Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung -- Verlust des Ablehnungsrechts
Leitsatz (NV)
Ablehnungsgründe, die während eines Erörterungstermines entstehen, müssen bis zum Schluß dieser Verhandlung geltend gemacht werden. Darüber hinaus muß sich die Partei weigern, den Erörterungstermin weiter wahrzunehmen, wenn sie ihr Ablehnungsrecht nicht verlieren will.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1 S. 1; ZPO § 42 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute. Sie erhoben Klage wegen Einkommensteuer 1988 und 1989, über die noch nicht entschieden ist. Streitig in diesem Verfahren ist, welcher Einkunftsart die Vermietung mehrerer Flugzeuge durch den Kläger zuzuordnen ist. Am 4. Mai 1995 fand ein Erörterungstermin vor dem Berichterstatter des Finanzgerichts (FG), Richter am FG A, statt, an dem der Kläger, dessen Prozeßbevollmächtigter sowie zwei Vertreter des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt -- FA --) teilnahmen. Das hierüber gefertigte Protokoll wurde am Schluß des Erörterungstermins vorgelesen und u. a. vom Kläger persönlich und von dessen Prozeßvertreter genehmigt und unterschrieben.
Mit Schreiben vom 22. Mai 1995 lehnte der Kläger Richter am FG A wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung trug er vor, der Berichterstatter des Senats habe ihn im Erörterungstermin am 4. Mai 1995 unberechtigterweise beschuldigt, zusammen mit seinem Steuerberater, dem Prozeßbevollmächtigten, durch falsche Angaben die Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlungen für 1988 beantragt und damit eine Steuerhinterziehung begangen zu haben. Diesen Vorwurf habe der Berichterstatter aus einem internen Aktenvermerk des FA B abgeleitet, der ihnen erstmals im Erörterungstermin zur Einsichtnahme überreicht worden sei. Der Berichterstatter habe offensichtlich den Inhalt dieses Aktenvermerks falsch interpretiert. Er, der Kläger, habe -- bestätigt durch die Erklärung seines Prozeßbevollmächtigten -- nach der Abschlußbesprechung der Betriebsprüfungsstelle des FA B davon ausgehen können, daß die Verluste aus der Vermietung der Flugzeuge als Verluste aus Vermietung und Verpachtung zu beurteilen seien. Die im Verlauf des Erörterungstermines gefallenen Äußerungen des Berichterstatters, der Prozeßbevollmächtigte habe ihn "schlecht beraten", habe er als Versuch werten müssen, der Berichterstatter wolle einen Keil zwischen den Prozeßbevollmächtigten und ihn, den Kläger, treiben. Den Hinweis des Berichterstatters "Sie wissen ja, wo die Kammer hingehen wird", habe er, der Kläger, als Bedrohung und Präjudiz empfunden. Er habe sich in die Enge gedrängt gefühlt. Aufgrund der Äußerungen des Berichterstatters befürchte er, daß die vom FA verfügte Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich der streitigen Beträge aufgehoben werde.
Der Berichterstatter erklärte in seiner dienstlichen Äußerung vom 6. Juni 1995, er halte sich nicht für befangen.
In der Stellungnahme zur dienstlichen Äußerung des für befangen erklärten Berichterstatters ließ der Kläger durch seinen Prozeßbevollmächtigten vortragen, das Terminsprotokoll sei unvollständig, weil es nicht auf alle nach Auffassung des Klägers die Befangenheit begründenden Vorhalte eingehe, wie die Äußerung des Berichterstatters, man könne erkennen, "wo die Kammer hingehen wird", dessen Vorwurf der unberechtigten Steuerhinterziehung, den erstmals im Erörterungstermin eingeführten Aktenvermerk. Den mehrfachen Vorwurf der Steuerhinterziehung sowie den Hinweis des Berichterstatters, ggf. müsse auch noch das Jahr 1987 in die steuerliche Würdigung mit schädlichen Folgen für den Kläger einbezogen werden, habe der Kläger als Nötigung auffassen können.
Das FG wies das Ablehnungsgesuch ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters mit Beschluß vom 11. August 1995 zurück.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde. Zur Begründung verweisen die Kläger auf das bisherige Vorbringen und tragen weiter vor, ein zusätzlicher Ablehnungsgrund sei darin zu sehen, daß der abgelehnte Richter in seiner dienstlichen Äußerung erklärt habe, er habe, soweit er selbst Rechtsauffassungen geäußert habe, zum Ausdruck gebracht, daß dies in seiner Eigenschaft als Berichterstatter -- ohne Bindung des Senats -- geschehen sei. Diese Aussage sei eindeutig falsch. Des weiteren habe der Richter in seiner dienstlichen Äußerung zum Vortrag der Kläger, er habe dem Steuerpflichtigen Steuerhinterziehung vorgeworfen, nicht Stellung genommen, obwohl der Kläger seinen Ablehnungsantrag ausdrücklich darauf gestützt habe.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Das FG hat das Ablehnungsgesuch zu Recht als unbegründet zurückgewiesen.
Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet eine Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nur statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.
Eine Partei kann einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit allerdings nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat (§ 43 ZPO).
Das Tatbestandsmerkmal "in eine Verhandlung eingelassen hat" wird weit ausgelegt. Die Verhandlung kann eine mündliche oder schriftliche sein. Das Abhalten eines Erörterungstermins gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2 FGO ist eine Verhandlung i. S. des § 43 ZPO; Ablehnungsgründe, die während eines Erörterungstermins entstehen, müssen deshalb bis zum Schluß dieser Verhandlung geltend gemacht werden (vgl. z. B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 30. Oktober 1991 III B 95/90, BFH/NV 1992, 524, m. w. N., und vom 23. Februar 1994 IV B 79/93, BFH/NV 1994, 877). Darüber hinaus muß sich die Partei weigern, den Erörterungstermin weiter wahrzunehmen, wenn sie ihr Ablehnungsrecht nicht verlieren will (BFH-Beschlüsse vom 28. September 1989 X B 19/89, BFH/NV 1990, 515, und vom 13. März 1992 IV B 172/90, BFH/NV 1992, 679).
Der Kläger und sein Prozeßbevollmächtigter haben in dem Erörterungstermin am 4. Mai 1995 die Befangenheit des Richters am FG A nicht gerügt. Sie haben vielmehr am Erörterungstermin bis zu dessen Ende teilgenommen und das Protokoll am Schluß der Sitzung abgezeichnet, ohne die Befangenheit des Richters zu rügen.
Demgegenüber kann sich der Kläger auch nicht darauf berufen, daß ihm der Ablehnungsgrund erst später bekanntgeworden sei (§ 44 Abs. 4 ZPO). Insoweit hat er zwar vorgetragen, sein Prozeßbevollmächtigter habe ihm die Bedeutung der Vorwürfe des Berichterstatters im Anschluß an den Erörterungstermin erklärt und er habe sich erst nach dem Erörterungstermin Gedanken über den Verlauf der Aussprache gemacht. Dies steht jedoch im Widerspruch zum eigenen Vortrag des Klägers
-- er habe den Hinweis des Richters auf die schlechte Steuerberatung als Versuch empfunden, die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Prozeßbevollmächtigten zu stören,
-- die wiederholte Bemerkung, sie wüßten ja, wo die Kammer hingehen werde, habe er als Bedrohung und als Präjudiz empfunden,
-- nach diesen Äußerungen und dem zweimaligen Vorwurf der Steuerhinterziehung habe er sich völlig in die Ecke gedrängt und als Schuldiger gestempelt gefühlt,
-- die Atmosphäre des Termins sei von Anfang an und zunehmend emotionsgeladen gewesen.
In solchem Fall bestanden schon nach der eigenen Darstellung des Klägers während des Erörterungstermins hinreichend Anhaltspunkte, etwaige Ablehnungsgründe während oder nach dem Diktat des Protokolls vorzubringen. Statt dessen haben der Kläger und der Prozeßbevollmächtigte rügelos das Protokoll unterschrieben.
Soweit der Kläger vorträgt, er habe den Aktenvermerk des FA B, auf den der Berichterstatter seinen Vorwurf der Steuerhinterziehung gestützt habe, erst nach dem Erörterungstermin in Fotokopie erhalten, ist nicht erkennbar, welches Verhalten des Berichterstatters beanstandet werden soll, denn nach dem eigenen Vortrag des Klägers ist dem Prozeßbevollmächtigten das Schriftstück im Erörterungstermin zur Einsichtnahme überreicht worden. Im übrigen steht dieser Aktenvermerk im Zusammenhang mit dem vom Kläger beanstandeten und als "ungeheuerlich" empfundenen Vorwurf des "Steuerbetrugs"; wenn dieser so offensichtlich abwegig war, ist nicht erkennbar und auch nicht vorgetragen, weshalb der vertretene Kläger das darauf gestützte Befangenheitsgesuch nicht -- ungeachtet des Inhalts des Aktenvermerks -- bis zum Ende des Erörterungstermins anbringen konnte.
Erstmals in der Beschwerdeschrift macht der Kläger geltend, der Inhalt der dienstlichen Äußerung selbst gebe Anlaß zur Besorgnis der Befangenheit. Zweifelhaft ist insoweit schon, ob der Kläger mit diesem Vorwurf noch gehört werden dürfte, weil sich der Vorwurf wiederum auf die Gründe bezieht, für die der Kläger das Ablehnungsrecht gemäß § 43 ZPO verloren hat. Jedenfalls können mit der Beschwerde gegen den einen Befangenheitsantrag ablehnenden Beschluß des FG keine neuen Ablehnungsgründe geltend gemacht werden (z. B. BFH-Beschluß vom 24. Juli 1990 X B 115/89, BFH/NV 1991, 253). Zwar können im Beschwerdeverfahren neue Tatsachen und Beweismittel vorgebracht werden (§ 155 FGO i. V. m. § 570 ZPO), jedoch nur im Rahmen des Verfahrensgegenstandes der angefochtenen Entscheidung. Gegenstand der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch nach § 51 FGO i. V. m. § 45 Abs. 1 ZPO sind nur die Gründe, die in dem Ablehnungsgesuch dem FG gegenüber geltend gemacht worden sind. Soweit der Kläger bestimmte Aussagen des Richters im Erörterungstermin durch Beweisantritt glaubhaft macht, betrifft dies die Ablehnungsgründe, für die der Kläger das Ablehnungsrecht verloren hat. Selbst wenn die Einwände gegen den Inhalt der dienstlichen Äußerung selbständig als neuer Ablehnungsgrund zu werten sein könnten, wäre dieser unzulässigerweise erstmals im Beschwerdeverfahren geltend gemacht worden.
Fundstellen
Haufe-Index 421287 |
BFH/NV 1996, 616 |