Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorläufiger Ansatz von einheitlich und gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen
Leitsatz (NV)
Sind die einheitlich und gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen nach § 155 Abs. 2 AO vorläufig angesetzt worden und ergeht, obwohl erforderlich, kein Grundlagenbescheid (auch kein negativer Feststellungsbescheid), der Bindungswirkung für den Folgebescheid hätte, verbleibt es (mangels einer Änderungsvorschrift) bei der auf der Grundlage des § 155 Abs. 2 AO durchgeführten Steuerfestsetzung (Anschluss an BFH-Urteile vom 24. Mai 2006 I R 9/05, BFH/NV 2006, 2019 und I R 93/05, BFHE 214, 7, BStBl II 2007, 76).
Normenkette
AO § 155 Abs. 2, § 162 Abs. 3, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 177 Abs. 2, § 181 Abs. 1 S. 1, § 182
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Streitjahren 1978 bis 1981 an der ehemaligen K-KG (KG) beteiligt. Bei der KG handelte es sich um eine Publikumsgesellschaft, an der sich auf der Grundlage eines einheitlichen Beteiligungsvertrages zahlreiche stille Gesellschafter beteiligten.
Der Kläger gab in seinen Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 1978 bis 1981 die auf ihn aus dieser Beteiligung entfallenden Verluste an und zwar in Höhe von 58 800 DM für 1978, 79 242 DM für 1979, 18 736 DM für 1980 und 19 107 DM für 1981. Diese Verluste waren ihm zuvor seitens der KG als die auf ihn entfallenden negativen Einkünfte aus Gewerbebetrieb mitgeteilt worden. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte die erklärten Verluste aus der KG-Beteiligung --mangels Vorliegens von Grundlagenbescheiden des Betriebsstättenfinanzamts-- gemäß §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO) erklärungsgemäß.
Für die KG wurden Feststellungserklärungen abgegeben. Feststellungsbescheide ergingen zunächst nicht. Das Betriebsstättenfinanzamt begann am 8. Dezember 1982 eine Außenprüfung bei der KG. In Auswertung der Prüfungsfeststellungen, wonach die geltend gemachten Verluste mangels Gewinnerzielungsabsicht nicht als gewerbliche Einkünfte zu beurteilen seien, erließ das Betriebsstättenfinanzamt am 6. November 1989 an die ehemalige stille Gesellschaft in der ehemaligen KG gerichtete Feststellungsbescheide, in denen eine Feststellung gewerblicher Beteiligungsverluste der 532 stillen Gesellschafter abgelehnt wurde. In der Begründung dieser Bescheide führte das Betriebsstättenfinanzamt aus, der stillen Gesellschaft fehle es an einer Gewinnerzielungsabsicht; zudem seien die an der KG beteiligten stillen Gesellschafter nicht als Mitunternehmer i.S. des § 15 des Einkommensteuergesetzes anzusehen.
Über diese Feststellungsbescheide erhielt das FA am 15. Juni 1990 eine Mitteilung des Betriebsstättenfinanzamts. Mit auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gestützten Änderungsbescheiden vom 10. September 1990 änderte das FA die Einkommensteuerbescheide 1978 bis 1981. Gewerbliche Einkünfte aus der KG-Beteiligung setzte es nicht mehr an.
Am 9. August 1991 erließ das Betriebsstättenfinanzamt Feststellungsbescheide für die Jahre 1978 bis 1981, in denen es den an der KG beteiligten stillen Gesellschaftern einen Verlust in Höhe von jeweils 0 DM zurechnete. In der Anlage zu diesen Feststellungsbescheiden hob das Betriebsstättenfinanzamt die Nichtfeststellungsbescheide vom 6. November 1989 auf.
Über die Feststellungsbescheide vom 9. August 1991 sowie über die Aufhebung der Nichtfeststellungsbescheide vom 6. November 1989 erhielt das FA am 9. August 1991 eine entsprechende Mitteilung. Das FA änderte die Einkommensteuerbescheide des Klägers für 1978 bis 1981 nicht erneut. Auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gestützte Änderungsbescheide unterblieben.
In einem die Gesellschaft KG II betreffenden Musterverfahren entschied das Finanzgericht (FG) Berlin am 11. April 2000 5 K 5256/96, für die Jahre 1978 bis 1981 sei im Zeitpunkt des Erlasses der Grundlagenbescheide am 9. August 1991 Feststellungsverjährung eingetreten gewesen. Das FG Berlin hob die die KG II betreffenden Feststellungsbescheide vom 9. August 1991 ersatzlos auf.
Das Betriebsstättenfinanzamt vertrat die Auffassung, dieses Urteil sei uneingeschränkt auch auf alle Gesellschafter der KG anzuwenden. Mit Bescheiden vom 20. August 2003 hob es daher auch die Feststellungsbescheide 1978 bis 1981 für alle Gesellschafter der KG vom 9. August 1991 auf. Gleichzeitig setzte das Betriebsstättenfinanzamt das FA davon in Kenntnis, dass die bislang gewährte Aussetzung der Vollziehung in Höhe von 2/3 der erklärten Verluste aufgehoben werde.
Mit Schreiben vom 26. September 2003 beantragte der Kläger beim FA, gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO den vorherigen Rechtszustand wieder herzustellen. Das Betriebsstättenfinanzamt habe nunmehr die negativen Gewinnfeststellungsbescheide vom 9. August 1991 für die Streitjahre wegen Verjährung ersatzlos aufgehoben. Daher seien die in den ursprünglichen Einkommensteuerbescheiden enthaltenen Verluste, die seinerzeit zutreffend gemäß § 162 Abs. 3 i.V.m. § 155 Abs. 2 AO angesetzt worden seien, wieder zu berücksichtigen.
Gegen den ablehnenden Bescheid des FA vom 15. Oktober 2003 legte der Kläger Einspruch ein. Das FA wies diesen mit Einspruchsentscheidung vom 23. September 2004 als unbegründet zurück. Es stellte im Wesentlichen darauf ab, dass die aufgrund des Eintritts der Feststellungsverjährung unterbliebene Feststellung bei der KG nicht zu einer neuen eigenständigen Prüfung durch das für den Erlass des Folgebescheids zuständige FA führe. Ergehe aus formellen Gründen kein Grundlagenbescheid mehr oder werde ein bereits erlassener Grundlagenbescheid aufgehoben, so könnten die entsprechenden Besteuerungsgrundlagen auch nicht im Einkommensteuerbescheid erfasst werden. Die Änderungsmöglichkeit des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sei dann insoweit anzuwenden, als die vormals im Wege der Schätzung ermittelten anteiligen Einkünfte nicht mehr zu berücksichtigen seien. Allein der Umstand, dass der Erlass eines Grundlagenbescheids wegen Feststellungsverjährung nicht mehr möglich sei, führe nicht dazu, dass die betreffenden Besteuerungsgrundlagen im Rahmen des Folgebescheids ermittelt und angesetzt werden könnten.
Das FG hat die dagegen erhobene Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1214 veröffentlichtem Urteil abgewiesen. Weder aus den Feststellungsbescheiden vom 9. August 1991 und ihrer Aufhebung durch die Bescheide vom 20. August 2003 noch aus den Feststellungsbescheiden vom 6. November 1989 ergebe sich eine eigenständige Ermittlungs- und Festsetzungskompetenz des FA, die es gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO dazu berechtigen und verpflichten würde, die vom Kläger begehrten Verlustbeträge in den Einkommensteuerbescheiden 1978 bis 1981 zu berücksichtigen. Die Feststellungsbescheide vom 9. August 1991 seien nicht aus dem Regelungsbereich des Feststellungsverfahrens ausgegliedert und damit nicht aus der Bindungswirkung des § 182 AO entlassen worden. Sie seien aufgehoben worden, weil im Zeitpunkt ihres Erlasses nach Auffassung des Betriebsstättenfinanzamts bereits Feststellungsverjährung eingetreten gewesen sei. Dies führe nicht zu einem Aufleben einer eigenen Ermittlungs- und Beurteilungskompetenz des FA. Folge sei vielmehr, dass die Besteuerungsgrundlagen nicht mehr gesondert festgestellt und damit nicht mehr in der betreffenden Einkommensteuerveranlagung berücksichtigt werden könnten. Darüber hinaus seien im Streitfall die Verlustfeststellungsbescheide vom 9. August 1991 in den Einkommensteuerbescheiden des Klägers für 1978 bis 1981 nicht ausgewertet worden. Die am 10. September 1990 ergangenen Einkommensteueränderungsbescheide seien nicht geändert worden. Die Feststellungsbescheide vom 9. August 1991 hätten damit keinen Eingang in die Einkommensteuerbescheide des Klägers 1978 bis 1981 gefunden. Deshalb könne auch die Aufhebung der in den Einkommensteuerbescheiden 1978 bis 1981 nicht umgesetzten Feststellungsbescheide vom 9. August 1991 für diese Einkommensteuerbescheide keine Bedeutung haben.
Darüber hinaus spreche einiges dafür, dass die Aufhebung der Feststellungsbescheide vom 9. August 1991 durch die Aufhebungsbescheide vom 20. August 2003 nicht zu einer ersatzlosen Aufhebung der Feststellungsbescheide geführt habe, sondern dass die ursprünglichen Feststellungsbescheide vom 6. November 1989, die mit den Feststellungsbescheiden vom 9. August 1991 ausdrücklich aufgehoben worden seien, wieder aufgelebt seien. Rechtliche Konsequenz der Aufhebung der Feststellungsbescheide vom 9. August 1991 sei nicht nur, dass die Feststellung eines Verlustanteils der stillen Gesellschafter von 0 DM aufgehoben worden sei. Darüber hinaus sei auch die Aufhebung der Feststellungsbescheide vom 6. November 1989 rückgängig gemacht worden. Andernfalls hätten die Aufhebungsbescheide vom 20. August 2003 eine Differenzierung vornehmen und zum Ausdruck bringen müssen, dass nur die Verlustfeststellung von 0 DM für die beteiligten stillen Gesellschafter aufgehoben werde, die Aufhebung der Feststellungsbescheide vom 6. November 1989 durch die Aufhebungsbescheide vom 20. August 2003 jedoch nicht berührt werde.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung von Bundesrecht. Das Betriebsstättenfinanzamt sei für die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung hinsichtlich der Beteiligung des Klägers zuständig gewesen. Es habe von dieser Kompetenz keinen Gebrauch gemacht. Diese Kompetenz gehe nicht auf das FA über. Dieses habe die vom Kläger erklärten Verluste in die Einkommensteuerfestsetzungen 1978 bis 1981 übernommen. Diese Bescheide seien bestandskräftig. Änderungen materieller Art seien nicht mehr möglich, doch seien unberechtigte Änderungen, für die keine Rechtsgrundlage bestehe, rückgängig zu machen. Änderungen aufgrund der Grundlagenbescheide vom 9. August 1991 seien nicht möglich gewesen, da Feststellungsverjährung eingetreten sei. Die negativen Gewinnfeststellungsbescheide vom 6. November 1989, die ursprünglich Grundlage der Änderung der Einkommensteuerbescheide gewesen seien, seien durch die Feststellungsbescheide vom 9. August 1991 aufgehoben worden. Die Feststellungsverjährung berühre nicht die Aufhebung der negativen Gewinnfeststellungsbescheide, da diese im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens nicht angegriffen worden sei.
Der Kläger beantragt, das FG-Urteil und die Einspruchsentscheidung vom 23. September 2004 aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Einkommensteuerbescheide 1978 bis 1981 dahingehend zu ändern, dass Verluste aus Gewerbebetrieb in Höhe von 58 800 DM für 1978, in Höhe von 79 242 DM für 1979, in Höhe von 18 736 DM für 1980 und in Höhe von 19 107 DM für 1981 zusätzlich berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Aufhebungsbescheide vom 20. August 2003 hätten die bindende Feststellung enthalten, dass eine (an sich gebotene) einheitliche und gesonderte Feststellung wegen des Eintritts der Feststellungsverjährung nicht mehr durchzuführen sei. Sei aber eine Besteuerungsgrundlage von der Regelung in einem Grundlagenbescheid abhängig, so gehe diese Abhängigkeit nicht dadurch verloren, dass Feststellungsverjährung eingetreten sei. Vielmehr bleibe in diesem Fall die Besteuerungsgrundlage für alle "Feststellungsbeteiligten" endgültig unberücksichtigt. Eine vorläufige Schätzungsbefugnis des Wohnsitzfinanzamts nach § 155 Abs. 2 AO erlösche, wenn ein Feststellungsbescheid wegen Eintritts der Feststellungsverjährung nicht mehr ergehen könne.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und das FA verpflichtet, die Einkommensteuerbescheide 1978 bis 1981 in der vom Kläger beantragten Weise zu ändern.
1. Der Kläger stützt sein Änderungsbegehren auf die Bescheide des Betriebsstättenfinanzamts vom 20. August 2003, mit denen das Betriebsstättenfinanzamt die Grundlagenbescheide vom 9. August 1991 aufgehoben hatte.
Wird ein Grundlagenbescheid aufgehoben, der sich auf einen Folgebescheid ausgewirkt hat, zwingt § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO das für den Folgebescheid zuständige Finanzamt --hier das FA-- zur Beseitigung der Folgen, die der aufgehobene Grundlagenbescheid in dem Folgebescheid bewirkt hat.
a) Mit den mit Bescheiden vom 20. August 2003 aufgehobenen Grundlagenbescheiden vom 9. August 1991 hob das Betriebsstättenfinanzamt einerseits die Feststellungsbescheide vom 6. November 1989 auf und erließ andererseits erneute Feststellungsbescheide, in denen es dem Kläger wie den übrigen in einer Anlage aufgeführten stillen Gesellschaftern keine Verluste zurechnete. Bei den aufgehobenen Feststellungsbescheiden vom 6. November 1989 handelte es sich um negative Feststellungsbescheide, mit denen festgestellt wurde, dass zwischen dem Kläger sowie den weiteren stillen Gesellschaftern und der KG keine Mitunternehmerschaft bestand. Infolgedessen waren dem Kläger keine Verluste aus seiner Beteiligung zuzurechnen.
b) Aufgrund der Feststellungsbescheide vom 6. November 1989 hatte das FA die den Kläger betreffenden Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre mit Änderungsbescheiden vom 10. September 1990 insoweit geändert, als es die bis dahin nach § 155 Abs. 2 AO erklärungsgemäß berücksichtigten Beteiligungsverluste aus der KG nicht mehr anerkannte und das Einkommen des Klägers um die entsprechenden Beträge erhöhte.
c) Mit Aufhebung der Feststellungsbescheide vom 6. November 1989 durch die Feststellungsbescheide vom 9. August 1991 hätte das FA gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO die in den Einkommensteuerbescheiden vom 10. September 1990 aufgrund der Feststellungsbescheide vom 6. November 1989 vorgenommene Entfernung des Ansatzes der Beteiligungsverluste rückgängig machen und die bis zu diesen Änderungsbescheiden nach § 155 Abs. 2 AO berücksichtigten Verluste aus der Beteiligung an der KG erneut einkommensmindernd ansetzen müssen.
d) Diese Änderungen hat das FA unterlassen. Der Grund dafür bestand offenbar darin, dass das Betriebsstättenfinanzamt mit den Grundlagenbescheiden vom 9. August 1991 --neben der Aufhebung der Feststellungsbescheide vom 6. November 1989-- festgestellt hatte, dass dem Kläger keine Verluste aus der KG zuzurechnen sind und das FA diese Feststellungen umsetzte. Zu Recht hat das FA bei dieser Konstellation keine neuen Einkommensteueränderungsbescheide erlassen, weil sich durch die Grundlagenbescheide vom 9. August 1991 an der in den Bescheiden vom 10. September 1990 festgesetzten Einkommensteuer nichts geändert hat. Zwar kann durch das Fehlen neuerlicher Einkommensteuerbescheide nach außen der Eindruck entstanden sein, das FA sei untätig gewesen. Der Sache nach hat das FA die Feststellungsbescheide vom 9. August 1991 jedoch ausgewertet. Andernfalls hätte es die nach den Bescheiden vom 6. November 1989 nicht mehr berücksichtigten erklärten Beteiligungsverluste wieder gemäß § 155 Abs. 2 AO ansetzen müssen. Somit haben sich die Grundlagenbescheide vom 9. August 1991 auf die den Kläger betreffenden Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre insofern ausgewirkt, als die gemäß § 155 Abs. 2 AO vorläufig berücksichtigten Beteiligungsverluste das Einkommen des Klägers nicht mehr minderten.
2. Indes bewirkt die am 20. August 2003 vorgenommene Aufhebung der Grundlagenbescheide vom 9. August 1991 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO die Pflicht des FA zum Rückgängigmachen der aus den aufgehobenen Grundlagenbescheiden vom 9. August 1991 gezogenen Folgerung, die Beteiligungsverluste des Klägers weiterhin nicht anzuerkennen.
a) Daraus folgt die weitere Verpflichtung des FA, durch die --vom Kläger am 26. September 2003 beantragte-- Änderung der Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre den Zustand wiederherzustellen, der vor den Feststellungsbescheiden vom 6. November 1989 bestand, also die nach § 155 Abs. 2 AO berücksichtigten Beteiligungsverluste wieder einkommensmindernd anzusetzen. Sind die einheitlich und gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen nach § 155 Abs. 2 AO vorläufig in der Steuerfestsetzung angesetzt worden und ergeht, obwohl erforderlich, kein Grundlagenbescheid (auch kein negativer Feststellungsbescheid), der Bindungswirkung für den Folgebescheid hätte, verbleibt es (mangels einer Änderungsvorschrift) bei der auf der Grundlage des § 155 Abs. 2 AO durchgeführten Steuerfestsetzung (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24. Mai 2006 I R 9/05, BFH/NV 2006, 2019, und I R 93/05, BFHE 214, 7, BStBl II 2007, 76; v.Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO § 177 Rz 12.7).
b) Damit sind bei der Einkommensteuerveranlagung des Klägers von ihm erklärte Beteiligungsverluste einkommensmindernd anzusetzen, ohne dass diese jemals in einem Grundlagenbescheid festgestellt wurden. Dieses auf den ersten Blick dem Regelungsmechanismus von Feststellungsverfahren gemäß §§ 179-182 AO einerseits und der Umsetzung der Feststellungen im Folgebescheid gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO andererseits widersprechende Ergebnis beruht auf der durch § 155 Abs. 2 AO eröffneten Möglichkeit, Einkünfte aus einer Beteiligung --gleichgültig, ob positive oder negative-- auch ohne Vorliegen eines Grundlagenbescheids in einem Folgebescheid anzusetzen, weil angenommen werden kann, dass die Beteiligungseinkünfte noch in einem Grundlagenbescheid festgestellt werden. Davon konnte und musste im Streitfall beim erstmaligen Ansatz der vom Kläger erklärten Beteiligungsverluste ausgegangen werden, weil es sich bei einer Kommanditgesellschaft um eine Gesellschaft handelt, deren Einkünfte nach § 180, § 179 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 AO zwingend dem Regime des Feststellungsverfahren unterworfen sind.
3. Der Verpflichtung des FA, die vom Kläger erklärten und zunächst nach § 155 Abs. 2 AO berücksichtigten Verluste aus der KG in den Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 1978 bis 1981 erneut anzusetzen, steht die in § 177 Abs. 2 AO eröffnete Saldierungsmöglichkeit nicht entgegen.
a) Nach dieser Vorschrift sind zwar, wenn ein Steuerbescheid zugunsten des Steuerpflichtigen geändert wird, in früheren Steuerbescheiden unterlaufene materielle Fehler zu berichtigen; das gilt auch bei einer Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO (BFH-Urteil vom 18. Dezember 1991 X R 38/90, BFHE 167, 1, BStBl II 1992, 504). Im Streitfall liegt aber kein "materieller Fehler" in diesem Sinne vor.
b) Nach § 177 Abs. 3 AO sind materielle Fehler i.S. des Abs. 2 der Vorschrift alle Fehler, die zur Festsetzung einer Steuer führen, die von der kraft Gesetzes entstandenen Steuer abweicht. Die "kraft Gesetzes entstandene" Steuer ist im Streitfall diejenige, die sich unter Berücksichtigung sowohl der sonstigen, nicht gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen als auch der Beteiligungseinkünfte des Klägers ergibt.
c) Hat der Steuerpflichtige Beteiligungseinkünfte erklärt, so ist die Klärung der Frage, ob die Durchführung eines Feststellungsverfahrens notwendig ist, dem Regime des Feststellungsverfahrens unterworfen, selbst wenn dessen Ergebnis darin besteht, die Notwendigkeit eines Feststellungsverfahrens zu verneinen. Nur dann, wenn ein sog. negativer Feststellungsbescheid, durch den die Notwendigkeit der Durchführung eines Feststellungsverfahrens verneint wird, ergangen ist und Bestand hat, obliegt die Beurteilung der steuerlichen Verhältnisse hinsichtlich der Beteiligungen an einer Personengesellschaft nicht mehr dem für diese Gesellschaft zuständigen Betriebsfinanzamt, sondern allein den Wohnsitzfinanzämtern der Beteiligten, im Streitfall also dem FA.
d) Daran fehlt es im Streitfall. Das Betriebsstättenfinanzamt hat zu keiner Zeit wirksam seine Zuständigkeit zur Durchführung eines Feststellungsverfahrens zur Feststellung der Beteiligungseinkünfte des Klägers verneint. Es hat die entsprechenden negativen Feststellungsbescheide vom 6. November 1989 und vom 9. August 1991 jeweils aufgehoben, zuletzt mit Bescheiden vom 20. August 2003 mit der Begründung, dass bereits am 9. August 1991 Feststellungsverjährung dem Erlass von Feststellungsbescheiden entgegengestanden sei.
e) Damit ist zu keiner Zeit eine Zuständigkeit des FA wirksam begründet worden, aus eigener Befugnis die Einkünfte des Klägers aus seiner Verbindung zu der KG zu ermitteln, und zwar unabhängig davon, ob die jeweiligen vom Betriebsstättenfinanzamt für die Aufhebung der Bescheide genannten Gründe tatsächlich gegeben waren. Es gibt keinen wirksamen Bescheid, der die Prüfung der Frage, ob der Kläger Verluste aus seiner Beteiligung erlitten hat, dem FA zuweist. Dieser Umstand steht der Versagung der Berücksichtigung der von ihm erklärten und vom FA in den Einkommensteuerveranlagungen gemäß § 155 Abs. 2 AO übernommenen Beteiligungsverluste entgegen (ebenso BFH-Urteile in BFH/NV 2006, 2019, und in BFHE 214, 7, BStBl II 2007, 76; v.Wedelstädt in Beermann/Gosch, a.a.O., § 177 Rz 12.7).
f) Ein anderes Ergebnis würde im Streitfall den Vorschriften über die Feststellungsverjährung (§ 181 Abs. 1 Satz 1 AO) die Wirkung nehmen und sie ins Leere laufen lassen. Es würde ebenso den Rechtsschutz der an einer KG Beteiligten beeinträchtigen, weil ohne wirksamen Feststellungsbescheid die Klärung der Rechtsnatur und der Rechtsfolgen ihrer Beteiligung entgegen der Zuordnung dieser Frage zum Feststellungsverfahren dem Wohnsitzfinanzamt überlassen wäre. Das widerspräche dem Regelungsmechanismus von Grundlagenbescheid und Folgebescheid. Die vom Kläger begehrten Änderungen seiner Einkommensteuerveranlagungen führen deshalb nicht zu materiell fehlerhaften Steuerbescheiden.
g) Einer Saldierung stünde schließlich auch § 177 Abs. 2 letzter Halbsatz AO entgegen. Danach kommt eine Saldierung mit den Fehlern nicht in Betracht, die Anlass der Aufhebung oder Änderung sind. Anlass der vom Kläger zutreffend nach § 175 AO erlangten Änderung seiner Einkommensteuerveranlagungen ist die Aufhebung der als fehlerhaft erkannten Feststellungsbescheide, die seine Beteiligung an der KG betreffen. Könnte im Streitfall eine Saldierung vorgenommen werden, käme der Aufhebung der Feststellungsbescheide die gegenteilige Wirkung zu, obwohl sie Anlass der vom Kläger erlangten Änderung seiner Einkommensteuerveranlagungen ist. Das widerspräche § 177 Abs. 2 letzter Halbsatz AO.
4. Dem Antrag des Klägers, das FA zu einer Änderung der Einkommensteuerveranlagungen zu verpflichten, steht keine Verjährung entgegen. Zwar ist die gemäß § 171 Abs. 10 AO nach Erlass, Änderung oder Aufhebung eines Grundlagenbescheides eintretende Ablaufhemmung von zwei Jahren bereits abgelaufen, weil die Aufhebungsbescheide bereits am 20. August 2003 ergangen sind. Doch hat der Kläger innerhalb dieser Frist --nämlich schon fünf Wochen nach Ergehen der Aufhebungsbescheide vom 20. August 2003-- die Änderung der Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre beantragt. Damit kommt er in den Genuss der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO mit der Folge, dass das FA die Bescheide antragsgemäß ändern muss (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 2019).
Fundstellen
BFH/NV 2009, 711 |
HFR 2009, 645 |