Entscheidungsstichwort (Thema)
Pensionsverzicht eines GmbH-Geschäftsführers bei Veräußerung der GmbH-Anteile als Entschädigung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Abfindung, die der Gesellschafter-Geschäftsführer, der seine GmbH-Anteile veräußert, für den Verzicht auf seine Pensionsansprüche gegen die GmbH erhält, kann eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG sein.
2. Eine an die Geschäftsführertätigkeit anschließende Beratungstätigkeit kann im Einzelfall nicht als Fortsetzung des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses angesehen werden.
Normenkette
EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 34 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Streitig ist die Anwendung des § 24 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 34 Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Der im Jahr 1937 geborene Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Streitjahr 1998 Gesellschafter-Geschäftsführer der Firma G-GmbH (GmbH), an der er zu 99 % beteiligt war. Mit Verträgen vom 20. Oktober 1982 und 7. Oktober 1985 (Ergänzungsvertrag) hatte er mit der GmbH eine betriebliche Alters- und Invalidenversorgung vereinbart, die ihm von der Vollendung des 65. Lebensjahres an ein lebenslanges Ruhegeld zusicherte. Nach Ziffer 8 des Ergänzungsvertrags war er berechtigt, bei Eintritt des Versorgungsfalles anstelle der Rente eine einmalige Kapitalabfindung in Höhe des Barwertes der Rentenverpflichtung zu verlangen.
Ende 1998 verhandelte der Kläger mit Interessenten über den Verkauf seiner Geschäftsanteile an der GmbH, wobei die zukünftigen Erwerber den Kauf davon abhängig machten, dass die Altersregelung vorher abgewickelt werden würde. Mit notariellem Vertrag vom 11. Dezember 1998 veräußerte der Kläger seine Geschäftsanteile mit Wirkung zum 27. Dezember 1998. In § 15 des Vertrags ist geregelt, dass die Erwerber die Pensionsverpflichtung nicht übernehmen. Der Verkäufer werde bis zum Übergabestichtag mitteilen, wie die bisherigen Bilanzpositionen (Pensionsrückstellungen und aktivierte Rückdeckungsversicherungsansprüche) aufgelöst werden sollten. Die Käufer ihrerseits verpflichteten sich, bei der gewünschten Regelung in angemessener Weise mitzuwirken und insbesondere sämtliche Rechte aus den Rückdeckungsversicherungen auf den Kläger als Abfindung für dessen Verzicht auf künftige Pensionszahlungen aus seinem früheren Geschäftsführeranstellungsvertrag zu übertragen.
Im Anschluss hieran verzichtete der Kläger gemäß Ziffer 3 des Geschäftsführungsaufhebungsvertrags vom 15. Dezember 1998 gegenüber der GmbH auf seine Pensionsansprüche und erhielt als Gegenleistung die Auszahlungsbeträge der mit Schreiben vom 14. Dezember 1998 gekündigten Versicherungsverträge in Höhe von insgesamt 894 223 DM überwiesen.
Nachdem der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) die Einkommensteuerveranlagung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung durchgeführt und einen Betrag von 36 000 DM als steuerfrei gemäß § 3 Nr. 9 EStG anerkannt und gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG einen Betrag von 858 223 DM dem ermäßigten Steuersatz unterworfen hatte, versagte er nach einer Außenprüfung mit Änderungsbescheid vom 9. Oktober 2000 sowohl die Steuerbefreiung als auch die Ermäßigung des Steuersatzes. Den hiergegen erhobenen Einspruch wies das FA als unbegründet zurück.
Im Klageverfahren trug der Kläger vor, er habe ―was unstreitig ist― seine Tätigkeit als Geschäftsführer mit der Übertragung seiner GmbH-Anteile eingestellt, nicht jedoch seine Tätigkeit als Arbeitnehmer, weil die neuen Gesellschafter ihn als beratenden Ingenieur eingestellt hätten. Der Angestelltenvertrag sei im Zusammenhang mit dem Geschäftsanteilskauf- und -übertragungsvertrag vom 11. Dezember 1998 geschlossen und eine Beschäftigung für die Zeit vom 1. Januar 1999 bis 31. Dezember 1999 vereinbart worden.
Die Klage hatte keinen Erfolg; die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 682 veröffentlicht. Die von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG geforderte Zwangslage sei nicht gegeben, weil der Kläger bei dem Verzicht auf seine Pensionsansprüche nicht unter erheblichem rechtlichen, wirtschaftlichen oder tatsächlichen Druck gestanden und das schadensstiftende Ereignis aus eigenem Antrieb herbeigeführt habe.
Mit der vom FG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, dass die Käufer den Kauf von der Befreiung der GmbH von jeglichen Pensionsverpflichtungen abhängig gemacht hätten. Das FG habe den Begriff der Zwangslage fehlerhaft interpretiert. Der Verkauf sei ―wie im vom Bundesfinanzhof (BFH) entschiedenen Fall vom 12. Dezember 2001 XI R 38/00 (BFH/NV 2002, 638)― nur unter Verzicht auf die Versorgungsansprüche möglich gewesen. Er, der Kläger, habe nicht damit rechnen müssen, dass die Käufer den Verzicht auf die Pensionsansprüche verlangen würden. Er dürfe nicht anders als ein Fremdgeschäftsführer behandelt werden. Bei einem "Nur-Geschäftsführer" führe die Abfindung unstreitig zur Anwendung des ermäßigten Steuersatzes.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Einkommensteuerbescheid vom 9. Oktober 2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. Mai 2001 dahin gehend abzuändern, dass der Auszahlungsbetrag in Höhe von 894 223 DM dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG unterworfen wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Der Streitfall unterscheide sich von dem Fall in BFH/NV 2002, 638 insofern, als der Kläger berechtigt gewesen sei, bei Eintritt des Versicherungsfalls anstelle der Rente eine einmalige Kapitalabfindung zu verlangen. Ein erheblicher Druck sei vom Arbeitgeber nicht ausgegangen, da Arbeitgeber und Arbeitnehmer wirtschaftlich betrachtet eine Person gewesen seien.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) begründet und führt zur Stattgabe der Klage. Entgegen der Auffassung des FG hat der Kläger das schadensstiftende Ereignis nicht aus eigenem Antrieb herbeigeführt.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH setzt eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG voraus, dass der Ausfall der Einnahmen entweder von dritter Seite veranlasst wurde oder, wenn er vom Steuerpflichtigen selbst oder mit dessen Zustimmung herbeigeführt worden ist, dieser unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck stand; der Steuerpflichtige darf das schadensstiftende Ereignis nicht aus eigenem Antrieb herbeigeführt haben (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 638; BFH-Urteil vom 4. September 2002 XI R 53/01, BFHE 200, 275, BStBl II 2003, 177). Diesem Erfordernis liegt die Überlegung zugrunde, dass die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG nur in den Fällen gerechtfertigt ist, in denen sich der Steuerpflichtige hinsichtlich der Veräußerung der Anteile oder hinsichtlich der Aufgabe seiner Pensionsansprüche in einer Zwangssituation befindet und sich dem zusammengeballten Zufluss der Einnahmen nicht entziehen kann. So kann bei einem zunächst freiwilligen Entschluss zum Anteilsverkauf eine Zwangslage zum Verzicht auf Versorgungsansprüche dadurch entstehen, dass der Erwerber nicht bereit ist, die Versorgungsverpflichtungen zu übernehmen (BFH-Urteil in BFHE 200, 275, BStBl II 2003, 177). Der Gesellschafter-Geschäftsführer, der sich zur Veräußerung seiner GmbH-Anteile entschließt, muss nicht damit rechnen, dass dies nur bei gleichzeitigem Verzicht auf seine Pensionsansprüche gegen Abfindung durch die GmbH möglich ist; denn die Gesellschaft wird in ihrer Liquidität durch laufende Zahlungen weniger beeinträchtigt als durch eine einmalige Abfindung.
Bei dieser Rechtslage ist davon auszugehen, dass der Kläger unter Zwang handelte, als er der Ablösung der Altersversorgung zustimmte. Erst im Laufe der Verhandlungen hatten die Käufer der GmbH-Anteile den Erwerb des Unternehmens von der Nichtübernahme der Altersversorgungsregelung abhängig gemacht.
2. Der Begünstigung steht nicht entgegen, dass der Kläger im Anschluss an das mit Ablauf des 27. Dezember 1998 beendete Arbeitsverhältnis mit der GmbH für die Zeit vom 1. Januar 1999 bis zum 31. Dezember 1999 die Anstellung als beratender Ingenieur vereinbarte.
Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (BFH-Urteile vom 12. April 2000 XI R 1/99, BFH/NV 2000, 1195; vom 23. Januar 2001 XI R 7/00, BFHE 194, 411, BStBl II 2001, 541; vom 10. Oktober 2001 XI R 54/00, BFHE 197, 54, BStBl II 2002, 181; vom 6. März 2002 XI R 36/01, BFH/NV 2002, 1144) ist eine die Anwendung des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG rechtfertigende neue Rechtsgrundlage nicht gegeben, wenn unter Fortsetzung des Einkunftserzielungstatbestandes im Rahmen des bisherigen Rechtsverhältnisses ein bestehender Anspruch durch den Vertragspartner abgegolten wird. Eine Entschädigung i.S. der § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 34 Abs. 1 und 2 EStG verlangt, dass das zugrunde liegende Rechtsverhältnis beendet wird.
Im Streitfall kann die anschließende Beratungstätigkeit nicht als Fortsetzung des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses angesehen werden. Die Tätigkeit als beratender Ingenieur unterscheidet sich in den Aufgaben und der Stellung deutlich von der bisherigen Geschäftsführertätigkeit.
3. Nach dem BFH-Urteil vom 30. Januar 1991 XI R 21/88 (BFH/NV 1992, 646) ist eine Entschädigung nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG nicht gegeben, wenn die Kapitalisierung von Pensionsansprüchen ―anstelle der Zahlung laufender Bezüge― nicht vom Arbeitgeber ausgeht, sondern einem Wahlrecht des Arbeitnehmers entspricht. Wird eine bereits bei Abschluss oder während des Arbeitsverhältnisses vereinbarte Abfindung, die für den Verlust späterer Pensionsansprüche infolge der Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach Wahl des Arbeitgebers in einem Betrag ausgezahlt, so ist dies keine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, weil diese Ersatzleistung nicht auf einer neuen Rechts- oder Billigkeitsgrundlage beruht (BFH-Urteil vom 27. Februar 1991 XI R 8/87, BFHE 164, 243, BStBl II 1991, 703).
Im Streitfall beruhte die Ablösung der Pensionsansprüche nach den für den Senat bindenden Feststellungen des FG auf einer neuen Rechtsgrundlage. Vertraglich vorgesehen war ein Recht des Klägers, die Kapitalisierung zu verlangen, nur bei Eintritt des Versorgungsfalls. Dieser war bei Abschluss des Aufhebungsvertrags vom 15. Dezember 1998 noch nicht eingetreten, so dass der Kläger von seinem Kapitalisierungsrecht nicht Gebrauch machen konnte.
4. Da der Senat gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2, § 121 FGO über die gestellten Anträge nicht hinausgehen darf, ist über eine mögliche Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 9 EStG nicht zu entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 968680 |
BFH/NV 2003, 1366 |
BStBl II 2003, 748 |
BFHE 1974, 290 |
BFHE 2004, 290 |
BFHE 202, 290 |
BB 2003, 1938 |
DB 2003, 1937 |
DStR 2003, 1566 |
DStRE 2003, 1192 |
DStZ 2003, 701 |
HFR 2003, 1054 |