Entscheidungsstichwort (Thema)
Heilung eines Bekanntgabemangels durch Einspruchsentscheidung
Leitsatz (NV)
Ein zur Unwirksamkeit des Steuerbescheids führender Bekanntgabemangel kann durch fehlerfreie Zustellung der Einspruchsentscheidung geheilt werden. Dabei ist es unschädlich, wenn sich der Tenor der Einspruchsentscheidung in der Zurückweisung des Einspruchs als unbegründet erschöpft. Obwohl der Einspruchsentscheidung in einem solchen Fall die Wirkung einer erstmaligen Steuerfestsetzung zukommt, ist das Einspruchsverfahren nicht nochmals durchzuführen.
Normenkette
FGO § 44 Abs. 2, § 68; AO 1977 § 122 Abs. 1, § 124 Abs. 1, § 155 Abs. 1, 5, § 367 Abs. 2 S. 1
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 1977, für das sie ebenso wie für die Vorjahre keine Steuererklärung abgegeben hatten, zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden.
Die Klägerin erwarb im Wege der Erbfolge im Jahre 1964 von ihren Eltern den landwirtschaftlichen Besitz B und C. Im Rahmen von mehreren Umlegeverfahren veräußerte die Klägerin im Streitjahr 1977 Teile der ererbten Flächen. Für die restlichen Flächen wurde der Klägerin die landwirtschaftlich genutzte Fläche X zugewiesen. Auf dieser Fläche entstand eine neue Hofstelle mit Stallungen.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erhielt durch eine Steuerfahndungsprüfung von den Veräußerungsvorgängen Kenntnis und setzte mit erstmaligem Bescheid vom 7. Dezember 1983 die Einkommensteuer für das Streitjahr fest. Dabei erfaßte er bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft einen nach § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) begünstigten Veräußerungsgewinn in Höhe von . . . DM. Der Bescheid wurde an die Kläger adressiert und in einer Ausfertigung versandt.
Die Einspruchsentscheidung vom 24. Mai 1985, mit der der Einspruch der Kläger als unbegründet zurückgewiesen wurde, wurde deren damaligen Bevollmächtigten bekanntgegeben. Im Anschluß daran erließ das FA für das Streitjahr einen Änderungsbescheid vom 12. Juni 1985, mit dem es aus anderen den Streitfall nicht berührenden Gründen die Einkommensteuer herabsetzte. Dieser Bescheid wurde wiederum an die Kläger adressiert und ihnen in einfacher Ausfertigung bekanntgegeben.
Die Kläger haben nach Klageerhebung den geänderten Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens erklärt und geltend gemacht, daß der angefochtene Bescheid nicht wirksam bekanntgegeben worden sei. Eine wirksame Bekanntgabe hätte die Übersendung je einer Ausfertigung des Bescheids an beide Kläger erfordert. Im übrigen sei der Steueranspruch verjährt. Die Kläger seien nicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet gewesen. Sie hätten keine Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft erzielt. Ihre steuerpflichtigen Einkünfte hätten mithin weniger als 7140 DM betragen. Die Verjährungsfrist sei daher mit dem 31. Dezember 1981 abgelaufen. Die im Streitjahr veräußerten Grundstücke hätten nicht zum landwirtschaftlichen Betriebsvermögen gehört. Sie hätten die im Erbwege erworbene Besitzung niemals planmäßig mit Gewinnerzielungsabsicht bewirtschaftet. Der Kläger sei als . . .facharbeiter tätig gewesen und besitze ebensowenig wie die Klägerin eine landwirtschaftliche Ausbildung. Es habe lediglich eine laienhafte Feierabendnutzung stattgefunden. Zunächst seien eine Kuh und etwa zehn Hühner gehalten worden. In den Jahren 1969/1970 sei auch diese Nutzung eingestellt und der Acker in Weideland umgewandelt worden. Die der Ermittlung des Veräußerungsgewinns zugrunde gelegten Grundstücke hätten nicht sämtlich aus der ererbten landwirtschaftlichen Besitzung gestammt. Einige Grundstücke seien als baureife Einzelparzellen im Umlegungsverfahren von Fremden erworben worden. Sollte tatsächlich von landwirtschaftlichem Betriebsvermögen auszugehen sein, sei gemäß § 6c EStG die Ersatzbeschaffung für die neue Hofstelle begünstigt. Die dafür notwendige formelle Voraussetzung der Führung eines besonderen Verzeichnisses sei erfüllt. Das Verzeichnis, das erst im Zeitpunkt der steuerfreien Reinvestition gefertigt werden müsse, sei bereits vor dem erstmaligen Übertragungsantrag erstellt worden.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und die für das Streitjahr erlassenen Einkommensteuerbescheide vom 7. Dezember 1983 und 12. Juni 1985 sowie die Einspruchsentscheidung vom 24. Mai 1985 aufgehoben.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Die Kläger beziehen sich weitgehend auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und die Entscheidungsgründe des FG-Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt nach § 126 Abs. 3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
I. Das FG hat zu Unrecht der Klage stattgegeben und den Einkommensteuerbescheid für 1977 vom 7. Dezember 1983 und die Einspruchsentscheidung vom 24. Mai 1985 aufgehoben.
1. Dem FG ist zwar darin beizupflichten, daß der Einkommensteuerbescheid mangels ordnungsgemäßer Bekanntgabe zunächst nicht wirksam geworden ist. Die Bekanntgabe eines vor dem Inkrafttreten der in § 155 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO 1977) enthaltenen und erst ab 1. Januar 1986 geltenden Neuregelung erlassenen Zusammenveranlagungsbescheids setzte voraus, daß jedem Adressaten eine Ausfertigung zugestellt wurde (§§ 122 Abs. 1, 124 Abs. 1, 155 Abs. 1 AO 1977; vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 16. Mai 1990 X R 147/87, BFHE 161, 398, BStBl II 1990, 942 m.w.N.). Im Streitfall lag auch kein Fall wirksamer gegenseitiger Bevollmächtigung vor.
2. Entgegen der Annahme des FG ist der in der fehlerhaften Zustellung liegende Bekanntgabemangel jedoch dadurch geheilt worden, daß die den erstmaligen Einkommensteuerbescheid betreffende Einspruchsentscheidung dem gemeinsamen Bevollmächtigten beider Kläger ordnungsgemäß zugestellt wurde.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann der in der fehlerhaften Bekanntgabe eines Steuerbescheids liegende Mangel, der die Unwirksamkeit des Bescheids bewirkt (das Nichtwirksamwerden), durch fehlerfreie Zustellung der Einspruchsentscheidung geheilt werden (vgl. BFH in BFHE 161, 398, BStBl II 1990, 942 m.w.N.; BFH-Urteile vom 5. Dezember 1990 II R 109/86, BFHE 163, 223, BStBl II 1991, 181; vom 26. März 1991 VIII R 20/91, BFH/NV 1991, 793; vom 18. Dezember 1991 XI R 42-43/88, BFHE 167, 347, 351).
Gegenstand der Klage ist der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf erhalten hat (§ 44 Abs. 2 FGO). Der ursprüngliche - unwirksame - Verwaltungsakt ist demgemäß nur in der Gestalt der - wirksamen - Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf von dem Gericht auf seine Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Dabei ist es unschädlich, daß der Tenor der Einspruchsentscheidung sich in der Zurückweisung des Einspruchs als unbegründet erschöpft. Denn durch die Zurückweisung des Einspruchs als unbegründet wird der ursprünglich unwirksame Verwaltungsakt inhaltlich bestätigt, dessen Inhalt dem Einspruchsführer - wie im Streitfall - vor Einlegung des Einspruchs notwendig tatsächlich bekannt war (BFH in BFHE 163, 223, BStBl II 1991, 181, 183; in BFH/NV 1991, 793, 794; in BFHE 167, 347, 351).
3. Der Auffassung des FG, der sich die Kläger angeschlossen haben, daß ein infolge eines Bekanntgabemangels unwirksamer Steuerbescheid nicht durch ordnungsgemäße Zustellung der Einspruchsentscheidung geheilt werden könne, weil es unzulässig sei, einen Verwaltungsakt erstmals mittels einer Einspruchsentscheidung bekanntzugeben, kann nicht gefolgt werden. Wenngleich einer solchen Einspruchsentscheidung die Wirkung einer erstmaligen Steuerfestsetzung gegenüber dem Betroffenen zukommt, erfordert es das Rechtsschutzinteresse des Steuerpflichtigen aber nicht, nochmals das Einspruchsverfahren durchzuführen. Zwar dient die Überprüfungspflicht des FA im Einspruchsverfahren der erneuten und vollständigen Überprüfung der Sache (§ 367 Abs. 2 Satz 1 AO 1977) und insofern auch dem Rechtsschutzinteresse des Steuerpflichtigen. Diesem Zweck des außergerichtlichen Vorverfahrens ist jedoch genügt, wenn das FA einen Steuerbescheid, den der Steuerpflichtige auch tatsächlich zur Kenntnis genommen hat, inhaltlich fehlerfrei erlassen und im dagegen gerichteten Einspruchsverfahren auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüft hat. Eine nochmalige Durchführung des Einspruchsverfahrens allein wegen der nicht ordnungsgemäßen Bekanntgabe des Bescheids würde sich unter diesen Umständen als bloße Förmelei darstellen (vgl. BFH in BFHE 163, 223, BStBl II 1991, 181, 183; in BFH/NV 1992, 73, 75).
Dieser Überlegung steht nicht die Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Urteile vom 17. März 1970 II 65/63, BFHE 99, 96, BStBl II 1970, 598, 599; vom 28. November 1963 II 103/60, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1964, 126; vom 28. November 1989 VIII R 40/84, BFHE 159, 410, 415, BStBl II 1990, 561; Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 367 AO 1977 Tz.5; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 367 AO 1977 Anm.10) entgegen, wonach es mit dem Sinn und Zweck des Einspruchsverfahrens schlechthin unvereinbar ist, daß ein infolge inhaltlicher Unbestimmtheit nichtiger Verwaltungsakt erstmals mittels einer Einspruchsentscheidung wirksam erlassen wird. Anders als beim Vorliegen eines bloßen Bekanntgabefehlers eines im übrigen fehlerfreien Verwaltungsakts beschränkt sich das FA in einem solchen Fall nicht auf die Überprüfung des sachlichen Inhalts des angefochtenen Bescheids, sondern schafft erstmalig den zur Wirksamkeit notwendigen Regelungsinhalt.
II. Zutreffend hat das FG aber entschieden, daß der Änderungsbescheid vom 12. Juni 1985, den die Kläger zum Gegenstand des Verfahrens erklärt haben (§ 68 FGO), mangels ordnungsgemäßer Bekanntgabe unwirksam ist. Der zur Unwirksamkeit führende Bekanntgabemangel besteht darin, daß das FA den Klägern diesen Bescheid in nur einer Ausfertigung bekanntgegeben hat.
III.Die Sache ist nicht spruchreif. Die tatsächlichen Feststellungen des FG erlauben keine Entscheidung über die gegen die Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids 1977 vom 7. Dezember 1983 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. Mai 1985 im übrigen vorgebrachten Einwendungen. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen