Entscheidungsstichwort (Thema)
Bedeutung des Fristenkontrollbuchs
Leitsatz (NV)
- Wenn durch die Büroorganisation eines Steuerberaters keine ausreichende Fristenkontrolle gewährleistet wird, ist die Versäumung der Frist zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde verschuldet, so dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht kommt.
- Eine ausreichende Fristenkontrolle ist nicht vorhanden, wenn der Bevollmächtigte lediglich einen Wiedervorlagetermin notiert, ohne den Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist in einem Fristenkontrollbuch zu vermerken.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1-2, § 116 Abs. 3, § 155; ZPO § 85 Abs. 2
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist ein dem Paritätischen Wohlfahrtsverband angeschlossener eingetragener Verein. Er versteht sich als psychosozialer Hilfsverein und ist bestrebt, die Lage psychisch leidender Personen zu verbessern. Er unterhielt … öffentlich zugängliche Cafès, in denen Speisen und Getränke nicht nur an Vereinsmitglieder abgegeben wurden.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) besteuerte die Umsätze des Klägers durch Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle im Streitjahr 1997 in dem angefochtenen Umsatzsteueränderungsbescheid vom 30. März 2000 mit dem allgemeinen Steuersatz.
Einspruch und Klage gegen die erwähnte Steuerfestsetzung blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) wies die Ansicht des Klägers zurück, die Umsätze in den Cafès seien nach § 4 Nr. 18 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1993 steuerfrei, hilfsweise seien sie nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG 1993 mit dem ermäßigten Steuersatz zu besteuern, weil der Betrieb der Cafès nicht mehr im Rahmen eines Zweckbetriebes durchgeführt worden sei.
Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 6. August 2002 zugestellte Urteil legte dieser für den Kläger am 5. September 2002 Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ein. Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ging nach Ablauf der Zweimonatsfrist am 7. Oktober 2002 (§ 116 Abs. 3 Satz 1, § 54 der Finanzgerichtsordnung ―FGO― i.V.m. § 222 Abs. 2 der Zivilprozessordnung ―ZPO―) erst am 14. Oktober 2002 ein. Nachdem der Prozessbevollmächtigte von der Geschäftsstelle des Senats auf den Ablauf der Begründungsfrist hingewiesen worden war, ging am 23. Oktober 2002 ein Antrag auf Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Frist für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesfinanzhof (BFH) ein.
Der Kläger begehrt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. 1. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig, weil der Kläger die Beschwerdebegründungsfrist versäumt hat.
a) Nach § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO ist die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Diese Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde hat der Kläger nicht erfüllt. Er hat die Beschwerde nicht bis zum Ablauf der Begründungsfrist am 7. Oktober 2002, sondern erst in dem am 14. Oktober 2002 eingegangenen Schriftsatz begründet.
b) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Begründungsfrist ist dem Kläger nicht zu gewähren. Nach § 56 Abs. 1 FGO setzt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand voraus, dass jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers konnte nicht glaubhaft machen, dass er die Frist ohne Verschulden versäumt hat. Das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten ist dem Kläger gemäß § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen (ständige Rechtsprechung des BFH, z.B. Beschluss vom 10. August 1977 II R 89/77, BFHE 123, 14, BStBl II 1977, 769).
Für ein Verschulden des Bevollmächtigten spricht schon, dass nach der Antragsbegründung (§ 56 Abs. 2 FGO) bei seiner Büroorganisation keine zuverlässige Fristenkontrolle (z.B. durch ein Fristenkontrollbuch; vgl. dazu BFH-Beschluss vom 31. Juli 2002 VI B 17/02, BFH/NV 2002, 1490, m.w.N.) gewährleistet war.
Die von dem Prozessbevollmächtigten vorgelegte Ablichtung des "Kontrollbuchs" weist unter der laufenden Nummer 232 das hier angegriffene Urteil des FG, in der Spalte "Bescheiddatum" den "5.8.02" und in der Spalte "Fristablauf" den "6.9.02" aus. Ein Hinweis auf den Ablauf der Begründungsfrist für die Nichtzulassungsbeschwerde fehlt. Stattdessen ist am Ende der Spalte vermerkt: "Wv 9.11.02"; zu diesem Zeitpunkt war die Frist bereits abgelaufen.
Damit ist ein Organisationsmangel vorhanden, weil das Kontrollbuch eine Kontrolle der Begründungsfrist nicht gewährleistete (vgl. zur mangelhaften Fristenkontrolle BFH-Urteil vom 11. November 1972 VIII R 8/67, BFHE 107, 486, BStBl II 1973, 169; BFH-Beschluss vom 7. Februar 1992 III R 57/91, BFH/NV 1992, 615). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist eine ausreichende Fristenkontrolle nicht gegeben, wenn der Bevollmächtigte lediglich einen Wiedervorlagetermin notiert oder notieren lässt, ohne den Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist in einem Fristenkontrollbuch zu vermerken (vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 1490). Dafür war in dem Kontrollbuch des Prozessbevollmächtigten auch keine Spalte vorgesehen.
Selbst bei der von ihm angefertigten Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den Schriftsatz vom 14. Oktober 2002 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers offenbar nicht bemerkt, dass die Begründungsfrist längst abgelaufen war.
2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).
Fundstellen