Entscheidungsstichwort (Thema)
"Anbringen" einer Klage im Sinne von § 47 Abs. 2 FGO
Leitsatz (NV)
1. Eine Klage ist im Sinne von § 47 Abs. 2 FGO ,,angebracht", wenn sie derart in den Verfügungsbereich der Behörde gelangt ist, daß diese davon Kenntnis nehmen kann. Das ist nicht der Fall, wenn die Klageschrift nur in den räumlichen Machtbereich der Behörde gelangt, ohne daß diese mittelbar oder unmittelbar als Empfänger angesprochen ist.
2. Zur Frage der richtigen Rechtsbehelfsbelehrung und Wiedereinsetzung.
Normenkette
FGO § 47 Abs. 2, § 56
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG |
Tatbestand
Gegen die Einkommensteuerbescheide 1968 bis 1977 legten die Kläger und Revisionskläger (Kläger) Einsprüche ein, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) mit Einspruchsentscheidungen vom 27. bzw. 28. Oktober 1981 zurückwies. Diese wurden dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger am 2. November 1981 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt.Die hiergegen gerichtete und an das Finanzgericht (FG) adressierte Klageschrift ging beim FG am Montag, dem 7. Dezember 1981 ein, und zwar in einem verschlossenen, unfrankierten, ebenfalls an das FG adressierten und mit der Anschrift des Prozeßbevollmächtigten als Absender versehenen Umschlag. Nach den Feststellungen des FG haben die Kläger den Umschlag mit der Klageschrift am Abend des 1. Dezember 1981 (Dienstag) in den Briefkasten des FA eingeworfen. Das FG ließ dabei dahingestellt, ob der Umschlag entsprechend der Behauptung der Kläger beim Einwurf in den Briefkasten des FA unverschlossen war. Weder die Klageschrift noch der Umschlag sind mit einem Eingangsstempel des FA versehen.
Das FG stellte dem FA die Klage zu und wies in einem Begleitschreiben auf das Eingangsdatum der Klageschrift (7. Dezember 1981) hin. Die dem Prozeßbevollmächtigten zur Kenntnisnahme gleichzeitig zugesandte Abschrift dieses Begleitschreibens wurde diesem am 10. Dezember 1981 zugestellt. Mit Schreiben vom 10. Februar 1982 machte das FA die Verspätung der Klageerhebung geltend, worauf die Kläger mit Schreiben vom 23. Februar 1982 hilfsweise um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) baten.
Das FG wies die Klage als unzulässig ab.
Mit der Revision machen die Kläger geltend, das Urteil des FG beruhe auf einer unzutreffenden Auslegung des § 47 Abs. 2 FGO, da diese dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift, dem Schutz der Revisionskläger zu dienen, nicht gerecht werde und auch mit dem Grundgesetz (GG) nicht im Einklang stehe.
Sie beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das FG ging zu Recht davon aus, daß weder die Klage nach § 47 Abs. 2 FGO rechtzeitig erhoben (angebracht) worden ist noch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO zu gewähren war.
1. Nach § 47 Abs. 1, § 64 Abs. 1 Satz 1 FGO ist eine Klage grundsätzlich innerhalb der Klagefrist beim FG zu erheben. Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO gilt die Frist für die Erhebung einer Klage als gewahrt, wenn diese u.a. bei der Behörde, die die angefochtene Entscheidung erlassen hat, innerhalb der Frist angebracht oder zur Niederschrift gegeben wird. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) im Anschluß an das Urteil vom 5. Dezember 1974 IV R 179/70 (BFHE 114, 402, BStBl II 1975, 337) ist eine Klage im Sinne von § 47 Abs. 2 FGO ,,angebracht", wenn sie derart in den Verfügungsbereich der Behörde gelangt ist, daß diese davon Kenntnis nehmen kann. Das ist jedoch dann nicht der Fall, wenn die Klageschrift sich lediglich im räumlichen Machtbereich des FA befindet, die Behörde aber weder mittelbar noch unmittelbar als Empfänger angesprochen ist.
Die teilweise vertretene Auffassung (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 47 FGO Tz. 5; Schröder, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1982, 515), es genüge, wenn die Klage lediglich in den räumlichen Machtbereich des FA gelange, vermag bereits nach dem Wortlaut nicht zu überzeugen. So läßt sich ,,anbringen" im Sinne von ,,eine Klage oder ähnliches anbringen" nicht mit einem schlichten ,,an die Behörde bringen" umschreiben. Vielmehr enthält ,,anbringen" im vorliegenden Sinne eine gewisse Zielgerichtetheit auf einen notwendigen Empfänger bzw. ein Ansprechen des Empfängers (vgl. Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1980: etwas anbringen [fig.], vortragen, äußern, mitteilen, eine Klage/Beschwerde anbringen, eine Bemerkung gesprächsweise anbringen, ich konnte meine Bitte nicht anbringen; Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 1976: vorbringen [beiläufig] zur Sprache bringen, äußern, eine Beschwerde/eine Bitte bei jemandem anbringen).
Beim FA angebracht ist daher eine Klage nur, wenn der die Klageschrift enthaltende Briefumschlag erkennbar für das FA bestimmt ist (vgl. BFHE 114, 402, BStBl II 1975, 337) oder das FA jedenfalls eine zwar postalisch an das FG gerichtete, aber in den Briefkasten des FA eingeworfene Klageschrift tatsächlich zur Kenntnis nimmt (vgl. BFH-Urteil vom 26. August 1977 VI R 98/75, BFHE 123, 122, BStBl II 1977, 841).
Im vorliegenden Fall war die Klageschrift zwar in den räumlichen Machtbereich des FA gelangt, jedoch war der Brief ausschließlich an das FG adressiert und das FA damit nicht angesprochen, so daß es an einer wirksamen Anbringung der Klage im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO fehlt. Das FG hat es auch zu Recht dahingestellt gelassen, ob der Umschlag verschlossen war oder nicht, denn auch bei einem unverschlossenen, an einen anderen adressierten Umschlag ist das FA nicht berechtigt, sich von dessen Inhalt Kenntnis zu verschaffen. Im Gegenteil ist davon auszugehen, daß der Absender eine inhaltliche Kenntnisnahme durch nicht benannte Dritte gerade nicht will; andernfalls würde er dies eindeutig zum Ausdruck bringen. Erst der Zugang beim FG ist dann dafür entscheidend, ob die Klagefrist gewahrt ist, was das FG zu Recht verneint hat.
Der Anlauf der Rechtsbehelfsfrist war dabei - entgegen der Ansicht der Kläger - auch nicht etwa durch eine unrichtige oder fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung gehemmt. Diese stimmt vielmehr insoweit mit dem Gesetzeswortlaut überein. Entsprechend beruht auch die Fristversäumnis nicht auf einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung, sondern auf einem bereits vom Wortlaut her unrichtigen Verständnis des Begriffs ,,anbringen".
Die vom BFH in ständiger Rechtsprechung angewandte Auslegung des § 47 Abs. 2 FGO verstößt nicht gegen Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG. Das von den Klägern angezogene Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. Februar 1976 2 BvR 625/75 (BVerfGE 41, 323) betrifft die Frage, ob erforderlich ist, daß ein Bediensteter der Behörde innerhalb der Frist von einem Rechtsmittel bzw. Rechtsbehelf Kenntnis erlangt haben muß, was auch vom BFH keineswegs gefordert wird. Erforderlich ist jedoch, und dies wird auch vom BVerfG in seiner Entscheidung vorausgesetzt, daß das Rechtsmittel bzw. der Rechtsbehelf überhaupt in einer Weise an die Behörde gelangt, daß diese ohne Verstoß gegen das Briefgeheimnis in der Lage ist, von der Schrift Kenntnis zu nehmen. Dies ist bei einem an einen Dritten adressierten Brief nicht der Fall.
2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht.
Nach § 56 Abs. 1 FGO ist demjenigen auf Antrag Wiedereinsetzung zu gewähren, der ohne Verschulden daran gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dem FG ist darin zu folgen, daß die Frist schuldhaft versäumt worden ist. Wenn der Bevollmächtigte der Kläger am Abend einen unfrankierten Brief an das Schleswig-Holsteinische FG in Kiel beim FA in A. in den Briefkasten werfen ließ, konnte er ohne Verletzung seiner Sorgfaltspflichten weder auf einen fristgerechten Eingang der Sendung am Folgetag beim FG vertrauen noch konnte er damit rechnen, daß das FA diesen für einen anderen bestimmten Brief inhaltlich zur Kenntnis nehmen würde. Das Verschulden des Bevollmächtigten ist den Klägern zuzurechnen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung), so daß bereits aus diesem Grunde eine Wiedereinsetzung ausscheidet.
Es ist dem FG auch darin zuzustimmen, daß die zweiwöchige Antragsfrist nach § 56 Abs. 2 FGO nicht eingehalten worden ist.
Fundstellen