Leitsatz (amtlich)
1. Bei Anfechtung aufgrund einer Betriebsprüfung ergangener Steuerbescheide tritt die Ablaufhemmung der Verjährung nach § 146a Abs. 1 AO neben die nach § 146a Abs. 3 AO.
2. Ist ein auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 gestützter Änderungsbescheid aus formellen Gründen (inhaltliche Unbestimmtheit) durch rechtskräftiges Urteil aufgehoben worden, so steht dieser Bescheid der erneuten Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 des ursprünglichen Bescheids nicht entgegen.
Normenkette
AO § 146a Abs. 1, 3; AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, ist persönlich haftende Gesellschafterin der Y GmbH & Co. KG (KG). Die der KG beitretenden Kommanditisten hatten sich in der Beitrittserklärung verpflichtet, neben der Kapitaleinlage ein unverzinsliches Darlehen hinzugeben, das für die Dauer ihrer Gesellschaftsbeteiligung unkündbar war. Außerdem haben die Kommanditisten eine Bearbeitungsgebühr (Agio) in Höhe von 2 v. H. des Gesamtbetrages (Kommanditeinlage und Darlehen) zu entrichten.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hat zunächst entsprechend der Anmeldung der Klägerin Gesellschaftsteuer für den Erwerb der Kommanditanteile nur aus der Kommanditeinlage festgesetzt, und zwar mit Bescheid vom 3. September 1971 aus den Einlagen der bis 31. Juli 1971 eingetretenen Kommanditisten und mit nach § 100 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) vorläufigem Bescheid vom 13. April 1972 aus den Einlagen der vom 1. August bis 31. Dezember 1971 eingetretenen Kommanditisten. Vom 12. bis 14. November 1975 wurde bei der KG eine Kapitalverkehrsteuerprüfung für die Jahre 1970 mit 1974 durchgeführt. Entsprechend der Auffassung des Prüfers setzte das FA unter Änderung der bisherigen Bescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) bzw. § 164 Abs. 2 AO 1977 mit zwei Bescheiden vom 30. März 1977 die Gesellschaftsteuer für den Ersterwerb der Gesellschaftsrechte auf 176 742,65 DM (bis 31. Juli 1971 eingetretene Kommanditisten) bzw. auf 265 839 DM (für die später im Jahre 1971 eingetretenen Kommanditisten) fest. Diese beiden Gesellschaftsteuerbescheide wurden vom Finanzgericht (FG) mit Urteil vom 6. März 1979 (III 162-163/77) aus formellen Gründen aufgehoben, weil die Bescheide nicht den Anforderungen von § 157 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 entsprachen.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsauffassung des FG erließ das FA am 13. Juni 1979 einen neuen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 bzw. § 164 Abs. 2 AO 1977 geänderten Bescheid, der an die Stelle der beiden aufgehobenen Steuerbescheide trat. In dem Bescheid faßte das FA die in einer Anlage aufgeführten Einzahlungen der einzelnen Gesellschafter zusammen, die in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1971 erbracht worden waren.
Die nach Durchführung des außergerichtlichen Vorverfahrens erhobene Klage, mit der die Aufhebung des Steuerbescheides vom 13. Juni 1979 und der Einspruchsentscheidung vom 29. Februar 1980 begehrt wird, hat das FG abgewiesen.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Sie rügt Verletzung materiellen Rechtes sowie unzureichende Erforschung und Würdigung einzelner Sachverhalte.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen.
1. Zu Unrecht meint die Klägerin, die Rechtskraft des finanzgerichtlichen Urteils stehe dem Erlaß des angefochtenen Steuerbescheides entgegen. Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten so weit, als über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Entschieden wurde aber lediglich die Frage, ob die damals angefochtenen Steuerbescheide in formeller Hinsicht den Anforderungen entsprachen. Diese Entscheidung kann die materiellen Rechtsfragen nicht präjudizieren.
2. Im Jahre 1971 entstandene Gesellschaftsteueransprüche waren bei Erlaß des nunmehr angefochtenen Bescheides nicht verjährt. Die Verjährung, die mit Ablauf des Jahres 1971 begonnen hat, wäre mit Ablauf des Jahres 1976 eingetreten (§ 145 Abs. 1 AO i. V. m. § 144 Abs. 1 Satz 1 AO), wenn sie nicht durch die Kapitalverkehrsteuerprüfung, die im Jahre 1975 begonnen hatte und sich auf diese Ansprüche erstreckte, gehemmt worden wäre. Nach § 146a Abs. 3 AO verjähren die Ansprüche, auf die sich eine Betriebsprüfung erstreckt, nicht, bevor die aufgrund der Betriebsprüfung ergangenen Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind. Es kann dahingestellt bleiben, ob - wie das FG meint - die zunächst ergangenen Steuerbescheide wegen ihrer Aufhebung aus formellen Gründen nicht i. S. dieser Vorschrift unanfechtbar geworden sind. Denn die Anfechtung dieser Steuerbescheide führte nach § 146 a Abs. 1 AO zu einer neuen Ablaufhemmung. Wird nämlich vor Ablauf der Verjährungsfrist die Festsetzung einer Abgabe angefochten, so verjähren die Ansprüche aus dem Sachverhalt, der dem Verfahren über den Rechtsbehelf zugrunde liegt, nicht vor Ablauf von sechs Monaten, nachdem die Abgabenfestsetzung unanfechtbar geworden ist. Damit soll nicht nur sichergestellt werden, daß Rechtsbehelfsverfahren durchgeführt werden können, ohne durch den Eintritt der Verjährung sinnlos zu werden, sondern auch, daß bei Aufhebung des angefochtenen Steuerbescheides aus dem Sachverhalt, der dem aufgehobenen Bescheid zugrunde liegt, die zutreffenden steuerlichen Folgen gezogen werden können. Wenn auch der Gesetzgeber in erster Linie an sich gegenseitig ausschließende Steueransprüche gedacht haben mag, so ist der Wirkungsbereich dieser Vorschrift nicht auf diese begrenzt. Wird die Abgabenfestsetzung aus formellen Gründen - z. B. wegen inhaltlicher Unbestimmtheit des Steuerbescheids - aufgehoben, so bewirkt die durch das eingeleitete Rechtsbehelfsverfahren eintretende, über dessen Abschluß hinaus wirkende Hemmung des Ablaufs der Verjährungsfrist, daß die Abgabenansprüche noch innerhalb der Sechsmonatsfrist festgesetzt werden können, wenn die Rechtskraft des Urteils dem - wie im vorliegenden Fall - nicht entgegensteht.
3. Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin waren auch die Voraussetzungen für eine Änderung der Bescheide gegeben. Soweit es sich um den Bescheid vom 13. April 1972 handelt, ergibt sich dies aus Art. 97 § 9 Satz 3 des Gesetzes zur Einführung der Abgabenordnung i. V. m. § 164 Abs. 2 AO 1977. Durch die Aufhebung des Änderungsbescheides vom 30. März 1977 durch das FG ist auch die Aufhebung des als Vorbehalt der Nachprüfung wirkenden Vorläufigkeitsvermerks beseitigt worden, so daß der Vorbehalt weiter wirksam war. Aber auch die Änderungsvoraussetzung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977, daß neue Tatsachen bekanntgeworden sind, die zu einer höheren Steuer führen, ist erfüllt. Abzustellen ist nämlich hierbei nicht auf den zwischenzeitlich ergangenen aufgehobenen Verwaltungsakt, sondern auf denjenigen Verwaltungsakt, der geändert wird. Dies ist der Steuerbescheid vom 3. September 1971. Nach dessen Erlaß sind die nunmehr der Steuerfestsetzung zugrunde gelegten weiteren Tatsachen bekanntgeworden.
Fundstellen
Haufe-Index 74303 |
BStBl II 1982, 524 |
BFHE 1982, 234 |
NJW 1982, 2208 |