Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Wirksamkeit eines Lohnsteuer-Haftungsbescheids, wenn die vorausgehende Lohnsteuer-Prüfung ohne Prüfungsanordnung durchgeführt worden ist
Leitsatz (NV)
1. Ist eine LSt-Prüfung durchgeführt worden, ohne daß eine entsprechende Prüfungsanordnung ergangen war, so hat dies die Unwirksamkeit eines daraufhin ergangenen Haftungsbescheids jedenfalls dann nicht zur Folge, wenn der Haftungsbescheid nicht rechtzeitig angefochten worden ist.
2. Eine dem Einspruchsführer vom Finanzamt gewährte Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist unterliegt der Überprüfung durch das Finanzgericht in einem anschließenden Klageverfahren.
3. Zum Begriff des Hausgenossen im Sinne des § 181 ZPO.
Normenkette
AO 1977 §§ 125, 196; FGO § 56 Abs. 5, § 110; ZPO § 181
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wurde vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) durch Haftungsbescheid vom 8. Juli 1982 wegen eines Gesamtbetrages von . . . DM Lohnsteuer und . . . DM ev. Kirchenlohnsteuer und . . . DM rk. Kirchenlohnsteuer in Anspruch genommen. Der Haftungsbescheid ist der Klägerin ausweislich der Postzustellungsurkunde am 10. Juli 1982 durch Übergabe an ihre Tochter A zugestellt worden.
Mit dem hiergegen am 19. November 1982 erhobenen Einspruch machte die Klägerin geltend, der Haftungsbescheid sei nicht ordnungsgemäß nach § 181 der Zivilprozeßordnung (ZPO) zugestellt worden. Denn ihre am . . . 1965 geborene Tochter A sei seinerzeit erst 17 Jahre alt gewesen. Sie lebe im Ausland, gehe dort zur Schule und sei nur wegen der Ferien bei ihr gewesen. Der deutschen Sprache sei sie nicht in der erforderlichen Weise mächtig, habe offenbar deswegen die Bedeutung des Vorgangs verkannt und ihrer Mutter davon keine Mitteilung gemacht, so daß sie, die Klägerin, erst verspätet von dem Haftungsbescheid Kenntnis erhalten habe.
Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. In der Einspruchsentscheidung ist u.a. ausgeführt, daß aufgrund der Darlegungen der Klägerin zum tatsächlichen Zugang des angefochtenen Bescheides von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 der Abgabenordnung (AO 1977) gewährt werde.Mit der Klage beantragte die Klägerin zunächst, unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung den angefochtenen Haftungsbescheid aufzuheben, hilfsweise festzustellen, daß der Haftungsbescheid nichtig sei. Mit Schriftsatz vom 19. März 1984 beantragte die Klägerin dann, (I.) festzustellen, daß der Haftungsbescheid nichtig sei, (II.) hilfsweise, daß die Anordnung der Betriebsprüfung nichtig sei und daß wegen der Rechtswidrigkeit der Betriebsprüfung für die getroffenen Feststellungen ein Verwertungsverbot bestehe, und (III.) weiter hilfsweise, unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung den Haftungsbescheid ersatzlos aufzuheben, hilfsweise dazu festzustellen, daß der Haftungsbescheid rechtswidrig sei. Zur Begründung verwies sie darauf, daß sie keine schriftliche Prüfungsanordnung erhalten habe. Sie halte die durchgeführte Außenprüfung daher für nichtig, wobei die Nichtigkeit auch den nachfolgenden Haftungsbescheid erfasse.
Abgesehen davon sei die im Bescheid vorgenommene Schätzung überhöht, da nur die im Lohnbuch ausgewiesenen Arbeitnehmer beschäftigt worden seien; die vom FA zugrunde gelegte Kostenstruktur sei eine willkürliche Unterstellung. Außerdem habe sie den Arbeitnehmern pauschal Werkzeuggelder gezahlt. Die Klägerin beantragte, eine Auskunft bei der Steuerberaterkammer . . . darüber einzuholen, daß das Erfordernis einer Betriebsprüfungsanordnung bei den der Betriebsprüfung unterliegenden Steuerpflichtigen allgemein bekannt sei. Sie gab eine eidesstattliche Versicherung zu der Frage ab, ob ihre Tochter am 10. Juli 1982 als erwachsen anzusehen war. Nach dem Inhalt dieser Erklärung stammt A aus ihrer, der Klägerin erster Ehe, lebt bei dem Bruder der Klägerin an einem kleinen Ort in . . . und steht unter strenger Aufsicht; sie sei unselbständig gewesen und habe nach ihrer Kleidung und Figur kindlich ausgesehen. Mit Mädchen im Alter von 17 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) sei sie nicht vergleichbar gewesen. Außerdem beantragte die Klägerin, zu der vorstehenden Frage ihren jetzigen Ehemann B als Zeugen zu vernehmen. Die Aufforderung des Berichterstatters beim Finanzgericht (FG), Fotografien ihrer Tochter vorzulegen, beantwortete die Klägerin dahin, daß keine Aufnahmen aus den letzten Jahren, aus denen sich Hinweise über das äußere Erscheinungsbild und die Entwicklung der Tochter entnehmen ließen, vorgelegt werden könnten.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das FG führte aus, der Wechsel des Hauptantrags sei, trotz der Erklärung des FA, es stimme einer möglichen Klageänderung nicht zu, zulässig. Es handele sich nicht um eine Klageänderung, weil der Antrag auf Feststellung des Haftungsbescheids bereits im ursprünglichen Klagebegehren, wenn auch als Hilfsantrag, mitenthalten gewesen sei und der Sinn der eingeschränkten Zulassung einer Klageänderung darin bestehe, den Beklagten gegen eine leichtfertige Prozeßführung zu schützen. Dagegen führe der zwischen die ursprünglichen Anträge eingefügte Feststellungsantrag zur Betriebsprüfungsanordnung und zum Verwertungsverbot zu einer Klageänderung i.S. des § 67 der Finanzgerichtsordnung (FGO), die mangels Sachdienlichkeit nicht zuzulassen sei. Hinsichtlich des Haftungsbescheids sei inzidenter ohnehin zu prüfen, ob Bestandskraft eingetreten sei; sei Bestandskraft eingetreten, so komme es auf die Rechtmäßigkeit oder Nichtigkeit etwa zugrunde liegender Außenprüfungsfeststellungen nicht an. Gleiches gelte im Falle der Nichtigkeit, da für diesen Fall der weitergehende Feststellungsantrag zum Verwertungsverbot erst dann eigenständige Bedeutung gewänne, wenn ein neuer Haftungsbescheid erlassen würde.
Der Haftungsbescheid sei jedoch nicht nichtig. Denn dies würde gemäß § 125 AO 1977 voraussetzen, daß der Bescheid an einem besonders schwerwiegenden und offenkundigen Fehler leide. Es müsse sich um eine unerträgliche Rechtswertverletzung handeln; ein solches Unwerturteil könne auch für den Fall nicht abgegeben werden, daß die Lohnsteueraußenprüfung nicht ordnungsgemäß angeordnet worden sein sollte. Auch evtl. Schätzungsfehler beinhalteten eine solche Rechtsverletzung nicht; außerdem fehle es hier an dem weiteren Merkmal der Offenkundigkeit, zumal keiner der Beteiligten im Einspruchsverfahren darauf gekommen sei, eine derartige Fehlerhaftigkeit zu rügen.
Der Haftungsbescheid sei unter Beachtung von § 181 ZPO zugestellt worden. Der mit förmlichen Zustellungen vertraute Briefträger habe in der Postzustellungsurkunde die Übergabe an die ,,erwachsene" Tochter bescheinigt. Der Senat gehe davon aus, daß ihm hinsichtlich des äußeren Erscheinungsbildes keine Bedenken gekommen seien, die Tochter der Klägerin als erwachsen anzusehen. Außerdem sei es der Regelfall, daß Kinder kurz vor Erreichen der Volljährigkeitsgrenze nach deutschem Recht einen erwachsenen Gesamteindruck hinterließen. Der Inhalt der eidesstattlichen Versicherung der Klägerin stehe dem nicht entgegen, da diese Erklärung vor allem eigene Wertungen wiedergebe. Es komme auch nicht darauf an, welche Meinung insoweit der jetzige Ehemann der Klägerin habe, da es sich auch dabei nur um seine Wertung handeln könne. Im übrigen glaube der Senat nicht der Klägerin, daß ihre Tochter die Bedeutung des gesamten Vorgangs nicht erkannt habe; denn eine 17jährige Schülerin wisse, daß Post innerhalb der Familie dem angeschriebenen Empfänger auszuhändigen sei.
Auch dem Hilfsantrag zu III. (Aufhebung des Haftungsbescheides, hilfsweise Feststellung seiner Rechtswidrigkeit) könne nicht entsprochen werden. Der Antrag sei zwar zulässig, aber nicht begründet. Der Einspruch sei verspätet gewesen und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand habe - entgegen der anderslautenden Entscheidung des FA - nicht gewährt werden dürfen.
Denn eine Wiedereinsetzung nach § 110 AO 1977 hätte vorausgesetzt, daß Tatsachen glaubhaft gemacht worden seien, aus denen sich ergebe, daß die Klägerin ohne Verschulden an der Einhaltung der Einspruchsfrist verhindert gewesen sei. Tatsächlich habe die Klägerin in dem Einspruchsschreiben lediglich vortragen lassen, sie habe den Bescheid erst drei Wochen zuvor unter alten Zeitungen und Zeitschriften aufgefunden und könne sich die Sache nur so erklären, daß ihre Tochter bei den beengten Wohnverhältnissen den Haftungsbescheid achtlos zur Seite gelegt und den Vorgang einfach vergessen habe. Darin könne nur ein entsprechender Tatsachenvortrag gesehen werden, nicht jedoch dessen Glaubhaftmachung. Dazu hätte es nahegelegen, etwa eine eidesstattliche Versicherung der Tochter oder - nach Befragen der Tochter durch die Klägerin - eine eidesstattliche Versicherung der Klägerin selbst vorzulegen, zumal diese anwaltlich vertreten gewesen sei. Im übrigen habe der Senat bereits vorstehend auch dargelegt, daß er der geschilderten Version keinen Glauben schenke.
Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, für deren Begründung im wesentlichen folgendes ausgeführt wird:
Zu Unrecht habe das FG die Frage, ob eine schriftliche Betriebsprüfungsanordnung erteilt worden sei, offengelassen. Denn wenn ein Haftungsbescheid aufgrund einer Betriebsprüfung ergangen sei, die ohne schriftliche Betriebsprüfungsanordnung durchgeführt worden sei, sei dieser Bescheid unheilbar nichtig. In solchen Fällen bestehe ein absolutes Verwertungsverbot (Hinweis auf Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - GG -). Auch am Erfordernis der Offenkundigkeit i.S. des § 125 Abs. 1 AO 1977 fehle es dann nicht, da der vorliegende Fehler schwerer sei als der in § 125 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 aufgeführte Fall, daß die erlassende Behörde nicht erkennbar sei. Nach Lage der Akten müsse auch davon ausgegangen werden, daß die Klägerin eine schriftliche Betriebsprüfungsanordnung nicht erhalten habe. Aus dem Betriebsprüfungsbericht ergebe sich vielmehr, daß der Prüfer überhaupt keinen persönlichen Kontakt mit der Klägerin gehabt habe. Auch das FA habe ausweislich seiner Äußerungen im Schriftsatz vom 8. März 1984 keine Anhaltspunkte für eine entsprechende Bekanntgabe finden können. Daß eine Betriebsprüfung ohne schriftliche Prüfungsanordnung nicht möglich sei, sei aber jedem verständigen Steuerbürger, soweit er der Betriebsprüfung unterliege, geläufig.Im übrigen sei der Einspruch entgegen der Auffassung des FG auch zulässig gewesen. Das FG habe die Entscheidung des FA über die Wiedereinsetzung nicht aufheben dürfen; denn darin liege ein Verstoß gegen das Verbot der Verböserung. Abgesehen davon sei der Einspruch aber auch tatsächlich nicht verspätet eingelegt worden, weil er durch die Übergabe an ihre, der Klägerin, Tochter nicht wirksam zugestellt worden sei. Denn ihre Tochter sein kein ,,erwachsener Hausgenosse" i.S. des § 181 ZPO gewesen. Wie sie, die Klägerin, in ihrer eidesstattlichen Versicherung erklärt habe, habe ihre Tochter A nicht in ihrer, sondern in der Hausgemeinschaft ihres Bruders im Ausland gelebt; sie sei nur zu Besuch bei ihr gewesen. Schon deshalb sei die Zustellung nicht wirksam. Im übrigen sei zu rügen, daß das FG sich hinsichtlich des äußeren Eindrucks, den die Tochter zur Zeit der Zustellung gemacht habe, darauf gestützt habe, daß der Briefträger von Berufs wegen mit förmlichen Zustellungen vertraut sei. Denn es gebe keinen Erfahrungssatz, daß jeder Briefträger mit förmlichen Zustellungen vertraut sei, da sich unter diesen Personen auch Anfänger und Aushilfskräfte befänden. Wäre die Argumentation des FG richtig, könnte die Ordnungsmäßigkeit einer Zustellung nach § 181 ZPO überhaupt nicht mehr nachgeprüft werden. Bei dem äußeren Erscheinungsbild der Tochter handele es sich um eine Tatfrage, die das FG anhand der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung, einer Vernehmung ihres, der Klägerin, jetzigen Ehemannes als Zeugen und ggf. auch einer Zeugenvernehmung des Briefträgers hätte ermitteln müssen. Insoweit werde mangelnde Sachaufklärung gerügt.
Entgegen der Auffassung des FG sei auch der hilfsweise gestellte Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit der Betriebsprüfungsanordnung zuzulassen. Denn bei einer für nichtig erklärten Anordnung würde eine Bindungswirkung für alle Behörden und Gerichte bestehen. An der Nichtverwertbarkeit der getroffenen Feststellungen habe sie, die Klägerin, neben der Aufhebung des Haftungsbescheids insbesondere auch im Hinblick auf das gegen sie eingeleitete Strafverfahren ein besonderes rechtliches Interesse, weil dort die Prüfung der Verwertung der Feststellungen des Prüfers unter steuerlichen Aspekten möglicherweise ganz abgelehnt werde. Zu Unrecht habe das FG die von ihm angenommene Klageänderung nicht als sachdienlich i.S. von § 67 FGO angesehen. Denn im Falle ihres Erfolges hätte der Haftungsbescheid ersatzlos aufgehoben werden müssen. Aber auch der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Betriebsprüfungsanordnung sei als sachdienlich zuzulassen gewesen. Dieser Antrag habe unschwer als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO gedeutet werden können, die auch im Zeitpunkt des Verfahrens vor dem FG noch zulässig gewesen sei.
Die Klägerin beantragt:
I. Festzustellen, daß der Lohnsteuerhaftungsbescheid vom 8. Juli 1982 nichtig sei,
II. hilfsweise, festzustellen,
1. daß die Lohnsteuer-Betriebsprüfungsanordnung nichtig ist,
2. daß die Lohnsteuer-Betriebsprüfungsanordnung rechtswidrig ist.
III. hilfsweise,
unter Aufhebung des Urteils des FG vom 26. Juni 1984 den Lohnsteuerhaftungsbescheid vom 8. Juli 1982 ersatzlos aufzuheben und festzustellen, daß der Lohnsteuerhaftungsbescheid rechtwidrig ist.
IV. hilfsweise,
das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Zu Recht ist das FG allerdings davon ausgegangen, daß der Haftungsbescheid nicht nichtig ist.
Die Frage, welche Rechtsfolgen sich für den Fall ergeben, daß eine gemäß § 196 AO 1977 ergangene Prüfungsanordnung nichtig oder eine Prüfungsanordnung überhaupt nicht ergangen ist, wird nicht einheitlich beantwortet. Insbesondere ist umstritten, ob bei Fehlen einer Prüfungsanordnung ein allgemeines Verwertungsverbot besteht. Tipke/Kruse (Abgabenordnung / Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 196 AO 1977 Tz. 7) z. B sind der Auffassung, daß in diesem Fall hypothetisch zu prüfen sei, ob die Prüfungsanordnung hätte erlassen werden dürfen; soweit dies der Fall sei, könnten ohne Prüfungsanordnung getroffene Feststellungen nicht verboten sein. Hiervon geht im Ergebnis auch das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 23. Februar 1984 IV R 154/82 (BFHE 140, 505, BStBl II 1984, 512) aus, in dem der BFH die Verwertung von Prüfungsfeststellungen gegenüber einem Mitunternehmer für zulässig erachtet hat, obwohl eine Prüfungsanordnung lediglich gegenüber dem an der Mitunternehmerschaft beteiligten (vermeintlichen) Einzelunternehmer ergangen war. Der Senat kann offenlassen, ob er dieser Rechtauffassung in allen Einzelheiten zustimmen könnte. Richtig ist jedenfalls, daß ein Fehlen der Prüfungsanordnung nicht ohne weiteres Folgemaßnahmen fehlerhaft oder gar nichtig macht. Selbst wenn und soweit nämlich ein Verwertungsverbot besteht, entbindet dies den Steuerpflichtigen nicht, Folgemaßnahmen, insbesondere aufgrund der Prüfungsfeststellungen erlassene Steuerbescheide, anzufechten (vgl. BFH-Beschluß vom 11. Juli 1979 I B 10/79, BFHE 128, 170, BStBl II 1979, 704, und BFH-Urteil vom 27. Juli 1983 I R 210/79, BFHE 139, 221, BStBl II 1984, 285, zweitletzter Absatz).
Auch die gegen die inhaltliche Richtigkeit des Haftungsbescheides von der Klägerin vorgebrachten Einwendungen rechtfertigen nicht die Annahme der Nichtigkeit, sondern - allenfalls - die der Rechtswidrigkeit des Bescheids.
2. Hinsichtlich des Hilfsantrags zu II. (Feststellung der Nichtigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der Betriebsprüfungsanordnung) ist das FG zu Recht davon ausgegangen, daß es sich um eine Klageänderung handle, weil eine evtl. Nichtigkeit der Prüfungsanordnung - wie vorstehend dargelegt - nicht die Folge hätte, daß der Haftungsbescheid nichtig wäre; sie würde vielmehr nur dann eigenständige Bedeutung gewinnen, wenn ein neuer Haftungsbescheid erlassen würde. Nichts anderes gilt für die hilfsweise begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, daß das FG diese Erweiterung des Streitgegenstandes nicht für sachdienlich i.S. des § 67 FGO gehalten hat.
3. Zu beanstanden ist jedoch, daß das FG - im Rahmen der Prüfung des Hilfsantrags zu III. - von der Bestandskraft des Haftungsbescheids ausgegangen ist. Denn die getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen nicht aus, um beurteilen zu können, ob die Voraussetzungen des § 181 ZPO vorlagen oder der angefochtene Bescheid gemäß § 9 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) durch den von der Klägerin eingelegten Einspruch noch angefochten werden konnte.
§ 181 ZPO setzt in der hier in Betracht kommenden Alternative voraus, daß die Zustellung an einen zur Familie gehörenden erwachsenen Hausgenossen erfolgt. An der Familienzugehörigkeit der Tochter A fehlte es hier allerdings nicht. Zwar ist sie nur mit der Klägerin, nicht aber mit deren (jetzigem) Ehemann verwandt. Das reicht jedoch aus; denn es ist anerkannt, daß z. B. auch Verschwägerte in diesem Sinne zur Familie gehören, obwohl bei ihnen nur eine verwandtschaftliche Beziehung zu einem der Ehegatten besteht (Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Kurzkommentar zur Zivilprozeßordnung, 46. Aufl., § 181 Anm. 1 B a).
Die Tochter A war jedoch nur dann Hausgenossin der Klägerin, wenn sie ihrem Hausstand ständig angehörte (Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, a.a.O.). Das setzt voraus, daß das Zusammenwohnen auf eine in die Vergangenheit oder in die Zukunft gerichtete Dauer abgestellt gewesen oder noch abgestellt war (Wieczorek, Zivilprozeßordnung und GVG, Handausgabe, 2. Aufl., § 181 Anm. B III a 1). Zur - tatsächlichen oder beabsichtigten - Länge des Aufenthalts im Haushalt der Klägerin enthält das finanzgerichtliche Urteil jedoch keine Feststellungen. Vielmehr hat das FG insoweit nur den Sachvortrag der Klägerin als solchen wiedergegeben, daß die Tochter A am Zustellungstag ,,nur wegen der Ferien" bei ihrer Mutter gewesen sei, eine Bemerkung, die über die Dauer des Zusammenwohnens nichts aussagt.
4. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Sache gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO an das FG zurückzuverweisen, damit dieses die unterbliebenen Feststellungen nachholt. Sollte sich ergeben, daß die Tochter A als Hausgenossin der Klägerin i.S. des § 181 ZPO anzusehen war, so wird das FG auch die Frage, ob es sich bei ihr um eine ,,erwachsene" Person im Sinne der genannten Vorschrift handelte, unter Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Beweismittel zu klären haben.
Vorsorglich weist der Senat darauf hin, daß die Rechtsauffassung der Klägerin, das FG habe die Entscheidung des FA über die Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist nicht überprüfen dürfen, nicht zutrifft. Denn die Entscheidung über die Wiedereinsetzung ist ein unselbständiger Bestandteil der Entscheidung zur Hauptsache (Tipke/Kruse, a.a.O., 12. Aufl., § 110 AO 1977 Tz. 31). Die Gewährung der Wiedereinsetzung durch das FA im Einspruchsverfahren bindet die Steuergerichte nicht; dies ergibt sich auch aus dem Fehlen einer dem § 56 Abs. 5 FGO entsprechenden Regelung, nach der eine Wiedereinsetzung durch das FG unanfechtbar ist (BFH-Urteil vom 17. Oktober 1972 VIII R 36-37/69, BFHE 108, 141, BStBl II 1973, 271). Daß in der Literatur teilweise andere Auffassungen vertreten werden, (vgl. Kühn / Kutter / Hofmann, Abgabenordnung / Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 110 AO 1977 Anm. 6 f., und - wohl auch - Hübschmann / Hepp / Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 110 AO 1977 Anm. 160), ist richtig; diese Meinungen, denen der Senat nicht folgt, stehen jedoch in Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH. Auf den Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 21. Oktober 1976 VII B 94/76 (Neue Juristische Wochenschrift 1977, 542) beruft sich die Klägerin zu Unrecht, da das BVerwG dort entschieden hat, daß eine vom Verwaltungsgericht gewährte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch das Berufungsgericht überprüft werden könne.
Fundstellen