Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusammenballung bei Vergleichsvereinbarung über langjährige Schadensersatzansprüche
Leitsatz (NV)
1. Außerordentliche Einkünfte i.S. der §§ 34 Abs. 1 und Abs. 2, 24 Nr. 1 Buchst. a EStG sind nur gegeben, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen.
2. Der Zufluss von Entschädigungen in verschiedenen Veranlagungszeiträumen steht der tarifbegünstigten Besteuerung jeder dieser Entschädigungen nicht entgegen, wenn ein Steuerpflichtiger von einem Dritten Ersatz für wegen einer unerlaubten Handlung entgehende Einnahmen auf Grund von mehreren gesonderten und unterschiedliche Zeiträume betreffenden Vereinbarungen erhält.
Normenkette
FGO § 118 Abs. 2; EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 34 Abs. 1-2; BGB § 839 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der dem Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) im Streitjahr 1994 von seinem Arbeitgeber gezahlte Betrag in Höhe von 1 990 000 DM gemäß § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) tarifermäßigt zu besteuern ist.
Der Kläger war seit den 70er Jahren als … bei der A tätig. In den Jahren 1979 und 1980 bewarb er sich bei der X, wurde jedoch aufgrund einer zwischen der A und der X bestehenden mündlichen Absprache abgelehnt. Daraufhin klagte er mit Erfolg gegen die A auf Ersatz desjenigen Schadens, der ihm durch die Nichteinstellung entstanden war. Seine zunächst auf den Zeitraum 1980 bis 1982 beschränkte Klage erweiterte er, nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) seinen Anspruch auf Schadensersatz aus § 839 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) i.V.m. Art. 34 des Grundgesetzes (GG) dem Grunde nach bestätigt hatte, auf den Zeitraum der Jahre 1980 bis einschließlich 1987. Die A erklärte, auf der Basis des Grundurteils alle weiteren Schäden und Ausfälle des Klägers zu ersetzen und auf die Einrede der Verjährung zu verzichten. Mit Urteil vom … 1988 entschied das Oberlandesgericht (OLG) T, der Kläger habe für die Zeit vom 1. Januar 1980 bis zum 31. Dezember 1987 Anspruch auf die Differenz zwischen dem Gehalt eines X-Angestellten und dem ihm von der A gezahlten Gehalt und damit auf Schadensersatz in Höhe von 152 533,06 DM.
Im Anschluss an dieses Urteil kam es zu langwierigen Verhandlungen hinsichtlich des Umfangs seiner Schadensersatzansprüche ab dem 1. Januar 1988, die dabei umfassend streitig blieben. Die A leistete zeitweise unter Vorbehalt Akontozahlungen, deren Höhe und zeitliche Erstreckung vom Finanzgericht (FG) nicht im Einzelnen festgestellt wurden.
Schließlich schloss der Kläger unter dem 30. Dezember 1994 einen "Abfindungsvergleich", der u.a. folgende Regelungen vorsah:
"1. Zur Abfindung aller Ansprüche, die Herrn … aufgrund der Urteile des Oberlandesgerichts T vom … 1985 …, des Bundesgerichtshofs vom … 1986 … und des OLG T vom … 1988 … gegen die A zustehen, zahlt die A an Herrn … einen abschließenden Restbetrag in Höhe von 1 990 000,-- DM (…) bis zum 31. Dezember 1994.
2. Die vertragschließenden Parteien sind sich darüber einig, daß mit diesem Vergleich alle Ansprüche des Herrn …, die sich aus den genannten Gerichtsentscheidungen ergeben, abgefunden sind, und zwar auch zukünftige und unvorhergesehene Ansprüche. Eine Abänderung dieses Vergleichs wegen Wegfalls oder Veränderung der Berechnungsgrundlage für die Schadenshöhe kann von der A nur verlangt werden, wenn Herr … aus von ihm zu vertretenden Gründen vorzeitig aus der A ausscheidet und höhere Erwerbseinkünfte bezieht als ihm von A zustehen würden."
Der Abfindungsbetrag wurde dem Kläger noch zum Ende des Streitjahres 1994 ausgezahlt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) besteuerte die Zahlung unter Abzug von Anwaltskosten in Höhe von 69 651 DM zunächst im Einkommensteuerbescheid vom 19. Februar 1996 ermäßigt gemäß § 34 Abs. 1 EStG unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Später änderte das FA den Bescheid wiederholt mit unterschiedlichen Begründungen und unterwarf den Betrag im Bescheid vom 4. Juni 1999 als laufende Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit der Regelbesteuerung. Den Einspruch des Klägers wies es als unbegründet zurück. Es fehle an einer Zusammenballung der Zahlungen zur Erfüllung des einheitlichen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs und an einer gegenüber dem BGH-Urteil neuen Rechtsgrundlage, die Vereinbarung betreffe nur Zahlungsmodalitäten.
Der hiergegen erhobenen Klage gab das FG statt. Der Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 839 BGB sei als neue Rechts- und Billigkeitsgrundlage anzusehen, die an die Stelle eines fiktiven Vergütungsanspruchs gegen die A getreten sei. Am Entschädigungscharakter der Zahlung ändere es nichts, dass diese unmittelbar auf der Abfindung beruhe. Die Vereinbarung ändere nicht nur die Zahlungsmodalität des Anspruchs auf wiederkehrende Schadensersatzansprüche, sondern lasse einen weiteren, auf neuer Rechtsgrundlage beruhenden Anspruch entstehen, der die Ungewissheit über die Höhe der noch zu erbringenden Leistungen beseitige. Dies sei ein aliud gegenüber dem bisherigen gesetzlichen Anspruch. Ob der Kläger bei dem Vergleich unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck gestanden habe, sei unerheblich, da der Schadensersatzanspruch auf einer unerlaubten Handlung beruhe, an der er nicht mitgewirkt habe und der seinem eigentlichen Charakter nach eine Entschädigung bleibe.
Auch die für die Tarifbegünstigung erforderliche Zusammenballung sei gegeben. Der Abfindungsvertrag sei als aliud eine neue, gesondert zu betrachtende Rechtsgrundlage. Die zuvor geleisteten Zahlungen seien unschädlich, da sie nicht Gegenstand des Vergleichsvertrages als neuer Rechtsgrundlage gewesen seien und teils auf den Urteilen, teils --so die Akontozahlungen-- unmittelbar auf dem Gesetz und jedenfalls nicht auf der Vereinbarung beruhten. Dies entspreche der Rechtsprechung zur Kapitalabfindung von Versorgungsleistungen. Im Übrigen wäre in der Konstellation des Streitfalls eine Ausnahme vom Erfordernis der Zusammenballung und eine Unterteilung in einzelne Zeitabschnitte (1980/1987, 1988/1994 und ab 1995) geboten. Da der Klage ohnehin stattzugeben sei, bedürfe es keiner weiteren Aufklärung, ob dem Kläger seinerzeit eine begünstigte Besteuerung der Entschädigung verbindlich zugesagt worden sei.
Das FA führt zur Begründung seiner Revision an, das FG habe zu Unrecht den zusammengeballten Zufluss der Entschädigung bejaht. Für den Begriff der Außerordentlichkeit komme es darauf an, ob alle Zahlungen, die auf der Rechtsgrundlage der verhinderten Einstellung des Klägers beruhten, zusammengeballt zugeflossen seien. Die aufgrund der Vereinbarung geleisteten Zahlungen seien gegenüber den früheren Zahlungen kein aliud, sondern Erfüllungsleistungen auf den einheitlichen Schadensersatzanspruch. Die früheren Zahlungen seien auch nicht geringfügig gewesen. Stelle man aber darauf ab, dass der Vergleich ein neuer, zweiter Anspruch sei, dann fehle es am Merkmal der Zwangslage.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Abfindung könne nicht als Erfüllung im Sinne einer Teilleistung auf einen "einheitlichen Schadensersatzanspruch" angesehen werden. Zum einen habe er, der Kläger, Monat für Monat neue Schadensersatzansprüche erworben, deren Höhe jeweils neu zu berechnen gewesen wären. Zum anderen habe das OLG auch nur über den Zeitraum bis Ende 1987 entschieden. Für die Zeit ab dem 1. Januar 1988 seien seine Ansprüche umfassend streitig geblieben. Der Vergleich habe sich nur über diesen Zeitraum erstreckt, wobei sich --wie ein möglicherweise nicht in den Akten befindliches Anschreiben zeige-- die Entschädigung auf einen Betrag von 2 284 000 DM belaufe, von dem die bereits geleisteten Akontozahlungen in Höhe von 264 000 DM sowie ggf. weitere 30 000 DM Überzahlungen in Abzug kommen sollten. Im Übrigen verweist er auf sein Vorbringen vor dem FG, wonach ihm vor Abschluss der Vereinbarung von seinem Sachbearbeiter im FA nach Rücksprache mit dem Sachgebietsleiter eine begünstigte Besteuerung der Entschädigung zugesagt worden sei. Dass diese Auskunft nicht verbindlich sein sollte, sei für ihn weder zu erkennen gewesen noch sei er darauf hingewiesen worden.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die tatsächlichen Feststellungen des FG reichen nicht aus, um dem Senat eine abschließende Entscheidung über die Revision zu ermöglichen.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats sind außerordentliche Einkünfte i.S. der §§ 34 Abs. 1 und Abs. 2, 24 Nr. 1 Buchst. a EStG nur gegeben, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen. Die ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG bezweckt, die Härten auszugleichen, die sich aus der progressiven Besteuerung ergeben. Dementsprechend sind Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG grundsätzlich nur dann außerordentliche Einkünfte, wenn die Entschädigung für entgangene oder entgehende Einnahmen, die sich bei normalem Ablauf auf mehrere Jahre verteilt hätten, vollständig in einem Betrag gezahlt wird oder wenn die Entschädigung nur Einnahmen eines Jahres ersetzt, sofern sie im Jahr der Zahlung mit weiteren Einkünften zusammenfällt und der Steuerpflichtige im Jahr der entgangenen Einnahmen keine weiteren (nennenswerten) Einnahmen gehabt hat (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 6. September 2000 XI R 19/00, BFH/NV 2001, 431).
Mit Urteil vom 21. Januar 2004 XI R 40/02 (BFHE 205, 129, BStBl II 2004, 716) hat der Senat entschieden, dass ausnahmsweise der Zufluss von Entschädigungen in verschiedenen Veranlagungszeiträumen der tarifbegünstigten Besteuerung jeder dieser Entschädigungen nicht entgegensteht, wenn ein Steuerpflichtiger von einem Dritten Ersatz für wegen einer unerlaubten Handlung entgehende Einnahmen aufgrund von mehreren gesonderten und unterschiedliche Zeiträume betreffenden Vereinbarungen erhält.
2. Mit der am 30. Dezember 1994 abgeschlossenen Abfindungsvereinbarung sollten alle Ansprüche des Klägers gegen die Bundesrepublik ab dem 1. Januar 1988 abgefunden werden. Die Entschädigung ist dem Kläger nicht zusammengeballt zugeflossen. Nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG (vgl. BFH-Urteile vom 24. Januar 2002 XI R 43/99, BFHE 197, 522, BStBl II 2004, 442, und vom 16. Juni 2004 XI R 55/03, BFHE 206, 544, BStBl II 2004, 1055) gehören zur Entschädigung für entgehende Einnahmen sämtliche Leistungen, zu denen der die Entschädigung Leistende verpflichtet ist. Im Streitfall zählen zu der Entschädigung für den Zeitraum ab dem 1. Januar 1988 neben der vereinbarten Abfindungssumme auch die unstreitig geleisteten, wenn auch der Höhe nach vom FG nicht festgestellten Akontozahlungen, denn sie wurden für den von der Vereinbarung umfassenden Zeitraum geleistet.
Der Senat sieht zwar keine Anhaltspunkte dafür, dass die Akontozahlungen dem Grunde und der Höhe nach als soziale Ergänzungsleistungen im Sinne der neueren Rechtsprechung anzusehen wären oder so geringfügig gewesen wären, dass eine Versagung der Begünstigung gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen würde (vgl. BFH-Urteile vom 21. Januar 2004 XI R 33/02, BFHE 205, 125, BStBl II 2004, 715, und vom 14. Januar 2004 X R 37/02, BFHE 205, 96, BStBl II 2004, 493). Er kann aber auf der Grundlage der Feststellungen des FG nicht abschließend beurteilen, ob der Sachverhalt möglicherweise mit dem des Senatsurteils in BFHE 205, 129, BStBl II 2004, 716 vergleichbar ist. Das FG konnte dieses Urteil bei seiner Entscheidung noch nicht berücksichtigen. Im Gegensatz zur Auffassung des FA stehen danach zumindest die Zahlungen, die aufgrund der vom OLG ausgeurteilten Schadensersatzansprüche geleistet wurden, einer Begünstigung nicht entgegen.
Das vom Kläger erstmals im Revisionsverfahren vorgelegte Begeleitschreiben zum Abfindungsvergleich vom 30. Dezember 1994 kann der Senat nicht berücksichtigen, da er seiner Entscheidung gemäß § 118 Abs. 2 FGO nur die tatsächlichen Feststellungen des FG zugrunde legen darf. Das FG hat zu einem Begleitschreiben keine Feststellungen getroffen.
3. Die Sache ist nicht spruchreif und geht daher zurück an das FG. Dieses hat die Frage, ob das FA dem Kläger vor Abschluss der Vereinbarung eine begünstigte Besteuerung der Entschädigung zugesagt hatte, --auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung zu Recht-- nicht geprüft. Die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen für den erkennenden Senat nicht aus, um die Frage selbst entscheiden zu können. Das FG wird --vorbehaltlich anderer Erkenntnisse aufgrund neuen Vorbringens im zweiten Rechtsgang-- zu klären und zu entscheiden haben, ob der zuständige Sachbearbeiter nach Rücksprache mit seinem Sachgebietsleiter --möglicherweise als dessen Bote-- dem Kläger die begünstigte Besteuerung einer noch zu vereinbarenden Schadensersatzabfindung in Kenntnis der Akontozahlungen zugesagt hatte, und der Kläger auf die Verbindlichkeit der Auskunft vertrauen durfte.
Es bleibt dem Kläger unbenommen, das erstmals im Revisionsverfahren vorgelegte Begleitschreiben dem FG im zweiten Rechtsgang vorzulegen. Dieses wird sodann unter Berücksichtigung des Inhalts des Begleitschreibens, ggf. weiterer Umstände wie etwa seinerzeit angestellter Schadensersatzberechnungen und der noch zu ermittelnden Zeiträume, für die Abschlagszahlungen geleistet worden sind, zu entscheiden haben, ob der Abfindungsvergleich dahingehend zu verstehen ist, dass von einer vergleichbaren Segmentierung wie in dem Verfahren in BFHE 205, 129, BStBl II 2004, 716 auszugehen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 1679488 |
BFH/NV 2007, 408 |
HFR 2007, 123 |