Keine Zweifel an Höhe der Säumniszuschläge für die Zeit ab März 2022

Hintergrund: Säumniszuschläge i.H. von 12 % p.a.
Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet, so ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 % des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten; abzurunden ist auf den nächsten durch 50 EUR teilbaren Betrag (§ 240 Abs. 1 Satz 1 AO).
Sachverhalt: Säumniszuschläge in der Zeit von März bis Dezember 2022
Dem Rechtsstreit liegt verkürzt dargestellt folgender Sachverhalt zugrunde:
- Die Antragstellerin war Gesellschafterin einer gewerblichen Personengesellschaft. Das FA erließ gegen sie am 19.8.2020 einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2017. Aufgrund des erhöhten Ansatzes des Gewinnanteils an einer gewerblichen Personengesellschaft ergab sich eine Nachzahlung von 182.382 EUR Einkommensteuer und 9.945,81 EUR Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer.
- Da die Personengesellschaft ein Rechtsbehelfsverfahren gegen den ergangenen Gewinnfeststellungsbescheid führte, gewährte das FA der Antragstellerin am 1.9.2020 AdV für die Steuernachzahlung, zunächst ohne Sicherheitsleistung.
- Am 15.2.2022 erließ es aufgrund des in der AdV-Verfügung enthaltenen Widerrufsvorbehalts einen geänderten AdV-Bescheid. Darin machte es die AdV von einer Sicherheitsleistung von 108.000 EUR abhängig.
- In diesem Bescheid heißt es u.a.: „Die Vollziehung wird weiterhin ab Fälligkeit ausgesetzt (sofern die Sicherheitsleistung erbracht wird)."
- Am 20.12.2022 wurde als Sicherheitsleistung ein Grundstück mit einer Grundschuld zugunsten des FA belastet. Daraufhin gewährte das FA mit Bescheid vom 9.1.2023 erneut AdV mit Wirkung ab dem 20.12.2022.
- In der Folgezeit vertrat das FA die Auffassung, für die Zeit vor der Grundschuldbestellung vom 19.3.2022 bis zum 19.12.2022 seien Säumniszuschläge entstanden (16.411,50 EUR Säumniszuschläge zur Einkommensteuer 2017 und 891,00 EUR Säumniszuschläge zum Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 2017). Auf Antrag der Antragstellerin erließ das FA einen Abrechnungsbescheid, in dem unter anderem die genannten Säumniszuschläge ausgewiesen sind.
Nachdem das FA einen AdV-Antrag hinsichtlich der Säumniszuschläge abgelehnt hatte, beantragte die Antragstellerin beim FG die Gewährung von AdV. Das FG gewährte die beantragte AdV, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts schon deshalb bestünden, weil mehrere Senate des BFH in vergleichbaren Fällen AdV wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge gewährt hätten. Es sei nicht erkennbar, dass diese Senate ihre Zweifel aufgegeben hätten oder ihre Rechtsprechung durch Entscheidungen anderer Senate des BFH überholt sei. Mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, bringt das FA vor, der X. Senat des BFH habe in einer Entscheidung, die in einem Hauptsacheverfahren ergangen sei, ausdrücklich ausgeführt, dass damit die divergierenden Entscheidungen anderer Senate überholt seien. Das FA beantragt sinngemäß, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den AdV-Antrag abzulehnen.
Entscheidung: Säumniszuschläge ab März 2022 nicht mehr realitätsfremd
Der BFH ist der Auffassung, dass das FG zu Unrecht ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung über die Höhe der Säumniszuschläge (§ 240 Abs. 1 Satz 1 AO) für die hier in Rede stehende Zeit ab März 2022 bejaht hat.
Gleichwohl stellt sich die vom FG ausgesprochene AdV-Gewährung aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des FA bestehen, die Vollziehung abweichend von dem Wortlaut des geänderten AdV-Bescheids vom 15.2.2022 trotz Erbringung der Sicherheitsleistung nicht weiterhin ab Fälligkeit auszusetzen.
Höhe der Säumniszuschläge ab dem mit Beginn des Ukraine-Kriegs einsetzenden Zinsanstieg
Entgegen der Auffassung des FG bestehen aufgrund des ab Februar 2022 markant und nachhaltig gestiegenen Zinsniveaus jedenfalls ab März 2022 keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge. Denn mit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 und den dadurch auch in der Bundesrepublik Deutschland ausgelösten wirtschaftlichen Verwerfungen hat sich die Lage auf den Geld- und Kapitalmärkten grundlegend verändert. Der Kriegsbeginn hat eine klare und sogleich für jeden erkennbare Ursache dafür gesetzt, dass die Zinssätze in der Folgezeit deutlich und sehr schnell gestiegen sind. Die ausgeprägte Niedrigzinsphase der Vorjahre hatte damit ein Ende gefunden. Dieses gestiegene Zinsniveau hat bis heute Bestand; es handelt sich also nicht um eine kurzfristige Schwankung des Marktzinses, sondern um eine grundlegende – und damit im Rahmen einer etwaigen Prüfung der Angemessenheit der gesetzlichen Typisierung eines Zinssatzes zu berücksichtigende – Änderung der Verhältnisse.
Rückwirkende AdV-Gewährung lässt Säumniszuschläge entfallen
Auch wenn der Senat die gesetzliche Regelung über die Höhe der Säumniszuschläge danach für verfassungsgemäß hält, bestehen im Streitfall gleichwohl ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der im angefochtenen Abrechnungsbescheid dokumentierten Entscheidung des FA, die Antragstellerin habe für die Zeit vom 19.3.2022 bis zum 19.12.2022 Säumniszuschläge verwirkt.
Grund dafür war, dass das FA in seinem Bescheid formuliert hatte, es werde die AdV der offenen Einkommensteuerforderung „ab Fälligkeit“ gewähren, sofern eine Sicherheitsleistung erbracht werde. Diese Formulierung ist für sich genommen eindeutig: Sofern die geforderte Sicherheitsleistung erbracht wird – was hier mit Eintragung der Grundschuld im Grundbuch am 20.12.2022 geschehen ist –, wird die Vollziehung „weiterhin ab Fälligkeit“ ausgesetzt. Säumniszuschläge sind dann bei rückblickender Betrachtung nicht entstanden.
Auch verspätete Sicherheitsleitung im Urteilfall unschädlich
Da die Antragstellerin die geforderte Sicherheit – wenn auch mehrere Monate später – tatsächlich erbracht hatte, bejahte der BFH ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des FA, die AdV der Einkommensteuer nicht rückwirkend ab Fälligkeit zu gewähren. Bei einer rückwirkenden AdV-Gewährung wären entstandene Säumniszuschläge wieder weggefallen.
Hinweis: Rechtsprechung zur Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge
Mit der Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen musste sich der BFH in den letzten Jahren wiederholt befassen. Der Grund hierfür ist die Entscheidung des BVerfG, nach der die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen (§ 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO) verfassungswidrig ist, soweit der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2014 ein Zinssatz von monatlich 0,5 % zugrunde gelegt wird (BVerfG, Beschluss v. 8.7.2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BFH/NV 2021, 1455). Mehrere Senate des BFH hatten in AdV-Verfahren nach summarischer Prüfung hiernach auch Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge bejaht (u.a. BFH, Beschluss v. 23.5.2022, V B 4/22 (AdV), BFH/NV 2022, 1030, BFH, Beschluss v. 11.11.2022, VIII B 64/22 (AdV), BFH/NV 2023, 165, und BFH, Beschluss v. 28.12.2022, III B 48/22 (AdV), BFH/NV 2023, 970).
Allerdings hat der VII. Senat des BFH (später) in mehreren Entscheidungen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung bejaht (BFH. Urteile v. 23.8.2022, VII R 21/21, BStBl II 2023, 304 und v. 15.11.2022, VII R 55/20, BStBl II 2023, 621) und dabei klargestellt, dass auch bei einem strukturellen Niedrigzinsniveau gegen die gesetzliche Höhe des Säumniszuschlags keine Bedenken bestehen. Weder könnten die vom BVerfG herausgearbeiteten Grundsätze zur Vollverzinsung auf den Säumniszuschlag übertragen werden noch verstoße die Höhe des Säumniszuschlags gegen das Übermaßverbot und das Rechtsstaatsprinzip. Der X. Senat hat mit einer entsprechenden Begründung die Verfassungsmäßigkeit später ebenfalls bejaht (BFH, Urteil v. 23.8.2023, X R 30/21, BStBl II 2024, 215; ebenso BFH, Beschluss v. 13.9.2023, X B 52/23 (AdV).
Mit der nun veröffentlichten Entscheidung stellt der X. Senat klar, selbst wenn man die Grundsätze des zur Höhe der Nachzahlungszinsen ergangenen Beschlusses des BVerfG für übertragbar hielte, wäre diese Auffassung durch die zwischenzeitlich eingetretene Entwicklung auf den Geld- und Kapitalmärkten überholt.
BFH, Beschluss v. 21.3.2025, X B 21/25 (AdV); veröffentlicht am 10.4.2025
Alle am 10.4.2025 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen
-
Vermietung an den Partner in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft
666
-
Sonderausgabenabzug für einbehaltene Kirchensteuer auf Kapitalerträge aus anderen Einkunftsarten
645
-
Antrag auf Aufteilung der Steuerschuld nach § 268 AO ist unwiderruflich
515
-
Abzug von Fahrtkosten zur Kinderbetreuung
508
-
Abschreibung für eine Produktionshalle
488
-
Berechnung der Zehn-Jahres-Frist bei sanierungsrechtlicher Genehmigung
444
-
Selbst getragene Kraftstoffkosten bei der 1 %-Regelung
373
-
Teil 1 - Grundsätze
334
-
Ortsübliche Vermietungszeit für eine Ferienwohnung
290
-
5. Gewinnermittlung
271
-
Schuldzinsenabzug bei unentgeltlicher Übertragung eines Teils des Vermietungsobjekts
22.04.2025
-
Abzweigung von Kindergeld bei mangelnder Unterhaltsbedürftigkeit des Kindes
22.04.2025
-
Aufwendungen für die Ablösung eines Zinsswaps
22.04.2025
-
Abzugsfähigkeit von Umzugskosten wegen Einrichtung eines Arbeitszimmers
22.04.2025
-
Alle am 17.4.2025 veröffentlichten Entscheidungen
17.04.2025
-
Rechts- und Beratungskosten beim Anteilsverkauf einer Enkelgesellschaft
17.04.2025
-
FG Düsseldorf prüft Neuregelungen zur Grundsteuer
17.04.2025
-
Währungskursverluste aus einem Gesellschafterdarlehen
17.04.2025
-
Keine Saldierung von Gesellschafterdarlehen im Sonderbetriebsvermögen
17.04.2025
-
Teilzeitbeschäftigung und Nichtrückkehrtage nach dem DBA Schweiz
15.04.2025