Vertrauensschutz bei rechtswidrigem Verwaltungshandeln
Des Weiteren hat der BFH klargestellt, dass keine Änderungsbefugnis nach § 27 Abs. 19 UStG besteht, wenn der Organträger einer Bauleistungen erbringenden Organgesellschaft keinen Anspruch der Organgesellschaft gegen den Leistungsempfänger abtreten kann, da über das Vermögen der Organgesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.
Hintergrund: Gesetzliche Regelungen
Vertrauensschutz bei der Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden: Nach § 176 Abs. 2 AO darf bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, einer obersten Bundes- oder Landesbehörde von einem obersten Gerichtshof des Bundes als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden ist.
Korrektur der Umsatzsteuerfestsetzung in Bauträgerfällen: Sind Unternehmer und Leistungsempfänger davon ausgegangen, dass der Leistungsempfänger die Steuer nach § 13b UStG auf eine vor dem 15.2.2014 erbrachte steuerpflichtige Leistung schuldet, und stellt sich diese Annahme als unrichtig heraus, ist die gegen den leistenden Unternehmer wirkende Steuerfestsetzung zu ändern, soweit der Leistungsempfänger die Erstattung der Steuer fordert, die er in der Annahme entrichtet hatte, Steuerschuldner zu sein. § 176 AO steht einer derartigen Änderung nicht entgegen (§ 27 Abs. 19 Satz 1 und 2 UStG). § 27 Abs. 19 Satz 3 UStG enthält eine Abtretungsregelung, wobei § 27 Abs. 19 Satz 4 UStG die Erfüllungswirkung dieser Abtretung regelt.
Sachverhalt: Leistungsempfängerin war Bauträgerin
Die Klägerin war im Jahr 2012 (Streitjahr) Organträgerin einer GmbH. Die GmbH erbrachte gegenüber einer AG, einer Bauträgerin, im Streitjahr Bauleistungen ohne gesonderten Ausweis der Umsatzsteuer, da die Vertragspartner von der Steuerschuldnerschaft der Bauträgerin nach § 13b UStG ausgingen. Die Klägerin erfasste die an die Bauträgerin erbrachten Leistungen daher nicht in ihren monatlich abgegebenen Voranmeldungen, die nach § 168 Satz 1 und 2 AO zu Steuerfestsetzungen unter Vorbehalt der Nachprüfung führten.
Über das Vermögen der GmbH eröffnete das zuständige Amtsgericht im Januar 2013 das Insolvenzverfahren. Die Klägerin reichte im April 2014 eine nach § 168 Satz 1 AO nicht zustimmungsbedürftige Umsatzsteuerjahreserklärung für das Streitjahr beim Finanzamt (FA) ein. Im Juli 2014 reichte sie eine – aus hier nicht streitigen Gründen berichtigte und – nach § 168 Satz 2 AO zustimmungsbedürftige Umsatzsteuerjahreserklärung ein, der das FA im Oktober 2014 zustimmte. In beiden Umsatzsteuerjahreserklärungen ging die Klägerin wiederum von einer Steuerschuldnerschaft der Bauträgerin für die an diese erbrachten Leistungen aus.
Die Bauträgerin beantragte aufgrund des Urteils des BFH v. 22.8.2013 (V R 37/10, BStBl II 2014, 128), im Jahr 2015 die Erstattung der von ihr entrichteten Umsatzsteuer. Daher setzte das FA mit Bescheid vom 14.9.2016 nach § 164 Abs. 2 AO gegenüber der Klägerin als Organträgerin die Umsatzsteuer für das Streitjahr höher fest.
Der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg. Demgegenüber gab das FG der Klage statt, weil es für den Änderungsbescheid vom 14.9.2016 an einer Korrekturgrundlage fehle.
Entscheidung: BFH weist Revision des FA als unbegründet zurück
Der BFH hat entschieden, dass das FG (im Ergebnis) zu Recht davon ausgegangen ist, dass das FA zu einer Änderung zu Lasten der Klägerin nicht berechtigt war. Zum einen verhindere § 176 Abs. 2 AO eine Änderung des Umsatzsteuerjahresbescheids nach § 164 Abs. 2 AO. Zum anderen lägen die Voraussetzungen von § 27 Abs. 19 UStG nicht vor.
Vertrauensschutz bei Festsetzungen unter Vorbehalt der Nachprüfung
Vertrauensschutz nach § 176 AO besteht auch bei formell bestandskräftigen Bescheiden, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen sind und demzufolge für Steueranmeldungen, die nach § 168 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen.
Die nach § 176 Abs. 2 AO erforderliche Bezeichnung einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend ergibt sich im Streitfall aus der Entscheidung des BFH v. 22.8.2013, V R 37/10, BStBl II 2014, 128.
Die maßgebende Verwaltungsvorschrift (Abschn. 182a Abs. 11 UStR 2005 und später UStAE Abschn. 13.b.3 Abs. 8 Satz 4 i. d. F. vor der Änderung durch das BMF-Schreiben vom 5.2.2014, BStBl I 2014, 233) lag den zu einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung führenden Umsatzsteuerjahreserklärungen der Klägerin zugrunde. Die Klägerin ging dabei entsprechend dieser Verwaltungsauffassung für die Erbringung von Bauleistungen an einen Bauträger unter den dort bezeichneten Voraussetzungen von dessen Steuerschuldnerschaft als Leistungsempfänger aus.
Entgegen der Auffassung des FA steht der Anwendung von § 176 Abs. 2 AO nicht entgegen, dass der BFH mit seinem Urteil in BStBl II 2014, 128 die Verwaltungsauffassung bereits vor der ersten Umsatzsteuerjahresfestsetzung vom April 2014 als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet hat. Liegen nämlich bereits vor dem Umsatzsteuerjahresbescheid Voranmeldungsfestsetzungen vor, können diese für die Prüfung, ob einer Änderung einer Steuerfestsetzung der Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 2 AO entgegensteht, nicht außer Betracht bleiben.
Nimmt der Umsatzsteuerjahresbescheid den Regelungsgehalt vorheriger Voranmeldungsfestsetzungen in sich auf, ist für die Prüfung, zu welchem Zeitpunkt die in § 176 Abs. 2 AO genannte allgemeine Verwaltungsvorschrift als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet wurde, auf die jeweilige Voranmeldungsfestsetzung abzustellen. Denn bereits aus dieser ergibt sich nach § 168 AO eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung für eine bereits nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 UStG entstandene Steuer, die das für § 176 Abs. 2 AO entscheidende Vertrauen in die Bestandskraft der Steuerfestsetzung erzeugt. Da die Voranmeldungsfestsetzungen ausnahmslos bereits vor der maßgeblichen Veröffentlichung des in Rede stehenden Urteils auf der Internetseite des BFH am 27.11.2013 vorlagen, hat das FG im Ergebnis zu Recht entschieden, dass § 176 Abs. 2 AO einer Änderung nach § 164 Abs. 2 AO entgegenstand.
Korrekturvorschrift des § 27 Abs. 19 UStG nicht einschlägig
Das FA war auch nicht zu einer Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG berechtigt. Diese Vorschrift eröffnet keine Änderungsbefugnis, wenn der Organträger einer Bauleistungen erbringenden Organgesellschaft keinen Anspruch der Organgesellschaft gegen den Leistungsempfänger abtreten kann, da über das Vermögen der Organgesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.
Ist bei einer Organschaft die Bauleistungen erbringende Organgesellschaft irrtümlich von einer Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers ausgegangen, ist für die erforderliche Prüfung, ob der zivilrechtliche Anspruch der Organgesellschaft auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer gegen den Leistungsempfänger „abtretbar“ ist, im Grundsatz auf den Organträger abzustellen, der umsatzsteuerrechtlich gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG als Leistender hinsichtlich der Bauleistungen anzusehen ist.
Bei einer bestehenden Organschaft, bei der das der Leistungserbringung zugrunde liegende Rechtsverhältnis, das den Anspruch auf die Gegenleistung begründet, zum Leistungsempfänger über eine Organgesellschaft vorliegt, ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass der Organträger im Rahmen der für ihn aufgrund der Eingliederung bestehenden Einwirkungsmöglichkeiten auf eine Anspruchsabtretung durch die Organgesellschaft hinwirken kann.
Diese Möglichkeit besteht aber bei einer zwischenzeitlichen Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Organgesellschaft nicht. Unabhängig davon, dass es hierdurch zur Beendigung der Organschaft kommt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Insolvenzverwalter einen werthaltigen, der Masse zustehenden Anspruch durch Abtretung aufgibt. Daher scheidet hier eine Änderung gemäß § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG zu Lasten des Organträgers aus. Das von der Vorschrift verfolgte Regelungsziel, eine Änderung zu Lasten des leistenden Unternehmers deshalb zu ermöglichen, da ihm aufgrund einer Anspruchsabtretung an das FA kein Nachteil erwächst, wobei das FA die Nachforderung durch die Durchsetzung der ihm abgetretenen Forderung tilgen kann, versagt hier.
BFH Urteil vom 06.07.2023 - V R 5/21 (veröffentlicht am 21.09.2023)
Alle am 21.09.2023 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen
-
Vermietung an den Partner in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft
812
-
BVerfG verhandelt im November zum Solidaritätszuschlag
707
-
Antrag auf Aufteilung der Steuerschuld nach § 268 AO ist unwiderruflich
690
-
Abschreibung für eine Produktionshalle
632
-
Selbst getragene Kraftstoffkosten bei der 1 %-Regelung
544
-
Berechnung der Zehn-Jahres-Frist bei sanierungsrechtlicher Genehmigung
519
-
Abzug von Fahrtkosten zur Kinderbetreuung
493
-
Neue Grundsteuer B in Baden-Württemberg ist verfassungsmäßig
473
-
Sonderausgabenabzug für einbehaltene Kirchensteuer auf Kapitalerträge aus anderen Einkunftsarten
465
-
Anschrift in Rechnungen
421
-
Alle am 21.11.2024 veröffentlichten Entscheidungen
21.11.2024
-
Keine Rückstellung für vorläufig festgesetzte Zinsrückzahlung
21.11.2024
-
Erfordernis der Glaubhaftmachung gem. § 52a Abs. 6 FGO
20.11.2024
-
Betriebsausgabenabzug für steuerfreie Photovoltaikanlagen auch in 2022 möglich
18.11.2024
-
Keine AdV bei geltend gemachter Verfassungswidrigkeit der Grundsteuerwertermittlung
18.11.2024
-
BFH zur Vorteilsminderung bei der 1 %-Regelung
18.11.2024
-
Bestattungskosten als Nachlassverbindlichkeiten bei Zahlung aus einer Sterbegeldversicherung
18.11.2024
-
Erbschaftsteuerlicher Freibetrag bei Erbverzicht der Elterngeneration
18.11.2024
-
Hinzurechnungsbesteuerung und Kapitalverkehrsfreiheit bei Schweizer Tochtergesellschaften
15.11.2024
-
Keine Kfz-Steuerbefreiung bei untergeordneter land- und forstwirtschaftlicher Tätigkeit
15.11.2024