Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Betriebsübernehmers - Absicht der Betriebsfortführung
Leitsatz (NV)
1. Zur Haftung als Betriebsübernehmer beim Erwerb eines Grundstücks mit einem darauf betriebenen Wohnheim.
2. Zur Maßgeblichkeit des vom Erwerber mit dem Erwerb des Betriebs verfolgten Zwecks für die Haftung nach § 116 AO (§ 75 AO 1977).
Normenkette
AO § 116; FGO § 120 Abs. 1-2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und L erwarben durch notariell beurkundeten Kaufvertrag vom Januar 1971 gemeinsam je zur ideellen Hälfte das Eigentum an einem Grundstück in M. Verkäufer des Grundstücks war H, der durch seinen Generalbevollmächtigten B vertreten wurde. H hatte als Eigentümer des Grundstücks das auf diesem befindliche Wohnhaus möbliert und insgesamt 150 Schlafstellen geschaffen, die er seit 1970 an Gastarbeiter, Touristen und andere Personen vermietete. Mit verschiedenen Firmen hatte er Verträge über die Bereithaltung von Schlafstellen für deren Gastarbeiter und Monteure abgeschlossen. Die Abrechnung erfolgte gesondert und zeitanteilig für jede in Anspruch genommene Schlafstelle, wobei mit dem Entgelt Nebenkosten und -leistungen, wie z. B. Strom, Gas, Wasser, Heizung, Bettwäsche und Reinigung der Räume, abgegolten waren.
Im Juni 1970 hatte H die Hausverwaltung des ,,Wohnheims H" seinem Generalbevollmächtigten B übertragen. Aufgrund eines später wieder rückgängig gemachten Kaufvertrages mit sich selbst war B von Ende November 1970 bis Februar 1971 als Eigentümer des Grundstücks im Grundbuch eingetragen. Anschließend erfolgte - bis zur Grundbucheintragung der jetzigen Eigentümer - wieder die Eigentumsumschreibung auf H.
In dem Grundstückskaufvertrag vom Januar 1971 zwischen H, dem Kläger und dessen Miterwerber war u. a. folgendes vereinbart: Der Kaufpreis beträgt 500 000 DM, wovon 400 000 DM auf das Grundstück und 100 000 DM auf das Mobiliar des ,,Wohnheims" entfallen. Das Mobiliar ist in einem dem Kaufvertrag beigefügten ,,Inventarverzeichnis/Wohnheim H" aufgeführt, das am Ende mit dem Stempel ,,Wohnheim H" versehen und von dem Verwalter B unterschrieben ist. Die Übernahme des Grundstücks durch die Käufer erfolgte im Februar 1971. Unter III. des Kaufvertrages steht der Verkäufer dafür ein, daß der Nutzung des Grundstücks als ,,Wohnheim" keine behördlichen Bedenken entgegenstehen.
Im Dezember 1970 war auf Antrag einer Gläubigerin gegen den noch im Grundbuch eingetragenen B die Zwangsverwaltung des Grundstücks angeordnet worden. Das Zwangsverwaltungsverfahren wurde, nachdem H wieder als Eigentümer eingetragen war, gegen ihn und später nach der erneuten Grundbuchumschreibung auch gegen den Kläger und seinen Miterwerber als neue Eigentümer bis zum Mai 1971 weitergeführt. Während der Zwangsverwaltung wurde das Grundstück wie bisher genutzt. Das Haus war während dieser Zeit mit durchschnittlich 120 Gastarbeitern belegt. Der Zwangsverwalter unterwarf annähernd gleich hohe Umsätze, wie sie vor der Zwangsverwaltung erzielt worden waren, der Umsatzsteuer.
Nach Beendigung der Zwangsverwaltung stellten der Kläger und sein Miteigentümer das Grundstück zunächst weiterhin verschiedenen Firmen zur Unterbringung von Gastarbeitern und Monteuren zur Verfügung. Soweit möglich, ließen sie jedoch das Haus räumen, renovieren und modernisieren. Nach Abschluß der Renovierungs- und Modernisierungsarbeiten wurde das Grundstück ab August 1973 im ganzen und unmöbliert an die Firma D zur Benutzung als Wohnheim vermietet.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) unterwarf aufgrund einer bei dem Grundstücksveräußerer H durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung dessen Einnahmen aus dem Betrieb des Wohnheims der Umsatzsteuer und der Gewerbesteuer. Für im Wohnheim beschäftigte Arbeitnehmer (Hausverwalter, Hauswart, Putzfrau, Getränkeverkäufer, Bardamen usw.) setzte er Lohnsteuer fest. Da Versuche, die gegen H für 1970 und 1971 festgesetzten Lohn- und Umsatzsteuern bei diesem beizutreiben, erfolglos blieben, nahm das FA den Kläger und dessen Miterwerber hierfür durch Haftungsbescheide vom März 1971 gemäß § 116 der Reichsabgabenordnung (AO) in Anspruch. Der Einspruch des Klägers gegen den Umsatzsteuerhaftungsbescheid blieb erfolglos. Durch Haftungsbescheid vom August 1977, den der Kläger zum Gegenstand der von ihm erhobenen Klage machte (§ 68 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), wurde die Haftung insgesamt ermäßigt und nunmehr auf Umsatzsteuer 1970 in Höhe von . . . DM und Umsatzsteuer für 1971 in Höhe von . . . DM festgesetzt.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage gegen den geänderten Umsatzsteuerhaftungsbescheid ab.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 116 AO. Er habe sich nicht die ,,wirtschaftliche Kraft des Unternehmens" H zu eigen gemacht, sondern allenfalls einen sterbenden Betrieb erworben, dessen Auflösung und Abwicklung von vornherein gewollt und tatsächlich durchgeführt worden sei. Das FG habe nicht berücksichtigt, daß im Zeitpunkt seines Erwerbs eine Aufspaltung zwischen dem Eigentum am Grundstück und der Sachherrschaft über das auf dem Grundstück betriebene gewerbliche Unternehmen bestanden habe. Eigentümer des Grundstücks - auch wirtschaftlicher Eigentümer, weil er sich als solcher geriert habe - sei B gewesen, während H, insoweit vertreten durch B, Gewerbetreibender des Wohnheims geblieben sei. Der Kläger habe aber nicht von H, sondern von B gekauft. Das Unternehmen H habe keine wirtschaftliche Kraft mehr gehabt, da es sich auf einen wesentlichen Vermögensbestand - etwa das Grundstück - nicht mehr habe stützen können. Die von ihm und seinem Miterwerber übernommene Einrichtung des Wohnheims habe nur Schrottwert gehabt.
Er und sein Partner hätten niemals die Absicht gehabt, in M einer gewerblichen Tätigkeit nachzugehen, sondern sie hätten das Anwesen erworben, um es im Rahmen einer normalen Vermögensanlage zu nutzen. Das ergebe sich auch aus den von ihnen erzielten, gegenüber früher drastisch abgesunkenen Mieteinnahmen. Sie hätten unter vorübergehender Duldung der noch fortdauernden Mietverträge das Haus so schnell wie möglich geräumt und es nach Renovierung und Modernisierung an einen einheitlichen Mieter weitergegeben. Die Nutzungsverhältnisse in der Zeit vom Februar 1971 bis zu ihrer tatsächlichen Inbesitznahme nach Aufhebung der Zwangsverwaltung zum Juni 1971 könnten ihnen nicht zugerechnet werden. Die Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse am Grundstück seien unübersichtlich gewesen. Der Zwangsverwalter habe im Interesse der Gläubiger allein hohe Einnahmen erzielen wollen und damit andere Interessen verfolgt als die Erwerber. Deshalb könne ihnen dessen Tätigkeit auch über die Konstruktion eines Treuhandverhältnisses nicht zugerechnet werden.
Das Argument des FG, aus dem Erwerb des Mobiliars für 100 000 DM sei ersichtlich, daß die Erwerber gewerblich hätten tätig werden wollen, greife nicht durch. Das Mobiliar sie nur deshalb mitveräußert und von ihnen erworben worden, weil der Veräußerer B sonst gegenüber dem Unternehmer des Wohnheims H regreßpflichtig geworden wäre. Der Kläger und sein Partner hätten sich auch nur deshalb von B versichern lassen, daß das Anwesen als Wohnheim genutzt werden könne, um der Gefahr vorzubeugen, als tatsächlich Verfügungsberechtigte in strafrechtlicher oder ordnungsrechtlicher Weise mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG und den Haftungsbescheid vom August 1977 bezüglich der Umsatzsteuer 1970 und 1971 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, sie als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
A. Die Revision ist zulässig. Sie ist - entgegen der Auffassung des FA - innerhalb der Revisionsbegründungsfrist ordnungsgemäß begründet worden (§ 120 Abs. 1 und 2 FGO). In seiner Revisionsschrift führt der Kläger unter Angabe von Gründen aus, warum er die Auffassung des FG, es liege die Übernahme und Fortführung eines lebenden Betriebes vor, für unzutreffend halte. Daß in diesem Schriftsatz die verletzte Rechtsnorm nicht ausdrücklich genannt ist, ist unschädlich, da aus dem Zusammenhang eindeutig erkennbar ist, daß der Kläger die Vorschrift des § 116 Abs. 1 Nr. 1 AO als verletzt rügt (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 120 Anm. 17).
B. Die Revision ist aber nicht begründet.
Das FG hat zu Recht die Haftung des Klägers als (Mit-)Erwerber des auf dem erworbenen Grundstück betriebenen Wohnheims für die in diesem Unternehmen begründete Umsatzsteuer 1970 und 1971 bejaht.
1. a) Wird ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im ganzen übereignet, so haftet der Erwerber neben dem früheren Unternehmer gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 1 AO für die Betriebsteuern (hier: Umsatzsteuer), die auf die Zeit seit dem Beginn des letzten vor der Übereignung liegenden Steuerabschnitts oder Kalenderjahres (hier: seit 1970) entfallen. Die Vorschrift findet auf den Streitfall Anwendung, weil der haftungsbegründende Tatbestand (Übereignung) vor dem 1. Januar 1977 verwirklicht worden ist (Art. 97 § 11 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -).
Zweck der Haftung nach § 116 AO (§ 75 der Abgabenordnung - AO 1977 -) ist es, die in dem Unternehmen als solchem liegende Sicherheit für die sich auf seinen Betrieb gründenden Steuerschulden durch den Übergang des Unternehmens in andere Hände nicht verlorengehen zu lassen (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH -, vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 27. November 1979 VII R 12/79, BFHE 129, 293, BStBl II 1980, 258). Die Übereignung eines Unternehmens im ganzen i. S. des § 116 AO erfordert deshalb den Übergang des gesamten lebenden Unternehmens, d. h., der durch das Unternehmen repräsentierten organischen Zusammenfassung von Einrichtungen und dauernden Maßnahmen, die dem Unternehmen dienen oder mindestens seine wesentlichen Grundlagen ausmachen, so daß der Übernehmer das Unternehmen ohne nennenswerte finanzielle Aufwendungen fortführen kann (BFHE 129, 293, BStBl II 1980, 258 m.w.N.).
b) Die vorstehenden Voraussetzungen sind nach den Feststellungen des FG im Streitfall erfüllt. Der Kläger und sein Partner haben von dem Veräußerer H ein Grundstück erworben, auf dem dieser - wie das FG festgestellt hat und zwischen den Beteiligten unstreitig ist - ein Wohnheim in der Form eines gewerblichen Beherbergungsunternehmens betrieben hat (vgl. hierzu Abschn. 137 Abs. 2 und 3 der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - 1984 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Erwerb erstreckte sich nach dem Kaufvertrag nicht nur auf das Grundstück, sondern erfaßte gegen einen bestimmten Teil der Kaufpreiszahlung (100 000 DM von 500 000 DM) auch das im Anhang zum Vertrag einzeln aufgeführte Inventar des Wohnheims, wobei der Verkäufer die rechtliche Zulässigkeit der Nutzung des Grundstücks als Wohnheim ausdrücklich vertraglich zusicherte. Der Kläger hat damit die wesentlichen Grundlagen des Beherbergungsunternehmens (Grundstück und Inventar) zu Miteigentum erworben. Auf den tatsächlichen Wert des übernommenen Inventars kommt es bei dieser Sachlage nicht an, da sonstige, nicht mitübereignete wesentliche Grundlagen des Unternehmens nicht ersichtlich sind. Daß die Erwerber auch in der Lage gewesen wären, das so erworbene lebende Unternehmen ohne nennenswerte Investitionen wie bisher fortzuführen, zeigt die Fortführung des Wohnheims in unveränderter Form durch den Zwangsverwalter und die daran anschließende Weiterführung des Unternehmens in eingeschränktem Umfang während der Renovierungsarbeiten durch die Erwerber selbst.
c) Wenn der Kläger unter Berufung auf die Entscheidung des BFH vom 2. Juni 1960 V 71/58 (Betriebs-Berater - BB - 1960, 1232, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Reichsabgabenordnung, § 116, Rechtsspruch 5) vorträgt, es habe sich nicht um einen lebenden, sondern um einen sterbenden Betrieb gehandelt, dessen Auflösung und Abwicklung von vornherein in Rechnung gestellt und tatsächlich durchgeführt worden sei, so verkennt er, daß sich der Streitfall von dem zitierten Urteilsfall erheblich unterscheidet. In dem vom V. Senat des BFH entschiedenen Fall hatten sowohl der Veräußerer als auch der Erwerber nur ein Interesse daran, daß durch ,,Versilberung" der einzelnen übernommenen Betriebsvermögensgegenstände zu einem höchstmöglichen Preis die Schulden des Veräußerers getilgt und die Forderungen des Erwerbers gegen diesen befriedigt würden. Im Streitfall ist ein solches übereinstimmendes Interesse der Beteiligten nicht ersichtlich und eine Veräußerung einzelner Gegenstände des übereigneten Unternehmens durch die Erwerber vom FG nicht festgestellt worden.
d) Es ist auch von einer einheitlichen Veräußerung des Unternehmens einschließlich des Grundstücks durch den früheren Unternehmer auszugehen. Nach den Feststellungen der Vorinstanz war Veräußerer des Grundstücks und des darauf betriebenen Wohnheims H, der bei Abschluß des Kaufvertrages durch seinen Generalbevollmächtigten B vertreten wurde. H war auch Unternehmer des Wohnheims; er ließ sich bei seiner unternehmerischen Tätigkeit ebenfalls durch seinen Verwalter B vertreten. An diese zum Teil auf den Wortlaut des notariellen Kaufvertrages gestützten tatsächlichen Feststellungen des FG ist der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden, da der Kläger in bezug auf sie zulässige und begründete Verfahrensrügen nicht vorgebracht hat. Damit kann die Darstellung des Klägers, wonach auf der Veräußererseite eine Aufspaltung zwischen Grundstücksveräußerer (B) und Wohnheim-Unternehmer (H) vorgelegen habe, keine Berücksichtigung finden. Auch im Hinblick darauf, daß im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags B als Grundstückseigentümer im Grundbuch eingetragen war, ist die tatsächliche Würdigung des FG möglich; sie verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze. Denn B hatte die zuvor vorgenommene Grundstücksveräußerung an sich selbst bereits wieder rückgängig gemacht, und es stand im Zeitpunkt der Veräußerung an den Kläger lediglich die der obligatorischen Rechtslage entsprechende Wiedereintragung des H als Grundstückseigentümer noch aus, die aber wenige Tage später erfolgte. Es lag deshalb nahe, daß die Beteiligten H als wirtschaftlichen Eigentümer und Verkäufer des Grundstücks ansahen und dies im Kaufvertrag zum Ausdruck brachten.
2. Der Haupteinwand des Klägers, er und sein Miterwerber hätten das Wohnheim als solches nicht fortgeführt und niemals die Absicht gehabt, in M ein gewerbliches Beherbergungsunternehmen zu betreiben, greift nicht durch.
a) Für die Haftung nach § 116 AO (§ 75 AO 1977) werden das Erfordernis der Betriebsfortführung und die Maßgeblichkeit der Absicht des Erwerbers unterschiedlich beurteilt. Im Schrifttum wird teilweise die Auffassung vertreten, die Haftung setze die tatsächliche Fortführung des lebenden Betriebes des Veräußerers durch den Erwerber voraus, wobei - abgesehen von unschädlichen Modernisierungen - Identität zwischen dem veräußerten und dem erworbenen Betrieb vorliegen müsse. Der Erwerber hat nach dieser Ansicht nur dann die Organisation eines lebenden Betriebs übernommen, wenn er beim Erwerb die Absicht hatte, den Betrieb wie bisher fortzuführen (Schulze zur Wiesche, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1972, 560, 561, 562; Barth, BB 1975, 1150, 1154, 1155; v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 75 AO 1977 Anm. 6 und 7; ebenso noch Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 AO Tz. 3).
Während die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) zu dieser Frage nicht widerspruchsfrei war (vgl. hierzu Anmerkung und Nachweise bei Tipke/Kruse, a.a.O.), hat der IV. Senat des BFH ausgeführt, für die Haftung nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 AO sei nicht Voraussetzung, daß der Erwerber des übereigneten Betriebs diesen selbst fortführe; es genüge vielmehr, daß er aufgrund der ihm übereigneten Gegenstände in der Lage wäre oder die Möglichkeit hätte, den erworbenen lebenden Betrieb selbst fortzuführen. Er könne den (im Urteilsfall: Hotel-)Betrieb auch erwerben, um ihn im Wege der Verpachtung zu nutzen. Auf den Zweck des Erwerbs eines lebenden Betriebs komme es im Rahmen des § 116 AO nicht an (BFH-Urteil vom 4. Februar 1974 IV R 172/70, BFHE 112, 110, BStBl II 1974, 434; ebenso: BFH-Urteil vom 28. November 1973 I R 129/71, BFHE 111, 17, BStBl II 1974, 145, und RFH-Bescheid vom 18. Juli 1934 IV A 12/34, RFHE 37, 13, RStBl 1934, 1087, zum Fall der Stillegung des erworbenen Konkurrenzunternehmens).
In Anlehnung an diese Entscheidungen stellt ein Teil des neueren Schrifttums für die Haftung darauf ab, ob der Erwerber sich die wirtschaftliche Kraft des übernommenen Unternehmens - sei es auch durch Verpachtung, Weiterveräußerung oder Stillegung zur Steigerung der Erträge des eigenen Betriebes - zuführen kann. Der vom Erwerber verfolgte Zweck (Absicht) soll lediglich insoweit von Bedeutung sein, als sich aus ihm Anzeichen dafür ergeben, ob die lebendige Kraft des erworbenen Unternehmens noch existiert (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 75 AO 1977 Anm. 1 und 4; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 75 AO 1977 Anm. 2 a; Helsper in Koch, Abgabenordnung - AO 1977, § 75 Anm. 9; Kötter, Neue Wirtschafts-Briefe - NWB - Fach 2, S. 1853). Der Senat braucht nicht abschließend zu entscheiden, welcher der hier vertretenen Meinungen er sich anschließt. Denn im Streitfall ist die Haftung des Klägers für die im Betrieb des erworbenen Wohnheims begründeten Umsatzsteuerschulden nach jeder der dargestellten Ansichten im Ergebnis zu bejahen.
b) Folgt man der u. a. vom IV. Senat des BFH vertretenen Auffassung, daß bereits die für den Erwerber bestehende Möglichkeit zur Fortführung des erworbenen Unternehmens die Haftung begründet, so ergibt sich, wie oben ausgeführt, die Haftung des Klägers schon daraus, daß die für einige Monate ausgeübte Tätigkeit des Zwangsverwalters gezeigt hat, daß das Wohnheim im Erwerbszeitpunkt in unveränderter Form und mit demselben wirtschaftlichen Erfolg wie beim Veräußerer fortführbar war. Denn der Zwangsverwalter hat nach den Feststellungen des FG während der Dauer der Zwangsverwaltung annähernd gleich hohe Umsätze erzielt wie der Unternehmensveräußerer. Es ist deshalb davon auszugehen, daß es sich bei dem vom Kläger und seinem Partner erworbenen Wohnheim um ein lebendes Unternehmen gehandelt hat, dessen wirtschaftliche Kraft sich auch die Erwerber haben zuführen können.
Der Kläger und sein Miterwerber haben nach Beendigung der Zwangsverwaltung aus dem erworbenen Unternehmen auch selbst die Früchte gezogen, die sich aus dem Bestehen des Unternehmens ergaben. Nach den den Senat bindenden, nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des FG haben sie bis zur einheitlichen unmöblierten Vermietung des Grundstücks an die Firma D das Heim weiterhin verschiedenen Firmen zur Unterbringung von Gastarbeitern und Monteuren zur Verfügung gestellt und damit bis zum August 1973 das Wohnheim in der bisherigen Form als Beherbergungsunternehmen fortgeführt.
c) Aus dem Vorstehenden folgt, daß auch unter Zugrundelegung der strengeren Auffassung, die für die Erfüllung des Haftungstatbestands nach § 116 AO die tatsächliche Betriebsfortführung und eine dahingehende Absicht des Erwerbers verlangt, die Inanspruchnahme des Klägers gerechtfertigt ist. Nach dieser Ansicht genügt es für die Entstehung der Haftung, wenn der Übernehmer den Betrieb für eine gewisse Zeit fortführt (v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 75 AO 1977 Anm. 7; Schulze zur Wiesche, DStR 1972, 560, 561; Barth, BB 1975, 1150, 1154). Es kann dahinstehen, ob eine von der Zeitdauer her ausreichende Fortführung des Unternehmens bereits darin gesehen werden kann, daß ab dem Zeitpunkt des Erwerbs durch den Kläger bis zum Mai 1971 der Zwangsverwalter das Wohnheim in unveränderter Form weiterbetrieben hat, und ob - so das FG - dessen Betriebsfortführung dem Kläger und seinem Miterwerber zugerechnet werden kann. Im Streitfall ergibt sich, wie oben ausgeführt, die Fortführung des Betriebs durch die Erwerber für eine gewisse Zeit jedenfalls daraus, daß diese von der Beendigung der Zwangsverwaltung an bis zum Zeitpunkt der einheitlichen Vermietung des gesamten Grundstücks an die Firma D im August 1973 weiterhin die in dem übernommenen Wohnheim vorhandenen Schlafplätze verschiedenen Firmen zur vorübergehenden Unterbringung von Gastarbeitern und Monteuren zur Verfügung gestellt haben.
Daß diese Weiterführung des Wohnheims bedingt durch die Renovierungsarbeiten und die beabsichtigte Änderung der Grundstücksnutzung (Vermietung des Grundstücks als ganzem) nur in eingeschränktem Umfang erfolgte, schließt auch nach der engeren Auslegung des § 116 AO die Haftung des Klägers nicht aus. Denn es kommt für die Haftung nicht darauf an, mit welchem wirtschaftlichen Erfolg ein Unternehmen fortgeführt wird (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., 11. Aufl., § 75 AO 1977 Tz. 4). Die Erwerber haben das Beherbergungsunternehmen in der im Zeitpunkt seiner Übernahme bestehenden Form immerhin länger als zwei Jahre fortgeführt. Die daraus erzielten Einnahmen waren nicht unerheblich. Sie lagen nach den Feststellungen des FG im Jahre 1971 (seit Übernahme durch die Erwerber) bei etwa der Hälfte, und in der Folgezeit bei etwa einem Drittel der Umsätze, die zuvor vom Veräußerer und vom Zwangsverwalter erzielt wurden. Ein Vergleich der Einkünfte (Gewinne) ist nicht möglich, weil die Erwerber in dieser Zeit erhebliche Aufwendungen für Renovierung und Modernisierung getätigt haben. Da jedenfalls die Fortführung des erworbenen Unternehmens für eine gewisse Zeit bereits den Haftungstatbestand begründet, kann dahingestellt bleiben, ob auch die ab August 1973 vorliegende bloße Vermögensverwaltung durch Vermietung des übernommenen Grundbesitzes als Betriebsfortführung anzusehen ist, oder ob es insoweit an der nach der strengeren Auffassung erforderlichen Identität zwischen dem übernommenen und dem weitergeführten Betrieb fehlte.
Die tatsächliche Schlußfolgerung des FG, die Absicht der (zumindest) vorübergehenden Fortführung des Wohnheims ergebe sich daraus, daß sich die Erwerber diese (rechtliche) Möglichkeit im Kaufvertrag hätten zusichern lassen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie ist möglich, nicht durch Denkfehler oder eine Verletzung von Erfahrungssätzen beeinflußt und deshalb für den erkennenden Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO; Gräber, a.a.O., § 118 Anm. 10). Gestützt wird die tatsächliche Würdigung des FG durch die Tatsache, daß nach dem Kaufvertrag 100 000 DM des Gesamtkaufpreises von 500 000 DM auf das Mobiliar des Wohnheims entfallen sollten und dieses in einem dem Vertrag beigefügten Inventarverzeichnis im einzelnen aufgeführt worden ist. Soweit der Kläger die festgestellten Tatsachen anders würdigt, kann dies deshalb vom Revisionsgericht nicht berücksichtigt werden. Seine Beurteilung hinsichtlich des mitveräußerten Mobiliars (Vermeidung eines Regreßanspruchs des H durch den B) ist zudem nicht schlüssig. Hinsichtlich der Zusicherung der Nutzbarkeit des Anwesens als Wohnheim im Vertrag räumt der Kläger selbst ein, daß die Erwerber damit etwaigen strafrechtlichen oder ordnungsrechtlichen Konflikten vorbeugen wollten. Solche waren aber nur für den Fall denkbar, daß die Erwerber das Wohnheim als solches weiterbetreiben würden.
3. Der Kläger und sein Partner haften somit als Miterwerber des Grundstücks und des auf diesem betriebenen Wohnheimunternehmens nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 AO neben dem Veräußerer und früheren Unternehmer H für die im Betrieb des Unternehmens innerhalb des gesetzlichen Haftungszeitraums begründete Umsatzsteuer 1970 und 1971. Die genannten Personen (Steuerschuldner und Haftungsschuldner) sind Gesamtschuldner (§ 7 Abs. 1 und 3 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -, §§ 421, 427, 431 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Die Ermessensentscheidung des FA, den Kläger und seinen Miterwerber in Anspruch zu nehmen (§ 7 Abs. 3 Satz 2 StAnpG, § 118 AO) ist nicht zu beanstanden. Das FA hat die Haftungsschuldner erst zur Leistung herangezogen, nachdem Vollstreckungsversuche beim Steuerschuldner erfolglos geblieben waren. Der Kläger und sein Miterwerber sind gleichermaßen für die gesamten Steuerrückstände als Haftende in Anspruch genommen worden (§ 7 Abs. 3 Satz 3 StAnpG, § 421 Satz 1 BGB). Gründe für die vorrangige Inanspruchnahme eines bestimmten Haftungsschuldners sind nicht vorgetragen worden und nicht ersichtlich.
Fundstellen