Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung
Leitsatz (NV)
1. Als Beschwerdegericht darf der BFH auch dann in der Sache selbst entscheiden, wenn das FG bei der Entscheidung über ein Gesuch auf Richterablehnung nicht ordnungsgemäß besetzt war.
2. Die rügelose Einlassung zur Sache in diversen Schriftsätzen führt zum Verlust des Rügerechts.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 43
Tatbestand
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhoben im Hauptsacheverfahren Klage gegen die Einkommensteuerbescheide 1975 bis 1980. Die Klage wurde vom Finanzgericht (FG) als unbegründet abgewiesen.
Der für die Streitsache seit 1991 als Berichterstatter (BE) zuständige Richter am FG B führte am 15. November 1994 in seinem Dienstzimmer ein Gespräch mit dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger und dessen Mitarbeiter, Wirtschaftsprüfer A. An einem weiteren Gespräch am 30. November 1994 im Dienstzimmer des BE nahmen neben den vorgenannten Personen der Kläger sowie der Geschäftsführer X teil. In der Folgezeit reichte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger in der Streitsache eine Reihe von Schriftsätzen beim FG ein, die teils an den BE direkt, teils an den Senat zu Händen des Vorsitzenden gerichtet waren. Darunter waren auch ausführliche (ablehnende) Stellungnahmen zu den Aufklärungsanordnungen des BE vom 31. Januar 1995 und 15. Februar 1995.
Nach Eröffnung der mündlichen Verhandlung am 13. Dezember 1995 verlas der Prozeßbevollmächtigte der Kläger ein auf den 12. Dezember 1995 datiertes und von ihm unterzeichnetes Gesuch, mit dem der BE wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt wurde. Zur Begründung wurde ausgeführt, es sei aus objektiv vernünftiger Sicht zu befürchten, daß der BE wegen seines Verhaltens anläßlich der am 15. und 30. November 1994 in seinem Dienstzimmer geführten Gespräche zu einer unparteiischen Mitwirkung an dem Gerichtsverfahren und der Urteilsfindung nicht mehr in der Lage sei. Vor allem das Gespräch vom 30. November 1994 sei durch den vehementen Einsatz des BE gekennzeichnet gewesen, die Rücknahme der Klage zu erreichen. Der Richter habe ihn, den Kläger, durch Hinweise auf die Gerichtskosten und das ihm für die Vergangenheit gewährte günstige "Darlehen" seitens des Fiskus in Gestalt der Aussetzung der streitigen Steuer unter massiven Druck gesetzt. Weiter heißt es in dem Antrag: "Sinngemäß (d. h. fast wörtlich) wurde das Bestreben des Richters B durch den Ausspruch belegt, falls der Kläger die Klage nicht zurücknehme, dann werde er -- der Richter -- in dem Fall solange ermitteln, bis er die Klage zurückweisen könne. Schon beim ersten Termin hatte er in diesem Kontext (ebenfalls nahezu wörtlich wiedergegeben) geäußert, daß ,ganz Deutschland über ihn lachen würde, falls er der Klage stattgebe`." Zur Glaubhaftmachung der Ablehnungsgründe legte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger eine eidesstattliche Versicherung vor, die von ihm, dem Prozeßbevollmächtigten, dem Kläger sowie den Herren A und X unterzeichnet ist.
Das FG lehnte das Ablehnungsgesuch als unzulässig ab. Der abgelehnte Richter B wirkte an diesem Beschluß mit. Das FG war der Auffassung, es könne dahinstehen, ob das beanstandete Verhalten des BE eine Voreingenommenheit gegenüber den Klägern erkennen und eine Befangenheit besorgen lassen könnte. Denn die Kläger hätten ihr Rügerecht verloren (§51 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Die erstmals in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten Ablehnungsgründe seien sowohl dem Kläger als auch seinem Prozeßbevollmächtigten bereits anläßlich der am 15. und 30. November 1994 geführten Gespräche mit dem BE bekanntgeworden. Gleichwohl habe sich der Kläger in der Folgezeit, ohne die Ablehnungsgründe geltend gemacht zu haben, mittels der von seinem Prozeßbevollmächtigten eingereichten Schriftsätze laufend zur Sache bzw. zu prozessualen Fragen eingelassen. Dabei seien sowohl Sach- als auch Prozeßanträge gestellt worden. So seien u. a. die Aufklärungsanordnungen des BE vom 31. Januar 1995 und 15. Februar 1995 als Verstoß gegen §76 FGO zurückgewiesen, die Vernehmung des Zeugen S zur Person des Darlehensgebers, zur Herkunft der Gelder und den Umständen der Kreditvergabe beantragt sowie angeregt worden, den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --) prozeßleitend dazu zu veranlassen, unter Würdigung des Klagevorbringens und des neuen Sachverhalts, der als Ergebnis der Befragung des als Zeugen benannten S in dem Schriftsatz vom 21. Juni 1995 niedergelegt worden sei, in eine erneute Prüfung der Rechtslage einzutreten.
Der näher dargelegte Geschehensablauf, vor allem die zahlreich gestellten Anträge zeigten zudem, daß es den Klägern bei dem Ablehnungsgesuch allein um Zeitgewinn ginge. Denn die Ablehnung sei erst in der mündlichen Verhandlung beantragt worden, obgleich alle im Gesuch genannten Ablehnungsgründe länger als ein Jahr zurückgelegen hätten und sowohl dem Kläger als auch seinem Prozeßbevollmächtigten bekannt gewesen seien. Darin liege ein Rechtsmißbrauch, der einer Sachentscheidung über das Gesuch ebenfalls entgegenstehe. Den Klägern gehe es erkennbar darum, eine aufgrund der mündlichen Verhandlung zu erwartende Sachentscheidung zu verhindern, in der das Gericht die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide auch unter dem Gesichtspunkt der betrieblichen Veranlassung der streitigen Zinsaufwendungen zu beurteilen beabsichtige.
Da das Ablehnungsgesuch offensichtlich unzulässig gewesen sei, habe es keiner dienstlichen Äußerung des betroffenen Richters bedurft; dieser habe deshalb an der Entscheidung auch mitwirken können.
Gegen die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs richtet sich die Beschwerde der Kläger, zu deren Begründung sie im wesentlichen vortragen: Die "gesamte Stoffhuberei" der Beschlußbegründung gehe incidenter davon aus, daß der BE unmittelbar nach dem zweiten Gespräch am 30. November 1994 hätte abgelehnt werden müssen. So einfach lägen die Dinge jedoch nicht. Ein "besonnener" Kläger bzw. Prozeßbevollmächtigter, wie ihn auch die höchstrichterliche Rechtsprechung als Vorbild preise, sei zunächst geneigt, solche Worte eines relativ jungen Richters nicht sofort auf die Goldwaage zu legen. Ihm dürfe daher nicht das Rügerecht abgeschnitten werden, wenn das richterliche Verhalten erst nach und nach erkennen lasse, daß es sich nicht um leere Worte gehandelt habe. Erst in der Zeit nach dem 30. November 1994 sei stückweise zu erkennen gewesen, wie ernst es der BE mit seinem Ausspruch gemeint habe, er werde notfalls solange ermitteln, bis er die Klage abweisen könne. Hier zeige sich, daß die Besorgnis der Befangenheit nicht unbedingt auf einem sofort festzumachenden einmaligen Vorgang beruhen müsse, sondern auf Einzelvorgängen, die sich zeitlich hinziehen könnten. Dabei müsse im Interesse einer wohlverstandenen und moderaten Anwendung des Rechts auf Richterablehnung erlaubt sein, dem Rechtsuchenden bezüglich des Verhaltens des Richters einen Meinungsbildungsprozeß einzuräumen.
Diesen habe der BE mit der richterlichen Verfügung vom 22. November 1994 eingeleitet, als er sich in seiner sehr ausführlichen Darlegung entschlossen habe, von dem Wege einer richterlichen Nachprüfungsbefugnis im Rahmen des §102 FGO abzugehen. Das Verhalten des Gerichts in der Zeit nach der Ablehnung der Aufklärungsanordnungen habe den Eindruck vermittelt, das Gericht habe sein Vorhaben, im Rahmen eines auf §160 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Verwaltungsakts die Rechtmäßigkeit der Einkommensteuerveranlagungen insgesamt zu untersuchen, aufgegeben. Die Korrespondenz habe sich der Frage der baldigen Vernehmung des genannten Zeugen S zugewandt, was im Rahmen des Streitgegenstandes gelegen hätte. Dann sei es jedoch zum Eklat gekommen, anhand dessen zu erkennen gewesen sei, daß die Ankündigungen vom 15. und 30. November 1994 ernstgemeinte Drohungen des abgelehnten Richters gewesen seien. Wohl wissend, daß eine Vernehmung des gebrechlichen Zeugen S an Amtsstelle nahezu unmöglich gewesen sei, habe das Gericht seine körperliche Herbeischaffung verlangt, indem es den Umstand eines im Ausland lebenden Ausländers zu einem Auslandssachverhalt stilisiert habe. Hiergegen sei im Schriftsatz vom 3. November 1995 protestiert worden. Dies sei zugleich für die Frage, wann zu ersehen ge wesen sei, daß die Ankündigungen des ab gelehnten Richters anläßlich der Gespräche vom 15. und 30. November 1994 ernstgemeinte Drohungen gewesen seien, von entscheidender Bedeutung. Wenn ein Richter -- wissend um die ihm dargelegte Reiseunfähigkeit eines Zeugen -- gleichwohl auf dessen Herbeischaffung bestehe, dann wisse er auch, daß er das angekündigte Ziel endlich erreicht habe, die Klage abweisen zu können. Erst diese Gesamtschau in ihrem historischen Ablauf ergebe, daß die Besorgnis der Befangenheit erst in den letzten Prozeßschritten als gesichert angesehen werden konnte und daher wegen der Anberaumung der mündlichen Verhandlung der nächstmögliche Zeitpunkt für den Befangenheitsantrag wahrgenommen worden sei. Es könne auch nicht unerwähnt bleiben, daß das Gericht -- zumindest was seinen Vorsitzenden angehe -- ihnen gegenüber feindselig eingestellt sei.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Befangenheitsgesuchs ist unbegründet.
1. Der Ablehnungsbeschluß des FG ist nicht schon deshalb fehlerhaft, weil der abgelehnte Richter B an ihm mitgewirkt hat. Grundsätzlich ergehen zwar Entscheidungen über Ablehnungsanträge jeweils ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters (§51 Abs. 1 FGO i. V. m. §45 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --). Nach ständiger Rechtsprechung entscheidet aber der Spruchkörper einschließlich des abgelehnten Richters, wenn der Ablehnungsantrag rechtsmißbräuchlich ist. Das ist u. a. dann der Fall, wenn der gesamte Senat abgelehnt wird oder der Antrag offenbar grundlos ist und nur der Prozeßverschleppung dient (vgl. z. B. Zöller, Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., §45 Rdnr. 4; Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 17. Juli 1974 VIII B 29/74, BFHE 112, 457, BStBl II 1974, 638, m. w. N.). Ob diese Voraussetzungen hier gegeben sind, kann dahinstehen. Denn selbst dann, wenn der FG-Senat wegen der Mitwirkung des abgelehnten Richters B nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen sein sollte, ist die Vorentscheidung deswegen nicht aufzuheben. Als zur Ermittlung des Sachverhalts und dessen Würdigung befugtes Beschwerdegericht darf der erkennende Senat in der Sache selbst entscheiden (vgl. BFH-Beschluß vom 26. September 1989 VII B 75/89, BFH/NV 1990, 514, m. w. N.).
2. Eine Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit findet nach §51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. §42 Abs. 2 ZPO statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Eine Partei kann einen Richter jedoch nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat (§43 ZPO). Ein Einlassen in eine Verhandlung ist jedes prozessuale und der Erledigung eines Streitpunktes dienende Handeln unter Mitwirkung des Richters. Hierzu gehört auch das Einreichen eines Schriftsatzes oder die Abgabe einer mündlichen Erklärung (vgl. BFH-Beschlüsse vom 12. Juli 1988 IX B 188/87, BFH/NV 1989, 237; vom 21. Juli 1993 IX B 50/93, BFH/NV 1994, 50).
Hiernach hatten die Kläger ein etwaiges Recht zur Richterablehnung bereits vor Stellung des Ablehnungsantrags zu Beginn der mündlichen Verhandlung am 13. Dezember 1995 verloren. Zum einen haben sich die Kläger -- worauf auch das FG seine Entscheidung im wesentlichen abgestellt hat -- nach den im November 1994 geführten Gesprächen mit dem BE durch das Einreichen diverser Schriftsätze zur Streitsache in eine Verhandlung eingelassen, ohne die Befangenheit zu rügen. Ihrem Ablehnungsantrag und der zur Glaubhaftmachung ihres Vortrags beigefügten eidesstattlichen Versicherung ist zu entnehmen, daß allein das Verhalten bzw. die Aussagen des Richters B während dieser Gespräche Anlaß für ihre Befürchtung gewesen ist, Richter B könne nicht fähig sein, sachlich und unparteiisch zu entscheiden.
Aber selbst wenn man dem jetzigen Vortrag der Kläger in ihrer Beschwerdeschrift folgt und annimmt, erst durch das weitere Vorgehen des FG, vor allem dessen Hinweis vom 25. Oktober 1995 auf die Beweisbeschaffungspflicht der Kläger, d. h. deren Pflicht, den angebotenen ausländischen Zeugen in der mündlichen Verhandlung zu stellen, habe sich ihnen der Eindruck einer sachwidrigen auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung durch den Richter B aufgedrängt, ist die Rüge verspätet. Denn es hätte auch in diesem Fall ausreichend Gelegenheit gegeben, etwaige Ablehnungsgründe früher als geschehen, vorzubringen. Statt dessen haben sich die Kläger erneut zur Sache selbst eingelassen, und zwar durch Einreichen der umfangreichen Schriftsätze vom 3. November 1995 und 8. Dezember 1995.
3. Da die Kläger ein etwaiges Ablehnungsrecht infolge Verfristung verloren haben, kann offenbleiben, ob sich der abgelehnte Richter überhaupt in einer Art und Weise geäußert hat, daß Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit begründet sein könnte.
Fundstellen