10.2014, III R 19/13, BStBl II 2015, S. 323, Rz. 12).
"Erste Betriebsstätte" – Rechtslage ab 2014
Der Streitfall wirft die Frage auf, welche Bedeutung ab 2014 der Einführung des Begriffs der "ersten Tätigkeitsstätte" in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 EStG n.F. (und den damit in Zusammenhang stehenden Regelungen, § 9 Abs. 4 Sätze 2 ff. EStG n.F.) für die Auslegung des Begriffs der Betriebsstätte in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG n.F. zukommt. Der BFH lässt ausdrücklich offen, ob der Betriebsstättenbegriff nunmehr entsprechend der Begriffsbestimmung der ersten Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 EStG n.F. auszulegen ist. Denn selbst wenn man dies annehmen würde, wären im Streitfall auch die Anforderungen dieser Vorschrift erfüllt.
Betrieb in E als "erste Betriebsstätte"
Bei dem Betrieb des A handelt es sich um eine ortsfeste betriebliche Einrichtung. X war dieser aufgrund der langjährigen sicheren Geschäftsbeziehung "dauerhaft zugeordnet". Er sollte für die gesamte Dauer des im Vorhinein befristeten Auftragsverhältnisses auf dem Betriebsgelände der A die erforderlichen Abbruch- und Reinigungsarbeiten erbringen. Dass X lediglich für höchstens ein Kalenderjahr tätig werden sollte, ist bereits nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 4 Satz 3 Alternative 2 EStG n.F., der bei einer Zuordnung für die gesamte Dauer des Dienstverhältnisses keine Anforderungen an den zeitlichen Umfang stellt, unbeachtlich. Der BFH hat zwar erkennen lassen, dass er eine zivilrechtliche Betrachtung des einzelnen Beschäftigungsverhältnisses vornimmt (BFH v. 10.4.2019, VI R 6/17, BStBl II 2019, 539, Rz 33 f.). Er hat aber auch klargestellt, dass es sich bei § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG lediglich um "Regelbeispiele" für eine dauerhafte Zuordnung handelt. Schließlich hat das FG auch gewürdigt, dass nach dem Gesamtbild der Verhältnisse die Aufgabenerledigung in E sowohl nach inhaltlichen als auch nach zeitlichen Kriterien eindeutig den Mittelpunkt der betrieblichen Arbeit dargestellt hat.
Hinweis: "Erste Betriebsstätte"
Der BFH konnte offen lassen, ob der Begriff der "ersten Betriebsstätte" im Gleichklang mit der "ersten Tätigkeitstätte" in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 EStG n.F. auszulegen ist. Die Gleichbehandlung erscheint geboten. Im Streitfall kam es nicht darauf an. Denn jedenfalls waren die besonderen Voraussetzungen der "ersten Tätigkeitsstätte" erfüllt. Der BFH bejahte dies auch für die Frage der dauerhaften Zuordnung. Bei einem Arbeitnehmer stellt der BFH für das Merkmal der Dauerhaftigkeit § 9 Abs. 4 Satz 5 EStG n.F. auf das konkrete Beschäftigungsverhältnis ab. Bei einem Gewerbetreibenden kann dem eine "außergewöhnlich sichere Geschäftsbeziehung" gleichgestellt werden.
BFH Urteil vom 16.02.2022 - X R 14/19 (veröffentlicht am 21.07.2022)
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