Entscheidungsstichwort (Thema)
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung; Fortbildung des Rechts
Leitsatz (NV)
1. Nur ein offensichtlicher Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzeswidrigen Entscheidung führt ausnahmsweise zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO.
2. Der öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch ist nur auf die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands gerichtet.
3. Bei Ablauf der Festsetzungsfrist kommt keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht.
4. Bei einem Verstoß der Finanzbehörde gegen ihre Hinweis- und Auskunftspflichten nach § 89 AO kann der Steuerpflichtige nur im Rahmen des rechtlich Zulässigen so gestellt werden, als wäre der Verstoß nicht passiert.
Normenkette
AO §§ 89, 110, 169; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Sächsisches FG (Urteil vom 30.08.2006; Aktenzeichen 2 K 638/05) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erwarb im Jahr 1995 ein Grundstück in D mit einem Wohn- und Geschäftshaus, das sie in den Jahren 1998 und 1999 sanierte. Im Jahr 2003 räumte die Klägerin ihrem geschiedenen Ehemann daran ein Nießbrauchsrecht ein und übertrug das Grundstück schenkweise ihrem Sohn.
Am 30. Dezember 2003 gab Frau M beim Finanzamt (FA) D einen Antrag auf Investitionszulage für die Modernisierungsmaßnahmen an dem Wohnhaus nach § 3 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1999 für das Kalenderjahr 1999 ab. Der Antrag war von dem geschiedenen Ehemann der Klägerin mit Datum vom 29. Dezember 2006 unterschrieben und führte als Anspruchsberechtigte den geschiedenen Ehemann als Nießbraucher und den Sohn als Eigentümer auf.
Das FA D teilte dem geschiedenen Ehemann mit Schreiben vom 29. Januar 2004 mit, eine Investitionszulage könne für seinen Antrag nicht gewährt werden, da für das Jahr 1999 die Klägerin als damalige Eigentümerin des Grundstücks anspruchsberechtigt sei. Darauf antwortete dieser, in dem ursprünglichen Antrag auf Investitionszulage sei auch die Klägerin aufgeführt gewesen, der jedoch auf Hinweis des FA D geändert worden sei. Mit Schreiben vom 12. Februar 2004 wies das FA D den geschiedenen Ehemann erneut darauf hin, anspruchs- und antragsberechtigt sei nur die Klägerin, die den Antrag aber nicht innerhalb der am 31. Dezember 2003 abgelaufenen Festsetzungsfrist bei dem für die Besteuerung des Anspruchsberechtigten nach dem Einkommen zuständigen Finanzamt gestellt habe.
Mit Schreiben vom 24. Februar 2004 beantragte die Klägerin beim FA D Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Am 16. Juli 2004 stellte sie beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt FA L) einen Antrag auf Investitionszulage. Das FA L lehnte den Antrag ab, da er nicht innerhalb der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 InvZulG 1999 eingegangen sei und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich sei.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte aus, der Anspruch auf Investitionszulage sei verjährt, da die Klägerin erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist einen Antrag auf Investitionszulage gestellt habe. Offen bleiben könne, ob eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Ablauf der Festsetzungsfrist überhaupt möglich sei, ferner ob die Klägerin schuldhaft versäumt habe, vor Ablauf der Festsetzungsfrist den Antrag auf Investitionszulage zu stellen und ob das FA D fehlerhafte Auskünfte erteilt habe. Denn eine Wiedereinsetzung komme schon deshalb nicht in Betracht, weil die Klägerin nicht gemäß § 110 Abs. 2 Satz 3 AO innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt habe. Auch eine Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist sei nicht zu gewähren, da die Klägerin diese Frist nicht schuldlos versäumt habe. Selbst wenn das FA D die Auskunft erteilt hätte, einem Wiedereinsetzungsantrag seien die Originalunterlagen beizufügen, hätte die Klägerin den Wiedereinsetzungsantrag beim FA L ohne Unterlagen stellen können, da diese sich nach ihrem eigenen Vortrag beim FA L befunden hätten. Ebenfalls nicht zum Erfolg der Klage führe das Vorbringen der Klägerin, wegen der Verletzung der Auskunftspflicht müsse sie im Wege der Folgenbeseitigung so gestellt werden, als sei die Auskunft nicht falsch erteilt worden. Denn bei Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands vor der vermeintlichen Falschauskunft läge nur ein gemeinsamer Investitionszulagenantrag von der Klägerin, ihrem Sohn und ihrem geschiedenen Ehemann vor. Dieser Antrag wäre aber abzulehnen, da nur die Klägerin anspruchsberechtigt sei.
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde trägt die Klägerin vor, die Revision sei nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen, da das Urteil des FG willkürlich und somit geeignet sei, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. Die Beantragung der Investitionszulage durch mehrere Personen, die nach den beigefügten Belegen erkennbar nicht Investitionsträger seien, sei ein evidenter Mangel, auf dessen Richtigstellung das Finanzamt nach § 89 AO hätte insbesondere deshalb hinwirken müssen, weil nach der Antragsberechtigung ausdrücklich gefragt worden sei. Zudem habe das FA D den Nießbraucher als Anspruchsberechtigten bezeichnet, weshalb anstelle des ursprünglichen Antrags mit der eigentlich Anspruchsberechtigten, der fehlerhafte Antrag mit den nichtberechtigten Antragstellern eingereicht worden sei. Nach einhelliger Meinung in der Literatur und nach einzelnen FG-Urteilen sei der Steuerpflichtige bei einem Verstoß der Finanzbehörde gegen die Beratungs- und Auskunftspflicht nach § 89 AO so zu stellen, wie wenn die Auskunft richtig erteilt worden wäre. Ein nach Richtigstellung der Auskunft gestellter Antrag gelte aber als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er bei richtiger Auskunft vernünftigerweise gestellt worden wäre (vgl. Söhn in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 89 AO Rz 121). Auch nach dem Urteil des FG Köln vom 21. April 1992 3 K 6630/91 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1993, 4) sei der Steuerpflichtige bei Verletzung der Hinweispflicht so zu stellen, wie er stünde, wenn der gebotene Hinweis erteilt worden wäre.
Außerdem sei die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen. Es sei von grundsätzlicher Bedeutung, ob die Erteilung einer falschen Auskunft bzw. das Unterlassen eines gebotenen Hinweises für den Steuerpflichtigen ohne Auswirkung bleiben müsse, insbesondere, ob sich das FA in einem solchen Fall auf den Ablauf der Festsetzungsfrist berufen könne.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 132 FGO).
1. Die Revision ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) zuzulassen.
a) Ein offensichtlicher Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzeswidrigen Entscheidung, der ausnahmsweise zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO führt (vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28. Juli 2003 III B 125/02, BFH/NV 2003, 1445, m.w.N.), liegt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht vor.
Nach zutreffender Auffassung des FG richtet sich der Folgenbeseitigungsanspruch nur auf die Wiederherstellung des ursprünglichen, vor der falschen Auskunft bestehenden Zustandes (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Oktober 1967 II C 22.65, BVerwGE 28, 155, m.w.N.). Ohne die angeblich falsche Auskunft des FA D wäre der von der Klägerin behauptete, ursprüngliche Antrag auf Investitionszulage abgegeben worden, in dem auch die Klägerin als Antragstellerin aufgeführt gewesen sei. Dieser Antrag wäre aber --wie das FG im Ergebnis zutreffend angenommen hat-- ebenfalls unzulässig gewesen, weil die Klägerin als Anspruchsberechtigte den Antrag auf Investitionszulage bei dem für ihre Besteuerung nach dem Einkommen zuständigen FA hätte stellen müssen (§ 6 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 InvZulG 1999). Dies war aber nicht das FA D, sondern wegen des Umzugs der Klägerin ab dem Jahr 2002 das FA L.
Auch nach der von der Klägerin angeführten Kommentarliteratur wäre im Streitfall keine Investitionszulage festzusetzen. Nach der dort vertretenen Auffassung sind die Beteiligten nur im Rahmen des rechtlich Zulässigen so zu stellen, wie sie stünden, wenn eine "richtige, klare, unmissverständliche und vollständige Auskunft" erteilt worden wäre (Söhn in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 89 AO Rz 121; Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 89 AO Rz 8). Da die Festsetzungsfrist für die Investitionszulage 1999 am 31. Dezember 2003 abgelaufen und damit der Anspruch auf Investitionszulage erloschen war (§ 47 AO), durfte aber keine Investitionszulage mehr festgesetzt werden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht möglich; § 110 AO gilt nicht für den Ablauf der Festsetzungsfrist (Senatsurteil vom 19. August 1999 III R 57/98, BFHE 191, 198, BStBl II 2000, 330, m.w.N.). Darauf, ob die Klägerin rechtzeitig Wiedereinsetzung gemäß § 110 AO beantragt hat, kommt es daher nicht an.
b) Das Urteil des FG weicht auch nicht --wie die Klägerin sinngemäß rügt-- vom Urteil des FG Köln in EFG 1993, 4 ab. Die Entscheidung des FG Köln betrifft einen mit dem Streitfall nicht vergleichbaren Sachverhalt, nämlich die Versäumung der Einspruchsfrist.
2. Eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO) kommt ebenfalls nicht in Betracht, da die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen nicht klärungsbedürftig sind.
Wie oben ausgeführt, kann der Anspruchsberechtigte bei einem Verstoß der Finanzbehörde gegen ihre Hinweis- und Auskunftspflichten nach § 89 AO nur im Rahmen des rechtlich Zulässigen so gestellt werden, als wäre der Verstoß nicht passiert. Ist dies --wie im Streitfall-- wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht möglich, kann der Verstoß allenfalls zu Schadenersatzansprüchen wegen Amtspflichtverletzung führen --Art. 34 des Grundgesetzes, § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuches-- (vgl. z.B. Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 89 AO Rz 122; Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 89 AO Rz 8).
Fundstellen