Entscheidungsstichwort (Thema)
Einverständnis mit Entscheidung ohne mündliche Verhandlung vor Übertragung des Rechtsstreits auf Einzelrichter
Leitsatz (NV)
Der VII. Senat des BFH schließt sich der Rechtsprechung des VI. Senats (Urteil vom 9. August 1996 VI R 37/96, BFHE 181, 115, BStBl II 1997, 77) an, wonach ein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, das ein Beteiligter im finanzgerichtlichen Verfahren vor der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter erklärt hat, sich nur auf die Entscheidung durch den Senat bezieht, es sei denn, es ist ausdrücklich auch für den Fall einer Entscheidung durch den Einzelrichter erklärt worden.
Normenkette
FGO §§ 6, 90 Abs. 2, § 116 Abs. 1 Nr. 3
Tatbestand
Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) erklärte für diesen im finanzgerichtlichen Verfahren aufgrund einer telefonischen Anfrage des Senatsvorsitzenden mit Schriftsatz vom 13. September 1995 den Verzicht auf mündliche Verhandlung. Bei der telefonischen Anfrage war ausweislich der Akten des Finanzgerichts (FG) -- anders als bei der nachfolgenden schriftlichen Anfrage des Vorsitzenden des FG-Senats beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --), die auch zu dessen Verzicht auf mündliche Verhandlung führte -- nicht darauf hingewiesen worden, daß beabsichtigt sei, den Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung zu übertragen. Der Beschluß des FG hinsichtlich der Übertragung der Entscheidung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter wurde durch die drei Berufsrichter des FG-Senats am 13. November 1995 getroffen. Durch Urteil des Vorsitzenden des FG-Senats als Einzelrichter vom 2. Januar 1996 wurde ohne mündliche Verhandlung die Klage abgewiesen.
Mit der auf § 116 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützten Revision macht der Kläger geltend, er sei bei seinem Verzicht auf mündliche Verhandlung mangels anderweitigen Hinweises des FG davon ausgegangen, daß die Entscheidung durch den vollbesetzten Senat erfolgen würde. Das FG hätte nicht ohne mündliche Verhandlung entscheiden dürfen, da seine Verzichtserklärung durch die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter verbraucht sei.
Er beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Es ist der Ansicht, es habe aufgrund der Verzichtserklärung beider Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch den Einzelrichter entschieden werden können, weil dieser mit der Übertragung des Rechtsstreits auf ihn bis zur Beendigung der Instanz die volle Stellung des Senats erlange.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Der Kläger konnte -- ungeachtet der Beschränkungen des Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs in der für den Streitfall geltenden Fassung -- Revision ohne vorherige Zulassung einlegen. Er hat Tatsachen vorgetragen, die -- ihre Richtigkeit unterstellt -- einen wesentlichen Mangel des Verfahrens i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3, § 119 Nr. 4 FGO ergeben. Ein Verfahrensmangel i. S. der genannten Vorschrift ist u. a. dann gegeben, wenn das FG zu Unrecht einen Verzicht auf mündliche Verhandlung angenommen und unter Verstoß gegen § 90 Abs. 1 und 2 FGO ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 5. Juli 1995 X R 39/93, BFHE 178, 301, BStBl II 1995, 842, m. w. N.).
Im Streitfall durfte das FG nicht ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Verzichtserklärung des Klägers wegen der nachfolgenden Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter nicht mehr wirksam war.
Der X. Senat des BFH hat im Urteil in BFHE 178, 301, BStBl II 1995, 842 die Frage noch offengelassen, ob ein Verzicht auf mündliche Verhandlung, den der Beteiligte vor der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter erklärt, sich nur auf die Entscheidung durch den nach Maßgabe der allgemeinen Regelung des § 5 Abs. 3 FGO zuständigen Spruchkörper, den Senat, bezieht und deshalb grundsätzlich mit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter hinfällig wird. Er hat entschieden, daß jedenfalls dann, wenn der Verzicht auf mündliche Verhandlung zu einem Zeitpunkt erklärt worden ist, in dem die erst durch das Gesetz zur Änderung der FGO und anderer Gesetze vom 21. Dezember 1992 -- FGO-ÄndG -- (BGBl I 1992, 2109, BStBl I 1993, 90) mit Wirkung ab dem 1. Januar 1993 eingeführte Möglichkeit einer Entscheidung durch den Einzelrichter noch nicht gegeben war, sich der Verzicht nur auf die Entscheidung durch den Senat beziehen kann und deshalb mit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter unwirksam wird. Die für den Streitfall entscheidungserhebliche Frage nach der Wirkung einer Verzichtserklärung, die nach Inkrafttreten des FGO-ÄndG abgegeben worden ist, ist nunmehr durch das Urteil des VI. Senats des BFH vom 9. August 1996 VI R 37/96 (BFHE 181, 115, BStBl II 1997, 77) entschieden worden. Danach bezieht sich auch ein seit dem 1. Januar 1993 vor der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter erklärtes Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nur auf die Entscheidung durch den Senat, es sei denn, das Einverständnis ist ausdrücklich auch auf die Entscheidung durch den Einzelrichter erstreckt worden. Der erkennende Senat schließt sich der Rechtsprechung des VI. Senats des BFH an; zur Begründung nimmt er auf diese Entscheidung Bezug.
Daraus folgt, daß der für den Kläger mit Schriftsatz vom 13. September 1995 erklärte Verzicht auf mündliche Verhandlung mit der nachfolgenden Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter (FG- Beschluß vom 13. November 1995) gegenstandslos geworden ist. Die von dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers abgegebene Verzichtserklärung erstreckte sich nicht auch auf die Entscheidung durch den Einzelrichter, da dem Prozeßbevollmächtigten -- anders als dem FA bei der Abgabe seiner Verzichtserklärung -- die beabsichtigte Übertragung der Entscheidung auf den Einzelrichter nicht mitgeteilt worden war. Auch für die Folgezeit (nach dem Übertragungsbeschluß vom 13. November 1995) fehlt es an einer ausdrücklichen Erklärung des Klägers bzw. seines Prozeßbevollmächtigten, wonach das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auch für den Fall der Entscheidung durch den Einzelrichter gelten sollte.
Das FG (der Senatsvorsitzende als Einzelrichter) durfte hiernach nicht nach § 90 Abs. 2 FGO im schriftlichen Verfahren entscheiden. Das angefochtene Urteil war wegen dieses Verfahrensmangels aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen