Leitsatz (amtlich)
1. Eine natürliche Person kann mehrere Gewerbebetriebe unterhalten.
2. Mehrere Gewerbebetriebe sind anzunehmen, wenn die gewerblichen Betätigungen nicht wirtschaftlich, finanziell oder organisatorisch zusammenhängen. Anhaltspunkte für die Beurteilung dieser Frage können die Gleichartigkeit/Ungleichartigkeit der Betätigungen und die Nähe/Entfernung sein, in der sie ausgeübt werden.
Orientierungssatz
Der Betrieb eines Gewerbes i.S. des § 95 Abs. 1 BewG entspricht dem gewerbesteuerrechtlichen Begriff des Gewerbebetriebs (vgl. BFH-Urteil vom 30.1.1981 III R 116/79). Die Frage, ob eine Mehrheit von Gewerbebetrieben (gewerbliche Wirtschaftseinheiten) vorliegt, beurteilt sich danach gewerbesteuerrechtlich und bewertungsrechtlich nach einheitlichen Grundsätzen.
Normenkette
GewStG § 2 Abs. 1; BewG 1974 § 95 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb in R drei EDEKA-Lebensmittelgeschäfte: das Geschäft I seit dem 1.April 1975 in der G-Straße; das Geschäft II seit dem 20.Oktober 1977 in dem Ortsteil W; das Geschäft III seit dem 6.September 1979 in der L-Straße. Er beurteilte die Geschäfte I und II als einen Gewerbebetrieb und das dritte Geschäft als einen weiteren eigenständigen Gewerbebetrieb.
Der Kläger bezeichnete das Geschäft I als "EDEKA-Markt R"; das Geschäft II als "EDEKA Inhaber R" und das Geschäft III als "R'ner Lebensmittelmarkt". Er erstellte für die Geschäfte I und II und für das Geschäft III getrennte Buchführungen und Abschlüsse. Für die Geschäfte I und II und das Geschäft III wurden gesonderte Bankkonten geführt und getrennte Warenlager unterhalten. Die EDEKA belieferte jedes Geschäft gesondert und rechnete für jedes Geschäft gesondert ab. Der Kläger leitete die Geschäfte I und II. Die Leitung des Geschäfts III war der Angestellten B übertragen. Sie war für die Bestellung von Waren und die Tageskassenabrechnung des Geschäfts III verantwortlich. Über Preisherabsetzungen konnte sie selbständig entscheiden.
Geworben wurde gemeinsam für alle Geschäfte (z.B. "... die drei preiswerten EDEKA-Märkte R ..."). Die Berufsgenossenschaft zog das Geschäft III als "Filiale" in die bereits bestehende Versicherung ein. Die EDEKA führte die Geschäfte des Klägers als einen Betrieb mit drei Geschäften (Hauptgeschäft I). Sie unterhielt für den Kläger nur ein Mitglieder-, ein Beteiligungs- und ein Kundenverkehrsguthaben. Zwischen den Geschäften I und III wurden im Bedarfsfall Waren verlagert. Die Warenbewegungen --ebenso andere Verrechnungen (z.B. wegen Strom) und Geldüberweisungen-- wurden auf Verrechnungskonten festgehalten. Hin und wieder wurde zwischen den Filialen Personal ausgetauscht.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) behandelte bei den Gewerbesteuermeßbetragsfestsetzungen 1980 und 1981 und bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens zum 1.Januar 1980 die drei Geschäfte als einheitlichen Gewerbebetrieb. Die Einsprüche, die das FA zur gemeinsamen Entscheidung verband, blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit folgender Begründung ab: Die drei Geschäfte seien Lebensmittelmärkte. Die Gleichartigkeit und die räumliche Nähe sprächen dafür, daß ein sachlicher Zusammenhang bestehe. Ein solcher Zusammenhang sei durch die Beweisaufnahme in einem beachtlichen Maß bestätigt worden. Es habe die Möglichkeit bestanden, Personal auszutauschen, wovon hin und wieder im Krankheitsfall Gebrauch gemacht worden sei. Die Geschäfte hätten sich mit Waren ausgeholfen. Die Kunden seien durch die Werbung einheitlich angesprochen worden. Unter diesen Umständen sei unerheblich, daß die Buchführung getrennt und eine selbständige Marktleiterin für das Geschäft III eingestellt worden sei.
Der Kläger rügt mit der Revision Verletzung des § 2 Abs.1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG), § 95 Abs.1, § 19 Abs.1 Nr.2 des Bewertungsgesetzes (BewG): Auch bei gleichartiger Betätigung könne ein einheitlicher Gewerbebetrieb nur dann angenommen werden, wenn die Betriebe finanziell, organisatorisch und wirtschaftlich verflochten seien. Ein finanzieller Zusammenhang sei zu verneinen, weil die Gewinne für beide Betriebe getrennt ermittelt worden seien. Es bestünden auch keine wirtschaftlichen Verflechtungen, weil beide Betriebe für sich lebensfähig seien und sich kaum ergänzten. Schließlich bestehe auch kein bedeutender organisatorischer Zusammenhang. Die Betriebe würden in verschiedenen Geschäftslokalen unter Beschäftigung eigener Arbeitskräfte unterhalten.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung und die angegriffenen Bescheide aufzuheben und das FA zu verpflichten, neue Bescheide zu erlassen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Der Gewerbesteuer unterliegt jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird (§ 2 Abs.1 Satz 1 GewStG). Unter Gewerbebetrieb ist ein gewerbliches Unternehmen i.S. des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu verstehen (§ 2 Abs.1 Satz 2 GewStG). Bewertungsrechtlich gehören zum Betriebsvermögen eines gewerblichen Betriebs alle Teile einer wirtschaftlichen Einheit, die dem Betrieb eines Gewerbes als Hauptzweck dienen (§ 95 Abs.1 BewG). Der Betrieb eines Gewerbes i.S. des § 95 Abs.1 BewG entspricht dem gewerbesteuerrechtlichen Begriff des Gewerbebetriebs (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 30.Januar 1981 III R 116/79, BFHE 133, 217, 220, BStBl II 1981, 560).
Die hier streitige Frage, ob eine Mehrheit von Gewerbebetrieben (gewerbliche Wirtschaftseinheiten) vorliegt, beurteilt sich danach gewerbesteuerrechtlich und bewertungsrechtlich nach einheitlichen Grundsätzen. Die einheitliche Beurteilung ist auch deswegen geboten, weil der Einheitswert des Betriebsvermögens Grundlage für die Erhebung der Gewerbekapitalsteuer ist (§ 12 GewStG) und diesem Zweck bei der Bestimmung des Umfangs eines Gewerbebetriebs Rechnung zu tragen ist (Gürsching/Stenger, Bewertungsgesetz, 8.Aufl., Lieferung Februar 1985, § 95 Anm.14).
2. Gelegentlich wird angenommen, daß eine natürliche Person, die mehrere gewerbliche Betätigungen ausübt, nur einen gewerblichen Betrieb habe (Schumacher, Steuer und Wirtschaft --StuW-- 1987, 111; ders., Die Mehrheit von Gewerbebetrieben natürlicher Personen im Gewerbesteuerrecht, Diss. Köln 1986; möglicherweise Döllerer, Betriebs-Berater --BB-- 1981, 25, 26; zur Problematik ferner Wolff-Diepenbrock, Deutsche Steuer-Zeitung/Ausgabe A --DStZ/A-- 1982, 63).
Der Senat folgt demgegenüber der ständigen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) und des BFH, nach der natürliche Personen (Einzelunternehmer) --im Gegensatz zu Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften-- mehrere gewerbliche Betriebe unterhalten können (zusammenfassend BFH-Urteil vom 10.Februar 1989 III R 78/86, BFHE 156, 320, BStBl II 1989, 467). Die Auffassung, das Leistungsfähigkeitsprinzip gebiete die Zusammenfassung aller von einem Unternehmer ausgeübten gewerblichen Tätigkeiten (Schumacher, a.a.O.), berücksichtigt nicht ausreichend, daß die Gewerbesteuer eine Objektsteuer ist und selbst einkommensteuerrechtlich der Gewerbebetrieb, der Teilbetrieb und die Betriebsstätte nach objektiven Kriterien zu bestimmen sind. Döllerer (a.a.O.) weist auf § 1 Abs.5 des Publizitätsgesetzes hin, wonach mehrere Handelsgeschäfte eines Einzelkaufmanns, auch wenn sie nicht unter der gleichen Firma betrieben werden, ein Unternehmen im Sinne "dieses Gesetzes" --d.h. des Publizitätsgesetzes-- sind. Die Regelung ist auf publizitätspflichtige Einzelkaufleute beschränkt. Im übrigen sind handelsrechtlich mehrere Handelsgeschäfte eines Einzelkaufmanns mehrere Unternehmen (Karsten Schmidt, Handelsrecht, 3.Aufl., 1987, S.319). § 237 Abs.1 Satz 3 des HGB-Vorentwurfs eines Bilanzrichtlinien-Gesetzes, der vorsah, die Regelung des § 1 Abs.5 des Publizitätsgesetzes in die Vorschriften über die Erstellung des Jahresabschlusses zu übernehmen, ist nicht Gesetz geworden.
3. Nicht jede Verselbständigung gewerblicher Betätigungen eines Einzelunternehmers begründet einen selbständigen Gewerbebetrieb. Auch Teilbetriebe sind mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestattet und dennoch Teile eines Gesamtbetriebs (zuletzt Senatsurteil vom 23.November 1988 X R 1/86, BFHE 155, 521, BStBl II 1989, 376). Die Annahme eines selbständigen Gewerbebetriebs erfordert eine vollkommene Eigenständigkeit. Eine Verbindung darf im wesentlichen nur in der Person des Steuerpflichtigen bestehen. Der Steuerpflichtige muß die Betriebe nebeneinander am Wirtschaftsleben teilnehmen lassen. Sobald er die Aktivitäten bündelt, um eine größere Marktwirksamkeit zu erreichen, ist eine Wirtschaftseinheit gegeben.
Es kommt darauf an, wie der Steuerpflichtige seine gewerblichen Betätigungen im konkreten Fall gestaltet. Hierfür bedarf es zunächst einer Feststellung der Tatsachen, die für eine Trennung oder Vereinheitlichung der Betätigungen von Bedeutung sind. Die notwendige Gesamtwürdigung dieser Tatsachen obliegt dem Tatsachenrichter und ist revisionsrechtlich nur daraufhin zu überprüfen, ob sie alle bedeutenden Umstände zutreffend erfaßt und das allgemeine Erfahrungswissen berücksichtigt hat.
Die von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätze lassen sich wie folgt zusammenfassen: Räumlich weit voneinander ausgeübte ungleichartige gewerbliche Betätigungen werden regelmäßig in eigenständigen Gewerbebetrieben ausgeübt. Für einen einheitlichen Gewerbebetrieb sprechen andererseits gleichartige, in räumlicher Nähe zueinander ausgeübte gewerbliche Betätigungen. Ein Anhalt für räumliche Nähe können die Grenzen der politischen Gemeinden sein (RFH-Urteil vom 28.September 1938 VI 611/38, RStBl 1938, 1117; Abschn.19 Abs.2 der Gewerbesteuer-Richtlinien --GewStR--). Gewerbliche Betätigungen sind nicht nur dann gleichartig, wenn sie im gleichen Gewerbezweig ausgeübt werden, sondern auch dann, wenn sie sich unterscheiden, aber einander ergänzen (RFH-Urteil vom 21.Dezember 1938 VI 730/38, RStBl 1939, 372; Abschn.19 Abs.1 GewStR). Gleichartig-ergänzende gewerbliche Tätigkeiten --z.B. auf verschiedenen Produktionsstufen-- können auch über größere Entfernungen zusammenzufassen sein.
4. Im Streitfall wurden Lebensmittelgeschäfte gleichen Zuschnitts (EDEKA-Läden) in räumlicher Nähe (in der politischen Gemeinde R) betrieben. Das äußere Erscheinungsbild spricht sonach dafür, daß der Kläger in dem überschaubaren Bereich der Gemeinde R seine Verkaufsaktivitäten gezielt auffächerte (bündelte), um das Publikum im gesamten Gebiet von R zu erreichen. Der Kläger hätte demgegenüber nachweisen müssen, daß die Tätigkeiten nicht sachlich verbunden waren, d.h. nicht "wirtschaftlich, finanziell oder organisatorisch innerlich zusammenhingen".
Diese erstmals vom RFH in RStBl 1939, 372 verwandte Formel sollte ursprünglich die "Gleichartigkeit" erläutern, ist dann jedoch in der späteren Rechtsprechung als das Merkmal herausgestellt worden, nach dem letztlich die Einheit oder Vielheit von Gewerbebetrieben zu beurteilen ist (BFH-Urteile vom 1.Dezember 1960 IV 353/60 U, BFHE 72, 173, BStBl III 1961, 65; vom 16.Dezember 1964 I 375/62, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1965, 224; vom 14.September 1965 I 64/63 U, BFHE 83, 438, BStBl III 1965, 656). Auch gleichartige und in räumlicher Nähe ausgeübte gewerbliche Tätigkeiten können eigenständige Gewerbebetriebe sein, wenn keine sachliche Verbindung wirtschaftlicher, finanzieller oder organisatorischer Art gegeben ist (BFH-Urteile vom 30.Juni 1961 IV 426/60, HFR 1961, 272; vom 22.März 1977 VIII R 77/74, nicht veröffentlicht --NV--; vom 25.April 1989 VIII R 294/84, NV, das Urteil des FG Hamburg vom 29.August 1984 V 149/82, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1985, 135 bestätigend). Das Schrifttum hat sich dieser Auffassung angeschlossen (Lenski/Steinberg, Gewerbesteuergesetz, 6.Aufl., Lieferung November 1988, § 2 Anm.10; Glanegger/Güroff, Gewerbesteuergesetz, 1988, § 2 Anm.11; Horn, BB 1984, 134).
Der VIII.Senat des BFH hat zwar in dem Urteil vom 17.März 1981 VIII R 149/76 (BFHE 133, 557, 558 f., BStBl II 1981, 746) gleichartige gewerbliche Betätigungen zusammengefaßt, ohne darauf abzustellen, ob und in welchem Umfang die Einrichtungen wirtschaftlich, finanziell und organisatorisch zusammenhingen. Er ist jedoch von dieser Auffassung wieder abgerückt. In dem Urteil vom 19.Oktober 1982 VIII R 149/81 (BFHE 137, 200, BStBl II 1983, 278, insoweit NV) hat er ausgeführt, daß "auch bei Gleichartigkeit der Betätigungen das Vorliegen eines Gewerbebetriebs nur dann angenommen werden (kann), wenn sie in finanzieller, organisatorischer und wirtschaftlicher Hinsicht zusammenhängen" (ferner Urteil vom 19.November 1985 VIII R 310/83, BFH/NV 1986, 363, BStBl II 1986, 719).
5. Die Vorentscheidung entspricht den dargestellten Grundsätzen. Das FG konnte infolge der Gleichartigkeit und der räumlichen Nähe der drei EDEKA-Geschäfte davon ausgehen, daß der Kläger einen einheitlichen Gewerbebetrieb unterhielt. Es ist dem Vorbringen des Klägers für eine getrennte Beurteilung des Geschäfts III nachgegangen und hat in einer nicht zu beanstandenden Gesamtwürdigung die trennenden Momente nicht für gewichtig genug erachtet, zumal auch vereinheitlichende Umstände zutage getreten sind.
Die Einrichtung einer gesonderten Buchführung (nebst Abschluß) und eines gesonderten Bankkontos für das Geschäft III und die Betrauung einer Filialleiterin mit der Führung des Geschäfts III sprechen zwar für eine gewisse Selbständigkeit des Geschäfts III. Es ist jedoch nicht erkennbar geworden, daß das Geschäft III wirtschaftlich, finanziell und organisatorisch von den Geschäften I und II abgesondert war. Auch wenn die Tätigkeit des Klägers als Unternehmer unberücksichtigt bleibt, sind die drei Geschäfte nach den Feststellungen des FG miteinander verflochten: durch den einheitlichen Einkauf, durch die gemeinsame Werbung und das flächendeckende Angebot an die Kundschaft in R, durch gegenseitige Aushilfe mit Waren und Personal.
Fundstellen
BFH/NV 1989, 47 |
BStBl II 1989, 901 |
BFHE 158, 80 |
BFHE 1990, 80 |
BB 1990, 194 |
BB 1990, 194-196 (LT1-2) |
DB 1989, 2311-2313 (ST) |
HFR 1990, 34 (LT) |
WPg 1990, 15 (ST) |
StRK, StObj. R.12 (LT) |
FR 1990, 29 (KT) |
Information StW 1990, 46 (T) |
StBp 1989, 265 (K) |