Leitsatz (amtlich)
Zum Erfordernis der Unternehmensidentität als Voraussetzung des Verlustabzugs nach § 10a GewStG.
Normenkette
GewStG § 10a
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Kommanditgesellschaft (KG), führte früher die Firmenbezeichnung ... Unter dieser Firma betrieb die Klägerin bis zum 31. Dezember 1973 in X in gemieteten Räumen ein Großrestaurant mit dem üblichen Angebot an Speisen und Getränken. Dabei erwirtschaftete sie seit 1967 nur noch Verluste. Zum 31. Dezember 1973 stellte die Klägerin den Betrieb dieser Gaststätte ein.
Zum 1. Januar 1974 übernahm die Klägerin von der Firma A KG eine in gemieteten Räumen betriebene Imbißstube mit Lebensmitteleinzelhandel in X. Die Klägerin plante, weitere gleichartige Filialen der A KG zu übernehmen und eine Restaurant-Kette aufzubauen. Die Klägerin änderte ihren Firmennamen in . . .
Zum 31. März 1978 stellte die Klägerin den Betrieb der Imbißstube ein, weil der Eigentümer des Gebäudes das Mietverhältnis über die Betriebsräume gekündigt hatte. Seither befindet sich die Klägerin in Liquidation.
In ihren Gewerbesteuererklärungen für die Streitjahre 1974 und 1975 kürzte die Klägerin ihre positiven Gewerbeerträge gemäß § 10a des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) um die in den Vorjahren (1969 bis 1973) beim Betrieb des Großrestaurants erlittenen Verluste.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) versagte einen Verlustabzug nach § 10a GewStG, weil zwischen dem bis zum 31. Dezember 1973 und dem in den Streitjahren 1974 und 1975 von der Klägerin betriebenen Unternehmen keine Unternehmensidentität bestanden habe (Gewerbesteuermeß- und Gewerbesteuerbescheide vom 26. April 1978).
Den Einspruch der Klägerin wies das FA zurück.
Mit der Klage beantragte die Klägerin, die Gewerbesteuermeß- und Gewerbesteuerbescheide für 1974 und 1975 dahin zu ändern, daß der Meßbetrag nach dem Gewerbeertrag auf O DM festgesetzt wird. Die Klägerin machte insbesondere geltend, Unternehmensidentität sei gegeben. Sowohl im Restaurant als auch in der Imbißstube hätten die Gäste ihre Speisen an Ort und Stelle verzehrt. Lebensmittel seien in der Imbißstube hauptsächlich an Gaststättenbesucher verkauft worden. Ein Wechsel des Kundenkreises habe insofern nicht stattgefunden, als die meisten Restaurants von einer wechselnden Kundschaft besucht würden. Der Lieferantenkreis sei gleichgeblieben, an der Finanzierung des Unternehmens habe sich nichts Wesentliches geändert. Buchführung und Geschäftsführung seien unverändert geblieben. Ein Teil des Küchenpersonals sei in der Imbißstube weiterbeschäftigt worden; lediglich die Bedienung durch Kellner sei weggefallen.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Verluste aus den Jahren 1969 bis 1973 könnten nicht von den Gewerbeerträgen der Streitjahre 1974 bis 1975 abgezogen werden, weil trotz gewisser finanzieller und organisatorischer Zusammenhänge nach dem Gesamtbild keine wirtschaftliche Identität zwischen dem Restaurant und der Imbißstube bestehe. Die Entscheidung des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1981, 34 veröffentlicht.
Mit der Revision beantragt die Klägerin, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Gewerbesteuermeß- und Gewerbesteuerbescheide 1974 und 1975 vom 26. April 1978 dahin zu ändern, daß der Meßbetrag (gemeint ist offensichtlich der Meßbetrag nach dem Gewerbeertrag, nicht etwa der einheitliche Meßbetrag) auf O DM festgesetzt wird. Die Klägerin rügt dem Sinne nach Verletzung materiellen Rechts (§ 10a GewStG) und unzureichende Sachverhaltsaufklärung.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
1. Bei Gewerbetreibenden, die den Gewinn nach § 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermitteln, wird der maßgebende Gewerbeertrag um die Gewerbeverluste der fünf vorangegangenen Erhebungszeiträume gekürzt, soweit diese in den Vorjahren noch nicht berücksichtigt worden sind (§ 10a Satz 1 GewStG). Tatbestandliche Voraussetzung dieser Kürzung ist -- neben der Identität der Person des Gewerbetreibenden (Unternehmeridentität) --, daß die Gewerbeverluste bei demselben Gewerbebetrieb entstanden sind, dessen Gewerbeertrag im maßgeblichen Erhebungszeitraum gekürzt werden soll. Dieses Erfordernis der Unternehmensidentität folgt, wie der Bundesfinanzhof (BFH) mehrfach ausgesprochen hat, aus dem in § 2 Abs. 1 GewStG verankerten Wesen der Gewerbesteuer als Objektsteuer (z. B. Urteil vom 28. April 1977 IV R 165/76, BFHE 122, 307, BStBl II 1977, 666, m. w. N.). Danach unterliegt jeder -- einzelne sachlich selbständige -- Gewerbebetrieb der Gewerbesteuer. Dies führt dazu, daß, wenn ein und derselbe Unternehmer (natürliche Person; Personengesellschaft) gleichzeitig mehrere -- sachlich selbständige -- Gewerbebetriebe unterhält, jeder dieser Betriebe für sich zur Gewerbesteuer heranzuziehen ist und demgemäß z. B. der Gewerbeertrag jedes dieser Betriebe gesondert um den Freibetrag nach § 11 Abs. 1 Satz 3 GewStG zu kürzen ist.
Entsprechendes gilt, wenn ein und derselbe Unternehmer nacheinander mehrere -- sachlich selbständige -- Gewerbebetriebe unterhält; die bisherige Steuerpflicht endet, die neue Steuerpflicht beginnt (vgl. § 10 Abs. 3 Satz 1 GewStG). Demgemäß sind auch gleichartige Beurteilungsmaßstäbe anzuwenden für die Entscheidung der Frage, ob mehrere gewerbliche Betätigungen, die ein und derselbe Unternehmer gleichzeitig oder nacheinander ausübt, je für sich einen sachlich selbständigen Gewerbebetrieb oder zusammen einen einheitlichen Gewerbebetrieb darstellen (so ausdrücklich das Urteil des Senats vom 1. Dezember 1960 IV 353/60 U, BFHE 72, 173, BStBl III 1961, 65).
Einheitlicher Beurteilungsmaßstab ist der sachliche, namentlich wirtschaftliche oder finanzielle oder organisatorische Zusammenhang zwischen den verschiedenen gleichzeitig oder nacheinander ausgeübten gewerblichen Betätigungen nach Maßgabe des Gesamtbilds der Verhältnisse im Einzelfall und unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung (vgl. z. B. BFHE 72, 173, BStBl III 1961, 65; BFH-Urteil vom 28. Mai 1968 IV 340/64, BFHE 93, 91, 93, BStBl II 1968, 688; s. auch Lenski/Steinberg, Kommentar zum Gewerbesteuergesetz, 5. Aufl., § 2 Rz. 9); dabei sind nach dem Urteil des Senats vom 12. Januar 1978 IV R 26/73 (BFHE 124, 348, BStBl II 1978, 348) richtungsweisende Kriterien u. a. die Art der gewerblichen Betätigung, der Kundenund Lieferantenkreis, die Geschäftsleitung, die Arbeitnehmerschaft, die Betriebsstätte und die Zusammensetzung und Finanzierung des Aktivvermögens.
Auf der Grundlage dieses einheitlichen Beurteilungsmaßstabs "sachlicher Zusammenhang" hat der Senat bei zeitlich aufeinanderfolgenden gewerblichen Betätigungen sachlich selbständige, also mehrere Gewerbebetriebe bejaht, z. B. wenn eine KG zunächst ein Kaufhaus und später eine Immobilienvermittlung betreibt (BFHE 122, 307, BStBl II 1974, 666) oder wenn eine natürliche Person zunächst mit Wein und Spirituosen handelt und sodann als Makler tätig ist (BFHE 72, 173, BStBl III 1961, 65). Andererseits hat bereits der Reichsfinanzhof (RFH) entschieden, daß z. B. ein Hotel und eine Bahnhofswirtschaft, die ein und derselbe Unternehmer am selben Ort betreibt, trotz der Verschiedenartigkeit der angebotenen Leistungen bei hinreichender organisatorischer Verflechtung, insbesondere im Einkauf, ein einheitlicher Gewerbebetrieb sein können (Urteil vom 21. Dezember 1938 VI 730/38, RStBl 1939, 372).
2. Nach Maßgabe dieser Rechtsgrundsätze kann der Senat der Vorentscheidung nicht darin folgen, daß die von der Klägerin bis zum 31. Dezember 1973 und ab 1. Januar 1974 entfalteten gewerblichen Aktivitäten nicht als einheitlicher -- fortgesetzter, wenn auch in seiner Struktur erheblich veränderter -- Gewerbebetrieb, sondern als zwei sachlich selbständige Gewerbebetriebe zu werten sind.
Zwischen den nacheinander ausgeübten gewerblichen Betätigungen der Klägerin bestehen sachliche, Insbesondere wirtschaftliche, organisatorische und finanzielle Zusammenhänge, die für die Annahme einer Unternehmensidentität (noch) ausreichen. Diese sachlichen Zusammenhänge sieht der Senat Insbesondere darin, daß die Klägerin sowohl in der Großgaststätte als auch im in derselben Stadt betriebenen Selbstbedienungsrestaurant (Imbißstube) Speisen und Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle angeboten hat, und zwar vornehmlich die von der (gesellschafteridentischen) A KG bezogenen Fleisch- und Wurstwaren. Allerdings ist dies, wie die Vorentscheidung zu Recht hervorhebt, unter verschiedenen Umständen geschehen. Diese Andersartigkeit in der Leistungspräsentation im einzelnen -- und ebenso der Wechsel in der jeweils in gemieteten Räumen unterhaltenen Betriebsstätte innerhalb des Stadtgebietes -- werden jedoch durch weitere sachliche Zusammenhänge zwischen den zeitlich aufeinanderfolgenden Betätigungsformen aufgewogen. So hat die Klägerin vor dem FG vorgetragen, ohne daß das FA dem widersprochen hätte, daß die kaufmännische Organisation, insbesondere die Geschäftsführung des Unternehmens, erhalten geblieben, daß ein Teil der Arbeitnehmer weiterbeschäftigt und daß ein Teil des Anlagevermögens (Kücheneinrichtung) wie bisher betrieblich genutzt worden ist. Der dadurch begründete sachliche Zusammenhang zwischen den zeitlich aufeinanderfolgenden gewerblichen Aktivitäten der Klägerin reicht nach dem insbesondere durch das Leistungsangebot geprägten Gesamtbild für die Annahme eines einheitlichen Gewerbebetriebs aus.
Wenn, wie oben zu 1. dargelegt, zwischen so unterschiedlichen Betätigungsformen wie dem Betrieb eines Hotels (Beherbergung) und dem Betrieb einer Bahnhofswirtschaft (Abgabe von Speisen und Getränken, insbesondere zum Verzehr an Ort und Stelle, an stark wechselnde Kundschaft) eine wirtschaftliche Einheit i. S. eines einheitlichen Gewerbebetriebs bestehen kann, so erscheint es sachgerecht, auch den organisatorisch in gewisser Weise miteinander verflochtenen Betrieb einer Großgaststätte und eines Selbstbedienungsrestaurants unter den gegebenen Umständen des Streitfalls als einen Gewerbebetrieb zu beurteilen. In Betracht zu ziehen ist dabei auch, daß nach der Verkehrsanschauung eine strukturelle Anpassung einer gewerblichen Betätigung an veränderte wirtschaftliche Gegebenheiten, wie z. B. eine Umstellung auf Selbstbedienung, die wirtschaftliche Identität eines gewerblichen Unternehmens noch nicht in Frage stellen kann.
3. Zwischen den Prozeßbeteiligten ist unstreitig, daß dem Erfordernis der Unternehmeridentität genügt ist. Damit sind alle Voraussetzungen für eine Kürzung des Gewerbeertrags um die Gewerbeverluste der Vorjahre aus § 10a Satz 1 GewStG erfüllt.
4. Da das FG von einer anderen rechtlichen Beurtellung ausgegangen ist, war sein Urteil aufzuheben, Die Gewerbesteuermeßbeträge und die Gewerbesteuer für die Streitjahre 1974 und 1975 sind nach Maßgabe der Urteilsgründe unter Änderung der angefochtenen Bescheide durch das FA neu festzusetzen (Art. 3 § 4 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978, BGBl I, 446, BStBl I, 174).
Fundstellen
BStBl II 1983, 425 |
BFHE 1983, 90 |
DB 2015, 1183 |