Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnsteuerhaftung und Ermessensfehler des FA
Leitsatz (NV)
1. Hat das FG den zunächst auf Steuerhinterziehung gestützten Haftungsbescheid wegen nicht abgeführter Lohnsteuer bestätigt, weil das FA die Verletzung steuerlicher Pflichten in der Einspruchsentscheidung auch damit begründet hat, dass der GbR-Gesellschafter die Nettolöhne nebst Sozialabgaben voll, die Lohnsteuer dagegen gar nicht gezahlt hat, so können Ermessensfehler des FA im Ausgangsbescheid nicht die Zulassung der Revision rechtfertigen.
2. Die wirtschaftliche Lage der GbR rechtfertigt die Nichtabführung der Lohnsteuer nicht, solange Löhne ausgezahlt worden sind.
3. Der Einwand, das FG habe Fehler in der Ermessensausübung des FA verkannt, bezeichnet ein Korrekturinteresse im Einzelfall, das die Zulassung der Revision nicht rechtfertigt.
Normenkette
AO 1977 §§ 34-35, 69, 71, 367 Abs. 2, § 191 Abs. 3; FGO §§ 76, 115 Abs. 2 Nr. 3, § 102 S. 2
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 12.01.2006; Aktenzeichen 11 K 295/03) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb zusammen mit einem weiteren Gesellschafter ein Bauunternehmen in der Rechtsform einer GbR. Im Juni 1996 teilte der Mitgesellschafter dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) die Kündigung der GbR mit. Seit 1998 lebt er im Ausland.
Für Januar bis Juni 1996 wurde von der GbR Lohnsteuer weder angemeldet noch abgeführt, Nettolöhne und Sozialversicherungsbeiträge wurden aber gezahlt.
Das FA nahm den Kläger Ende 2001 zunächst wegen Steuerhinterziehung gemäß §§ 71, 35 der Abgabenordnung (AO 1977) in Haftung. In der Einspruchsentscheidung stützte es den Anspruch auf §§ 69, 34 AO 1977. Die Klage blieb erfolglos.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger Divergenz gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und Verstoß gegen die Aufklärungspflicht gemäß §§ 76 Abs. 1 i.V.m. 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig, weil keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe schlüssig dargelegt ist, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO verlangt.
1. Die schlüssige Darlegung der --vom Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO umfassten (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5. September 2001 VIII B 18/01, BFH/NV 2002, 205)-- Divergenz des Urteils des Finanzgerichts (FG) von der Rechtsprechung des BFH erfordert zumindest, dass mit der Beschwerdebegründung ein revisionsrechtlich relevanter Widerspruch zwischen den jeweils tragenden Rechtssätzen aufgezeigt wird. Das setzt voraus, dass die Entscheidung des BFH, zu der das Urteil des FG nach Auffassung des Klägers im Widerspruch steht, zur gleichen rechtlichen Problematik ergangen ist. Das ist vorliegend offensichtlich nicht der Fall.
Der Kläger hat übersehen, dass die Ausführungen des Senats in der vermeintlichen Divergenzentscheidung vom 11. März 2004 VII R 52/02 (BFHE 205, 14, BStBl II 2004, 579) die Auslegung des § 102 Satz 2 FGO betreffen. Der Senat hatte über die Rechtmäßigkeit der ergänzenden oder gar erstmaligen Ermessensausübung durch die Finanzbehörde bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz des finanzgerichtlichen Verfahrens zu entscheiden. Demgegenüber rügt der Kläger im Streitfall Ermessensfehler im außergerichtlichen Vorverfahren. Zweifelsfrei steht das Gebot des § 367 Abs. 2 AO 1977, im Einspruchsverfahren die Sache in vollem Umfang neu zu prüfen, auch einer --erstmaligen, ergänzenden oder geänderten-- Ermessensausübung nicht entgegen.
2. Auch die Rüge, das FG habe nicht aufgeklärt, ob es dem Kläger unmöglich geworden sei, seine Steuerpflichten zu erfüllen, führt nicht zur Zulässigkeit der Beschwerde. Wird gerügt, das FG hätte von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufklären müssen (Verstoß gegen § 76 FGO), muss dargelegt werden, dass und aus welchen Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung auch ohne einen entsprechenden Antrag hätte aufdrängen müssen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 120 Rz 67). Der Kläger hat sich nicht damit auseinandergesetzt, dass das FG die grob fahrlässige Verletzung seiner Pflicht zur Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer entscheidend darauf gestützt hat, dass er zwar die Nettolöhne und Sozialversicherungsbeiträge gezahlt, die Lohnsteuer aber nicht angemeldet und abgeführt habe, obwohl er verpflichtet gewesen wäre, die ihm im Falle eines Liquidationsengpasses zur Verfügung stehenden Mittel auf --gekürzt auszuzahlende-- Löhne und die darauf entfallende Lohnsteuer zu verteilen. Im Übrigen kam es auf die wirtschaftliche Lage der GbR nach der --bei der Prüfung eines Aufklärungsmangels allein maßgeblichen (im Übrigen auch zutreffenden)-- Rechtsauffassung des FG nicht an.
3. Keinen Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO macht der Kläger geltend, soweit er die vermeintlich mangelnde Überprüfung der Ermessensausübung des FA durch das FG angreift. Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit des finanzgerichtlichen Urteils einschließlich der Würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls können nicht zur Zulassung der Revision führen. Mit Ausführungen zur Fehlerhaftigkeit der Entscheidung des FG wird allenfalls ein Korrekturinteresse im Einzelfall dargelegt, das regelmäßig nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügt (BFH-Beschlüsse vom 18. März 2004 VII B 53/03, BFH/NV 2004, 978, und vom 26. August 2004 II B 117/03, BFH/NV 2004, 1625, jeweils m.w.N.).
4. Auch soweit der Kläger die Ausführungen des FG zur Verjährung des Haftungsanspruchs als unzutreffend und mit der BFH-Rechtsprechung (BFH-Beschluss vom 4. September 2002 I B 145/01, BFHE 199, 95, BStBl II 2003, 223) nicht im Einklang stehend beanstandet, vermag der Senat einen Zulassungsgrund nicht zu erkennen. Sofern das Vorbringen dahin zu verstehen sein sollte, dass mit der Kenntnis des FA von der Nichtabgabe der Lohnsteueranmeldungen die Verjährungsfrist für die Haftungsinanspruchnahme beginne und eine "Verlängerung um die Frist für die Steuerfestsetzung" nicht in Betracht komme, widerspricht beides dem Gesetz (§ 191 Abs. 3 AO 1977) und offensichtlich auch der angeführten BFH-Entscheidung in BFHE 199, 95, BStBl II 2003, 223. Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, verjährt der Haftungsanspruch nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist, und diese richtet sich bei Nichtabgabe der Steueranmeldung allein nach dem Zeitpunkt der Entstehung der Steuer, wie das FG im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 1693413 |
BFH/NV 2007, 647 |