Leitsatz (amtlich)
Aufgrund des Art.24 Abs.1 DBA-Niederlande sind die Vorschriften des DBA-Italien auch auf niederländische Staatsangehörige anzuwenden, die in der Bundesrepublik unbeschränkt steuerpflichtig sind (Abweichung von BFH-Urteil vom 15.September 1971 I R 202/67, BFHE 103, 557, BStBl II 1972, 281).
Normenkette
DBA NLD Art. 24 Abs. 1; DBA ITA Art. 7 Abs. 1 S. 1, Art. 11 Nr. 1 Buchst. d
Verfahrensgang
FG Köln (Entscheidung vom 16.12.1986; Aktenzeichen II K 233/85) |
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. Der Kläger besitzt nur die niederländische Staatsangehörigkeit. Zum 1.Januar 1983 wurde er aus beruflichen Gründen in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) versetzt. Seit Mitte 1983 befindet sich auch sein Familienwohnsitz in der Bundesrepublik.
Im Streitjahr 1983 war der Kläger, der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielte, an fünf Arbeitstagen in Italien tätig. Er beantragte deshalb, einen Teil seiner Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gemäß Art.11 Nr.1 d i.V.m. Art.7 Abs.1 Satz 1 des Abkommens zwischen dem Deutschen Reiche und Italien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung anderer Fragen auf dem Gebiete der direkten Steuern vom 31.Oktober 1925 --DBA-Italien-- (RGBl II 1925, 1146) steuerfrei zu stellen.
In dem geänderten Einkommensteuerbescheid 1983 vom 19.August 1986 unterwarf der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit ungekürzt der deutschen Einkommensteuer. Der Kläger leitete diesen Bescheid in das schon vorher anhängige Klageverfahren über (§ 68 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Klage blieb ohne Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1987, 230 veröffentlicht.
Mit ihrer vom FG zugelassenen Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Sie beantragen sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1983 vom 19.August 1986 zu ändern und die Einkommensteuer auf ... DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zwecks anderweitiger Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO).
1. Gemäß § 1 Abs.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt steuerpflichtig. Die unbeschränkte Steuerpflicht erstreckt sich nach § 2 Abs.1 EStG grundsätzlich auf alle dort genannten Einkünfte, d.h. auch auf die sog. ausländischen Einkünfte im Sinne des § 34d EStG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und anderer Gesetze vom 20.August 1980 (BGBl I 1980, 1545, BStBl I 1980, 589). Allerdings sind die unter Art.11 Nr.1 Buchst.d i.V.m. Art.7 Abs.1 Satz 1 DBA-Italien fallenden Einkünfte aus Arbeit, soweit letztere in Italien ausgeübt wird, steuerfrei (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26.Mai 1971 I R 27/70, BFHE 103, 324, BStBl II 1971, 804; vom 20.Oktober 1982 I R 104/79, BFHE 137, 29, BStBl II 1983, 402; vom 22.Juni 1983 I R 67/83, BFHE 138, 464, BStBl II 1983, 625; vom 29.Januar 1986 I R 22/85, BFHE 146, 132, BStBl II 1986, 479).
2. Das DBA-Italien enthält unmittelbar keine Vorschrift darüber, auf welchen Personenkreis es anzuwenden ist. Das FG ist jedoch in Übereinstimmung mit der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs --RFH-- vom 19.April 1939 IV 233/38, RStBl 1939, 878; BFH-Urteile vom 15.September 1971 I R 202/67, BFHE 103, 557, BStBl II 1972, 281; vom 13.Oktober 1976 I R 261/70, BFHE 120, 225, BStBl II 1977, 76) grundsätzlich zutreffend davon ausgegangen, daß nach den Gesetzesmaterialien (vgl. Dorn, Steuer und Wirtschaft --StuW-- 1926 Sp.97/98, 100) das DBA-Italien nur zugunsten der Staatsangehörigen beider Vertragsstaaten wirkt. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der erkennende Senat gemäß § 118 Abs.2 FGO gebunden ist, besaßen die Kläger im Streitjahr 1983 weder die deutsche noch die italienische Staatsangehörigkeit. Deshalb findet Art.11 Nr.1 Buchst.d i.V.m. Art.7 Abs.1 Satz 1 DBA-Italien auf sie keine unmittelbare Anwendung.
3. Die Auslegungsregeln des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23.März 1969 --WÜRV-- (BGBl II 1985, 927) stehen der hier vertretenen Ansicht nicht entgegen. Zwar ist das WÜRV seit dem Inkrafttreten des Zustimmungsgesetzes vom 3.August 1985 (BGBl II 1985, 926) am 20.August 1987 (BGBl II 1987, 757) innerstaatlich unmittelbar anwendbares Recht. Es gilt jedoch nach seinem Art.4 nur für Verträge, die nach Inkrafttreten des Übereinkommens abgeschlossen werden. Das DBA-Italien ist aber am 31.Oktober 1925, und damit lange vor Inkrafttreten des WÜRV, abgeschlossen worden.
Die Kläger weisen jedoch zutreffend darauf hin, daß die Bundesrepublik sich in Art.24 Abs.1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und Vermögen sowie verschiedener sonstiger Steuern und zur Regelung anderer Fragen auf steuerlichem Gebiete vom 16.Juni 1959 --DBA-Niederlande-- (BGBl II 1960, 1781, BStBl I 1960, 381) verpflichtet hat, niederländischen Staatsangehörigen keine anderen oder höheren Steuern aufzuerlegen als deutschen Staatsangehörigen unter sonst gleichen Verhältnissen. Durch das Zustimmungsgesetz vom 10.Juni 1960 (BGBl II 1960, 1781) ist Art.24 DBA-Niederlande in innerstaatliches Recht transformiert worden, das unmittelbar zugunsten der in der Bundesrepublik ansässigen niederländischen Staatsangehörigen gilt. Die Vorschrift verbietet Steuernachteile, die ausschließlich daran anknüpfen, daß der Steuerpflichtige nur die niederländische Staatsangehörigkeit besitzt (vgl. Korn/Debatin, Doppelbesteuerung, Band I, Systematik III, Rdnr.289). Sie gewährt den in der Bundesrepublik ansässigen Niederländern einen unmittelbaren Anspruch auf alle Steuerbefreiungen, auf die auch ein in der Bundesrepublik ansässiger Deutscher unter im übrigen gleichen tatsächlichen Verhältnissen nach dem DBA-Italien einen Rechtsanspruch hat.
Zwar hat der erkennende Senat in BFHE 103, 557, BStBl II 1972, 281, zu Art.XI Abs.1 des Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrages vom 29.Oktober 1954 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika, ratifiziert durch das Gesetz vom 7.Mai 1956 (BGBl II 1956, 487) und in Kraft getreten seit dem 14.Juli 1956 (BGBl II 1956, 763), die Auffassung vertreten, das Diskriminierungsverbot verbiete es lediglich, dem Staatsangehörigen des anderen Vertragsstaates höhere Steuern als den eigenen Staatsangehörigen aufzuerlegen; es gebiete jedoch nicht, den Staatsangehörigen des anderen Vertragsstaates alle Vorteile zukommen zu lassen, die der besteuernde Staat durch ein DBA mit einem Drittstaat seinen Staatsangehörigen einräume. An dieser Auffassung hält der erkennende Senat jedoch nicht länger fest. Das Diskriminierungsverbot des Art.24 DBA-Niederlande umfaßt den gesamten Bereich des formellen und materiellen Besteuerungsrechts (vgl. Korn/Debatin, a.a.O., Rdnr.294). Die in der Bundesrepublik ansässigen Niederländer haben deshalb hier Anspruch auf alle Steuerbefreiungen, Steuervergünstigungen und Steuerermäßigungen, die einem hier ansässigen deutschen Staatsangehörigen unter sonst gleichen Verhältnissen zu gewähren sind. Dies schließt die entsprechende Anwendung der Vorschriften des DBA-Italien ein, weil diese, soweit sie die Nichtbesteuerung von Einkünften im Inland anordnen, als sachliche Steuerbefreiung wirken (vgl. § 3 Nr.41 EStG i.d.F. vom 1.Dezember 1971, BGBl I 1971, 1881, BStBl I 1971, 585). Die vom erkennenden Senat nunmehr vertretene Auffassung bedeutet nicht, daß das Diskriminierungsverbot im Sinne einer Meistbegünstigungsklausel wirken würde. Der Vergleichsmaßstab gleicher Verhältnisse schränkt diese Wirkung deutlich ein. Eine ungleiche Besteuerung niederländischer Staatsangehöriger bleibt stets erlaubt, wenn sie sich aus Gründen ergibt, die außerhalb gleicher Verhältnisse liegen.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der erkennende Senat gemäß § 118 Abs.2 FGO gebunden ist, ist im Streitfall der Schutzbereich des Art.24 DBA-Niederlande tangiert. Die Kläger sind in der Bundesrepublik unbeschränkt steuerpflichtig. Sie haben nach Art.24 DBA-Niederlande Anspruch darauf, so wie jeder andere unbeschränkt Steuerpflichtige deutscher Staatsangehörigkeit besteuert zu werden, wenn nur die für die Besteuerung maßgebenden tatsächlichen Verhältnisse vergleichbar sind. Art.11 Nr.1 Buchst.d i.V.m. Art.7 Abs.1 Satz 1 DBA-Italien gewährt zugunsten deutscher Staatsangehöriger die sachliche Steuerbefreiung für Einkünfte, die aus einer in Italien ausgeübten nichtselbständigen Arbeit erzielt werden. Der Kläger übte im Streitjahr 1983 für fünf Tage seine nichtselbständige Arbeit in Italien aus. Er erzielte aus der Tätigkeit Einkünfte. Diese Einkünfte sind in der Bundesrepublik steuerfrei zu stellen, weil ein hier unbeschränkt steuerpflichtiger deutscher Staatsangehöriger, der ebenfalls eine nichtselbständige Arbeit fünf Tage lang in Italien ausübt und dafür Einkünfte erzielt, einen entsprechenden Anspruch hätte.
4. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Es hat deshalb keine Feststellungen zu der Frage getroffen, in welcher Höhe die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit steuerfrei zu stellen sind. Diese Feststellungen nachzuholen ist Aufgabe des FG. Zu diesem Zweck war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
BFH/NV 1989, 32 |
BStBl II 1989, 649 |
BFHE 157, 77 |
BFHE 1990, 77 |
BB 1989, 1544-1544 (L) |
DB 1989, 1655 (S) |
DStR 1989, 469 (KT) |
HFR 1989, 597 (LT) |
WPg 1989, 585-586 (ST) |
StRK, Abk.1959 Art.24 R.2 (LT) |
FR 1989, 603 (KT) |
DStZ/E 1989, 261 (K) |
RIW/AWD 1989, 662 (KT) |
IWB, 1990/19 Fach 3a Gruppe 1 169 (KT) |