Elektronische Übermittlung von Vollmachtsdaten an die Finanzbehörden
Hintergrund: Gesetzliche Regelung
Nach § 347 Abs. 1 Satz 1 AO ist ein Einspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen (§ 355 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Einspruchsfrist läuft bei Verletzung zwingender Bekanntgabevorschriften erst in dem Zeitpunkt an, in dem der Empfangsberechtigte den Verwaltungsakt tatsächlich erhalten hat. Der Bekanntgabemangel wird geheilt, wenn der Bescheid an die zur Empfangnahme berechtigte Person weitergeleitet wird und dieser zugeht.
Sachverhalt: Bekanntgabe eines Steuerbescheides bei Erteilung einer Vollmacht
Der Kläger bevollmächtigte am 28.7.2015 seine Prozessbevollmächtigte, ihn in allen steuerlichen und sonstigen Angelegenheiten i.S.d. § 1 StBerG zu vertreten. Er unterzeichnete hierzu das amtliche Muster "Vollmacht zur Vertretung in Steuersachen" in der damaligen Fassung. Die Vollmacht erstreckte sich auch auf die Entgegennahme von Steuerbescheiden und sonstigen Verwaltungsakten (Bekanntgabevollmacht). Auf dem Formular waren auch die Steuernummern des Vollmachtgebers in der Vollmachtsdatenbank zu erfassen. Hinter der Steueridentifikationsnummer war eine die Einkommensteuer betreffende Steuernummer des Klägers angegeben. Unter der Zeile "Diese Vollmacht gilt nicht für:" war keine Steuerart angekreuzt. Das im BMF-Schreiben vom 1.8.2016 (BStBl I 2016, 662, Anlage 3) vorgesehene "Beiblatt zur Vollmacht zur Vertretung in Steuersachen" enthielt die Vollmacht nicht.
Die Vollmacht wurde in der Vollmachtsdatenbank hinterlegt und war seit dem 20.6.2017 für das Finanzamt (FA) abrufbar. Der Umfang der Vollmacht wurde in der Datenbank mit "Steuerarten alle" angezeigt. Neben der Steueridentifikationsnummer des Klägers waren unter anderem das Bestehen einer Empfangsvollmacht und die folgenden "Ordnungskriterien" vermerkt: "Vollmacht gilt aktuell für: (die die Einkommensteuer betreffende Steuernummer)".
Mit Grunderwerbsteuerbescheid vom 27.6.2018, den das FA dem Kläger bekanntgab, setzte es Grunderwerbsteuer fest. Der Kläger leitete diesen Bescheid am 9.9.2019 der Prozessbevollmächtigten zu. Diese beantragte mit Schriftsatz vom 12.9.2019 beim FA die Kürzung der Bemessungsgrundlage. Sie trug vor, den Bescheid erst am 9.9.2019 erhalten zu haben.
Mit Einspruchsentscheidung vom 20.11.2019 verwarf das FA den Einspruch als unzulässig, da die Einspruchsfrist durch die Bekanntgabe des Bescheides an den Kläger bereits am 2.8.2018 geendet habe. Der Grunderwerbsteuerbescheid sei zu Recht dem Kläger bekanntgegeben worden, weil in die übermittelte Empfangsvollmacht keine für die Grunderwerbsteuer geltende Steuernummer eingetragen gewesen sei.
Der gegen die Entscheidung gerichteten Klage hat das Finanzgericht (FG) stattgegeben.
Mit der Revision macht das FA eine Verletzung der §§ 122, 80 und 80a AO geltend.
Entscheidung: Der Einspruch ist rechtzeitig erfolgt
Der BFH bestätigt die Rechtsauffassung des FG. Das FG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Grunderwerbsteuerbescheid vom 27.6.2018 erst mit Zugang bei der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 9.9.2019 wirksam geworden ist. Das FA hat durch die Bekanntgabe des Bescheids an den Kläger die Vorgaben des § 122 Abs. 1 Satz 4 AO verletzt.
Bekanntgabe an den Bevollmächtigten erforderlich
Ein Verwaltungsakt ist nach § 122 Abs. 1 Satz 1 AO demjenigen Beteiligten bekanntzugeben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Nach § 80 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. § 122 Abs. 1 Satz 3 AO kann der Verwaltungsakt auch gegenüber einem Bevollmächtigten bekanntgegeben werden. Er soll dem Bevollmächtigten bekanntgegeben werden, wenn der Finanzbehörde eine schriftliche oder eine nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz elektronisch übermittelte Empfangsvollmacht vorliegt, solange dem Bevollmächtigten nicht eine Zurückweisung nach § 80 Abs. 7 AO bekanntgegeben worden ist (§ 80 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. § 122 Abs. 1 Satz 4 AO). Im Regelfall bedeutet das "Soll" ein "Muss". Nur beim Vorliegen von Umständen, die den Fall als atypisch erscheinen lassen, darf die Behörde anders verfahren als im Gesetz vorgesehen und den atypischen Fall nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden.
Im Streitfall lag dem FA eine nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz elektronisch übermittelte Vollmacht vor, die die Prozessbevollmächtigte des Klägers als zum Empfang von Grunderwerbsteuerbescheiden berechtigt ausweist. Der angefochtene Bescheid hätte daher der Bevollmächtigten bekanntgegeben werden müssen.
Form der elektronischen Übermittlung
Nach § 80a Abs. 1 Satz 1 AO können Daten aus einer Vollmacht zur Vertretung in steuerlichen Verfahren, die nach amtlich bestimmtem Formular erteilt worden sind, den Landesfinanzbehörden nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz über die amtlich bestimmten Schnittstellen übermittelt werden. Im Datensatz ist auch anzugeben, ob der Vollmachtgeber den Bevollmächtigten zum Empfang von für ihn bestimmten Verwaltungsakten ermächtigt hat (§ 80a Abs. 1 Satz 2 AO). Die Verwendung der amtlichen Vollmachtsformulare ist unabdingbare Voraussetzung für die elektronische Übermittlung von Vollmachtsdaten nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz. Wird eine Vollmacht ohne Verwendung der amtlich bestimmten Formulare vorgelegt, ist sie gleichwohl wirksam, da § 80 AO für den Nachweis einer Vollmacht keine Form vorschreibt. Ihre elektronische Übermittlung an die Finanzbehörden nach § 80a Abs. 1 AO scheidet dann aber aus.
Das BMF hat unter anderem mit dem Schreiben vom 1.8.2016 amtliche Formulare im Sinne des § 80a Abs. 1 Satz 1 AO für die elektronische Übermittlung von Vollmachtsdaten bereitgestellt. Das in diesem Schreiben ebenfalls enthaltene "Beiblatt zur Vollmacht zur Vertretung in Steuersachen" ist aber nicht Bestandteil des amtlich bestimmten Formulars im Sinne der Vorschrift. Seine Verwendung ist nicht Voraussetzung für die elektronische Übermittlung von Vollmachtsdaten an die Finanzbehörden.
Das Beiblatt dient der Erfassung der Steuernummern des Vollmachtgebers. Mit der Eintragung von Steuernummern und Unterzeichnung des Beiblatts erklärt der Vollmachtgeber, dass die Vollmacht lediglich für die aufgeführten Steuernummern Wirkung im Verhältnis zur Finanzverwaltung entfaltet.
Formulare sind auf Erteilung einer Generalvollmacht gerichtet
Eine Pflicht des Vollmachtgebers, die Wirkung der Bevollmächtigung durch Übermittlung des Beiblatts sachlich zu beschränken, stünde im Widerspruch zum Inhalt der amtlichen Formulare, die im Grundsatz auf die Erteilung einer Generalvollmacht gerichtet sind. Die amtlichen Formulare gehen davon aus, dass der Vollmachtgeber eine sachlich und zeitlich unbeschränkte Vertretung in Steuerangelegenheiten erreichen möchte. Wählt er keines der angebotenen Felder durch Ankreuzen aus, erteilt er mit seiner Unterschrift eine Generalvollmacht zur Vertretung in Steuersachen, wobei eine Bekanntgabevollmacht durch Ankreuzen eines Feldes gesondert erteilt werden muss. Zwar bieten die amtlichen Formulare selbst die Möglichkeit, den sachlichen und zeitlichen Umfang der Vollmacht zu beschränken. So können einzelne Steuerarten von der Bevollmächtigung ausgenommen werden. Macht der Vollmachtgeber hiervon aber keinen Gebrauch, gilt die Vollmacht uneingeschränkt für alle aktuellen und künftigen Steuerfälle. Ein Beiblatt, das weitere Hürden für die Reichweite der erteilten (Bekanntgabe-)Vollmacht errichtet, ist in § 80a Abs. 1 Satz 1 AO nicht vorgesehen.
Vollmachtserteilung auch bei Grunderwerbsteuer vorgesehen
Bei der Grunderwerbsteuer besteht zudem die Besonderheit, dass für jeden steuerpflichtigen Erwerbsvorgang eine neue Steuernummer vergeben wird. Die Eintragung einer auch für künftige Erwerbsvorgänge geltenden Grunderwerbsteuernummer in das Beiblatt ist nicht möglich. Die Annahme des FA, das vollständig ausgefüllte Beiblatt sei zwingender Bestandteil einer nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz elektronisch übermittelten Empfangsvollmacht, hätte daher zur Folge, dass eine für die Grunderwerbsteuer erteilte Generalvollmacht nicht elektronisch übermittelt werden könnte. Ein solcher faktischer Ausschluss der Bevollmächtigung für künftige Erwerbsvorgänge stünde im Widerspruch zum Inhalt der amtlichen Vollmachtsformulare. Denn diese erlauben die Erteilung einer umfassenden (Bekanntgabe-)Vollmacht auch für die Grunderwerbsteuer. Aus der Möglichkeit, die Grunderwerbsteuer durch Ankreuzen des entsprechenden Feldes des amtlichen Formulars vom sachlichen Anwendungsbereich der Vollmacht auszunehmen, folgt im Umkehrschluss, dass die Erteilung einer Vollmacht für diese Steuerart grundsätzlich vorgesehen ist. Das Gesetz enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die elektronische Übermittlung von Vollmachtsdaten für die Grunderwerbsteuer ausschließen wollte. Neben der Verwendung des amtlich bestimmten Formulars nennt § 80a Abs. 1 Satz 1 AO keine Voraussetzungen für die Übermittlung einer Vollmacht auf elektronischem Wege.
Inhalt durch Auslegung zu berücksichtigen
Die (Bekanntgabe-)Vollmacht stellt eine verfahrensrechtliche Willenserklärung dar, deren Inhalt durch Auslegung unter Beachtung des "Empfängerhorizonts" zu ermitteln ist. Die berechtigten Interessen des Vollmachtgebers an einer sachgerechten Beratung und Vertretung sind zu berücksichtigen.
Das FG hat nach diesen Grundsätzen im Ergebnis zutreffend entschieden, dass die Bekanntgabe des Grunderwerbsteuerbescheids vom 27.6.2018 nicht an den Kläger, sondern an die Prozessbevollmächtigte zu erfolgen hatte. Denn die Voraussetzungen des § 122 Abs. 1 Satz 4 Alternative 2 AO waren zum Zeitpunkt der Bekanntgabe erfüllt.
Zusammenfassung
- Dem FA hatte seit dem 20.6.2017 eine nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz elektronisch übermittelte Empfangsvollmacht vorgelegen.
- Das Fehlen des "Beiblatts zur Vollmacht zur Vertretung in Steuersachen", das dem vom Kläger bereits am 28.7.2015 unterzeichneten Vollmachtsformular noch nicht beigefügt war, stand der elektronischen Übermittlung der Vollmachtsdaten nach § 122 Abs. 1 Satz 4 Alternative 2 AO nicht entgegen, da das Beiblatt kein Bestandteil des amtlichen Formulars im Sinne des § 80a Abs. 1 Satz 1 AO ist.
- Die Auslegung des FG, die Vollmacht umfasse auch die Grunderwerbsteuer, ist nicht zu beanstanden. Der Kläger brachte in dem an das FA übermittelte Dokument klar und unmissverständlich zum Ausdruck, dass er die Prozessbevollmächtigte für alle Steuerarten und damit auch für die Grunderwerbsteuer als Bekanntgabebevollmächtigte bestellen will. Denn unter der Zeile "Diese Vollmacht gilt nicht für:" hat er die Grunderwerbsteuer nicht angekreuzt.
- Aus der Eintragung der die Einkommensteuer betreffenden Steuernummer in den Formularkopf kann nicht ohne Weiteres geschlossen werden, dass sich die Vollmacht nur auf solche Steuerangelegenheiten beziehen sollte, die unter jener Steuernummer bearbeitet werden, da das Formular grundsätzlich auf die Erteilung einer Generalvollmacht abzielt.
- Sachliche oder zeitliche Grenzen der Bevollmächtigung hat der Kläger nicht durch Ankreuzen der dafür vorgesehenen Felder kenntlich gemacht.
Danach war der Einspruch zulässig, die einmonatige Einspruchsfrist, ausgehend von der Bekanntgabe am 9.9.2019, noch nicht abgelaufen.
BFH, Urteil v. 8.11.2023, II R 19/21; veröffentlicht am 21.12.2023
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