Leitsatz (amtlich)
Werden Zinsen (oder Nutzungsvergütungen) im Sinne des § 24 Nr.3 EStG für einen Zeitraum von mehr als drei Jahren nachgezahlt, so wird die Steuervergünstigung des § 34 Abs.1, Abs.2 Nr.3 EStG für die gesamte Nachzahlung gewährt und nicht nur für den Teilbetrag, der auf den drei Jahren übersteigenden Teil des Nachzahlungszeitraums entfällt.
Orientierungssatz
1. Abweichung vom BFH-Urteil vom 21.4. 1966 VI 366/65. Ausführungen zur Entstehungsgeschichte, zum Zweck und zur Verfassungsmäßigkeit der Tarifregelung.
2. Einer Anrufung des Großen Senats wegen Divergenz bedarf es nicht, wenn die Zuständigkeit des Senats, der die abweichende Entscheidung getroffen hatte, auf den entscheidenden Senat deshalb übergegangen ist, weil sich die Zuordnung von Einnahmen zu einer Einkunftsart aufgrund herrschender Auffassung geändert hat.
3. Die mit einer Beschlagnahme von landwirtschaftlichen Grundstücken zusammenhängenden Zinsen und Nutzungsentschädigungen zählen zu den Einkünften aus Landwirtschaft und Forstwirtschaft (vgl. BFH-Urteil vom 30.10.1975 IV R 15/72; 146/74).
Normenkette
EStG 1971 § 34 Abs. 2 Nr. 3, § 24 Nr. 3; EStR 1969 Abschn. 199a; EStG 1971 § 34 Abs. 1; EStR 1972 Abschn. 199a; EStG § 13; FGO § 11 Abs. 3
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Gutsbesitzer. Im Rahmen seines landwirtschaftlichen Betriebs erhielt er im Wirtschaftsjahr 1971/72 vom Landratsamt S eine Zinsnachzahlung von 3 300 DM, die im Zusammenhang mit einer Entschädigung für die Abtretung von Straßengrund stand. Sie betraf den Zeitraum vom 1.Januar 1965 bis 30.Juni 1972.
Aus dem gleichen Rechtsgrund zahlte im Jahre 1972 die Bundesstraßenverwaltung dem Kläger Zinsen von insgesamt 240 338 DM nach, die die Beteiligten zu den Einkünften aus Kapitalvermögen rechnen. Von diesem Gesamtbetrag entfielen 139 531 DM auf die Zeit vom 29.Juli 1969 bis 11.August 1972 und 100 807 DM auf die Zeitspanne vom 29.Juli 1969 bis 23.November 1972.
Bei einer Außenprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, daß für die genannten Zinsnachzahlungen jeweils die Tarifbegünstigung nach § 34 Abs.1, Abs.2 Nr.3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Betracht komme. Als steuerbegünstigt sah er aber in Übereinstimmung mit der in Abschn.199a der Einkommensteuer- Richtlinien (EStR) zitierten Rechtsprechung nur diejenigen Zinsen an, die sich auf den drei Jahre übersteigenden Teil des jeweiligen Nachzahlungszeitraums bezogen. Dies ergab hinsichtlich der Nachzahlung von 3 300 DM einen steuerbegünstigten Betrag von 1 980 DM (je 990 DM in den Kalenderjahren 1971 und 1972) und bezüglich der nur 1972 betreffenden Zinsnachzahlung von insgesamt 240 338 DM einen steuerbegünstigten Anteil von 3 559 DM.
Mit seinen Einsprüchen gegen die aufgrund der Außenprüfung ergangenen endgültigen Einkommensteuerbescheide für 1971 und 1972, bei denen die Steuerbegünstigung versehentlich überhaupt nicht gewährt worden war, beantragte der Kläger, die gesamten Zinsnachzahlungen und nicht nur Teilbeträge dem ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs.1 EStG zu unterwerfen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) folgte dagegen in seiner Einspruchsentscheidung dem Vorschlag des Prüfers und gewährte die Steuervergünstigung nur anteilig.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es vertrat mit dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21.April 1966 VI 366/65 (BFHE 85, 448, BStBl III 1966, 460) die Meinung, § 34 Abs.2 Nr.3 EStG begünstige nur Zinsen, die für einen über drei Jahre hinausgehenden Zeitraum gezahlt würden. "Soweit" im Sinne dieser Vorschrift sei nicht als Bedingung zu verstehen.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung von § 34 Abs.2 Nr.3 EStG. Er ist der Meinung, wegen des zusammengeballten Zuflusses begünstige die Vorschrift den gesamten Betrag der nachgezahlten Zinsen, wenn der Nachzahlungszeitraum drei Jahre übersteige. "Soweit" stehe deshalb in § 34 Abs.2 Nr.3 EStG für "wenn" bzw. "falls".
Er beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und in Änderung des Einkommensteuerbescheids für 1971 vom 28.Dezember 1976 in der Gestalt der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung sowie des Einkommensteueränderungsbescheids für 1972 vom 10.November 1982 die Zinsnachzahlungen von 1 650 DM (1971) und 241 988 DM (1972) dem halben durchschnittlichen Steuersatz zu unterwerfen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Der Senat folgt dem FG nicht in der Ansicht, die Tarifvergünstigung sei nicht auf den vollen Betrag, sondern nur auf Teile der Zinsnachzahlungen anzuwenden.
Nach § 34 Abs.1 , Abs.2 Nr.3 EStG gilt auf Antrag der ermäßigte Steuersatz für Nutzungsvergütungen und Zinsen im Sinne des § 24 Nr.3 EStG, soweit sie für einen Zeitraum von mehr als drei Jahren nachgezahlt werden. Geht man vom Wortlaut dieser Vorschrift aus, so ist zwar auch die Auslegung des FG möglich, daß sie lediglich den Teil der nachgezahlten Zinsen (oder Nutzungsvergütungen) erfassen soll, der auf den drei Jahre übersteigenden Zeitraum entfällt. Sie kann aber auch dahin verstanden werden, daß der gesamte Nachzahlungsbetrag begünstigt ist, wenn der Nachzahlungszeitraum drei Jahre übersteigt. Der Senat gibt der letztgenannten Auffassung den Vorzug. Sie wird durch die Entstehungsgeschichte und den Zweck der Regelung bestätigt.
§ 34 Abs.2 Nr.3 EStG wurde ebenso wie der damit korrespondierende § 24 Nr.3 EStG durch Art.1 Nrn.11 und 13 Buchst.b des Steueränderungsgesetzes 1965 --StÄndG 1965-- (BStBl I 1965, 217) eingefügt. Zu der Gesetzesänderung hatte die Entscheidung des BFH (Urteil vom 14.Juni 1963 VI 216/61 U (BFHE 77, 169, BStBl III 1963, 380) geführt, daß auch in einem Betrag nachgezahlte Nutzungsvergütungen für Grundstücksbeschlagnahmen nicht nach § 34 EStG tarifbegünstigt seien. Der Gesetzgeber wollte eine tarifliche Sonderregelung treffen und die Infolge der Tarifprogression eintretenden Härten mildern, und zwar mit Rücksicht darauf, daß die Nutzungsvergütungen und Zinsen des § 24 Nr.3 EStG des öfteren aus vom Empfänger nicht zu vertretenden Gründen zusammengeballt nachgezahlt werden. Demzufolge sollten die Nutzungsvergütungen und Zinsen unter § 24 Nr.1 und § 34 Abs.2 EStG aufgeführt und der ermäßigte Steuersatz nach § 34 Abs.1 EStG "bei einer Nachzahlung für einen Zeitraum von mehr als drei Jahren" gewährt werden (Ausschußbegründung, Deutscher Bundestag 4. Wahlperiode, z u BTDrucks IV/3189 S.8). Dieser Absicht wird nur eine Gesetzesanwendung gerecht, bei der die Tarifermäßigung lediglich davon abhängt, daß die Nachzahlung für einen Zeitraum von mehr als drei Jahren geleistet wird.
Auch der Zweck der in § 34 EStG geregelten Tarifermäßigung entspricht diesem Verständnis.
Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 Abs.1 EStG soll bei den außerordentlichen Einkünften des § 34 Abs.2 EStG die Erhöhung der Progression mildern, die sich infolge der Zusammenballung von Einkünften ergibt (vgl. auch Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 3.Aufl., § 34 Anm.8). Progressionserhöhend und deshalb mit dem niedrigen Steuersatz zu besteuern ist aber im Falle des § 34 Abs.2 Nr.3 EStG der gesamte Betrag der zusammengeballt zugeflossenen Zinsen oder Nutzungsvergütungen und nicht nur ein möglicherweise geringer Anteil, der wirtschaftlich auf den drei Jahre übersteigenden Teil des Nachzahlungszeitraums entfällt.
Der gegenteiligen Auffassung des Urteils in BFHE 85, 448, BStBl III 1966, 460 vermag der Senat nicht beizutreten. Er teilt auch nicht die in dieser Entscheidung geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken.
Daß der Gesetzgeber die Begünstigung an einen Nachzahlungszeitraum von bestimmter Dauer geknüpft hat und deshalb bei einem möglicherweise geringfügigen Unterschreiten dieser Zeitspanne die Nachzahlungen ungeachtet ihrer Höhe nicht ermäßigt besteuert werden, verletzt weder den Grundsatz der steuerlichen Gerechtigkeit noch den Gleichheitssatz. Vielmehr konnte der Gesetzgeber typisierend davon ausgehen, daß bei Nachzahlungen für eine Zeitspanne von bis zu drei Jahren die erhöhte Tarifprogression vom Steuerpflichtigen noch hinzunehmen ist.
Unbedenklich ist auch die Sonderbehandlung von nachgezahlten Nutzungsvergütungen und Zinsen, die mit einer Inanspruchnahme von Grundstücken für öffentliche Zwecke zusammenhängen, gegenüber anderen gegen den Willen des Steuerpflichtigen zusammengeballt zufließenden Zahlungen. Denn bei Grundstücksbeschaffungsmaßnahmen für öffentliche Zwecke bleibt dem Grundstückseigentümer regelmäßig ein ungleich geringerer Gestaltungsspielraum als bei sonst üblichen Grundstücksverwertungen oder anderen der Einkunftserzielung dienenden Tätigkeiten.
Mit dieser Entscheidung weicht der Senat von der Auffassung des Urteils in BFHE 85, 448, BStBl III 1966, 460 ab, die teilweise auch in der Literatur abgelehnt wird (vgl. Schmidt/Seeger, a.a.O., § 34 Anm.11; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19.Aufl., § 34 EStG, Anm.11; Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 13.Aufl., § 34 EStG Rdnr.30). Einer Anrufung des Großen Senats des BFH nach § 11 Abs.3 FGO bedarf es indessen nicht. Denn die Zuständigkeit des VI. Senats zur Entscheidung jenes Falles ist auf den IV. Senat übergegangen, nachdem die mit einer Beschlagnahme von landwirtschaftlichen Grundstücken zusammenhängenden Zinsen (und Nutzungsentschädigungen) nach nunmehr herrschender Auffassung zu den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft zählen (vgl. auch BFH-Urteil vom 30.Oktober 1975 IV R 15/72; 146/74, BFHE 117, 419, BStBl II 1976, 253).
Das die bisherige Rechtsprechung berücksichtigende FG-Urteil ist aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die dem Kläger geleisteten Nachzahlungen von 1 650 DM (1971) und 241 988 DM (1972) sind unstreitig Zinsen auf Entschädigungen, die mit der Inanspruchnahme von Grundstücken für öffentliche Zwecke zusammenhängen (§ 24 Nr.3 EStG). Sie unterliegen dem ermäßigten Steuersatz; denn sie wurden jeweils für einen Zeitraum von mehr als drei Jahren nachgezahlt (§ 34 Abs.1, Abs.2 Nr.3 EStG).
Fundstellen
Haufe-Index 61046 |
BStBl II 1985, 463 |
BFHE 143, 457 |
BFHE 1985, 458 |
BB 1985, 1380-1381 (LT1) |