Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechnung als materiell-rechtliche Voraussetzung für den Vorsteuerabzug; Verzinsung der Umsatzsteuer europarechtskonform; Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung
Leitsatz (NV)
1. Eine Rechnung mit gesondertem Umsatzsteuerausweis gehört zu den materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug.
2. Die Festsetzung von Zinsen auf Umsatzsteuer verstößt nicht gegen Europarecht.
3. Bei der Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss der Beschwerdeführer von den tatsächlichen Feststellungen des FG ausgehen.
Normenkette
UStG § 15 Abs. 1 Nr. 1; AO § 233a; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, § 116 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 13.07.2006; Aktenzeichen 5 K 678/02) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb im Streitjahr (1989) einen Autohandel. Im Anschluss an eine Fahndungsprüfung erhöhte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die vom Kläger erklärten Umsätze aufgrund bisher nicht erfasster Autoverkäufe und ließ den Vorsteuerabzug für die diesen Verkäufen gegenüberstehenden Einkäufe wegen des Fehlens entsprechender Rechnungen nicht zu. In dem Änderungsbescheid vom 4. Mai 1995, der auf § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) gestützt wurde, setzte das FA zudem gemäß § 233a AO Zinsen für die Zeit vom 1. April 1991 bis 31. März 1995 fest.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) war der Auffassung, die Hinzuschätzung von Umsätzen sei zu Recht erfolgt. Dem Kläger stehe kein Vorsteuerabzug aus einem etwaigen Ankauf der Fahrzeuge zu. Der Vorsteuerabzug sei grundsätzlich an den formellen Nachweis durch eine Rechnung gebunden. Der Kläger habe eingeräumt, dass er für die streitbefangenen Fahrzeuge keine Rechnungen vorlegen könne. Er habe auch nicht mit verfahrensrechtlich zulässigen Beweismitteln nachgewiesen, dass er ursprünglich entsprechende Rechnungen besessen habe. Die Zeugenvernehmung des seinerzeitigen Steuerberaters des Klägers sei unergiebig gewesen. Der Zeuge habe erklärt, dass die Buchführung im Streitjahr nicht von ihm, sondern von einer Buchhalterin des Klägers erstellt worden sei. Der Jahresabschluss habe sich für ihn, den Zeugen, schwierig gestaltet, weil ihm der Kläger abgesehen von den Rechnungen, die Gegenstand einer der Fahndungsprüfung vorangegangenen Umsatzsteuer-Sonderprüfung gewesen seien, weder Rechnungen noch das Journal für 1989 habe vorlegen können. Das FG führte weiter aus, es sei auch nicht zu erwarten gewesen, dass der Zeuge nach Ablauf von vielen Jahren sich noch an einzelne Rechnungen hätte erinnern können. Die vom Kläger geltend gemachten Vorsteuerbeträge könnten auch nicht aufgrund einer Schätzung abgezogen werden, da nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden könne, dass ursprünglich ordnungsgemäße Rechnungen vorhanden gewesen seien.
Der Kläger stützt seine Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Soweit die Beschwerdebegründung den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entspricht, liegen die vom Kläger geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Revision nicht vor.
1. Der Kläger sieht zunächst folgende Frage als grundsätzlich bedeutsam an:
Liegt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vor, wenn die Finanzbehörde im Rahmen einer Einkommensteuerveranlagung im Wege der Schätzung Betriebsausgaben zum Abzug zulässt, jedoch bei der auf denselben Besteuerungsgrundlagen durchgeführten Umsatzsteuerfestsetzung unter Berufung auf § 14 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) den Vorsteuerabzug aus den geschätzten Betriebsausgaben in keiner Weise zulässt?
Als Vorfrage muss nach Ansicht des Klägers geklärt werden, ob eine Schätzung gemäß § 162 AO bezüglich des Abzugs von Vorsteuerbeträgen dem Grunde nach rechtlich zulässig ist.
Diese Fragen bedürfen keiner Prüfung in einem Revisionsverfahren. Die Rechtslage ist klar und eindeutig.
a) Die Finanzverwaltung ist nach Art. 20 Abs. 3 GG an die Gesetze gebunden und muss daher bei der Steuerfestsetzung die in den einzelnen Steuergesetzen getroffenen Regelungen beachten. Sind diese Regelungen unterschiedlich, führt auch Art. 3 Abs. 1 GG nicht dazu, dass die Finanzverwaltung eine für den Steuerpflichtigen günstige Entscheidung in einer Steuerart für eine andere Steuerart übernehmen muss.
b) So verhält es sich bei der Einkommensteuer einerseits und der Umsatzsteuer andererseits. Betriebsausgaben sind nach § 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) die Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlasst sind. Das Vorliegen von Rechnungen oder Leistungsbeziehungen mit anderen Unternehmern wird durch die Vorschrift nicht gefordert.
§ 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 beschränkt demgegenüber den Abzug von Vorsteuerbeträgen auf die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für das Unternehmen des Steuerpflichtigen ausgeführt worden sind. Eine Rechnung mit gesondertem Umsatzsteuerausweis gehört danach zu den materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. April 1979 V R 46/72, BFHE 128, 110, BStBl II 1979, 530, unter II.2.a; vom 16. April 1997 XI R 63/93, BFHE 182, 440, BStBl II 1997, 582; vom 1. Juli 2004 V R 33/01, BFHE 206, 463, BStBl II 2004, 861, und vom 15. Juli 2004 V R 76/01, BFHE 207, 1, BStBl II 2005, 236).
Diese Rechtsprechung steht im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht. Nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 29. April 2004 C-152/02, Terra Baubedarf (Slg. 2004, I-5583, BFH/NV Beilage 2004, 229) kann der Unternehmer Vorsteuerbeträge erst in dem Besteuerungszeitraum abziehen, in dem er ein Dokument besitzt, das nach den von den Mitgliedstaaten festgestellten Kriterien als Rechnung betrachtet werden kann (ebenso die ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. zuletzt Urteil vom 24. August 2006 V R 16/05, BStBl II 2007, 340, unter II.3.c, m.w.N.).
Hat die Rechnung bei Ablauf des Besteuerungszeitraums vorgelegen, bringt der spätere Verlust des Abrechnungspapiers den bereits entstandenen Abzugsanspruch nicht rückwirkend zum Erlöschen. Es ist unerheblich, warum die Rechnung verloren gegangen ist. Dem Unternehmer, der den Vorsteuerabzug geltend macht, obliegt allerdings die Darlegungs- und Feststellungslast (objektive Beweislast) dafür, dass er die Rechnung ursprünglich besessen hat. Er hat darzulegen und nachzuweisen, dass der andere Unternehmer eine Rechnung mit gesondertem Steuerausweis erstellt und ihm selbst oder einem von ihm beauftragten Dritten ausgehändigt hat. Diesen Nachweis kann er mit allen verfahrensrechtlich zulässigen Beweismitteln führen (BFH-Urteile vom 5. August 1988 X R 55/81, BFHE 154, 477, BStBl II 1989, 120, und in BFHE 182, 440, BStBl II 1997, 582). Entscheidend ist, dass der Veranlagungsbeamte oder im Falle eines Rechtsstreits das FG die Überzeugung gewinnt, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 einschließlich des (ursprünglichen) Rechnungsbesitzes des Unternehmers vorliegen (BFH-Urteil vom 19. November 1998 V R 102/96, BFHE 187, 344, BStBl II 1999, 255). Der fehlende Nachweis dieses Rechnungsbesitzes kann danach nicht durch eine Schätzung (§ 162 AO) ersetzt werden (BFH-Urteil vom 12. Juni 1986 V R 75/78, BFHE 146, 569, BStBl II 1986, 721; BFH-Beschlüsse vom 26. November 1997 V B 48/97, BFH/NV 1998, 563, und vom 28. Dezember 2001 V B 148/01, BFH/NV 2002, 682).
Soweit das FG München in dem vom Kläger angeführten Urteil vom 9. April 1999 13 K 5144/98 (juris) die Schätzung der abziehbaren Vorsteuerbeträge als zulässig angesehen hat, ohne auf das Vorliegen von Rechnungen einzugehen, widerspricht die Entscheidung der Rechtsprechung des BFH, die inzwischen erneut bestätigt wurde. Bei dem ebenfalls vom Kläger zitierten Urteil des FG München vom 14. Oktober 2004 15 K 959/02 (juris) kam es auf die Zulässigkeit der bereits außergerichtlich vorgenommenen Schätzung der abziehbaren Vorsteuerbeträge nicht an, da das FG die Klage abgewiesen hat.
2. Der Kläger beurteilt ferner folgende Frage als grundsätzlich bedeutsam:
Ist die Festsetzung von Zinsen auf Umsatzsteuer gemäß § 233a AO mit der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) vereinbar?
Die Beschwerdebegründung entspricht insoweit nicht den Anforderungen, die § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache stellt, wenn der BFH eine Frage bereits entschieden hat (vgl. dazu z.B. BFH-Beschlüsse vom 5. Juli 2005 XI B 88/04, BFH/NV 2006, 42; vom 31. August 2005 IV B 24/04, BFH/NV 2006, 91; vom 13. Oktober 2005 X B 96/05, BFH/NV 2006, 112; vom 19. Oktober 2005 X B 88/05, BFH/NV 2006, 15; vom 9. Januar 2007 VII B 134/05, BFH/NV 2007, 1141, und vom 8. Mai 2007 X B 43/06, BFH/NV 2007, 1499).
Der BFH hat mit Urteil vom 9. Oktober 2002 V R 81/01 (BFHE 199, 507, BStBl II 2002, 887) die Rechtmäßigkeit der dem Wortlaut entsprechenden Anwendung der Verzinsungsregelung des § 233a AO auf die Umsatzsteuer bejaht und einen Verstoß gegen Europarecht verneint und sieht in ständiger Rechtsprechung diese Vorschrift als auf die Umsatzsteuer anwendbar an (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 207, 1, BStBl II 2005, 236, und vom 30. März 2006 V R 60/04, BFH/NV 2006, 1434; BFH-Beschlüsse vom 28. Oktober 2005 V B 196/04, BFH/NV 2006, 245; vom 10. März 2006 V B 82/05, BFH/NV 2006, 1433, und vom 2. November 2006 V B 24/05, BFH/NV 2007, 208). Der Kläger macht selbst nicht geltend, dass in Rechtsprechung oder Literatur eine andere Auffassung vertreten werde und dass deshalb eine erneute Prüfung der Frage in einem Revisionsverfahren erforderlich sei.
3. Der Kläger sieht weiter folgende Frage als in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftig an:
Verstößt es gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) abgeleitete Prinzip des fairen Verfahrens, wenn
- aufgrund der durch die Finanzbehörde verzögerten Bearbeitung eines Rechtsbehelfs die Glaubhaftigkeit eines im finanzgerichtlichen Prozess angebotenen Zeugenbeweises nur deshalb vom FG in Zweifel gezogen wird, weil zwischen dem Ereignis, das der Zeuge beweisen soll, und dem Zeitpunkt, zu dem der Zeuge seine Aussage macht, ein Zeitraum von mehr als 15 Jahren liegt,
- die Finanzbehörde, welche die Steuer festsetzt, im Einspruchsverfahren zunächst untätig ist, weil die Strafverfolgungsbehörde das Strafverfahren nur deshalb nicht bearbeitet, weil sie andere Strafverfahren vorrangig bearbeitet, deshalb Strafverfolgungsverjährung eintritt und das Strafverfahren einzustellen war, und nach Einstellung des Strafverfahrens die Finanzbehörde weiterhin untätig bleibt, und
- der Finanzbehörde bereits zu einem früheren Zeitpunkt bekannt war, dass der Steuerpflichtige den erforderlichen Nachweis nicht erbringen kann mit der Rechtsfolge, dass die allgemeinen Beweislastregelungen insoweit keine Anwendung finden, als nach Treu und Glauben die Finanzbehörde den vom Steuerpflichtigen im Rahmen einer (Teil-)Schätzung gefundenen und von ihr übernommenen Maßstab für den Abzug der Vorsteuer von der Umsatzsteuer für Mehrerlöse übernehmen muss?
Die Beschwerdebegründung wird auch insoweit den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht gerecht. Der Kläger legt der Formulierung der von ihm herausgestellten Rechtsfrage weitgehend tatsächliche Umstände zu Grunde, die das FG nicht festgestellt hat. Bei der Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss der Beschwerdeführer indes von den tatsächlichen Feststellungen des FG ausgehen (BFH-Beschluss vom 19. Januar 2007 VII B 72/06, BFH/NV 2007, 857).
Der Kläger macht zudem selbst nicht geltend, dass die von ihm bezeichnete Frage allgemeine Auswirkung habe oder dass insoweit in Rechtsprechung oder Literatur unterschiedliche Auffassungen vertreten würden und deshalb eine Zulassung der Revision erforderlich sei (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 3. November 2004 X B 121/03, BFH/NV 2005, 350; vom 18. April 2005 II B 98/04, BFH/NV 2005, 1310; vom 8. Dezember 2006 VII B 240/05, BFH/NV 2007, 922, und vom 23. Januar 2007 VIII B 134/05, BFH/NV 2007, 890). Die vom Kläger formulierte Frage ist einzelfallbezogen und kann auch daher nicht zur Zulassung der Revision führen (BFH-Beschluss vom 24. April 2007 VIII B 249/05, BFH/NV 2007, 1465).
Dem Vorbringen des Klägers lässt sich zudem nicht entnehmen, dass und ggf. wie im Einzelnen er bei einem zügigeren Verfahren den ursprünglichen Rechnungsbesitz hätte nachweisen können. Er räumt vielmehr mit der Formulierung der Frage selbst ein, dass er auch zu einem früheren Zeitpunkt den Nachweis nicht hätte erbringen können. Dabei handelt es sich um einen maßgeblichen Gesichtspunkt, wie in der Rechtsprechung des BFH zur überlangen Verfahrensdauer bereits geklärt ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 15. November 2006 XI B 17/06, BFH/NV 2007, 474; vom 27. Februar 2007 X B 178/06, BFH/NV 2007, 1073, und vom 5. März 2007 IX B 29/06, BFH/NV 2007, 1174). Das FG hat im Übrigen die Aussage des früheren Steuerberaters des Klägers als Zeuge, der Kläger habe auch ihm die fehlenden Rechnungen nicht vorgelegt, nicht wegen Zeitablaufs für unglaubhaft angesehen, sondern seiner Entscheidung zugrunde gelegt.
Fundstellen
Haufe-Index 1859495 |
BFH/NV 2008, 416 |