Entscheidungsstichwort (Thema)
„Halbteilungsgrundsatz“ führt nicht zur Verfassungswidrigkeit der Vermögensteuer
Leitsatz (NV)
Die Frage, ob eine Belastung mit Einkommen- und Gewerbesteuer von über 50 v.H. des zu versteuernden Einkommens wegen Verstoßes gegen den sogenannten "Halbteilungsgrundsatz" verfassungswidrig ist, berührt wegen der vom BVerfG ausgesprochenen Weitergeltungsanordnung bis Ende 1996 die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Vermögensteuer bei einem Verstoß gegen den Halbteilungsgrundsatz nicht.
Normenkette
FGO §§ 74, 155; ZPO § 251; VStG § 10
Verfahrensgang
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Entgegen der Auffassung der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat das Finanzgericht (FG) ihrem Antrag, das Klageverfahren betreffend den Vermögensteuerbescheid des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ―FA―) auf den 1. Januar 1990 im Hinblick auf die unter den Aktenzeichen 2 BvR 2194/99 und 1 BvR 1242/00 beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) geführten Vorgänge ruhen zu lassen, ohne Rechtsverstoß nicht entsprochen. Insoweit hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Auch ist eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich.
Die Anordnung des Ruhens des Verfahrens kam für das FG im Streitfall schon deshalb nicht in Betracht, weil es an einem nach § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 251 der Zivilprozessordnung (ZPO) erforderlichen Antrag beider Prozessparteien fehlte.
Darüber hinaus lagen für das FG keine beachtlichen Gründe vor, die die Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO rechtfertigen konnten.
Die dem Verfahren 1 BvR 1242/00 zugrunde liegende Verfassungsbeschwerde war bereits durch Kammerbeschluss vom 10. Mai 2001 nicht zur Entscheidung angenommen worden; das Verfahren 2 BvR 2194/99 war für die Entscheidung des Streitfalls nicht vorgreiflich.
Denn die dem Verfahren 2 BvR 2194/99 zugrunde liegende Frage, ob eine Belastung mit Einkommen- und Gewerbesteuer von über 50 v.H. des zu versteuernden Einkommens wegen Verstoßes gegen den so genannten "Halbteilungsgrundsatz" verfassungswidrig ist, berührt die im vorliegenden Verfahren maßgebliche Frage der Verfassungsmäßigkeit der Vermögensteuer bei einem Verstoß gegen den Halbteilungsgrundsatz nicht. Das BVerfG hat nämlich die Weitergeltung jedenfalls des Vermögensteuergesetzes bis Ende 1996 auch insoweit angeordnet, als der weitere Vollzug des Gesetzes im Einzelfall die vom Gericht dargelegte Obergrenze der Belastung überschreitet. Die Anordnung in der Entscheidung des BVerfG vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91 (BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655, unter C. III. 3.), wonach die Regelungen zur Vermögensbesteuerung bis Ende 1996 weiterhin angewendet werden dürfen, ist nicht nur ungeachtet des festgestellten Verstoßes gegen den Gleichheitssatz infolge der unterschiedlichen Bewertungsmaßstäbe erfolgt, sondern auch ungeachtet dessen, dass diese Regelungen den aufgestellten Belastungsobergrenzen (noch) keine Rechnung tragen (so Entscheidungen des BFH vom 29. Oktober 1997 II B 67/97, BFH/NV 1998, 361; vom 19. Mai 1998 II B 14/98, BFH/NV 1998, 1275; vom 6. August 1998 II B 53/98, BFH/NV 1999, 228; vom 30. September 1998 II R 47/97, BFH/NV 1999, 452; vom 30. Juni 1999 II B 110/98, BFH/NV 1999, 1653, sowie vom 23. Oktober 2000 II B 157/99, BFH/NV 2001, 498).
Aus der Tatsache, dass der Abschn. C. III. 3. des genannten Beschlusses des BVerfG über die Anordnung der befristeten Weitergeltung des Vermögensteuergesetzes mit dem Hinweis auf den Verstoß gegen den Gleichheitssatz eingeleitet wird, kann nicht gefolgert werden, mit der angeordneten Weitergeltung sei lediglich die Berufung auf diesen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes ausgeschlossen. Ausgeschlossen ist vielmehr die Berufung auf alle in der Entscheidung beanstandeten Verstöße des bis dahin geltenden Vermögensteuerrechts gegen die Grundrechte. Der Verstoß gegen den Gleichheitssatz wird eingangs nur deshalb angesprochen, weil derartige Verstöße nach der Rechtsprechung des BVerfG in der Regel nicht zur Nichtigkeit der gerügten Norm(en), sondern nur zum Ausspruch ihrer Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz in Verbindung mit der Anordnung ihrer befristeten Weitergeltung führen. Regelmäßig bestehen nämlich mehrere Möglichkeiten, den Verstoß gegen den Gleichheitssatz zu beheben. Die Entscheidung für eine dieser Möglichkeiten soll dem Gesetzgeber überlassen werden (vgl. dazu Urteil des BFH vom 24. Mai 2000 II R 25/99, BFHE 191, 240, BStBl II 2000, 378, unter II. 1., m.w.N.).
Dieses Verständnis der Weitergeltungsanordnung wird durch die nachfolgenden Ausführungen des BVerfG bestätigt, mit denen dem Gesetzgeber bei einer Neuregelung für die Dauer der durchzuführenden Neubewertung des Vermögens ―längstens für fünf Jahre― zugestanden wird, die vermögensrechtliche Belastung mit Hilfe von Übergangsregelungen schrittweise den dargelegten verfassungsrechtlichen Maßstäben anzunähern. Mit diesen Maßstäben sind zumindest auch die Ausführungen des BVerfG zur einzuhaltenden Obergrenze der Belastung gemeint.
Fundstellen
Haufe-Index 1092909 |
BFH/NV 2004, 384 |