Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Richterablehnung
Leitsatz (NV)
1. Ablehnungsgründe gegen einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit, die während eines Erörterungstermins entstehen, können nur bis zum Schluß dieses Erörterungstermins geltend gemacht werden.
2. Eine etwa unrichtige Rechtsauffassung eines Richters hinsichtlich der ihm im Verfahren obliegenden Pflichten ist mit Rechtsmitteln gegen die darauf beruhende Entscheidung und nicht mit einer Richterablehnung anzugreifen.
3. Ein gespanntes Verhältnis zwischen dem Prozeßbevollmächtigten und einem Richter kann nur ausnahmsweise die Ablehnung dieses Richters durch die Partei begründen, wenn die ablehnende Einstellung des Richters gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten auch im Verhältnis zu der allein ablehnungsberechtigten Partei in Erscheinung getreten ist.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1; ZPO §§ 42-43; AO 1977 §§ 103, 393 Abs. 1 S. 2
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhob Klage wegen der Einkommensteuer für das Streitjahr (1975). Streitig ist in dem Klageverfahren, über das noch nicht entschieden worden ist, die Berücksichtigung eines Verlustanteils aus einer Beteiligung des Klägers an der Firma X-GmbH (X).Im Erörterungstermin vom 7. Juli 1989 fragte der Berichterstatter des Finanzgerichts (FG), Richter am Finanzgericht (RiFG) A, den Kläger u. a., warum er die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr hinsichtlich des streitigen Verlustanteils nie berichtigt habe. Darauf riet der Prozeßbevollmächtigte des Klägers seinem Mandanten, sich zu dieser Frage wegen möglicher strafrechtlicher Konsequenzen nicht zu äußern. Trotzdem erklärte der Kläger dann, ihm sei nicht bewußt gewesen, daß bei der Einkommensteuer für das Streitjahr ,,irgendetwas" hinsichtlich der Beteiligung an der X ,,falsch gelaufen" sei. Er habe alle Unterlagen seinem damaligen Steuerberater gegeben und darauf vertraut, daß dieser sich um seine Steuerangelegenheiten kümmere.
Mit Schreiben vom 22. August 1989 fragte der Berichterstatter des FG beim Prozeßbevollmächtigten des Klägers nach dem Sachstand des im Erörterungstermin abgestimmten weiteren Verfahrens zwischen den Beteiligten und der erteilten Auflagen. Hierauf antwortete der Prozeßbevollmächtigte u. a., daß der vom Berichterstatter des FG für möglich gehaltenen Annahme einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung mit der Folge einer zehnjährigen Verjährungsfrist widersprochen werde. Der Kläger sei über sein Aussageverweigerungsrecht bei Selbstbezichtigung einer Steuerstraftat nicht belehrt worden. Daraufhin teilte RiFG A dem Prozeßbevollmächtigten mit Schreiben vom 27. September 1989 mit:
,,Bereits im Erörterungstermin am 7. Juli 1989 bat ich Sie, Ihre Meinung, der Kläger habe ein Aussageverweigerungsrecht, durch Angabe der Rechtsgrundlage zu stützen. Dazu sahen Sie sich außerstande. Nunmehr wiederholen Sie diese Meinung, wiederum ohne eine Rechtsgrundlage anzugeben. Zur Vermeidung künftiger Verfahrensfehler wäre es zweckmäßig, wenn Sie das nachholen würden. Sofern Sie auch künftig keine Rechtsgrundlage nennen, gehe ich davon aus, daß Ihre Meinung nicht dem geltenden Verfahrensrecht entspricht."
Mit Schriftsatz vom 14. November 1989 lehnte dann der Kläger durch seinen Prozeßbevollmächtigten den RiFG A als befangen ab. Das Ablehnungsgesuch, das der Prozeßbevollmächtigte gleichzeitig auf die Mitwirkung des Richters A in weiteren seinerzeit beim FG anhängigen Verfahren mit anderen Beteiligten erstreckte, war hinsichtlich des vorliegenden Verfahrens mit dem Verhalten des Richters in dem Erörterungstermin vom 7. Juli 1989 und mit den Ausführungen in dem Schreiben vom 27. September 1989 begründet.
In dem Erörterungstermin habe RiFG A aktenkundig klare Sachverhalte beiseite geschoben und unter Verletzung seiner Belehrungspflicht den Kläger zur Selbstbezichtigung bringen und sich offenbar auch noch über das für diesen Fall bestehende Verwertungsverbot hinwegsetzen wollen. Er habe auch schon abschließend seine Ansicht geäußert, daß der Kläger den Prozeß - wenn nicht schon aus anderen Gründen - wegen Nichtverjährung im Zusammenhang mit Steuerhinterziehung verlieren könne.
In dem Schreiben vom 27. September 1989 werde der Grundsatz ,,jura novit curia" dadurch mit Füßen getreten, daß von dem Prozeßbevollmächtigten Zitate und Rechtsausführungen verlangt würden, bevor RiFG A seine eigenen allgemeinen Rechts- und Richterkenntnisse berücksichtige. Ein Richter, der sich in geschehener Weise zum Nutzen der Finanzverwaltung über die Rechtsgüter des Aussage- und Auskunftsverweigerungsrechts hinweggesetzt habe und noch die Stirn besitze, nach der Rechtsgrundlage zu fragen, sei als solcher ungeignet für die Richterethik.
Ferner stützte der Kläger das Ablehnungsgesuch auf das allgemeine Spannungsverhältnis, das sich zwischen seinem Prozeßbevollmächtigten und RiFG A in den weiteren im Ablehnungsgesuch genannten Verfahren mit anderen Beteiligten gezeigt habe. RiFG A habe in all diesen Verfahren eine unfaire und zum Teil feindselige und unberechenbare Haltung gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten gezeigt, die auch für den vorliegenden Rechtsstreit Rechtsnachteile befürchten lasse.
RiFG A erklärte in einer dienstlichen Äußerung zu dem Ablehnungsgesuch, daß er keinen Grund sehe, der in seiner Person die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen könne.
Das FG wies das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurück. Der abgelehnte Richter hat an diesem Beschluß nicht mitgewirkt.
Mit der Beschwerde verfolgt der Kläger sein Ablehnungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben. Das FG hat das Ablehnungsgesuch zu Recht zurückgewiesen.
Nach § 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 42 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ist Voraussetzung für die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit, daß ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Entscheidend ist hierbei nicht, ob der Richter tatsächlich voreingenommen ist. Es kommt vielmehr darauf an, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, bei Anlegung eines objektiven Maßstabes Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 25. Januar 1972 2 BvA 1/69, Die öffentliche Verwaltung - DÖV - 1972, 312; Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555; vom 26. Juli 1989 IV B 106-109/88, BFH/NV 1991, 165; vom 28. September 1989 X B 19/89, BFH/NV 1990, 515, und vom 22. Dezember 1989 VIII B 134/88, BFH/NV 1990, 713).
Nach diesen Maßstäben rechtfertigt das Vorbringen des Klägers nicht die Besorgnis der Befangenheit des Richters A.
1. Dabei ist zunächst zu beachten, daß gemäß § 51 Abs. 1 FGO i. V. m. § 43 ZPO eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen kann, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen hat. Der Kläger hat daher sein etwaiges Ablehnungsrecht verloren, soweit es um das Verhalten des Richters A in dem Erörterungstermin vom 7. Juli 1989 geht.
Das Abhalten eines Erörterungstermins gemäß § 79 Satz 2 FGO ist eine Verhandlung i. S. des § 43 ZPO (Beschluß des BFH vom 15. April 1987 IX B 99/85, BFHE 149, 424, BStBl II 1987, 577, und Beschluß des BFH in BFH/NV 1990, 515). Deshalb müssen Ablehnungsgründe, die während des Erörterungstermins entstehen, bis zum Schluß dieser Verhandlung geltend gemacht werden. Darüber hinaus muß die Partei sich weigern, den Erörterungstermin weiter wahrzunehmen, wenn sie ihr Ablehnungsrecht nicht verlieren will (Beschluß des BFH in BFH/NV 1990, 515).
Der Kläger und sein Prozeßbevollmächtigter haben in dem Erörterungstermin vom 7. Juli 1989 die Befangenheit des Richters A nicht gerügt. Sie haben vielmehr am Erörterungstermin bis zu dessen Ende teilgenommen. Das Ablehnungsgesuch vom 14. November 1989 ist erst über vier Monate nach dem Erörterungstermin beim FG eingereicht worden. Es kann sich folglich mit Aussicht auf Erfolg nur auf solche Gründe berufen, die erst nach dem Erörterungstermin entstanden sind.
2. In Betracht kommen kann für eine Ablehnung des Richters A demgemäß insbesondere dessen Äußerung in dem Schreiben vom 27. September 1989 an den Prozeßbevollmächtigten des Klägers. Es kann offenbleiben, ob ein etwaiges Ablehnungsrecht in bezug auf diese Äußerung ebenfalls verbraucht ist, weil der Prozeßbevollmächtigte nach dem Ablehnungsgesuch unter dem Datum des 5. Januar 1990 im Klageverfahren noch einen Schriftsatz an das FG gerichtet und sich damit nach dem Ablehnungsgesuch auf eine weitere Verhandlung eingelassen hat. Jedenfalls bietet die Äußerung des Richters A in dem Schreiben vom 27. September 1989 bei objektiver Betrachtung keinen ausreichenden Grund zur Besorgnis der Befangenheit.
In der gerügten Äußerung wird die Rechtsauffassung des Richters A deutlich, daß der Kläger als Steuerpflichtiger kein Aussageverweigerungsrecht bei Selbstbezichtigung einer Steuerstraftat habe. Der erkennende Senat braucht nicht zu entscheiden, ob diese Rechtsansicht zutreffend ist oder nicht. Selbst wenn er der Auffassung des Richters A nicht folgen könnte, ließe sich daraus kein Grund für eine Richterablehnung herleiten. Die Möglichkeit, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, kann nämlich nicht dazu dienen, die Beteiligten vor einer irrtümlichen Rechtsauffassung des Richters zu schützen (Beschluß des BFH vom 14. Januar 1971 V B 67/69, BFHE 101, 207, BStBl II 1971, 243, und Beschluß des BFH in BFH/NV 1991, 165). Eine etwa unrichtige Rechtsauffassung eines Richters hinsichtlich der ihm im Verfahren obliegenden Pflichten ist mit Rechtsmitteln gegen die darauf beruhende Entscheidung und nicht mit einer Richterablehnung anzugreifen.
Der Senat kann offenlassen, ob die Rechtslage anders wäre, wenn die von dem Richter A geäußerte Rechtsauffassung als völlig falsch anzusehen wäre (vgl. Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, § 51 Rdnr. 40 m. w. N.). Denn die Auffassung des Richters A ist zumindest vertretbar. Für sie spricht, daß § 84 FGO hinsichtlich des Zeugnisverweigerungsrechts nicht auf die vom Kläger angeführten Vorschriften der ZPO und der Strafprozeßordnung (StPO), sondern auf die §§ 101 bis 103 der Abgabenordnung (AO 1977) verweist. § 103 AO 1977 billigt ein Auskunftsverweigerungsrecht bei Gefahr der Selbstbezichtigung einer Straftat ausdrücklich nur Nichtbeteiligten an dem steuerlichen Verfahren zu. Auch § 393 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 regelt kein Aussageverweigerungsrecht des Steuerpflichtigen bei Gefahr der Strafverfolgung, sondern verbietet in solchen Fällen nur den Einsatz von Zwangsmitteln zur Erzwingung der Aussage.
Angesichts dieser Rechtslage kann es auch nicht als eine unsachliche Behandlung der Streitsache angesehen werden, daß der Richter A den Prozeßbevollmächtigten des Klägers zur Angabe der Rechtsgrundlage für das von diesem behauptete Aussageverweigerungsrecht aufgefordert hat. Diese Aufforderung war mit dem ausdrücklichen Hinweis erfolgt, daß damit künftige Verfahrensfehler vermieden werden sollten. Sie zeigt daher gerade, daß der Richter sich in seiner Ansicht noch nicht endgültig festlegen, sondern für eine Begründung der gegenteiligen Auffassung des Prozeßbevollmächtigten des Klägers offenbleiben wollte. Im übrigen kann es auch grundsätzlich nicht beanstandet werden, daß ein Richter mit einem als Prozeßbevollmächtigten auftretenden Rechtsanwalt, der ebenso wie der Richter rechtskundig ist, in eine Erörterung über die Gründe für im Verfahren deutlich gewordene gegenteilige Rechtsauffassungen eintritt und den Rechtsanwalt zur Begründung seiner Auffassung auffordert.
3. Das von dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers im Streitfall und in einer Reihe von anderen Verfahren behauptete allgemeine Spannungsverhältnis zwischen ihm und dem Richter A vermag allein das Ablehnungsgesuch nicht zu stützen. Der Prozeßbevollmächtigte selbst hat aus Gründen seiner Person kein Recht, Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Ein gespanntes Verhältnis zwischen dem Prozeßbevollmächtigten und einem Richter kann daher nur ausnahmsweise die Ablehnung dieses Richters durch die Partei begründen, wenn die ablehnende Einstellung des Richters gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten auch im Verhältnis zu der allein ablehnungsberechtigten Partei in Erscheinung getreten ist (vgl. u. a. Beschlüsse des BFH vom 21. September 1977 I B 32/77, BFHE 123, 305, BStBl II 1978, 12; vom 28. Januar 1986 VII B 118/85, BFH/NV 1986, 415; vom 27. September 1988 VII B 95/88, BFH/NV 1989, 379, und vom 26. September 1989 VII B 75/89, BFH/NV 1990, 514).
Im Streitfall ist im Verhältnis zum Kläger kein Verhalten des Richters A in Erscheinung getreten, das wegen des etwaigen angespannten Verhältnisses zwischen diesem Richter und dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen könnte. Die Äußerung des Richters A in dem Schreiben vom 27. September 1989 hat nach obigen Ausführungen eine sachliche Auseinandersetzung über unterschiedliche Rechtsauffassungen zum Gegenstand. Darin ist dem Kläger gegenüber keine besonders ablehnende Einstellung zum Ausdruck gekommen.
Hinsichtlich des Verhaltens des Richters A im Erörterungstermin vom 7. Juli 1989 hat der Kläger sein Rügerecht verloren (s. oben unter 1.). Im übrigen gibt das vom Kläger behauptete Verhalten des Richters A in diesem Erörterungstermin auch keinen Anlaß, daraus wegen des etwaigen Spannungsverhältnisses zum Prozeßbevollmächtigten auf eine Voreingenommenheit des Richters in der Streitsache zu schließen. Die Rüge, der Richer A habe ihn - den Kläger - nicht über sein Aussageverweigerungsrecht belehrt, hat wiederum nur eine sachliche Auseinandersetzung über unterschiedliche Rechtsauffassungen zum Gegenstand. Der darüber hinausgehende Vorwurf, der abgelehnte Richter habe schon abschließend seine Ansicht geäußert, daß der Kläger den Prozeß wegen Nichtverjährung im Zusammenhang mit Steuerhinterziehung verlieren könne, ist nicht berechtigt. Das FG hat aufgrund des Protokolls über den Erörterungstermin zutreffend feststellt, daß der Richter noch keine abschließende Ansicht über den Streitfall zum Ausdruck gebracht hatte.
4. Ob der Richter A in den anderen Verfahren, deren Akten laut Antrag des Klägers beigezogen werden sollen, Anlaß zur Besorgnis der Befangenheit gegeben hat, kann der Senat in dem vorliegenden Verfahren nicht überprüfen. An den anderen Verfahren ist der Kläger nach seinem eigenen Vortrag nicht beteiligt.
Fundstellen