Entscheidungsstichwort (Thema)
Falsche Richterunterschrift; Anspruch des zusammenveranlagten, an der Gesellschaft nicht beteiligten Ehegatten auf Bekanntgabe des Gewinnfeststellungsbescheids
Leitsatz (NV)
1. Der Mangel der richtigen Richterunterschrift des Urteils kann durch die Beifügung der erforderlichen Unterschrift geheilt werden.
2. Das Urteil ist nicht mit Gründen versehen, wenn es erst ein Jahr nach Verkündung bzw. dem Zeitpunkt, bis zu dem es der Geschäftsstelle zu übergeben war, mit der richtigen Unterschrift zugestellt wird. Dieser Verfahrensmangel kann nur aufgrund einer substantiierten Rüge geprüft werden.
3. Der nicht an den Gesellschaftseinkünften beteiligte, jedoch mit dem Gesellschafter zusammenveranlagte Ehegatte (hier Ehegatten-Rechtsnachfolger) hat keinen Anspruch auf Bekanntgabe des Gewinnfeststellungsbescheids. Er kann nur die Mitteilung des gesondert festgestellten Gewinnanteils und der Tatsachen verlangen, aus denen sich die Bindungswirkung des Gewinnfeststellungsbescheids für den Einkommensteuerbescheid ergibt.
Normenkette
GG Art. 6, 19 Abs. 4; AO 1977 §§ 44-45, 78, 122 Abs. 1, § 179 Abs. 1-2, § 180 Abs. 1 Nr. 2a, § 182 Abs. 1, § 183 Abs. 1, §§ 268, 352; BGB §§ 1793, 1833, 1915, 1953, 1960; EStG §§ 26, 26b; FGO § 40 Abs. 2, §§ 48, 104 Abs. 2, § 105 Abs. 1 S. 2, § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6, § 120 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Alleinerbe seiner am 21. Januar 1981 verstorbenen Tante (Erblasserin). Deren Ehemann (Erblasser) verstarb ebenfalls am 21. Januar 1981, jedoch kurze Zeit vor ihr. Der Erblasser sollte von der Erblasserin und seinem Sohn aus erster Ehe beerbt werden; diese Erbschaft schlugen jedoch sowohl der Kläger als Erbe der Erblasserin als auch der Sohn aus erster Ehe aus.
Der Erblasser hatte bis zum 30. April 1979 eine Schlosserei als Einzelgewerbe betrieben. Ab 1. Mai 1979 wurde die Schlosserei von einer aus dem Erblasser und den Beigeladenen gebildeten Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) weitergeführt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) stellte den Gewinn der GbR für die Jahre 1979 und 1980 mit Bescheiden vom 2. März 1981 und 3. Februar 1982 einheitlich und gesondert fest. Unter dem Datum vom 15. März 1982 gab das FA diese Bescheide auch dem Nachlaßpfleger für die unbekannten Erben des Erblassers bekannt.
Mit Schreiben vom 5. Juni 1982 beantragte der Kläger, die Gewinnfeststellungsbescheide auch ihm bekanntzugeben, da er als Alleinerbe der Erblasserin für die Jahre 1979 und 1980 die Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer gewählt habe und deshalb die Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb der GbR für ihn unkontrollierbar in die Einkommensteuerbescheide 1979 und 1980 mit einbezogen worden seien.
Diesen Antrag lehnte das FA mit Bescheid vom 25. Juli 1982 ab.
Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1986, 379). Das FG ließ die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zu.
An Stelle der im angefochtenen Urteil eingangs zutreffend angegebenen mitwirkenden Richter wurde dieses zunächst nur durch zwei mitwirkende Richter und einen an der Verhandlung vom 18. September 1985 und der anschließenden Beratung nicht beteiligten Richter unterschrieben sowie - nach Übergabe an die Geschäftsstelle - in gleicher Weise ausgefertigt und den Beteiligten zugestellt.
Daraufhin legte das FA unter dem Az. VIII R 218/85 Revision zum Bundesfinanzhof (BFH) ein.
Nach Bemerken der falschen Unterschrift beim FG wurde zwischen dem 31. Oktober 1985 und dem 4. November 1986 auf dem Urteil die Unterschrift des unbeteiligten Richters gestrichen und die fehlende Unterzeichnung durch den mitwirkenden dritten Richter nachgeholt. Das nunmehr richtig unterschriebene Urteil wurde wiederum der Geschäftsstelle übergeben und ausgefertigt den Beteiligten zugestellt. Daraufhin legte das FA erneut - mit im wesentlichen gleichlautender Begründung - Revision ein. Diese zweite Revisionseinlegung wurde vom BFH bisher unter dem Az. VIII R 153/86 geführt.
Das FA rügt die Verletzung materiellen Rechts.
Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochten Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladenen sind im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und begründet.
A. Zulässigkeit der Revision
I.
Über beide Revisionseinlegungen ist einheitlich unter dem Az. VIII R 218/85 zu entscheiden; nach aktenmäßiger Verbindung der beiden in dieser Sache bestehenden Vorgänge durch die Geschäftsstelle ist das für die zweite Revisionseinlegung zugeteilte Az. VIII R 153/86 zu löschen.
Wenn gegen ein Urteil von einem Beteiligten mehrmals Revision eingelegt worden ist, handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung um das nämliche Rechtsmittel (dieselbe Revision), worüber der BFH einheitlich zu entscheiden hat (Beschluß vom 19. Juli 1984 IX R 16/81, BFHE 141, 467, BStBl II 1984, 833; vgl. auch Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 23. Oktober 1984 VI ZB 12/84, Versicherungsrecht - VersR - 1985, 59).
Im Streitfall richten sich beide Revisionseinlegungen gegen dasselbe Urteil, auch wenn darin vor der erneuten Zustellung eine Richterunterschrift ausgetauscht wurde. Das - durch Streichung der falschen und Nachholung der zutreffenden Richterunterschrift - berichtigte Urteil ist nunmehr allein das ergangene und durch das eingelegte Rechtsmittel der Revision angegriffene Urteil (vgl. insoweit BGH-Urteil vom 27. Oktober 1955 II ZR 310/53, BGHZ 18, 350, 356 f.).
II.
Die Revision ist zulässig. Hierfür genügt es, daß eine der beiden Rechtsmitteleinlegungen in zulässiger Form erfolgt ist (vgl. Beschluß in BFHE 141, 467, BStBl II 1984, 833). Da hier zumindest die zweite Revisionseinlegung zulässig war und sich von der vorherigen in der Begründung inhaltlich nicht wesentlich unterscheidet, kann die Zulässigkeit der ersten Revisionseinlegung dahingestellt bleiben.
Die nach der späteren Zustellung des richtig unterschriebenen Urteils erfolgte (zweite) Revisionseinlegung ist zulässig, weil erst durch die Zustellung des vollständigen (mit der Angabe der mitwirkenden Richter übereinstimmend unterschriebenen) Urteils die vorbezeichnete Rechtsmittelfrist in Lauf gesetzt wurde (Beschluß des Reichsgerichts - RG - vom 8. Dezember 1938 V B 4/38, RGZ 159, 25; BGH-Urteile vom 23. Januar 1975 VII ZR 199/73, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1975, 781, und vom 12. Januar 1961 II ZR 149/60, NJW 1961, 782).
B. Begründetheit der Revision
I.
1. Die Revision ist nicht bereits wegen der ursprünglich falschen Richterunterschrift begründet. Dieser Mangel wurde durch die Beifügung der erforderlichen Unterschrift geheilt (vgl. BFH-Beschluß vom 12. Juli 1972 VII B 76/70, nicht veröffentlicht - NV -; Urteil in BGHZ 18, 350).
2. Ob ein Verfahrensmangel gemäß § 119 Nr. 6 der Finanzgerichtsordnung - FGO - (Entscheidung nicht mit Gründen versehen, vgl. auch § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO) gegeben ist, vermag der Senat nicht zu entscheiden, weil ein solcher Mangel jedenfalls nicht in der gehörigen Weise gerügt worden ist.
Das Urteil wurde zwar erst ein Jahr nach dem Zeitpunkt, bis zu dem es der Geschäftsstelle zu übergeben war (§ 104 Abs. 2 FGO) - vollständig schriftlich abgefaßt - an Verkündungs Statt zugestellt (zur Jahresfrist vgl. BFH-Urteil vom 10. November 1987 VII R 47/87, BFHE 151, 328, BStBl II 1988, 283). Ein Urteil ist in diesem Sinne nicht mit Gründen versehen, wenn es statt der Unterschrift eines mitwirkenden Richters die eines unbeteiligten Richters trägt (BFH-Beschluß vom 19. August 1986 IV R 55/86, BFH/NV 1987, 722; BGH-Beschluß vom 17. April 1984 5 StR 227/84, Strafverteidiger 1984, 275).
Der Verfahrensmangel der verspäteten Urteilsfassung kann jedoch nur aufgrund einer ordnungsgemäß erhobenen Rüge geprüft werden. Hierfür bedarf es zumindest einer substantiierten Darlegung der für die Fristüberschreitung maßgebenden Daten (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO; BFH- Urteil vom 11. März 1981 VII R 93/78, NV). Diesen Anforderungen genügt das Revisionsvorbringen des FA nicht.
II.
Die Revision des FA ist jedoch begründet und führt zur Abweisung der Klage als unzulässig, weil dem Kläger die Klagebefugnis fehlt (§ 40 Abs. 2 FGO).
Die Klagebefugnis setzt voraus, daß der Kläger geltend macht, durch die Ablehnung der Bekanntgabe seitens des FA (der öffentlichen Gewalt) ,,in seinen Rechten verletzt" worden zu sein (§ 40 Abs. 2 FGO, ebenso Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes - GG -).
Geltend machen heißt im Falle der hier gegebenen Verpflichtungsklage, daß der Kläger Tatsachen vorträgt, die sich unter irgendeine sein Begehren rechtfertigende Norm subsumieren lassen (vgl. Gräber/ von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 40 Rdnr. 64). Das hat der Kläger nicht getan, bzw. eine solche Norm ist nicht ersichtlich.
1. Auf § 122 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) kann der Kläger sein Begehren nicht stützen. Danach ist ein Verwaltungsakt demjenigen bekanntzugeben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Das ist die Person, gegen die sich der Verwaltungsakt richtet (Förster in Koch, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 122 Rdnr. 2/1). Ein Feststellungsbescheid richtet sich gegen denjenigen, dem der Gegenstand der Feststellung bei der Besteuerung zuzurechnen ist (§ 179 Abs. 2 AO 1977), das ist bei Gewinnfeststellungsbescheiden derjenige, der an den Einkünften beteiligt ist (§ 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 183 Abs. 1 AO 1977). Der Kläger war nicht an den Einkünften der GbR beteiligt - auch nicht mittelbar als Rechtsnachfolger des Erblassers (§ 45 AO 1977, als Erbe der Erblasserin) -, denn er hatte die Erbschaft ausgeschlagen (§ 1953 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -).
Auch aus § 48 FGO (ebenso § 352 AO 1977) ergibt sich nichts Gegenteiliges.
2. Ein Recht auf Bekanntgabe der Gewinnfeststellungsbescheide hat der Kläger auch nicht deshalb, weil er als Rechtsnachfolger der Erblasserin nach seinen Angaben für die Veranlagungszeiträume 1979 und 1980 die einkommensteuerrechtliche Zusammenveranlagung (§§ 26, 26b des Einkommensteuergesetzes - EStG -) mit dem Erblasser gewählt und sich insoweit ihm - dem Kläger - gegenüber die Feststellungen des Gewinnfeststellungsbescheids mittelbar auswirken (§§ 179 Abs. 1, 182 Abs. 1 AO 1977, § 26b EStG, § 44 AO 1977).
Ohnehin kommt eine Zusammenveranlagung mit dem Erblasser nur in Betracht, wenn dessen - bisher durch den Nachlaßpfleger vertretenen - Erben der Wahl dieser Veranlagungsart zugestimmt oder zumindest nicht wirksam widersprochen haben (§ 26 EStG). Das FG hat hierzu keine Feststellungen getroffen. Selbst wenn aber die Voraussetzungen der Zusammenveranlagung hier gegeben sein sollten, könnte der Kläger daraus kein Recht auf Bekanntgabe der Gewinnfeststellungsbescheide herleiten.
a) Allerdings mögen die Beteiligten der Zusammenveranlagung im Hinblick auf ihre Gesamtschuldnerschaft (§ 44 AO 1977) Anspruch auf Mitteilung des gesondert festgestellten Gewinnanteils des anderen haben sowie aller Tatsachen, aus denen sich die Bindungswirkung des Gewinnfeststellungsbescheids ergibt, insbesondere dessen Bekanntgabe. Diese Information hat der Kläger nach den Feststellungen des FG im Streitfall jedoch erhalten.
b) Beteiligter des Feststellungsverfahrens wird der Kläger aufgrund der Zusammenveranlagung mit einem Beteiligten nicht. Bei der Zusammenveranlagung werden die Einkünfte, die jeder Ehegatte erzielt hat, lediglich zusammengerechnet und den Ehegatten gemeinsam zugerechnet (§ 26b EStG). D.h. aber nicht, daß die Einkünfte eines Ehegatten auch die des anderen sind. Der Grundsatz der Individualbesteuerung wird durch § 26b EStG nicht berührt (Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, 7. Aufl., § 26b Anm. 2. a).
c) Unrichtige Feststellungen der Besteuerungsgrundlagen im gesonderten Feststellungsverfahren mögen für den Kläger als Beteiligten des Zusammenveranlagungsverfahrens belastend sein.
Das kann aber zunächst einmal nicht dazu führen, daß ihm über die Anfechtung des Einkommensteuerbescheids (Folgebescheids) die Möglichkeit gegeben werden muß, die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen anzufechten (vgl. aber Rößler, z. B. Anmerkung zum Urteil des FG, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1986, 516, m.w.N.). Der Senat teilt insoweit die Auffassung des FG, daß dies mit der Einrichtung der einheitlichen und gesonderten Feststellung der Besteuerungsgrundlagen nicht vereinbar wäre.
Das kann aber auch nicht zum Recht des Klägers aus Art. 19 Abs. 4 GG führen, den Feststellungsbescheid selbst anzufechten und deshalb seine Bekanntgabe an sich zu verlangen. Wie das FG zu Recht ausführt, steht das Recht zur Anfechtung grundsätzlich demjenigen zu, um dessen Einkünfte es sich handelt und der auch sonst auf deren Höhe unabhängig vom zusammenveranlagten Ehegatten alleine Einfluß nehmen kann. Der Senat ist aber nicht der Ansicht des FG, daß diese Anfechtungsmöglichkeit im Streitfall nicht oder nicht in genügender Weise bestand, wie zuvor zu Lebzeiten des Erblassers. Der Nachlaßpfleger konnte dessen Rechte, bzw. die seiner Rechtsnachfolger, wahrnehmen. Er hatte zwar kein ,,eigenständiges materielles Interesse" daran. Er war aber verpflichtet, fremde Interessen - die der Erben - ähnlich den eigenen zu verfolgen (vgl. §§ 1960, 1915, 1793 BGB); er hätte sich bei Pflichtverletzungen schadensersatzpflichtig gemacht (vgl. § 1833 BGB).
d) Es besteht schließlich im Streitfall auch kein Recht des Klägers aus Art. 19 Abs. 4 GG, aufgrund seiner Gesamtschuldnerschaft (§ 44 AO 1977) die Feststellungsbescheide anzugreifen.
Soweit die Einbeziehung der gesondert festgestellten Einkünfte für ihn im Rahmen der Zusammenveranlagung belastend ist, kann er sich für die getrennte Veranlagung (§ 26 EStG) entscheiden oder Antrag auf Aufteilung der Steuerschuld gemäß den §§ 268 ff. AO 1977 stellen. Der Kläger hat nicht dargelegt und es ist auch sonst nicht ersichtlich, daß die besonderen Umstände, die das FG als Möglichkeit anführt, im Streitfall gegeben sind.
Fundstellen