Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablösung eines Nießbrauchsrechts an einem Grundstück gegen wiederkehrende Leistungen
Leitsatz (NV)
1. Stellt sich der Verzicht auf ein Nießbrauchsrecht als unentgeltliche Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen dar, sind die wiederkehrenden Leistungen eine private Versorgungsrente, die beim Verpflichteten als Sonderausgaben - Leibrente oder dauernde Last - abziehbar und beim Bezieher entsprechend steuerbar sind (vgl. BFH-Urteil vom 27. Februar 1992 X R 136/88, BFHE 167, 375, BStBl II 1992, 609).
2. Nehmen die Vertragsparteien ausdrücklich auf § 323 ZPO Bezug, so reicht dies für die Annahme einer Abänderbarkeit der wiederkehrenden Leistungen nicht aus, wenn die Höhe der Leistungen materiell-rechtlich von Voraussetzungen abhängig gemacht wird, die einer Wertsicherungsklausel entsprechen (Fortführung des BFH-Urteils vom 28. Januar 1986 IX R 12/80, BFHE 146, 68, BStBl II 1986, 348).
3. Die Höhe der wiederkehrenden Leistungen ist i.d.R. nicht nach der Rechtsnatur des Versorgungsvertrages abänderbar, wenn die vereinbarten Leistungen nicht aus den Erträgen des übergebenen Vermögens erbracht werden können.
Normenkette
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1a; ZPO § 323
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute und wurden für das Streitjahr 1986 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Der Kläger ist als Alleinerbe nach seinem Vater Eigentümer des Grundstücks C-Straße in D. Aufgrund letztwilliger Verfügung des Vaters stand der Mutter des Klägers ein lebenslängliches Nießbrauchsrecht an dem Grundstück zu. Mit Vertrag vom 14. März 1986 verzichtete die damals 74 Jahre alte Mutter auf das Nießbrauchsrecht. Der Kläger verpflichtete sich, an Stelle des Nießbrauchs an die Mutter auf deren Lebenszeit ab Januar 1986 monatlich einen als Reallast zu sichernden Betrag in Höhe von 2306 DM mit der Maßgabe zu zahlen, daß eine Abänderung dieser Zahlungspflicht in entsprechender Anwendung von § 323 ZPO vorbehalten bleibt. Weiter heißt es in dem Vertrag:
Eine Abänderung in diesem Sinne darf jedoch nicht aus dem Mehrbedarf der Berechtigten hergeleitet werden, der sich infolge ihrer dauernden Pflegebedürftigkeit oder durch ihre Übersiedlung in ein Altersheim oder Alterspflegeheim ergibt. Die Anpassung der Reallast an die geänderten wirtschaftlichen Verhältnisse soll wie folgt vorgenommen werden:
Erhöht oder ermäßigt sich der vom Statistischen Bundesamt ermittelte Preisindex für die Lebenshaltung eines 4-Personen-Arbeitnehmerhaushalts mit mittlerem Einkommen des alleinverdienenden Haushaltungsvorstandes, ... so erhöht oder ermäßigt sich der Betrag der Reallast entsprechend ... Es kommen jedoch nur solche Veränderungen in Betracht, die zu einer Änderung der Rente über den zuletzt gezahlten Betrag von mindestens 10 v.H. führen.
Bei der Veranlagung für 1986 erkannte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die vom Kläger an seine Mutter geleisteten Zahlungen in Höhe des Ertragsanteils als Sonderausgaben (Leibrente gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 2 des Einkommensteuergesestzes - EStG -) an. In der verbösernden Einspruchsentscheidung verminderte das FA den Abzugsbetrag unter Berücksichtigung dessen, daß die Zahlungen nicht im gesamten Streitjahr geleistet worden waren.
Im Laufe des Klageverfahrens - am 3. Februar 1989 - trafen der Kläger und seine Mutter eine weitere notariell beurkundete Vereinbarung. Dort heißt es u.a. unter Bezugnahme auf den Vertrag vom 14. März 1986, es sei von Anfang an beabsichtigt gewesen, die Vereinbarungen so zu treffen, daß das FA auf jeden Fall die laufenden Zahlungen ... als dauernde Last anerkennen mußte. An einer Wertsicherung im Sinne einer automatischen Anpassung bei bestimmten Änderungen des Preisindexes habe den Vertragschließenden nicht gelegen. Bei Veränderung des Indexes hätte lediglich darüber verhandelt werden sollen, ob eine Veränderung i.S. des § 323 der Zivilprozeßordnung (ZPO) eingetreten ist.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung aufgeführt: Die Leistungen des Klägers seien steuerrechtlich eine Leibrente, keine dauernde Last. Der Vorbehalt der Rechte aus § 323 ZPO habe bereits deswegen keine eigenständige Bedeutung, weil für den Fall der Pflegebedürftigkeit oder der Übersiedlung in ein Altersheim die Abänderbarkeit ausgeschlossen worden sei. Bei einem 74 Jahre alten Menschen seien dies die wesentlichen Fälle einer Veränderung der Lebensbedürfnisse. Änderungen im Hinblick auf die Geldwertstabilität decke die Wertsicherungsklausel ab. Der einzige verbliebene Fall einer Bedarfsänderung werde mit der Vereinbarung ausgeschlossen, so daß die Bezugnahme auf die Abänderungsmöglichkeit nach § 323 ZPO jedenfalls auf seiten des Berechtigten keine eigenständige Bedeutung habe. Im Ergebnis reduzierten sich die Vereinbarungen auf eine Anpassung an die Entwicklung des Geldwertes. Das Fehlen einer Abänderungsmöglichkeit auf seiten eines Beteiligten hindere die Annahme einer dauernden Last.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügen die Kläger Verletzung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG.
Gegenstand der Revision ist der geänderte Einkommensteuerbescheid vom 19. März 1991.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Das FG ist davon ausgegangen, daß der Verzicht auf den Nießbrauch gegen lebenslänglich wiederkehrende Leistungen nach den Grundsätzen über die private Versorgungsrente zu behandeln ist und daß, wenn gleichbleibende Leistungen vereinbart worden sind, nur der Ertragsanteil der Leibrente als Sonderausgabe abziehbar ist. Das FG hat den Abzug einer dauernden Last abgelehnt, weil die Leistungen nicht als abänderbare vereinbart worden sind. Allerdings hat es nicht geprüft, ob die Vertragsparteien ein entgeltliches Rechtsgeschäft abgeschlossen haben; hiervon hängt ab, ob die Zahlungen als Sonderausgabe i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG abziehbar sind oder ob ein Abzug als Werbungskosten bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung - Absetzung für Abnutzung (AfA) nach dem Barwert als Bemessungsgrundlage (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 EStG) und zusätzlich der Abzug des Ertragsanteils als Finanzierungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG) - in Betracht kommt.
2. Auf der Grundlage der vom FG getroffenen Feststellungen läßt sich nicht beurteilen, ob die Vertragsparteien ein entgeltliches Rechtsgeschäft vereinbart haben.
a) Handelt es sich beim Verzicht auf den Nießbrauch um ein Veräußerungsgeschäft oder zumindest einen veräußerungsähnlichen Vorgang, sind die Aufwendungen zur Ablösung grundsätzlich Anschaffungskosten (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. November 1991 XI R 2/87, BFHE 166, 263, BStBl II 1992, 381, und vom 21. Juli 1992 IX R 14/89, BFHE 169, 313, BStBl II 1993, 484). Die Gegenleistung für den Verzicht des Nießbrauchers kann in wiederkehrenden Leistungen bestehen. Werden gleichbleibende, auf die Lebenszeit einer Bezugsperson wiederkehrende Leistungen im Austausch mit einer Gegenleistung - also außerhalb des Sonderrechts der Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen - gezahlt, führt dies, sofern ein sachlicher Zusammenhang mit einer Einkunftsart besteht, wie dargelegt beim Erwerber zu Werbungskosten.
b) Die wiederkehrenden Leistungen können aber auch als Sonderausgaben - Leibrente oder dauernde Last - abziehbar sein (§ 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG). Dies ist vor allem dann der Fall, wenn das nunmehr abgelöste Nutzungsrecht anläßlich einer Vermögensübergabe im Wege der vorweggenommenen Erbfolge vorbehalten worden war und die anläßlich der Ablösung vereinbarten Leistungen hiermit in sachlichem Zusammenhang stehen. Aber auch der Nießbrauch selbst kann als vermögenswerter Gegenstand des Rechtsverkehrs ebenso wie das belastete Grundstück selbst Gegenstand einer Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen sein (Urteile vom 25. November 1992 X R 34/89, BFHE 170, 76, und vom 25. November 1992 XR 148/90, BFH/NV 1993, 586). Dies gilt jedenfalls unter der Voraussetzung, daß der Nießbrauch für den Berechtigten eine existenzsichernde Wirtschaftseinheit ist und der Verzicht einer Hof- und Betriebsübergabe oder einer ähnlichen Vermögensübergabe wirtschaftlich gleichzustellen ist.
Stellt sich der Verzicht auf den Nießbrauch als (unentgeltliche) Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen dar, sind die wiederkehrenden Leistungen eine private Versorgungsrente, die beim Verpflichteten als Sonderausgabe (§ 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG) abziehbar und beim Bezieher entsprechend steuerbar ist (vgl. zusammenfassend BFH-Urteil vom 27. Februar 1992 X R 136/88, BFHE 167, 375, BStBl II 1992, 609).
c) Ob eine Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen oder ein entgeltlicher Vorgang gegeben ist, muß nach den allgemeinen Grundsätzen über die Unterscheidung zwischen der Veräußerungsrente und der privaten Versorgungsrente beurteilt werden. Die im Senatsurteil vom 29. Januar 1992 X R 193/87 (BFHE 167, 95, BStBl II 1992, 465) zusammenfassend dargestellten Kriterien sind auch maßgebend für die Abgrenzung der privaten Versorgungsrente gegenüber der im Streitfall in Betracht zu ziehenden privaten Veräußerungsrente.
3. Da das FA von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist und sich seine Entscheidung auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 126 Abs. 4 FGO), war sein Urteil aufzuheben. Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das FG folgendes zu beachten haben:
a) Vorrangig ist zu prüfen, ob die Ablösung ein entgeltlicher Vorgang oder eine Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen ist. Voraussetzung für eine Vermögensübergabe im Steuerrechtssinne ist, daß das Nutzungsrecht als solches nach seiner wirtschaftlichen Bedeutung - unter maßgeblicher Berücksichtigung der im langfristigen Durchschnitt zu erzielenden Nutzungen - eine existenzsichernde Wirtschaftseinheit ist.
b) Ergibt die Prüfung des FG, daß eine Vermögensübergabe vorliegt, gelten die im Senatsurteil vom 11. März 1992 X R 141/88 (BFHE 166, 564, BStBl II 1992, 499 m.w.N.) zusammengefaßten Grundsätze. Hinsichtlich der Frage, ob ausdrücklich abänderbare oder nicht abänderbare Leistungen vereinbart sind, ist der Erwägung des FG zuzustimmen, daß für die Annahme einer Abänderbarkeit eine Bezugnahme auf § 323 ZPO nicht ausreicht, wenn die Vertragspartner die Höhe der Leistungen materiell-rechtlich von Voraussetzungen abhängig gemacht haben, die einer Wertsicherungsklausel entsprechen (BFH-Urteile vom 28. Januar 1986 IX R 12/80, BFHE 146, 68, BStBl II 1986, 348, und vom 28. Januar 1986 IX R 5/80, BFH/NV 1986, 526). Diese Rechtsprechung ist durch die Entscheidung des Großen Senats vom 15. Juli 1991 GrS 1/90 (BFHE 165, 225, BStBl II 1992, 78) nicht überholt. Im Streitfall war der Vorbehalt einer Änderung der Zahlungspflicht nach dem Wortlaut des Vertrages (Die Anpassung der Reallast ... soll wie folgt vorgenommen werden) beschränkt auf den Fall einer Aktualisierung der Wertsicherungsklausel.
Bei einem Vermögensübergabevertrag kann sich die Abänderbarkeit der wiederkehrenden Leistungen auch dann, wenn der Vertrag auf gleichbleibende Leistungen lautet, aus der Rechtsnatur des typischen Versorgungsvertrages ergeben. Dies setzt allerdings voraus, daß es sich um eine dem zivilrechtlichen Typus des Versorgungsvertrages/Altenteilsvertrages (ausführlich hierzu Pecher in Münchener Kommentar, Art. 96 EGBGB Rdnr. 8, 16, 17) in jedenfalls den wesentlichen Punkten vergleichbare Vereinbarung handelt (Senatsurteile in BFHE 166, 564, BStBl II 1992, 499, unter 4., und in BFHE 167, 375, BStBl II 1992, 609). Dazu gehört vor allem, daß die vereinbarten Leistungen letztlich als zurückbehaltene Erträge aus dem übergebenen Vermögen gezahlt werden können. Können die versprochenen wiederkehrenden Leistungen nicht aus den Erträgen des übergebenen Rechts (hier: des Grundstücks) erbracht werden, spricht dies für die Unabänderbarkeit; insoweit wird Bezug genommen auf das Senatsurteil vom 16. Dezember 1993 X R 67/92, BFHE 173, 152.
c) Das FG wird bei seiner erneuten Entscheidung ggf. auch zu prüfen haben, ob der Vertrag wie vereinbart durchgeführt worden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 419835 |
BFH/NV 1994, 848 |