Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Rüge der unvorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO)
Leitsatz (NV)
Die Rüge, daß ein durch das Sitzungsprotokoll als bei der mündlichen Verhandlung anwesend ausgewiesener Richter an der mündlichen Verhandlung nicht mitgewirkt hat, ist nur durch eine substantiierte Darlegung möglich, daß das Sitzungsprotokoll berichtigt oder gefälscht worden ist (Anschluß an BFH-Urteil vom 2. Oktober 1984 IX R 31/80, nicht veröffentlicht).
Normenkette
FGO §§ 94, 116 Abs. 1 Nrn. 1-2; ZPO § 160 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, § 164 Abs. 1, § 165 S. 1
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) legten gegen das ihnen am 29. Mai 1992 zugestellte Urteil des Finanzgerichts (FG) vom 19. März 1992 am 29. Juni 1992 bei dem FG Revision ein. Das FG hatte die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger hat der Senat durch Beschluß vom 14. Juni 1993 zurückgewiesen.
In einem am 30. Juni 1992 beim FG eingegangenen Schriftsatz mit der Überschrift Revision geben die Kläger in Abschrift das finanzgerichtliche Urteil wieder und setzen ihre Revisionsbegründung zwischen die Absätze der Urteilsbegründung. Nach der Aufzählung der mitwirkenden Richter im Rubrum des Urteils haben die Kläger dem Sinne nach eingefügt, die ehrenamtlichen Richter hätten ab 16.30 Uhr gefehlt und seien der Verhandlung bis zum Ende um 18 Uhr ferngeblieben, ebenso bei der späteren Beratung und Urteilsentscheidung. Sie hätten während der mündlichen Verhandlung den Raum verlassen. Sie, die Kläger, rügten die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts.
In weiteren Anträgen vom 28. Juni 1992, vom 26. Juli 1992 - eingegangen beim Bundesfinanzhof (BFH) am 31. Juli 1992 -, vom 9. August 1992, vom 14. September 1992, vom 19. November 1992 und vom 1. Februar 1993 beantragten die Kläger Verlängerung der Frist zur Begründung der Revision, die ihnen jeweils - letztmals bis zum 31. März 1993 - gewährt wurde. Eine weitere Begründung der Revision ist beim BFH nicht eingegangen.
Das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 19. März 1992, die ab 12.10 Uhr anberaumt worden war, weist auf 12 Seiten aus, daß die mündliche Verhandlung mehrfach unterbrochen worden ist. Sie wurde zunächst zweimal unterbrochen, weil der Prozeßbevollmächtigte der Kläger gegen Berufsrichter Ablehnungsanträge gestellt hatte, zuerst gegen die Vorsitzende Richterin am FG A und den Richter am FG B - Seite 2 des Protokolls -, nach Fortsetzung der mündlichen Verhandlung gegen die daran beteiligten Berufsrichter C, D und E - Seite 4, a.a.O. Drei weitere Unterbrechungen der mündlichen Verhandlung folgten nach Zurückweisung der Ablehnungsanträge, weil der Prozeßbevollmächtigte der Kläger anstelle des auf Tonträger gesprochenen Protokolls die schriftliche Protokollierung beantragt hatte - Seite 5, a.a.O. -, nach einer Ablehnung der dagegen eingelegten Beschwerde - Seite 6, a.a.O. - ferner nach Verkündung der Ablehnung des Befangenheitsantrags gegen den Richter am FG F - Seite 7, a.a.O. -, der den Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt hatte, aber nicht an der mündlichen Verhandlung beteiligt war. Die mündliche Verhandlung wurde gegen 16 Uhr in der ursprünglichen Besetzung fortgesetzt - Seite 7, a.a.O. Um 17.40 Uhr wurde die mündliche Verhandlung erneut für fünf Minuten unterbrochen, um einige Schriftsätze abzulichten - Seite 11, a.a.O. Die Beteiligten setzten die mündliche Verhandlung - nach dem Sitzungsprotokoll - fort und nahmen eingehend zu ihren Anträgen Stellung. Die Vorsitzende schloß die mündliche Verhandlung und verkündete den Beschluß, daß eine Entscheidung am Schluß der Sitzung verkündet werde. Am Schluß der Sitzung wurde nach Beratung und erneutem Aufruf der Sache die Abweisung der Klage verkündet. Von den Beteiligten war - nach dem Sitzungsprotokoll - niemand erschienen.
Als ehrenamtliche Richter waren nach dem Protokoll über die mündliche Verhandlung anwesend: G und H. Sie haben an den Beschlüssen über die Ablehnung der erwähnten Berufsrichter mit Ausnahme des Beschlusses wegen der Ablehnung des Richters am FG F mitgewirkt. Dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger ist die Sitzungsniederschrift, die ihm nach dem Akteninhalt zusammen mit dem Urteil mit Postzustellungsurkunde zugestellt worden war, auf seinen Antrag am 17. Juni 1992 durch Telekopie übermittelt worden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
Nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) findet abweichend von § 115 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Revision nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der BFH sie zugelassen hat. Einer Zulassung der Revision bedarf es nicht, wenn einer der in § 116 Abs. 1 FGO genannten Verfahrensmängel gerügt wird.
Im Streitfall ist keine dieser Voraussetzungen erfüllt.
1. Die Revision ist weder vom FG noch vom BFH zugelassen worden. Der erkennende Senat hat die Nichtzulassungsbeschwerde durch Beschluß vom 14. Juni 1993 zurückgewiesen.
2. Die Revision ist auch nicht nach § 116 Abs. 1 FGO statthaft. Die Kläger haben keinen der dort genannten Verfahrensfehler ordnungsgemäß gerügt.
a) Die Kläger haben zwar behauptet, die ehrenamtlichen Richter hätten den Sitzungssaal während der mündlichen Verhandlung verlassen, hätten ab 16.30 Uhr gefehlt und seien der Verhandlung bis zum Ende um 18 Uhr ebenso wie der Beratung und der Urteilsentscheidung ferngeblieben. Die darin liegende Rüge, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO), wird im Revisionsverfahren aber nur berücksichtigt, wenn der Verfahrensmangel wirksam gerügt worden ist. Für eine schlüssige Rüge dieses Mangels ist es notwendig, daß durch einen lückenlosen Vortrag (vgl. BFH-Beschluß vom 27. Juli 1992 IX R 81/91, BFH/NV 1993, 114) die Beweiskraft der Sitzungsniederschrift in Zweifel gezogen wird, wenn sie das Gegenteil bezeugt. Das Sitzungsprotokoll beweist als öffentliche Urkunde die Beachtung der für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten (§ 94 FGO i.V.m. § 165 Satz 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO -; vgl. zur Beweiskraft des Sitzungsprotokolls: Stöber in Zöller, Zivilprozeßordnung, 18. Aufl., Vorb. zu §§ 159 bis 165 Rz. 2, § 160 Rz. 1, § 165 Rz. 1). Zu den im Sitzungsprotokoll zu beurkundenden Förmlichkeiten gehört auch die Angabe, welche Richter an der mündlichen Verhandlung teilgenommen haben (§ 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Die Rüge, daß ein durch das Sitzungsprotokoll als bei der mündlichen Verhandlung anwesend ausgewiesener Richter an der mündlichen Verhandlung nicht mitgewirkt hat, ist nur durch eine substantiierte Darlegung möglich, daß das Sitzungsprotokoll berichtigt oder gefälscht worden ist (so auch BFH-Urteil vom 2. Oktober 1984 IX R 31/80, nicht veröffentlicht). Allgemeine und lückenhafte Behauptungen reichen nicht aus (vgl. BFH-Beschluß vom 28. August 1986 V R 18/86, BFHE 147, 402, BStBl II 1986, 908). Die Sitzungsniederschrift beweist (§ 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 1 Nr. 2, § 165 Satz 1 ZPO; vgl. dazu Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 51. Aufl., § 165 Anm. 1), daß die ehrenamtlichen Richter anwesend waren (Seite 1 des Sitzungsprotokolls) und daß sie nach der Ablehnung der Befangenheitsanträge gegen die Vorsitzende Richterin und den Richter am FG B an der Fortsetzung der mündlichen Verhandlung beteiligt waren (Seite 6). Daß sich die ehrenamtlichen Richter entfernt hätten und nicht an der Beratung teilgenommen hätten, ist nicht beurkundet worden, obwohl alle wesentlichen Vorgänge (§ 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 2 ZPO) hätten beurkundet werden müssen. Daß sie an der Entscheidung mitgewirkt haben, wird außer durch das Protokoll auch durch den Urteilseingang (Rubrum) bewiesen.
Das Vorbringen der Kläger ist unschlüssig, weil sie nicht auf eine auch noch nach Einlegung eines Rechtsmittels mögliche (vgl. Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Juli 1980 I B 327/78, Monatsschrift für Deutsches Recht 1981, 166) Berichtigung des Protokolls (vgl. § 94 FGO, § 164 Abs. 1 ZPO) hingewirkt haben und weil sie nicht substantiiert behaupten, der Inhalt der Sitzungsniederschrift sei gefälscht (§ 94 FGO i.V.m. § 165 Satz 2 ZPO). Sie lassen auch nicht erkennen, worauf sich ihre Behauptung, die ehrenamtlichen Richter hätten bei der Beratung und Entscheidungsfindung nicht mitgewirkt, stützt. Schließlich tragen sie nicht vor (vgl. dazu BFH in BFHE 147, 402, BStBl II 1986, 908), ob und was in der Abwesenheit der ehrenamtlichen Finanzrichter verhandelt worden ist. Da sie auf ihre ursprüngliche Begründung trotz mehrfacher Fristverlängerungsbegehren nicht mehr eingehen, stellt sich ihr Vorbringen als bloße, nicht substantiierte Behauptung dar.
Dies gilt auch, soweit die Angriffe der Kläger sich auf die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch gegen den Richter F beziehen sollten, an der die ehrenamtlichen Richter nicht mitzuwirken brauchten, weil die Entscheidung nicht aufgrund mündlicher Verhandlung getroffen worden war (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 21. Mai 1992 V B 234/91, BFH/NV 1993, 661).
b) Die Revision ist auch nicht nach § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO zuzulassen, weil die Kläger nicht geltend machen können, daß an der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der mit Erfolg abgelehnt worden war.
Fundstellen
Haufe-Index 419566 |
BFH/NV 1994, 722 |