Eine Wohnungsbesichtigung durch das Finanzamt muss vorher angekündigt werden
Hintergrund: Besichtigung des häuslichen Arbeitszimmers durch einen Steuerfahnder
Die als Geschäftsführerin eines Restaurants und als selbständige Unternehmensberaterin tätig A machte bei den Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit erstmals Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer geltend. Auf Nachfrage des FA reichte sie eine Skizze ihrer Wohnung ein, in der ein Zimmer als Arbeitszimmer, aber im Übrigen kein Raum als Schlafzimmer bezeichnet war.
Der Sachbearbeiter des FA hielt die Skizze für klärungsbedürftig und bat den sog. Flankenschutzprüfer (Beamter der Steuerfahndung) um Besichtigung der Wohnung.
Dieser erschien unangekündigt an der Wohnungstür der A, wies sich als Steuerfahnder aus und betrat unter Hinweis auf die Überprüfung im Besteuerungsverfahren die Wohnung ohne Widerspruch seitens der A.
Die erhob anschließend Klage auf Feststellung, dass die Besichtigung rechtswidrig war. Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Denn wegen der Einwilligung der A liege keine schwerwiegender Grundrechtsverletzung und damit kein Feststellungsinteresse vor.
Entscheidung: Rechtswidrige unangekündigte Wohnungsbesichtigung
Der BFH widerspricht dem FG. Wegen Wiederholungsgefahr liegt ein ausreichendes Feststellungsinteresse der A vor. Die Besichtigung der Wohnung durch den Steuerfahnder verletzte den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Berechtigtes Feststellungsinteresse
"Berechtigtes Interesse" i.S.v. § 41 Abs. 1 Alt. 1 FGO ist jedes konkrete, vernünftigerweise anzuerkennende Interesse rechtlicher, tatsächlicher oder wirtschaftlicher Art. Die begehrte Feststellung muss geeignet sein, zu einer Positionsverbesserung des Klägers zu führen (BFH v. 4.12.2012, VIII R 5/10, BStBl II 2014, 220).
Zwar kein ausreichendes Rehabilitationsinteresse
Ein Rehabilitationsinteresse kann insbesondere bejaht werden, wenn das Handeln des FA den unberechtigten Vorwurf der Steuerhinterziehung zum Ausdruck bringt. Das erfordert, eine Außenwirkung gegenüber Dritten. Daran fehlt es hier. Denn der Arbeitgeber der A oder sonstige Dritte haben vom Besuch des FA nichts erfahren. Das lediglich ideelle Bedürfnis der A nach einer Rehabilitation genügt nicht.
Und auch kein tiefgreifender Grundrechtseingriff
Zwar schützt Art. 13 Abs. 1 GG die Unverletzlichkeit der Wohnung. An einem schwerwiegenden Eingriff fehlt es jedoch, wenn der Berechtigte dem Betreten der Wohnung zustimmt (BFH v. 3.5.2010, VIII B 71/09, BFH/NV 2010, 1415). A wurde durch das unangekündigte Erscheinen des Finanzbeamten auch nicht "überrumpelt". Denn der Steuerfahnder hat die A weder bedroht noch sie über seine Person und den Zweck seines Besuchs im Unklaren gelassen. Er betrat die Wohnung ohne Widerspruch.
Aber Feststellungsinteresse aufgrund Wiederholungsgefahr
Aufgrund des Aktenvermerks des Steuerfahnders, A werde demnächst in die Nachbarwohnung ziehen und die dortige Raumaufteilung bleibe abzuwarten, war nicht auszuschließen, dass das FA nach dem Umzug wiederum den Flankenschutzprüfer schicken wird. Die Anforderungen an eine konkrete Wiederholungsgefahr dürfen nicht zu hoch angesetzt werden.
Zudem war die Einschaltung des Steuerfahnders nicht erforderlich
Die Besichtigung durch den Steuerfahnder war zwar grundsätzlich geeignet, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Die Maßnahme war jedoch nicht erforderlich, da dem FA mildere Mittel zur Verfügung gestanden hätten. Angesichts des Schutzes der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) wäre eine Ortsbesichtigung erst dann erforderlich gewesen, wenn die Unklarheiten nicht durch weitere Auskünfte der A hätten aufgeklärt werden können. Denn A hatte bei der Sachaufklärung mitgewirkt und es bestanden keine Zweifel an ihrer steuerlichen Zuverlässigkeit.
Außerdem verletzte die Maßnahme den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Das FA hat bei seinen Ermessenserwägungen den Schutz der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen. Dabei ist von Folgendem auszugehen:
- Grundsätzlich genügt es, wenn das FA seine Folgerungen aus dem äußeren Anschein zieht und damit dem Steuerpflichtigen die besonders belastende Besichtigung der Wohnung erspart.
- Eine Ortsbesichtigung kann unverhältnismäßig sein, wenn zuvor kein rechtliches Gehör gewährt wurde und der Steuerpflichtige dadurch nicht Gelegenheit hatte, weniger belastende Nachweismöglichkeiten anzubieten. Eine vorherige Ankündigung ist daher unerlässlich.
- Ein weiterer Verstoß gegen die Verhältnismäßigkeit liegt darin, dass die Ortsbesichtigung von einem Steuerfahnder und nicht von einem Mitarbeiter der Veranlagung durchgeführt wurde. Denn der Einsatz eines Steuerfahnders wird als belastender empfunden als der eines Veranlagungsbeamten.
Hinweis: Häusliches Arbeitszimmer als Teil der Wohnung
Der Schutz der Wohnung nach Art. 13 Abs. 1 GG gilt auch für das häusliche Arbeitszimmer in der Wohnung des Steuerpflichtigen (BVerfG v. 6.7.2010, 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268, BStBl II 2011, 318, Rz. 47).
Verhältnismäßigkeitsverstoß auch bei Einwilligung
Dass das FA zunächst die weniger belastenden Maßnahmen ergreifen muss, gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige in die Ortsbesichtigung eingewilligt hat. In der Praxis wird es häufig genügen, ein Foto einzureichen. Im Übrigen muss eine Wohnungsbesichtigung grundsätzlich vorher angekündigt werden (§ 99 AO).
Sachentscheidung
Wird – wie hier – vom FG eine Klage fälschlich als unzulässig abgewiesen, kommt für den BFH eine Entscheidung in der Sache nur ausnahmsweise in Betracht, wenn die Klage (nach den FG-Feststellungen) zweifelsfrei begründet ist und es ausgeschlossen ist, dass ein weiterer Vortrag die Sachentscheidung noch beeinflussen könnte (BFH v. 4.7.2007, VIII R 77/05, BFH/NV 2008, 53). Dieser Fall lag hier vor.
BFH Urteil vom 12.07.2022 - VIII R 8/19 (veröffentlicht am 29.09.2022)
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