Entscheidungsstichwort (Thema)
Offenbare Unrichtigkeit eines Feststellungsbescheids
Leitsatz (NV)
Ein Feststellungsbescheid ist offenbar unrichtig, wenn die Veranlagungsstelle bei der Auswertung eines Betriebsprüfungsberichts Besteuerungsgrundlagen, die im Bericht ausgewiesen sind und die zwischen den Beteiligten unstreitig sind, versehentlich nicht berücksichtigt und im Änderungsbescheid darauf hinweist, die Änderungen beruhten auf dem Bericht.
Normenkette
AO 1977 § 129; KStG §§ 14, 17
Tatbestand
Die Klägerin zu 1 und Revisionsklägerin (Klägerin zu 1) ist eine GmbH & Co. KG, aus der Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt werden. Der Beteiligte und Kläger zu 2 (Kläger zu 2) war in den Streitjahren Komman ditist der Klägerin zu 1. Die Beigeladenen waren früher ebenfalls Kommanditisten der Klägerin zu 1 und sind, wie der Kläger zu 2, am 31. Dezember 1983 aus der Klägerin zu 1 ausgeschieden.
Nach einer Betriebsprüfung, die die Jahre 1976 bis 1979 umfaßte, ergaben sich für die KG ein Verlust in Höhe von ... DM für das Streitjahr 1978 und von ... DM für das Streitjahr 1979. Diese Beträge sind in der Anlage 9 -- Ermittlung und Verteilung der steuerlichen Gewinne -- zum Betriebsprüfungs bericht vom 14. Juli 1983 verzeichnet. Die Klägerin zu 1 hatte drei Tochtergesellschaften in der Rechtsform der GmbH, deren Einkommen ihr aufgrund von Ergebnisabführungsverträgen gemäß §§ 14 ff. des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) zuzurechnen waren. Die Einkommen der Organgesellschaften waren bei der Ermittlung der Gewinne in der Anlage 9 abgezogen worden. In der folgenden Anlage 10 waren die Einkommen der Organgesellschaften mit zusammen ... DM in 1978 und ... DM in 1979 ausgewiesen. Hierauf hat der Prüfer im Bericht ausdrücklich hingewiesen. Dort heißt es: Tz. 27.4 Die Ermittlung und die Verteilung der steuerlichen Gewinne ohne Ergebnisse und ohne Einkommen der Organgesellschaften ergeben sich aus der Anlage 9. Tz. 27.5 Einkommen der Organgesellschaften -- Anlage 10. Anlage 11 zum Betriebsprüfungsbericht wies die "Verteilung der Einkommen der Organgesellschaften" auf die einzelnen Gesellschafter der Klägerin zu 1 aus. In der Tz. 7 des Betriebsprüfungsberichts waren die Organgesellschaften und das Bestehen von Ergebnisabführungsverträgen mit der Klägerin zu 1 vermerkt. In Abschn. A des Betriebsprüfungsberichts wurde darauf hin gewiesen, über das Prüfungsergebnis sei Übereinstimmung erzielt worden. Die Einkommen der Organgesellschaften waren auch bereits in den von der Klägerin zu 1 abgegebenen Feststellungserklärungen als Teil des Gewinns der Klägerin zu 1 erfaßt worden, und zwar saldiert mit den eigenen Gewinnen bzw. Verlusten der Klägerin zu 1.
In dem gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Sammelfeststellungsbescheid für die Streitjahre und die Jahre 1976 und 1977 vom 19. Oktober 1983 wurden vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) in die Zeile "Einkünfte aus Gewerbebetrieb" nur die in der Anlage 9 genannten Beträge übernommen. Die darunter liegende Zeile "Einkommen der Organgesellschaft" blieb leer. So kam es für die Streitjahre zur Feststellung von Verlusten in Höhe von ... DM (1978) und ... DM (1979) und deren Verteilung auf die Gesellschafter der Klägerin zu 1. Die Erfassung der Einkommen der Organgesellschaften unterblieb. In Abschn. B des Bescheids ist vermerkt, die Änderungen erfolgten aufgrund des Prüfungs berichts. Die bisherigen Nachprüfungsvor behalte wurden aufgehoben.
Durch Bescheid vom 4. September 1984 wurde der Bescheid vom 19. Oktober 1983 gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 geändert. Dabei handelte es sich um Folgeänderungen aus der Änderung der Feststellungsbescheide für eine Kommanditgesellschaft, an der die Klägerin zu 1 unmittelbar sowie mittelbar über zwei ihrer Organgesellschaften beteiligt war. In die Änderung wurden auch die Mehrbeträge einbezogen, die sich aus den geänderten Einkommen der beiden Organgsellschaften ergaben.
In der Folgezeit stellte das FA fest, daß in den Bescheiden vom 19. Oktober 1983 und vom 4. September 1984 die Einkommen der Organgesellschaften nicht erfaßt worden waren. Daraufhin änderte das FA mit Ver waltungsakt vom 5. Dezember 1986 unter Berufung auf § 129 AO 1977 den Änderungsbescheid vom 4. September 1984. Die Einkommen der Organgesellschaften wurden nunmehr als Einkünfte der Klägerin zu 1 erfaßt und festgestellt. Im Abschn. B des Änderungsbescheids wurde dazu ausgeführt: "Bei Auswertung des Betriebsprüfungsberichtes wurden die Einkommen der Organgesellschaften versehentlich nicht in die berichtigten Feststellungsbescheide 1976 bis 1979 übernommen. Bei den berichtigten GewSt- Meßbescheiden 1976 bis 1979 erfolgte eine ordnungsgemäße Erfassung (Hinweis auch auf § 181 Abs. 5 AO). Für die Berichtigungen der Feststellungsbescheide sind zwar die Feststellungsfristen abgelaufen, dennoch sind die Berichtigungen zulässig, weil zur Zeit die Festsetzungfristen für die Körperschaftsteuer bzw. Einkommensteuer der Beteiligten nicht abgelaufen sind (Verlustvorträge in den Folgejahren)."
Die Einsprüche der Klägerin und der Beigeladenen, mit denen insbesondere geltend gemacht wurde, die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 129 AO 1977 seien nicht erfüllt, wurden durch Einspruchsentscheidungen vom 25. Septemer 1987 als unbegründet zurückgewiesen.
Die Klage dagegen wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab.
Das FG hat die Revision gegen sein Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) zugelassen. Mit der Revision wird Verletzung des § 129 AO 1977 gerügt. Bei den Ausführungen zu § 129 AO 1977 erweise sich auch, daß das FG seiner Entscheidung nicht die aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnene Überzeugung zugrunde gelegt habe (§ 96 Abs. 1 FGO) und auch entscheidungserhebliche Tatsachen, die sich aus den Akten ergeben, unberücksichtigt geblieben seien.
Die Klägerin zu 1 beantragt, das FG-Urteil, die Feststellungsbescheide für 1978 und 1979 vom 5. Dezember 1986 sowie die Einspruchsentscheidung vom 25. September 1987 aufzuheben, hilfsweise, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet und wird deshalb zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 FGO).
Nach § 129 Satz 1 AO 1977 kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlaß eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Im Streitfall waren die Gewinnfeststellungsbescheide offenbar unrichtig, weil in ihnen die Einkommen der Organgesellschaften der Klägerin zu 1 nicht erfaßt worden waren.
1. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, daß zwischen der Klägerin zu 1 und drei Gesellschaften mbH (GmbH) Ergebnisabführungsverträge i. S. der §§ 14 ff. KStG bestanden und daß demzufolge die Einkommen dieser GmbH der Klägerin zu 1 als Organträgerin zuzurechnen waren (§§ 14, 17 KStG). Im Bescheid vom 19. Oktober 1983 ist diese Zurechnung ebenso unterblieben wie im Änderungsbescheid vom 4. September 1984. Diese Bescheide waren folglich unrichtig.
2. Die Unrichtigkeit war auch offenbar i. S. des § 129 AO 1977.
a) Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten sind mechanische Fehler, die ebenso wie Schreib- oder Rechenfehler, also ohne weitere Sach- oder Rechtsprüfung erkannt und berichtigt werden können (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 14. Juni 1991 III R 64/89, BFHE 165, 438, BStBl II 1992, 52, 54). Offenbar ist eine Unrichtigkeit hiernach, wenn sie auf der Hand liegt, wenn sie durchschaubar, eindeutig und augenfällig ist (Senatsurteil vom 28. November 1985 IV R 178/83, BFHE 145, 226, BStBl II 1986, 293; BFH-Beschluß vom 4. September 1984 VIII B 157/83, BFHE 142, 13, BStBl II 1984, 834 m. w. N.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, § 129 AO 1977 Tz. 4). Besteht auch nur die Möglichkeit eines Fehlers in der Tatsachenwürdigung oder der Rechtsanwendung, so ist eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 nicht möglich. Ob hiernach eine offenbare Unrichtigkeit vorliegt, muß nach den Verhältnissen des Einzelfalles beurteilt werden (BFH-Urteil vom 18. Oktober 1989 I R 15/86, BFH/NV 1990, 752).
b) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH können offenbare Unrichtigkeiten i. S. des § 129 AO 1977 auch bei der Auswertung von Prüfungsberichten vorkommen, so etwa dadurch, daß ein Punkt des Berichts übersehen wird (BFH-Urteil vom 10. Februar 1967 VI R 5/66, BFHE 88, 155, BStBl III 1967, 348) oder daß die Prüfungsfeststellungen in widersprüchlicher Weise ausgewertet werden (BFH-Urteil vom 14. August 1975 IV R 150/71, BFHE 119, 201, BStBl II 1976, 764, 766). Eine offenbare Unrichtigkeit wurde deshalb auch bei einem Verlustfeststellungsbescheid angenommen, der auf einen Betriebsprüfungsbericht hin ergangen war, in dem der Betriebsprüfer die Auffassung vertreten hatte, es liege eine steuerlich unbeachtliche Liebhaberei vor (Senatsurteil in BFHE 145, 226, BStBl II 1986, 293). Dabei wurde entscheidend darauf abgestellt, daß nach Lage der Dinge unzweifelhaft die Veranlagungsstelle nicht aufgrund eigener Tatsachenfeststellung oder einer eigenen rechtlichen Beurteilung vom Inhalt des Betriebsprüfungsberichts abweichen wollte, und daß der Fehler folglich offenbar auf einem bloßen Versehen bei der Auswertung des Berichts beruhte. Gerade aus einem dem Änderungsbescheid beigefügten Vermerk, die Änderungen beruhten auf dem Betriebsprüfungsbericht, hat der BFH wiederholt auf die Offenkundigkeit des Versehens geschlossen (Urteil in BFHE 145, 226, BStBl II 1986, 293 m. w. N.).
c) Die Entscheidung, ob ein Fehler beim Erlaß eines Steuerbescheids offenbar ist, hängt weitgehend von den tatsächlichen Feststellungen im Einzelfall ab (§ 118 Abs. 2 FGO), wenn die Unrichtigkeit aus dem Bescheid selbst nicht erkennbar ist (vgl. BFH-Urteil vom 30. November 1989 IV R 76/88, BFH/NV 1991, 457). Im Streitfall konnte das FG hiernach annehmen, der Fehler im Feststellungsbescheid sei offenbar. Das FG hat aufgrund einer Zeugenvernehmung des Sachbearbeiters und des Sachgebietsleiters des FA festgestellt, daß der Sachbearbeiter das Einkommen der Organgesellschaften entsprechend dem Prüfungsbericht der Klägerin zu 1 zurechnen wollte, also gerade nicht aufgrund (unzutreffender) eigener Tatsachenfeststellungen oder einer vom Prüfungsbericht ab weichenden (unzutreffenden) rechtlichen Beurteilung die Einkommen der Organ gesellschaften nicht der Klägerin zu 1 zurechnen wollte. Der Fehler des Sachbearbeiters bestand vielmehr darin, daß er die in der Anlage 10 des Berichts ausgewiesenen Ergebnisse der Organgesellschaften versehentlich nicht in die dafür vorgesehene Zeile des Feststellungsbescheids übernommen hat. Dieser Fehler beruhte nicht auf einem zuvor gefaßten Willensentschluß, die Organeinkommen der Klägerin zu 1 nicht zuzurechnen, sondern nach den Feststellungen des FG, an die der Senat mangels zulässiger und begründeter Verfahrensrügen in bezug auf diese Feststellungen gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), auf einem schlichten Versehen, nämlich der unzutreffenden Annahme, in den in Anlage 9 ausgewiesenen Verlusten seien die Gewinne der Organgesellschaften enthalten. Dieses Versehen und die daraus sich ergebende Unrichtigkeit der geänderten Feststellungsbescheide waren auch für die Klägerin zu 1 bzw. die für sie handelnden Personen eindeutig erkennbar. In der Sache bestand nämlich Übereinstimmung, daß die Organeinkommen der Klägerin zu 1 zuzurechnen waren; die Klägerin zu 1 selbst hatte zuvor ihren Feststellungserklärungen die Organeinkommen als ihr zuzurechnendes Einkommen behandelt. Demzufolge bestand hierüber auch bei der Betriebsprüfung kein Streit. Der Sachbearbeiter und das FA wollten dieses Ergebnis auch in den Änderungsbescheid übernehmen und haben dies auch noch durch den Hinweis zum Ausdruck gebracht, die Änderungen erfolgten aufgrund des Prüfungsberichts. Danach konnte bei der Klägerin nicht der Eindruck entstehen, das FA habe ihr willentlich und bewußt die Einkommen ihrer Organgesellschaft nicht zugerechnet. Die Einwendungen der Revision hiergegen können nicht durchdringen. Gerade aus dem Umstand, daß Anlage 9 -- Ermittlung und Verteilung der steuerlichen Gewinne -- äußerlich erkennbar die Einkommen der Organgesellschaften nicht enthielt, diese vielmehr in der Anlage 10 besonders aus gewiesen waren, ergibt sich, daß der Sachbearbeiter den der Anlage 9 folgenden Teil des Betriebsprüfungsberichts, nämlich eben die Anlage 10, versehentlich nicht berücksichtigt hat.
Die Revision war danach als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen