Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Berücksichtigung eines volljährigen Kindes bei Unterbrechung der Berufsausbildung zwecks Betreuung des eigenen Kindes
Leitsatz (amtlich)
Ein volljähriges Kind, das seine Berufsausbildung zwecks Betreuung des eigenen Kindes im Rahmen der Elternzeit nach §§ 15, 20 Abs. 1 des Bundeserziehungsgeldgesetzes in vollem Umfang unterbricht, befindet sich in dieser Zeit nicht in Berufsausbildung.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a, b
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Mutter der im September 1982 geborenen X. Diese wohnt im Haushalt der Klägerin und ist Schülerin. Sie besuchte seit dem 13. September 1994 ein Gymnasium. Dieser Schulbesuch sollte zum 31. Juli 2004 enden. In der 10. Jahrgangsstufe im Schuljahr 2000/2001 gebar X am … Mai 2001 eine Tochter. X ist alleinerziehende Mutter und erhält nach den Angaben der Klägerin vom Vater des Kindes keine Unterhaltszahlungen.
Mit Beginn des Schuljahres 2001/2002 entschloss sich X, die Schulausbildung für ein Jahr zu unterbrechen, um ihr Kind zu betreuen.
Mit Bescheid vom 5. November 2001 hob der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter) nach § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum ab 1. August 2001 auf und forderte das für die Monate August bis Oktober 2001 gezahlte Kindergeld zurück. Hierbei vertrat er den Standpunkt, X habe sich wegen der einjährigen Unterbrechung des Schulbesuches in Form der Elternzeit nicht mehr in Ausbildung befunden. Diese Unterbrechung könne solchen wegen Erkrankung oder Mutterschaft, die nach den Verwaltungsvorschriften unschädlich seien, nicht gleichgestellt werden.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 173 veröffentlichten Urteil ab. Es vertrat im Wesentlichen den Standpunkt, die Elternzeit nach dem Gesetz zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit (Bundeserziehungsgeldgesetz ―BErzGG―) könne nicht als unschädliche Unterbrechung der Ausbildung angesehen werden. Der Gesetzgeber habe bewusst die Betreuungs- und Erziehungszeit nach § 15 BErzGG nicht (mehr) in den steuerlichen Familienleistungsausgleich einbezogen. Es sei auch nicht willkürlich, für solche Zeiten keinen Kindergeldanspruch zu gewähren.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, die Elternzeit sei eine vorübergehende unschädliche Unterbrechung und damit Bestandteil der Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Die Unterbrechung der Ausbildung im Rahmen der Elternzeit sei ebenso schutzwürdig wie diejenige wegen Erkrankung oder Mutterschaft. Eine unterschiedliche Behandlung sei willkürlich und damit ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 des Grundgesetzes (GG).
Die Klägerin beantragt, das Urteil der Vorinstanz und den Bescheid des Beklagten vom 5. November 2001 sowie die Einspruchsentscheidung vom 22. Januar 2002 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er bringt im Wesentlichen vor, es entspreche der eindeutigen Gesetzeslage, Erziehungszeiten nach dem BErzGG nicht in den steuerlichen Familienleistungsausgleich einzubeziehen. Diese Nichteinbeziehung sei auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Das FG hat zutreffend entschieden, dass ein Kindergeldanspruch für ein volljähriges Kind, welches seine Berufsausbildung unterbricht, um das eigene Kind zu betreuen, nicht besteht.
1. Gemäß § 63 Abs. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG besteht bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen Anspruch auf Kindergeld für ein Kind in Berufsausbildung. Zu Recht hat das FG angenommen, dass ein Kind, welches als Arbeitnehmer in Wahrnehmung seiner Elternzeit nach den §§ 15, 20 Abs. 1 BErzGG seine Berufsausbildung in vollem Umfang unterbricht, sich in dieser Zeit nicht in Berufsausbildung befindet. Nichts anderes gilt, wenn ―wie im Streitfall― eine Schülerin, auf die die §§ 15, 20 Abs. 1 BErzGG nicht anwendbar sind, sich zum Zwecke der Betreuung ihres Kindes in gleicher Weise verhält. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob das Ausbildungsverhältnis in dieser Phase vorläufig beendet ist oder ob es zwar bestehen bleibt, aber infolge einer Beurlaubung die Rechte und Pflichten ruhen.
Diese Auffassung wird auch von der Finanzverwaltung sowie ganz überwiegend im Schrifttum vertreten (Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes ―DA-FamEStG― vom 15. März 2002, BStBl I 2002, 366, 369, 393, 63.3.2.7 Abs. 3; Berlebach/Helmke, Familienleistungsausgleich, Fach A, I. Kommentierung, § 32 EStG Rz. 68; Jachmann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 32 Rdnr. C 19; Jechnerer in Lademann/Söffing, Einkommensteuergesetz, § 32 Anm. 70; Pust in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 32 EStG Rz. 381; Seewald/Felix, Kindergeldrecht, § 63 EStG Rz. 204; Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, 21. Aufl., § 32 Rz. 40; a. A. Blümich/
Heuermann, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, § 32 EStG Rz. 73 und Korn/ Greite, Einkommensteuergesetz, § 32 Rz. 45).
Bereits der Wortlaut von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG legt nahe, dass eine Berufsausbildung im Sinne dieser Vorschrift grundsätzlich nicht während der Zeit besteht, in der eine solche Ausbildung zum Zweck der Betreuung des eigenen Kindes unterbrochen wird. Bestätigt wird diese Auslegung auch durch die Gesetzesentwicklung von § 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG). Dem steht auch nicht entgegen, dass Unterbrechungen, die krankheitsbedingt sind oder ihre Ursache in den Beschäftigungsverboten des Gesetzes zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (MuSchG) haben, als unschädlich angesehen werden.
a) Nach dem Wortlaut des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ist ein Kind zu berücksichtigen, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird. Der Wortlaut stellt also auf die tatsächliche Durchführung von auf die Ausbildung gerichteten Maßnahmen und nicht auf das Weiterbestehen eines Ausbildungsverhältnisses ab (vgl. auch Urteil des Senats vom 14. Mai 2002 VIII R 61/01, BFHE 199, 210, BStBl II 2002, 807). Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH befindet sich in Berufsausbildung, zu der nach einhelliger Rechtsprechung auch die Schulausbildung rechnet, wer auf den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen gerichtete Maßnahmen ergreift, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 19. Februar 2002 VIII R 83/00, BFHE 198, 192, BStBl II 2002, 469, m.w.N.). Wird eine solche Ausbildung unterbrochen, hat dies grundsätzlich zur Folge, dass das Kind während der Zeit der Unterbrechung nicht i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG für einen Beruf ausgebildet wird.
Dem steht nicht entgegen, dass das Bundessozialgericht (BSG) in anderem Zusammenhang entschieden hat, dass eine Berufsausbildung auch in der Zeit vorliegt, in der eine Ausbildung tatsächlich nicht stattgefunden hat, weil von dem Recht auf Erziehungsurlaub nach § 15 BErzGG (jetzt: Elternzeit) Gebrauch gemacht worden ist (BSG-Urteile vom 29. April 1997 5 RJ 84/95, Deutsches Steuerrecht ―DStR― 1998, 1030, und vom 26. Januar 2000 B 13 RJ 53/99 R, SozR 3-2600 § 48 SGB VI Nr. 3).
Der Begriff der Berufsausbildung ist nicht einheitlich zu verstehen. Vielmehr erfährt er eine unterschiedliche Auslegung entsprechend dem gesetzlichen Zusammenhang, in den er gestellt ist (BFH-Urteil vom 11. Oktober 1984 VI R 69/83, BFHE 142, 140, BStBl II 1985, 91, m.w.N.).
b) Die Gesetzesänderung, die § 2 BKGG mit der Einführung des steuerlichen Familienleistungsausgleichs ab dem 1. Januar 1996 erfahren hat, bestätigt die Auslegung, dass die Zeit der durch die Betreuung des eigenen Kindes verursachten Unterbrechung nicht zur Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG rechnet. Nach § 2 Abs. 2 Satz 6 Nr. 1 BKGG in der bis dahin geltenden Fassung gehörte zur Schul- oder Berufsausbildung auch die Zeit, in der unter den Voraussetzungen des § 1 BKGG und im zeitlichen Rahmen des § 15 BErzGG ein Kind betreut und erzogen wird, solange mit Rücksicht hierauf die Ausbildung unterbrochen wird (vgl. hierzu Wickenhagen/Krebs, Bundeskindergeldgesetz, 21. Lieferung/ Juli 1994, § 2 BKGG Rz. 158 ff.). Mit Wirkung ab dem 1. Januar 1996 ist diese Regelung entfallen. Die Gesetzesbegründung macht deutlich, dass diese zum Zwecke der Anpassung an das Einkommensteuerrecht vorgenommene Änderung zur Folge hat, dass die Zeiten der Unterbrechung der Ausbildung durch Erziehungsurlaub (jetzt: Elternzeit) ebenso wie im EStG auch im Rahmen des BKGG nicht Zeiten der Berufsausbildung sind (BTDrucks 13/1558, S. 164). Nicht entscheidend ist, dass der Finanzausschuss die durch die Einführung des Familienleistungsausgleichs beschlossenen Änderungen, soweit diese zu einer Schlechterstellung gegenüber der Lage nach dem BKGG a.F. geführt haben, als geringfügig bewertet hat (BTDrucks 13/1558, S. 139).
c) Dem steht auch nicht entgegen, dass nach zutreffender Auffassung der Finanzverwaltung eine Unterbrechung der Ausbildung infolge Erkrankung und während der Schutzfristen nach §§ 3 Abs. 2 und 6 Abs. 1 Satz 1 MuSchG grundsätzlich unschädlich ist (DA-FamEStG 63.3.2.7 Abs. 3, BStBl I 2002, 393; ebenso Berlebach/ Helmke, a.a.O., § 32 EStG Rz. 67 f.).
In solchen Fällen hat ein Kind den Willen, sich der Ausbildung zu unterziehen. Es ist aber aus objektiven Gründen wegen Erkrankung oder wegen des Beschäftigungsverbots nach dem MuSchG daran gehindert, weil ihm die Durchführung der Ausbildungsmaßnahmen nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Bei dieser Sachlage ist es geboten, ein solches Kind, das einen Ausbildungsplatz hat und ausbildungswillig ist, aus objektiven Gründen aber zeitweise nicht in der Lage ist, sich der Ausbildung zu unterziehen, nicht anders zu behandeln, als ein Kind, das sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht, einen solchen aber nicht findet und das deshalb nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG berücksichtigt wird.
Hiermit ist aber entgegen der Auffassung der Klägerin nicht der Fall vergleichbar, in dem ein Kind seine Berufsausbildung zum Zweck der Betreuung seines eigenen Kindes unterbricht. Zwar ist einzuräumen, dass in beiden Fällen während der Unterbrechung eine Ausbildung tatsächlich nicht stattfindet. Der entscheidende Unterschied liegt aber darin, dass im Falle der Unterbrechung wegen der Betreuung das Kind seine Ausbildung aufgrund eines eigenen, der Förderung des Eltern-Kind-Verhältnisses dienenden Entschlusses während dieser Zeit nicht fortsetzt.
d) Gegen diese Auslegung bestehen entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (Korn/Greite, a.a.O., § 32 Rz. 45; Blümich/Heuermann, a.a.O., § 32 EStG Rz. 73) keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Zwar folgt aus § 9 Satz 1 BErzGG, dass ein Unterhaltsverpflichteter grundsätzlich nicht berechtigt ist, Unterhaltszahlungen wegen des Erziehungsgelds, das der Unterhaltsberechtigte nach dem BErzGG erhält, zu kürzen (vgl. hierzu Zmarzlik/Zipperer/ Viethen, Mutterschutzgesetz, Mutterschaftsleistungen, Bundeserziehungsgeldgesetz, 8. Aufl., § 9 BErzGG Rz. 2, und Palandt/ Diederichsen, Bürgerliches Gesetzbuch, 62. Aufl., Einführung vor § 1601 Rz. 51). Auch verkennt der Senat nicht, dass die für einen Steuerpflichtigen unvermeidbare Sonderbelastung durch Unterhaltsverpflichtungen seine steuerliche Leistungsfähigkeit mindert und deshalb nicht unberücksichtigt bleiben darf (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 29. Mai 1990 1 BvL 20, 26/84 und 4/86, BVerfGE 82, 60, 87, BStBl II 1990, 653, und vom 10. November 1998 2 BvR 1057, 1226, 980/91, BVerfGE 99, 216, 233, BStBl II 1999, 182).
Der Gesetzgeber ist indessen in typisierender Betrachtungsweise davon ausgegangen, dass die Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit wegen bestehender Unterhaltspflichten bei Eltern mit volljährigen Kindern nur noch in besonderen Fällen besteht. Dass der Gesetzgeber einen Spielraum für generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen hat, ist anerkannt (vgl. z.B. BVerfG-Entscheidungen vom 20. Dezember 1966 1 BvR 320/57, 70/63, BVerfGE 21, 12, 27, BStBl III 1967, 7, und vom 10. April 1997 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1, BStBl II 1997, 518, m.w.N.). Er darf atypische Fälle unberücksichtigt lassen, wenn eine Einbeziehung nur unter Schwierigkeiten zu bewältigen wäre und hiervon nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betroffen ist (ständige Rechtsprechung des BVerfG; BVerfG-Urteil vom 28. April 1999 1 BvL 22, 34/95, BVerfGE 100, 59, 90, m.w.N.).
Eine solche Situation ist im Fall der Unterbrechung der Berufsausbildung zum Zwecke der Betreuung des eigenen Kindes gegeben, weil grundsätzlich der Vater des Kindeskindes vorrangig unterhaltspflichtig (vgl. §§ 1360, 1361 Abs. 1, § 1608, § 1615 und § 1615 l Abs. 2 Satz 2 f., Abs. 3 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Die im Streitfall gegebene Situation, bei der die Eltern des Kindes diesem gegenüber in der Zeit unterhaltspflichtig sind, in der es das eigene Kind betreut, ist daher ein Ausnahmefall. Diesen durfte der Gesetzgeber vernachlässigen, zumal eine steuerliche Entlastung der Eltern im Rahmen von § 33a Abs. 1 EStG möglich ist.
2. Zutreffend hat das FG auch entschieden, dass X auch nicht gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG berücksichtigt werden kann, weil X ihre Schulausbildung für einen Zeitraum von mehr als vier Monaten unterbrochen hat. Es entspricht dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift, dass im Fall des Überschreitens des genannten Zeitraums eine Berücksichtigung auch für die ersten vier Monate nicht in Betracht kommt. Hiergegen bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf sein Urteil vom 15. Juli 2003 VIII R 92/01 (nicht veröffentlicht).
Fundstellen
Haufe-Index 1003711 |
BFH/NV 2003, 1645 |
BStBl II 2003, 848 |
BFHE 2004, 106 |
BFHE 203, 106 |
BB 2003, 2389 |
DB 2003, 2474 |
DStRE 2003, 1329 |
HFR 2003, 1182 |