Entscheidungsstichwort (Thema)
Heilung einer Zustellung; Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung
Leitsatz (NV)
1. Der Aufenthaltsort einer Person ist i. d. R. dann nicht unbekannt i. S. des § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG, wenn die Behörde es unterläßt, sich bei dem kurz zuvor bei ihr aufgetretenen Bevollmächtigten dieser Person über deren Aufenthaltsort zu erkundigen.
2. Eine unwirksame öffentliche Zustellung ist nach dem Rechtsgedanken des § 9 Abs. 1 VwZG auch dann geheilt, wenn eine Fotokopie des an den Betroffenen adressierten Bescheides dem in dem Bescheid selbst nicht aufgeführten Bevollmächtigten auf Veranlassung der Behörde tatsächlich zugeht.
3. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist dann nicht erforderlich, wenn nachträglich nur solche Tatsachen vorgetragen werden und berücksichtigt werden sollen, die das Gericht bislang alternativ zu anderen Fallgestaltungen als möglich hätte annehmen und abhandeln müssen und die zu demselben Ergebnis geführt hätten.
4. Unterläßt es ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung, Einsicht in die von der Gegenseite vorgelegten Akten zu verlangen, so ist das Gericht aufgrund eines nach Beendigung der mündlichen Verhandlung gestellten Antrags auf Akteneinsicht i. d. R. nicht zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung verpflichtet.
Normenkette
AO 1977 § 122; FGO § 78 Abs. 1, § 93 Abs. 3 S. 2, § 96 Abs. 2, § 105 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3; GG Art. 103 Abs. 1; VwZG §§ 9, 15
Tatbestand
Der Kläger, Revisionskläger und Anschlußrevisionsbeklagte (Kläger) war Geschäftsführer einer GmbH. Seit Eintritt der Liquidation war er Liquidator der GmbH. Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Anschlußrevisionskläger (das Finanzamt - FA -) nahm den Kläger für Umsatzsteuerschulden der GmbH nebst Säumniszuschlägen als Haftungsschulder in Anspruch. Der zuständige Sachgebietsleiter verfügte die öffentliche Zustellung des Bescheides, nachdem ein an den Kläger gerichtetes Schreiben mit einer Anschrift in B mit dem Vermerk ,,unbekannt verzogen" zurückgekommen, Auskünfte der Einwohnermeldeämter der Städte . . . und Ermittlungen eines Vollziehungsbeamten bei einer vom FA K mitgeteilten Anschrift ergebnislos verlaufen waren. Mit einer Kurzmitteilung übersandte das FA der X. als Anlage ,,1 Haftungsbescheid . . ." betreffend ,,. . . GmbH; Haftungsbescheid an Herrn . . ." Mit Schreiben . . . legte die X. Einspruch gegen den Bescheid ein. Sie machte geltend, die öffentliche Zustellung sei unwirksam gewesen und deswegen eine Frist nicht in Lauf gesetzt worden. Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig. Es vertrat die Ansicht, es habe seiner Pflicht zur Ermittlung des Wohnsitzes des Klägers genügt, so daß die öffentliche Zustellung wirksam und der Einspruch mithin verspätet sei.
Auf die dagegen vom Kläger erhobene Klage mit dem Ziel, den Haftungsbescheid aufzuheben, entschied das Finanzgericht (FG), die Einspruchsentscheidung werde aufgehoben, im übrigen werde die Klage als unbegründet abgewiesen. Es führte aus, die Klage sei teilweise begründet. Der Einspruch sei zu Unrecht als unzulässig verworfen worden. Die öffentliche Zustellung sei unwirksam gewesen. Es liege ein förmlicher Mangel darin, daß über den Aushang und die Abnahme der Benachrichtigung zwei Originalvermerke mit unterschiedlichen Angaben zur Abnahme des Schriftstücks vorlägen. Die lose in die Körperschaftsteuerakte eingelegte Benachrichtigung weise als Abnahmedatum den 9. April . . . (zuständiger Beamter: S) und eine in der Haftungsakte abgeheftete Benachrichtigung den 25. April . . . (zuständiger Beamter: T) aus. Wegen der Zweifel und Unsicherheit darüber, welches Schreiben tatsächlich ausgehangen habe, wann es abgenommen sei und welcher Bedienstete zuständig gewesen sei, habe der Senat nicht von einer ordnungsgemäßen Beurkundung des Aushangs ausgehen können, so daß die Anfechtungsfrist schon deshalb nicht in Lauf gesetzt worden sei.
Die öffentliche Zustellung sei darüber hinaus auch deshalb unwirksam, weil der Aufenthalt des Klägers nicht i. S. des § 15 Abs. 1 Buchst. a des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) unbekannt gewesen sei. Die Auskünfte der Einwohnermeldeämter der Städte, nach denen der Kläger unbekannt verzogen gewesen sei, und die erfolglosen Ermittlungen des Vollziehungsbeamten hätten es nicht gerechtfertigt, daß das FA von jedem Versuch einer Zustellung unter der Anschrift . . . oder in den Geschäftsräumen der Firma . . . GmbH in . . ., oder bei der X. Abstand genommen habe. Zur pflichtgemäßen Betätigung des Ermessens hätte es im Streitfall - neben anderen weiteren Aufklärungsmöglichkeiten - gehört, daß sich das FA bei der X. nach der Erteilung einer Vollmacht seitens des Klägers oder nach dessen Wohnsitz bzw. Aufenthalt erkundigt hätte. Die X. habe den Kläger bei dem vorausgegangenen Vollstreckungsverfahren vertreten. Das FA habe die Verfügung, durch die es den Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung aufgehoben habe, unmittelbar an die X. gerichtet und dem Kläger nur eine Durchschrift übersandt. Es sei deshalb nicht nachzuvollziehen, aus welchen Gründen das FA später nicht die Möglichkeit einer Bekanntgabe an die X. geprüft und sogar von einer telefonischen Anfrage bei dieser nach dem Aufenthalt des Klägers Abstand genommen habe.
Der Bescheid sei aber der X. als der Bevollmächtigten des Klägers nach deren eigenem Bekenntnis im Einspruchsschreiben durch Übersendung des Bescheides wirksam bekanntgegeben worden. Es liege insoweit auch eine willentliche Bekanntgabe vor. Die Verfügung, mit der die Übersendung an die X. veranlaßt worden sei, sei von der zuständigen Veranlagungsbeamtin unterzeichnet worden. Der Sinn der Übersendung des Haftungsbescheides habe nur darin liegen können, dem Kläger die Möglichkeit der Kenntnisnahme zu verschaffen.
Der Antrag des Klägers auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung sei abzulehnen gewesen, weil aus den vom FA in der mündlichen Verhandlung überreichten Vollstreckungsakten in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden und mehrere Schriftstücke wörtlich verlesen worden seien. Der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit zur Akteneinsicht gehabt. Sein Antrag auf Gewähr von Akteneinsicht und Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung sei verspätet.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts und macht geltend, das FG habe gegen § 122 der Abgabenordnung (AO 1977) verstoßen. Die Auffassung der Vorinstanz, daß die Kopie eines Haftungsbescheides, die von einem Vollstreckungsbeamten im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens zur Information an den Haftungsschuldner zugeleitet werde, auch dann i. S. von § 122 AO 1977 bekanntgegeben werde, wenn das FA zugleich die Auffassung vertrete, die Bekanntgabe des Haftungsbescheides sei bereits früher im Wege der öffentlichen Zustellung erfolgt, verkenne, daß sich die Bekanntgabe nicht in der reinen Information erschöpfe. Vielmehr sei der Auffassung des FG Düsseldorf zu folgen, nach der bei der Übersendung einer Kopie eines Verwaltungsakts lediglich ein Scheinverwaltungsakt vorliege (Urteil vom 11. September 1985 VIII 325/81 V, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1986, 55). Bei der Übersendung einer Kopie bestehe nur der Wille, über eine bereits getroffene Regelung zu informieren, nicht jedoch eine Regelung durch Bekanntgabe zu verwirklichen. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei ein ohne Bekanntgabewille bekanntgewordener Verwaltungsakt unwirksam (Urteil vom 27. Juni 1986 VI R 23/83, BFHE 147, 205, BStBl II 1986, 832). Im übrigen müsse der Bekanntgabewille auch bei demjenigen Beamten vorhanden sein, der für den Erlaß des Verwaltungsaktes zuständig sei. Damit könne der Bekanntgabewille nicht von einem Vollstreckungsbeamten gebildet werden, der zur Steuerfestsetzung nicht befugt sei und lediglich informieren wolle.
Weiter werde gerügt, daß das FG gegen § 105 Abs. 2 Nr. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verstoßen habe, da der Tatbestand des angefochtenen Urteils keine sichere Grundlage für die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung in der Revision darstelle. Das Urteil habe an zahlreichen Stellen auf die Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Bei Fortlassen sämtlicher Bezugnahmen sei der Tatbestand des FG-Urteils völlig unverständlich. Sämtliche Unterlagen, auf denen das FG-Urteil aufbaue, seien dem FA ausweislich der Prozeßakten zurückgegeben worden. Die später vom FA wieder zur Verfügung gestellten Akten seien nicht völlig identisch gewesen mit den während des FG-Verfahrens überlassenen Akten. Insbesondere seien die im Urteil häufig angeführten Vollstreckungsakten nicht mehr vorgelegt worden. Eine Heilung durch Wiedereinreichung der Verfahrensakten sei nicht möglich, da das FA gemäß § 155 FGO i. V. m. § 561 der Zivilprozeßordnung (ZPO) gehindert sei zu erklären, es handele sich um die gleichen Unterlagen (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 13. Februar 1981 I ZR 67/79, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1981, 1621). Die Vollständigkeit und Identität der zurückgereichten Akten werde mit Nichtwissen bestritten. Es reiche nicht aus, daß die Akten in irgendeiner Form identifizierbar geblieben seien. Der Mangel im Tatbestand nötige zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung.
Ferner liege ein Verfahrensmangel darin, daß das FG über den Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht entschieden und damit gegen § 93 FGO verstoßen habe. Über den Antrag habe durch Beschluß entschieden werden müssen. Die Wiedereröffnung sei auch schon deshalb geboten gewesen, weil der Berichterstatter in einem Telefonat nach der mündlichen Verhandlung gebeten habe, die Kopie des Bescheides zu übersenden, den das FA an die X. übermittelt habe. Diese Kopie sei in die Tatbestandsfeststellungen des Urteils eingeflossen, obwohl die Kopie dem Gericht erst nach der mündlichen Verhandlung zugegangen sei. Nachdem das Gericht selbst Unterlagen nach der mündlichen Verhandlung angefordert habe, habe es die mündliche Verhandlung wiedereröffnen müssen. Im Falle der Wiedereröffnung hätten die Verfahrensbeteiligten zu der am . . . übersandten Kopie Ausführungen machen und gegebenenfalls Beweisanträge zum Bekanntgabewillen des Veranlagungsbeamten stellen können.
Das FA hat Anschlußrevision eingelegt.
Es rügt die unrichtige Auslegung des § 122 Abs. 5 AO 1977 i. V. m. § 15 VwZG. Das Verlangen nach besonders eingehenden Ermittlungen nach dem Wohnsitz des Adressaten sei ungerechtfertigt in Fällen, in denen dieser alles unternehme, um seinen Aufenthaltsort zu verheimlichen. Das FG gehe nicht auf den Erfolg der von ihm für erforderlich gehaltenen Versuche zur Wohnsitzermittlung und die tatsächlichen Grundlagen einer derartigen positiven Prognose ein. Insbesondere übergehe das FG mit seinem Hinweis auf eine gebotene Anfrage bei der X. deren Aussageverweigerungsrecht nach § 102 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b AO 1977. Insoweit falle auch auf, daß der Betreff in den jeweiligen Schreiben der X. keine vollständige Anschrift enthalte. Entscheidend sei, daß die X. in dem Haftungsverfahren bis zu dem Telefonat nicht aufgetreten gewesen sei.
Im übrigen hätte das FG auch von seinem eigenen Standpunkt aus nicht die Frage offenlassen dürfen, welche Benachrichtigung ausgehängt worden sei. Hätte das FG der Erfahrung, daß die Benachrichtigung mit der Unterschrift des zuständigen Sachgebietsleiters ausgehangen habe, nicht folgen wollen, so hätte es Beweis über die entsprechenden Anträge des Klägers erheben müssen.
Der bezüglich der Rückgabe der Akten und deren Wiedereinreichung vom Kläger gerügte Mangel gehe bereits deshalb fehl, weil die Unterlagen im Tatbestand des FG-Urteils in identifizierbarer Weise bezeichnet worden seien. Der Tatbestand enthalte mit Hinweisen auf die Blattzahlen der beigezogenen Akten in weitem Umfang wörtliche Zitate. Hinsichtlich der Wirksamkeit der Bekanntgabe durch Übersendung eines Bescheides an die X. befinde sich das FG insoweit in Übereinstimmung mit der BFH-Rechtsprechung, als es eine Ausfertigung als ausreichend erachte (vgl. Urteil vom 1. August 1975 III R 58/74, BFHE 116, 467, BStBl II 1975, 894).
Entscheidungsgründe
I. Gegenstand der Revision und Anschlußrevision ist die Frage, ob das FG rechtsfehlerhaft die Einspruchsentscheidung aufgehoben und die Feststellung der Unwirksamkeit des Haftungsbescheids abgelehnt hat. Die Rechtsmittel geben also nicht zu einer Entscheidung über die Frage Anlaß, ob der Haftungsbescheid, sofern er wirksam ist, auch rechtmäßig und sein Fortbestand demgemäß gerechtfertigt ist. Denn über diese Frage hat das FG keine Entscheidung getroffen. Eine solche Entscheidung kann insbesondere nicht daraus entnommen werden, daß im Urteilstenor die Klage im übrigen abgewiesen worden ist. Die Entscheidung des FG ist aufgrund ihrer Zielrichtung, die aus der Aufhebung der Einspruchsentscheidung zu entnehmen ist, und unter Berücksichtigung der Urteilsgründe dahin zu verstehen, daß durch sie neben der ausdrücklichen Aufhebung der Einspruchsentscheidung die Feststellung der Unwirksamkeit des Haftungsbescheids abgelehnt worden ist. In den Urteilsgründen ist ausgeführt, die Einspruchsentscheidung sei aufzuheben, damit das FA Gelegenheit erhalte, die für ,,eine sachliche Prüfung der Einwände des Klägers" erforderlichen und ,,unterlassenen Feststellungen und Wertungen nachzuholen", zu denen das FA deshalb keinen Anlaß hatte, weil es den Einspruch für unzulässig gehalten hat. Außerdem könnte das mit der Aufhebung der Einspruchsentscheidung angestrebte Ziel, über die mit dem Einspruch erhobenen Einwände gegen den Haftungsbescheid eine Entscheidung des FA herbeizuführen, nicht erreicht werden, wenn die Entscheidung des FG dahin zu verstehen wäre, daß mit der Abweisung der Klage im übrigen die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids hätte bestätigt werden sollen.
Auch Revision und Anschlußrevision rechtfertigen es nicht, die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides, sofern er wirksam ist, in die Entscheidung aufgrund dieser Rechtsmittel einzubeziehen. Denn den Rechtsmittelanträgen ist unter Berücksichtigung ihrer Begründungen nicht zu entnehmen, daß die Beteiligten nunmehr eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids anstreben und die Vorentscheidung deshalb für rechtsfehlerhaft halten, weil diese die Frage der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids nicht umfaßt. Die Einlegung der Anschlußrevision setzt sogar voraus, daß das FA die Ablehnung der Klage nicht dahin versteht, das FG habe damit zum Ausdruck gebracht, daß der Haftungsbescheid rechtmäßig sei. Anderenfalls hätte das FA keinen Anlaß zur Anschlußrevision gehabt, da es sich dann durch die Entscheidung des FG nicht hätte als beschwert ansehen können.
II. Die Anschlußrevision des FA mit dem Ziel der Klageabweisung ist unbegründet.
Das FG hat zu Recht angenommen, daß der Einspruch gegen den Haftungsbescheid rechtzeitig eingelegt worden ist und das FA ihn deshalb zu Unrecht als unzulässig verworfen hat. Die Auffassung der Vorinstanz, die öffentliche Zustellung des Haftungsbescheides sei unwirksam und deswegen sei eine Einspruchsfrist nicht in Lauf gesetzt worden, ist frei von Rechtsfehlern.
Es kann dahingestellt bleiben, ob dies schon deshalb zutrifft, weil förmliche Mängel der Zustellung nach § 15 VwZG wegen des Vorhandenseins zweier Urkunden über den Aushang und die Abnahme anzunehmen sind und ob ein Verfahrensmangel darin liegt, daß das FG es unterlassen hat aufzuklären, welche der beiden Urkunden ausgehangen hat. Denn selbst wenn förmliche Mängel der öffentlichen Zustellung nicht vorliegen, war sie deshalb unwirksam, weil das FA zu Unrecht angenommen hat, daß der Aufenthaltsort des Klägers unbekannt i. S. des § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG war.
Die Entscheidung, ob öffentlich zugestellt werden soll, steht - wie sich aus der Verwendung des Begriffes ,,kann" im Wortlaut der Bestimmung ergibt - im Ermessen der Behörde. Dieses Ermessen setzt aber erst dann ein, wenn die unter Buchst. a bis c des Abs. 1 des § 15 VwZG geregelten gesetzlichen Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung vorliegen. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist in vollem Umfang und nicht nur in den Grenzen des § 102 FGO durch das FG nachprüfbar.
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Aufenthaltsort eines Empfängers nicht schon dann unbekannt ist, wenn die Behörde seine Anschrift nicht kennt; die Anschrift muß vielmehr allgemein unbekannt sein. Deshalb muß die Behörde vor der öffentlichen Zustellung Ermittlungen nach der Anschrift des Zustellungsempfängers anstellen (vgl. BFH-Urteil vom 18. März 1971 V R 25/67, BFHE 102, 20, BStBl II 1971, 555; vom 26. Juni 1986 IV R 202/84, BFH / NV 1987, 98). Welcher Art diese Ermittlungen sein müssen, richtet sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles. So mag die Behörde ihrer Ermittlungspflicht in der Regel gerecht werden, wenn sie sich auf den Versuch beschränkt, die Anschrift bei der Einwohnermeldebehörde oder der Polizei zu erhalten (vgl. BFH-Urteile in BFHE 102, 20, BStBl II 1971, 555; vom 17. Oktober 1985 IV B 67/85, BFH / NV 1986, 576). Dies reicht jedoch dann nicht aus, wenn die konkrete Sachverhaltsgestaltung es nahelegt, weitere Nachforschungen bei anderen Einrichtungen oder Personen anzustellen.
Dem FG ist darin beizupflichten, daß sich im Streitfall weitere Ermittlungen aufdrängten. Im Hinblick darauf, daß das FA . . . einen für den Kläger bestimmten Bescheid an die X. als seine Bevollmächtigte zugestellt hatte, lag es auf der Hand, vor der öffentlichen Zustellung . . . dort Erkundigungen über den Umfang der vorliegenden Vollmacht oder zumindest über den Aufenthaltsort des Klägers anzustellen. Dies ist nach den Feststellungen der Vorinstanz nicht geschehen. Das FA kann die Auffassung, eine Nachfrage bei der X. habe sich aufgedrängt, nicht mit dem Hinweis entkräften, dieser habe ein Aussageverweigerungsrecht nach § 102 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b AO 1977 zugestanden. Das gesetzliche Recht auf Aussageverweigerung hätte eine Nachfrage bei der X. nur dann als entbehrlich erscheinen lassen können, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestanden hätten, daß von diesem Recht auch Gebrauch gemacht werden würde und eine Anfrage mithin auf eine bloße Förmelei hinausgelaufen wäre. Das FG hat keine Tatsachen festgestellt und das FA hat auch keine Umstände vorgetragen, die Anhaltspunkte für eine derartige Fallgestaltung liefern.
Der Umstand, daß eine naheliegende Ermittlung über den Aufenthalt des Klägers unterlassen wurde, hat zur Folge, daß die Feststellung, der Aufenthalt des Klägers sei unbekannt i. S. des § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG, nicht getroffen werden kann. Die öffentliche Zustellung war mithin mangels Vorliegens des gesetzlichen Tatbestandes unwirksam (vgl. Bock, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1986, 329, 332). Kann die Feststellung, daß ein unbekannter Aufenthalt des Empfängers i. S. von § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG vorliegt, bereits dann nicht mehr getroffen werden, wenn eine naheliegende und bei objektiver Betrachtung nicht von vornherein aussichtslos erscheinende Ermittlungsmaßnahme über den Aufenthaltsort unterlassen worden ist, so kann unentschieden bleiben, ob der Auffassung des FG zu folgen wäre, daß auch noch andere - vom FG im einzelnen bezeichnete - Maßnahmen zur Ermittlung des Aufenthalts des Klägers oder Zustellungen an anderen Orten geboten gewesen wären und die öffentliche Zustellung auch noch aus weiteren Gründen unwirksam ist.
Soweit das FA demgegenüber der Sache nach geltend macht, daß zwischen dem Verhalten des Empfängers einerseits und dem Umfang der notwendigen Ermittlungen der Behörde andererseits eine Wechselwirkung in der Form bestehe, daß besonders eingehende Ermittlungen jedenfalls in solchen Fällen nicht erforderlich seien, in denen der Adressat alles unternehme, um seinen Aufenthaltsort zu verheimlichen, gibt der Streitfall keinen Anlaß zu einer abschließenden Entscheidung. Im Hinblick auf die schwerwiegenden Folgen einer öffentlichen Zustellung rechtfertigt die Abmeldung bei der Meldebehörde des bisherigen Wohnsitzes sowie das Unterlassen einer behördlichen Anmeldung und der Anbringung eines Namensschildes an dem neuen Wohnsitz es jedenfalls nicht, daß das FA solche Ermittlungen unterläßt, die nach den besonderen Umständen des Einzelfalles naheliegen, nicht von vornherein aussichtslos erscheinen und auch nicht besonders kostenaufwendig sind.
III. Die Revision des Klägers mit dem Ziel der Feststellung der Unwirksamkeit des Haftungsbescheides oder der Zurückverweisung an das FG ist ebenfalls unbegründet.
1. Das FG hat zu Recht die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Haftungsbescheides abgewiesen.
Die Richtigkeit der Auffassung der Vorinstanz, durch die Übermittlung des Haftungsbescheides an die X. sei eine wirksame Bekanntgabe i. S. des § 122 Abs. 1 und 2 AO 1977 erfolgt, kann dahingestellt bleiben. Denn unabhängig davon, ob eine wirksame Bekanntgabe i. S. des § 122 AO 1977 anzunehmen wäre, liegt jedenfalls eine Heilung der unwirksamen öffentlichen Zustellung vor.
a) Nach § 9 Abs. 1 VwZG gilt ein Schriftstück, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen läßt oder das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat. Ein Verstoß gegen die Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung nach § 15 VwZG schließt die Anwendbarkeit des § 9 Abs. 1 VwZG nicht aus (vgl. Senatsurteil vom 5. März 1985 VII R 156/82, BFHE 143, 220, BStBl II 1985, 597, 598). Das bedeutet, daß ein nach § 9 Abs. 1 VwZG heilbarer Mangel auch dann vorliegt, wenn die öffentliche Zustellung wegen einer Verletzung der Ermittlungspflicht der Behörde über den Aufenthalt des Empfängers unwirksam ist (vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 15 VwZG Anm. 2; Bock, a. a. O.).
Dieser Mangel wurde im Streitfall durch den tatsächlichen Zugang des Haftungsbescheides bei der X. geheilt. Der X. war vom Kläger zwar keine Bekanntgabevollmacht erteilt worden. Sie war aber nach den für den Senat verbindlichen Feststellungen des FG Bevollmächtigte des Klägers und mithin Empfangsberechtigte i. S. des § 9 Abs. 1 VwZG i. V. m. § 122 Abs. 1 Satz 3 AO 1977.
Gegen die Möglichkeit der Heilung spricht nicht, daß das FA durch die fehlerhafte öffentliche Zustellung eine Bekanntgabe an den Kläger selbst und nicht an die Bevollmächtigte des Klägers bewirken wollte. Nach der Rechtsprechung des BFH ist die Nichtbeachtung einer Bekanntgabevollmacht (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 2 VwZG) durch Bekanntgabe an den Steuerpflichtigen persönlich - auch wenn der Bescheid nicht an den Bevollmächtigten adressiert war (vgl. BFH-Urteil vom 8. Februar 1974 III R 27/73, BFHE 111, 453, BStBl II 1974, 367) - ein nach dem Rechtsgedanken des § 9 Abs. 1 VwZG heilbarer Bekanntgabemangel. Die Heilung tritt ein, wenn der Bescheid dem Bevollmächtigten zugeht (vgl. BFH-Urteile vom 8. Dezember 1988 IV R 24/87, BFHE 155, 472, BStBl II 1989, 346; vom 2. Oktober 1986 VII R 58/83, BFH / NV 1987, 482; vom 4. Oktober 1989 V R 39/84, BFH / NV 1990, 409, 411; vom 19. Mai 1976 I R 154/74, BFHE 119, 219, BStBl II 1976, 785). Eine Heilung ist nach dem Rechtsgedanken des § 9 Abs. 1 VwZG dann aber auch für den Fall anzunehmen, daß der Bescheid nicht dem in ihm angeführten Adressaten, sondern dessen Bevollmächtigten als einem Empfangsberechtigten i. S. des § 122 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 tatsächlich zugeht. Dies muß jedenfalls dann gelten, wenn die Behörde den Zugang bei dem Bevollmächtigten in zurechenbarer Weise veranlaßt hat. Diese Voraussetzungen waren im Streitfall erfüllt. Denn nach den tatsächlichen Feststellungen des FG wurde der Bescheid von der zuständigen Veranlagungsbeamtin und nicht etwa von einem möglicherweise für die Bekanntgabe von Steuer- oder Haftungsbescheiden unzuständigen Vollstreckungsbeamten an die X. übersandt. An diese tatsächliche Feststellung des FG ist der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden, da insoweit eine Tatbestandsberichtigung nicht erfolgt ist und der Kläger die diesbezügliche Feststellung des FG nicht durch entsprechende Rügen angegriffen hat.
Im Rahmen der auf den tatsächlichen Erhalt des Schriftstücks abstellenden Heilung nach § 9 Abs. 1 VwZG ist auch ohne Bedeutung, daß ein Beamter, der von einer wirksamen öffentlichen Zustellung ausgeht, mit der Übersendung einer Ausfertigung an den Bevollmächtigten möglicherweise nicht die Vorstellung verknüpft, daß dadurch eine Bekanntgabe nach § 122 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 bewirkt wird. Für eine Heilung nach § 9 Abs. 1 VwZG ist ausreichend, daß die Behörde durch die fehlerhafte öffentliche Zustellung eindeutig ihren Bekanntgabewillen dokumentiert hat. Solange dieser durch die fehlerhafte Zustellung dokumentierte Bekanntgabewille nicht durch ausdrückliche Erklärung oder konkludentes Verhalten zurückgenommen worden ist, wirkt er fort.
b) Der Heilung steht auch nicht entgegen, daß die X. nicht das in den Akten verbliebene Exemplar mit der Originalunterschrift, sondern eine Fotokopie des Bescheides erhalten hat. In der Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteil in BFHE 119, 219, BStBl II 1976, 785; in BFH / NV 1990, 409, 411) ist anerkannt, daß der Zugang einer Fotokopie, die als besondere Form der Abschrift die für den Adressaten bestimmte Ausfertigung nach Inhalt und Fassung vollständig wiedergibt, eine fehlerhafte Zustellung heilen kann. Auch das Bundesverwaltungsgericht - BVerwG - (Urteil vom 15. Januar 1988 8 C 8/86, NJW 1988, 1612) hat eine Heilung der Zustellung durch tatsächlichen Zugang angenommen, wenn die Fotokopie dem Empfangsbevollmächtigten zur Kenntnis übersandt wird.
c) Die Anwendbarkeit des § 9 Abs. 1 VwZG wird auch nicht durch die in Abs. 2 dieser Bestimmung getroffene Regelung ausgeschlossen. Mit der Bekanntgabe des Haftungsbescheides hat nicht eine Frist im Sinne dieser Regelung begonnen. Denn gegen den Haftungsbescheid ist der zulässige Rechtsbehelf der Einspruch (vgl. § 248 Abs. 1 Nr. 4 AO 1977). Die Möglichkeit einer Sprungklage kann bei der Entscheidung über die Frage, ob mit einer Bekanntgabe des Haftungsbescheides eine Frist nach § 9 Abs. 2 VwZG begonnen hat, außer Betracht bleiben (vgl. BFH-Beschluß vom 22. November 1976 GrS 1/76, BFHE 121, 9, BStBl II 1977, 247; Urteil in BFHE 143, 220, BStBl II 1985, 597).
Nachdem von einer Heilung der fehlerhaften öffentlichen Zustellung auszugehen ist, wird sich das FA im weiteren Verfahren - wie bereits das FG in seinen Entscheidungsgründen ausgeführt hat - auf die Prüfung der materiell-rechtlichen Einwendungen des Klägers beschränken müssen.
2. Auch der Antrag auf Zurückverweisung der Sache an das FG ist nicht begründet.
a) Soweit der Kläger rügt, daß die Feststellung des FG über die Form des an die X. gesandten Haftungsbescheides auf der von ihm nach Schließung der mündlichen Verhandlung dem FG übersandten Fotokopie beruht, macht er eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend. Diese Rüge mag, was ihre tatsächliche Begründung anbelangt, zutreffend sein. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG wurde der X. eine Fotokopie ,,des Haftungsbescheides, der unter der Rechtsbehelfsbelehrung - ebenfalls in Fotokopie - die Unterschrift . . . trägt", übermittelt. Das FG-Urteil läßt nicht erkennen, worauf die Feststellungen über die Form des als Anlage übermittelten Bescheides beruhen. Es ist lediglich festgestellt, daß das Original des Haftungsbescheides in den Steuerakten abgeheftet sei. Deshalb ist es möglich, daß die eindeutig getroffene tatsächliche Feststellung des FG über die Form und den Inhalt des an die X. übermittelten Haftungsbescheides auf den mit dem nachgereichten Schriftsatz eingereichten Unterlagen basiert.
Nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur können nicht ausdrücklich nachgelassene, nach Schließung der mündlichen Verhandlung eingegangene Schriftsätze ohne Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 93 Abs. 3 Satz 2 FGO) nicht berücksichtigt werden, soweit sie neues tatsächliches Vorbringen enthalten (vgl. BFH-Urteil vom 29. November 1973 IV R 221/69, BFHE 111, 21, BStBl II 1974, 115; Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 93 Anm. 7; Tipke / Kruse, a. a. O., § 93 FGO Anm. 3). Soll das neue Vorbringen berücksichtigt werden, so ist - zur Vermeidung einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -, §§ 96 Abs. 2, 119 Nr. 3 FGO) - die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist aber dann nicht geboten, wenn in einem nachgereichten Schriftsatz nur solche Tatsachen vorgetragen werden, die insofern nicht neu sind, als das FG sie zwar nicht als sicher gegeben, aber alternativ hätte annehmen und abhandeln müssen und die zu demselben Ergebnis geführt hätten. Dies trifft im Streitfall zu. Denn ohne die Einreichung der Kopie des Haftungsbescheides in dem nachgereichten Schriftsatz hätte das FG aufgrund der an die X. gerichteten und in den Steuerakten abgehefteten Kurzmitteilung davon ausgehen müssen, daß entweder eine Fotokopie oder aber sogar ein im Original unterschriebener Haftungsbescheid an die X. übermittelt worden war. Andere Möglichkeiten läßt der vom FG festgestellte Inhalt der Kurzmitteilung, daß als Anlage ,,1 Haftungsbescheid . . ." übersandt werde, jedenfalls in Verbindung damit nicht zu, daß die X. gegen diesen Bescheid Einspruch eingelegt und auch nicht etwa die Unvollständigkeit des Bescheides gerügt hatte. Der Streitfall ist insoweit in tatsächlicher Hinsicht nicht mit dem in BFH / NV 1990, 409 entschiedenen Fall vergleichbar, weil in letzterem Fall - anders als im Streitfall - ungeklärt war, ob die Übermittlung unter Beifügung eines Begleitschreibens oder durch Vermerke und sonstige Zusätze auf der Fotokopie des Schriftstücks erfolgt war. Hätte der mit der Kurzmitteilung übersandte Haftungsbescheid sogar eine Originalunterschrift getragen, so hätte sich die vom FG angenommene Rechtsfolge einer wirksamen Bekanntgabe erst recht ergeben.
b) Dem Kläger ist rechtliches Gehör auch nicht dadurch versagt worden, daß seinem Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zum Zwecke der Akteneinsicht nicht entsprochen worden ist. Die Frage, ob die mündliche Verhandlung wiedereröffnet wird, steht im Ermessen des Gerichts (§ 93 Abs. 3 Satz 2 FGO). Die Entscheidung des FG, die Wiedereröffnung deshalb abzulehnen, weil der Kläger in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit zur Akteneinsicht gehabt habe und sein nach Schließung der mündlichen Verhandlung gestellter Antrag auf Akteneinsicht verspätet sei, ist nicht ermessensfehlerhaft. Nach den Feststellungen des FG wurden die Vollstreckungsakten vom Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung in Anwesenheit des Klägervertreters überreicht. Der Kläger hat keine einleuchtenden Gründe dafür vorgetragen, weshalb er die Akteneinsicht nicht in der mündlichen Verhandlung beantragt hat. Die mündliche Verhandlung ist nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteile vom 29. November 1973 IV R 221/69, BFHE 111, 21, BStBl II 1974, 115; vom 26. Februar 1975 II R 120/73, BFHE 115, 185, BStBl II 1975, 489; vom 14. April 1983 V S 15/82, nicht veröffentlicht - NV -; siehe auch Sangmeister, DStZ 1988, 320, 323) nicht dazu da, einen Prozeßbeteiligten von den Folgen verschuldeter Unterlassung des Tatsachenvortrags zu entlasten. Nichts anderes kann für die verschuldete Unterlassung der Geltendmachung prozessualer Rechte, wie z. B. des Rechts auf Akteneinsicht (§ 78 FGO), gelten.
c) Entgegen der Auffassung der Revision genügt das FG-Urteil auch den Anforderungen, die nach § 105 Abs. 2 Nr. 4 und Abs. 3 FGO an den Tatbestand zu stellen sind. Der Tatbestand muß in sich verständlich sein. Die Darstellung muß ein knapp gehaltenes, klares, vollständiges und in sich abgeschlossenes Bild des Streitstoffes in logischer Folge und unter Hervorhebung der Anträge der Beteiligten enthalten. Diese Voraussetzungen erfüllt der Tatbestand im Streitfall. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil der wesentliche Inhalt der in Bezug genommenen Schriftstücke zu einem großen Teil nicht nur inhaltlich, sondern sogar wörtlich wiedergegeben ist.
Zu einer Aufhebung des FG-Urteils und zu einer Zurückverweisung führt auch nicht der Umstand, daß zwischenzeitlich die Steuerakten an das FA zurückgesandt worden waren. In der Tat hat der BGH die Auffassung vertreten, daß ein Mangel im Tatbestand vorliege, der die Revision begründe und die Zurückverweisung erforderlich mache, wenn entscheidungserhebliche Unterlagen, die in einem der Revision unterliegenden Berufungsurteil lediglich in Bezug genommen seien, nach Abschluß der Instanz an die Partei, die sie eingereicht habe, zurückgegeben würden (Urteil in NJW 1981, 1621). Die Richtigkeit dieser Auffassung und die Frage, ob sie auch für die Steuerakten des FA zutrifft, kann im Streitfall offenbleiben. Denn der Streitfall unterscheidet sich von der Fallgestaltung, über die der BGH zu entscheiden hatte, insofern, als im vorliegenden Urteil entscheidungserhebliche Schriftstücke nicht lediglich in Bezug genommen, sondern ihrem wesentlichen Inhalt nach wiedergegeben und zum Teil sogar wörtlich zitiert worden sind, so daß der Tatbestand aus sich selbst heraus verständlich ist. Der Kläger hat nicht substantiiert dargelegt und es ist auch nicht ersichtlich, daß das FG solche Unterlagen als entscheidungserheblich herangezogen hat, auf die es nur pauschal Bezug genommen hätte. Demgegenüber war bei der dem BGH vorliegenden Fallgestaltung auf in zwei Leitz-Aktenordnern abgeheftete entscheidungserhebliche Abrechnungsunterlagen Bezug genommen worden, ohne daß deren Inhalt wiedergegeben worden wäre.
Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht, daß die vom Kläger beantragte Tatbestandsberichtigung teilweise Erfolg gehabt hat. Es sind danach zwar Schriftsätze pauschal und ohne inhaltliche Wiedergabe in Bezug genommen. Es handelt sich dabei aber zum einen nicht um entscheidungserhebliche Umstände; zum andern sind diese Schriftstücke Inhalt der Gerichts- und nicht der Steuerakten.
Soweit der BGH im übrigen in einem späteren Urteil (vom 8. März 1982 II ZR 10/81, NJW 1982, 2071) klargestellt hat, daß ein die Aufhebung und Zurückverweisung des Urteils gebietender Tatbestandsmangel dann nicht vorliegt, wenn alle entscheidungserheblichen Unterlagen wieder eingereicht werden und außerdem deren Vollständigkeit und Identität von keiner Seite bezweifelt werden, kommt es darauf im Streitfall ebenfalls nicht an. Denn diese Auffassung geht davon aus, daß für den Fall, daß die Unterlagen nicht zurückgereicht würden, ein Tatbestandsmangel vorläge. Dies trifft aber im Streitfall, da das FG die Schriftstücke nicht - wie bereits dargelegt - pauschal, sondern unter Wiedergabe ihres Inhalts in Bezug genommen hat, nicht zu. Der Umstand, daß der Kläger die Vollständigkeit und Identität der erneut eingereichten Steuerakten mit Nichtwissen bestreitet, ist deshalb ohne Bedeutung.
Fundstellen