Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindungswirkung einer zurückverweisenden Revisionsentscheidung; Bestellung zum Bevollmächtigten; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Leitsatz (NV)
1. Zur Bindungswirkung einer zurückverweisenden Revisionsentscheidung.
2. Zu den Anforderungen an die Bestellung zum Vertreter im Einspruchsverfahren nach Einspruchseinlegung durch einen anderen Steuerberater.
3. Zur Glaubhaftmachung von Wiedereinsetzungsgründen bzw. ihrem verspäteten Vorbringen.
Normenkette
FGO §§ 155, 126 Abs. 4, § 56 Abs. 1, 2 Sätze 1-2; VwZG § 8 Abs. 1; AO 1977 § 80; ZPO § 85 Abs. 2
Tatbestand
Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH und Co. KG, betreibt . . . Im Anschluß an eine Außenprüfung erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) geänderte Bescheide zur einheitlichen Gewinnfeststellung für die Jahre 1977 bis 1980, Festsetzung der Gewerbesteuer-Meßbeträge 1977 bis 1980, Festsetzung des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1978, 1. Januar 1979 und 1. Januar 1980. Die Bescheide wurden der Klägerin übersandt.
Ihr langjähriger Steuerberater X, dem die umfassende steuerliche Betreuung und Beratung oblag, legte mit Schreiben vom 12. Oktober 1983 und 8. November 1983 fristgerecht ,,im Namen und Vollmacht" der Klägerin Einspruch ein. In diesem Schreiben teilte er ergänzend mit, daß die Einspruchsbegründungen ,,von dem Fachanwalt für Steuerrecht Y zugehen" würden.
Nach vergeblicher Anmahnung der Einspruchsbegründungen wandte sich das FA mit Schreiben vom 3. Februar 1984 an die Rechtsanwälte Y & Partner (die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin) und bat diese, für den Eingang der Begründungen bis spätestens Ende Februar 1984 beim FA Sorge zu tragen. Diese teilten daraufhin mit Schreiben vom 8. Februar 1984 u.a. mit, daß die Begründungen bis Ende März fertiggestellt würden.
Da Einspruchsbegründungen nicht abgegeben wurden, wies das FA die Einsprüche als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidungen vom 14. Juni 1984 wurden an den Steuerberater X gerichtet und ihm am folgenden Tage bekanntgegeben. Dieser leitete die Einspruchsentscheidungen noch am selben Tage auf dem Postwege an die klägerischen Prozeßbevollmächtigten weiter und bat mit beigefügtem Anschreiben, ,,das Nötige zu veranlassen". Dort ging die aus elf Blatt bestehende Sendung am 18. Juni 1984 ein. Ein weiterer Posteingang in Sachen der Klägerin erfolgte an diesem Tage nicht.
Im August 1984 erfuhr Steuerberater X anläßlich eines Telefonats mit dem zuständigen Beamten des FA, daß dort noch keine Nachricht über die Erhebung einer Klage vorliege. Auf telefonische Nachfrage in der Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten wurde ihm von der erreichbaren Angestellten, Frau R, mitgeteilt, daß die Einspruchsentscheidungen eingegangen seien. Steuerberater X erbat mangels eigener Unterlagen Ablichtungen dieser Einspruchsentscheidungen, die am 22.August 1984 an ihn übersandt wurden.
Mit dem beim Finanzgericht (FG) am 6. September 1984 eingegangenen Schriftsatz vom 4. September 1984 wurde seitens der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin Klage erhoben sowie Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs wurde dargelegt, die Einspruchsentscheidungen seien entgegen der Büroordnung nicht den bearbeitenden Rechtsanwälten vorgelegt worden. In der zentralen Fristenkartei seien zwar andere, die Klägerin betreffende Fristen notiert worden, nicht jedoch die im Streitfall maßgeblichen. Dies könne nur damit erklärt werden, daß die für die Führung des zentralen Fristenkalenders zuständige Büroangestellte M die Eintragung der Frist entgegen der Büroordnung unterlassen habe. Dies wiederum könne nur darauf zurückzuführen sein, daß sich das Anschreiben des Steuerberaters X nebst Einspruchsentscheidungen nach dem Anbringen des Eingangsstempels mit einer anderen Akte verhakt habe und deshalb weder von der verantwortlichen Sekretärin noch von einem der Anwälte habe bemerkt werden können. Rechtsanwalt Y habe jedenfalls erst nach Rückkehr aus dem Urlaub am 24. August 1984 anläßlich einer Durchsicht von Unterlagen der Klägerin, die in vier Leitzordnern zusammengefaßt gewesen seien, durch Zufall die Einspruchsentscheidungen nebst Anschreiben uneingeheftet aufgefunden.
Zur Glaubhaftmachung dieses innerhalb der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist vorgebrachten Sachverhalts nahm die Klägerin auf eine als eidesstattliche Versicherung bezeichnete Erklärung der ersten Bürosekretärin, Frau M, vom 29. August 1984 Bezug.
Das FG hat die Klage als unzulässig abgewiesen.
Der Senat hat mit Entscheidung vom 27. Februar 1986 IV R 72/85 (BFHE 146, 206, BStBl II 1986, 547) die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
Die Büroangestellte M hat mit Schreiben vom 20. Juni 1988 ihre eidesstattliche Versicherung widerrufen. Sie hat erklärt, daß am 18. Juni 1984 drei Einspruchsentscheidungen des FA . . . eingegangen seien. Diese seien an ein Schreiben des Steuerberaters X geheftet gewesen, in dem - soweit sie sich noch erinnern könne - auf diese Fristen jedenfalls nicht ausdrücklich hingewiesen worden sei. Dies sei wohl der Grund gewesen, weshalb sie die Einspruchsfristen nicht im Fristenkalender notiert habe. Jedenfalls habe sie das Schriftstück nicht aus Versehen in den Aktenordner eingeordnet. Seinerzeit sei es zur Abgabe der unrichtigen Erklärung gekommen, weil ihr das von den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin vorformulierte Schreiben in einer psychisch labilen Lage vorgelegt worden sei und sie es darum und auch mit Rücksicht auf die Loyalität zur Kanzlei unterschrieben habe.
Das FG hat die Klage erneut als unzulässig abgewiesen.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat im Ergebnis zu Recht angenommen, daß die Klage verspätet erhoben worden und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren ist.
1. Im ersten Rechtszug hat der Senat entschieden, daß die Klage nicht innerhalb der Klagefrist von einem Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidungen vom 14. Juni 1984 eingelegt worden sei. Die Einspruchsentscheidungen seien wirksam zugestellt worden. Die Klagefrist sei daher in Lauf gesetzt worden.
Diese Entscheidung ist gemäß § 126 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) im zweiten Rechtszug bindend. Das FG hat zwar die Tragweite seiner Bindung an das zurückverweisende Urteil des erkennenden Senats verkannt. Sein Urteil ist dennoch im Ergebnis zu bestätigen (§ 126 Abs. 4 FGO).
Befindet sich ein Rechtsstreit im zweiten Rechtszug, so hat das FG seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Bundesfinanzhofs (BFH) in dem die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisenden Urteil zugrunde zu legen.
Dies gilt unabhängig davon, ob dem FG die Beurteilung zutreffend erscheint. Dabei erstreckt sich die Bindungswirkung - anders als z.B. nach § 565 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) - nicht nur auf die der ,,Aufhebung" zugrunde gelegte rechtliche Beurteilung, sondern auch auf die anläßlich der ,,Zurückverweisung" vertretene rechtliche Beurteilung (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. § 126 Rdnr.16 ff.). Das gilt zumindest für jede abschließende rechtliche Beurteilung, die der BFH in dem zurückverweisenden Urteil vorgenommen hat. Ebenso wie das FG ist der erkennende Senat des BFH im erneuten Rechtszug an die dem zurückverweisenden Urteil zugrunde liegende Rechtsauffassung gebunden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 13. Oktober 1988 IV R 220/85, BFHE 154, 532, BStBl II 1989, 39, 40; vom 24. Mai 1989 V R 137/84, BFHE 157, 28, BStBl II 1989, 660 m.w.N.).
Der Senat hat die Frage, ob die Klagefrist bei Klageerhebung abgelaufen war, abschließend rechtlich beurteilt. Er hat sich mit der Frage, ob Steuerberater X bestellter Vertreter i.S. des § 8 Abs. 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) war und deshalb die Klagefrist mit der Zustellung der Einspruchsentscheidungen an ihn in Lauf gesetzt wurde, eingehend auseinandergesetzt und die Frage bejaht. Demgegenüber hat er die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin ausdrücklich nicht als ihre bestellten Vertreter angesehen. Hat der Senat also im ersten Rechtsgang abschließend entschieden, daß die Zustellung der Einspruchsentscheidungen an Steuerberater X wirksam und demzufolge die Klagefrist bei Klageerhebung abgelaufen war, so steht der erneuten Überprüfung dieser Vorgänge die Bindungswirkung der zurückweisenden Entscheidung des BFH im ersten Rechtsgang entgegen.
Die Bindungswirkung ist auch nicht deshalb entfallen, weil - wie die Klägerin meint - der Senat das Schreiben ihrer Prozeßbevollmächtigten vom 8. Februar 1984 übersehen und deshalb ihre Bestellung zu Bevollmächtigten im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren zu Unrecht verneint habe. Zwar kann die Bindung einer zurückverweisenden Revisionsentscheidung ausnahmsweise entfallen, wenn sich nachträglich für die Beurteilung maßgebliche Umstände geändert haben. Ein solcher Fall kann auch dann vorliegen, wenn der betreffende Umstand bei der Urteilsfindung schon vorgelegen hat, im zweiten Rechtsgang vom FG aber weiter aufgeklärt worden ist (BFH-Urteil vom 11.September 1968 I 92/65, BFHE 94, 197, BStBl II 1969, 194). Diese Voraussetzungen liegen jedoch schon deshalb nicht vor, weil der Senat das Schreiben der Prozeßbevollmächtigten vom 8. Februar 1984 entgegen der Annahme der Klägerin bei seiner Entscheidung berücksichtigt hat. Der entsprechende Vorgang hat - wenn auch nur kurz - Anklang im Tatbestand des Urteils gefunden. Der Senat hat ausgeführt, daß das FA ,,nach vergeblicher Anmahnung der Einspruchsbegründungen im Oktober/November 1983 mit Fristsetzung bis März 1984" die Einsprüche als unbegründet zurückgewiesen habe. Wenn sich der Senat im Rahmen der rechtlichen Würdigung allerdings nicht ausdrücklich mit dem Schreiben vom 8. Februar 1984 auseinandergesetzt hat, so beruht dies darauf, daß er das Schreiben im Hinblick auf die Frage, ob der Bevollmächtigte Y sich zum Vertreter der Klägerin bestellt hat, nicht als erörterungswürdig angesehen hat. Dieses Schreiben beinhaltet ersichtlich keine für die Vertreterbestellung relevante Prozeßerklärung. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Bevollmächtigte nicht einmal von sich aus gegenüber dem FA aufgetreten war, sondern lediglich auf eine Anfrage des FA reagiert hatte. Vor allem aber blieb offen, ob der Bevollmächtigte Y nicht nur unterstützend für Steuerberater X, der sich eindeutig zum Vertreter i.S. des § 8 Abs. 1 VwZG bestellt hatte, tätig werden wollte. So bestand die Möglichkeit, daß der Bevollmächtigte seine Schriftsätze dem Steuerberater X überlassen würde, damit dieser sie dem FA übermittelte. Nur wenn der Bevollmächtigte die Einspruchsbegründung unter seinem Namen beim FA tatsächlich eingereicht hätte, hätte darin ein erstmaliges Auftreten des Bevollmächtigten gegenüber dem FA gesehen werden können. Dies gilt insbesondere deshalb, weil das Einspruchsverfahren vom Steuerberater X initiiert worden war und es mithin um die an das Auftreten eines zweiten bestellten Vertreters zu stellenden Anforderungen ging. Darauf hat der Senat bereits im ersten Rechtsgang ausdrücklich hingewiesen (vgl. BFH in BFHE 146, 206, BStBl II 1986, 547, 549 unter 1. e) Abs. 2).
Da es schon nicht zu einem solchen Auftreten gekommen war, bedurfte es, wie der Senat im ersten Rechtsgang erläutert hat, auch nicht der Beantwortung der Frage, ob es nicht Aufgabe der Steuerpflichtigen gewesen wäre klarzustellen, ob nach wie vor Steuerberater X oder an seiner Stelle nunmehr die Prozeßbevollmächtigten als ihre Bevollmächtigten i.S. des § 80 der Abgabenordnung - AO 1977 - bzw. als bestellte Vertreter i.S. des § 8 Abs. 1 VwZG anzusehen gewesen wären.
2. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist liegen nicht vor.
a) Nach § 56 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Eine Fristversäumnis ist als entschuldigt anzusehen, wenn sie durch die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte (BFH-Urteil vom 25. Februar 1988 IV R 198/85, BFH/NV 1988, 549). Das Verschulden des Prozeßbevollmächtigten steht dem Verschulden des am FG-Verfahren Beteiligten gleich (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO; BFH-Urteil vom 25. April 1988 X R 90/87, BFH/NV 1989, 110).
Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (§ 56 Abs. 2 Sätze 1 und 2 FGO).
Innerhalb der Antragsfrist von zwei Wochen sind die Tatsachen vorzutragen, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll (BFH-Urteil vom 25. August 1987 IV R 41/87, BFH/NV 1988, 377, BFH in BFH/NV 1989, 110). Nach Ablauf der Zweiwochenfrist können lediglich unvollständige Angaben im Rahmen des bisherigen Vortrags erläutert und ergänzt werden (BFH-Urteil vom 27. März 1985 II R 118/83, BFHE 144, 1, BStBl II 1985, 586). Der Antrag auf Wiedereinsetzung bedarf einer eingehenden Darstellung des Geschehensablaufs, der zur Fristversäumnis geführt hat.
b) Das Wiedereinsetzungsbegehren scheitert schon an der fehlenden Glaubhaftmachung des von der Klägerin innerhalb der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist vorgetragenen Sachverhalts. Zum einen hat die Zeugin M ihre eidesstattliche Versicherung vom 29. August 1984, auf die sich die Klägerin zur Glaubhaftmachung ihres Vorbringens im wesentlichen gestützt hatte, mit Erklärung vom 20. Juni 1988 widerrufen. Zum anderen hat die Klägerin im zweiten Rechtsgang den angeblich zur Fristversäumnis führenden Geschehensablauf grundlegend anders als innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 FGO geschildert. Unter diesen Umständen muß die Glaubhaftmachung als mißlungen angesehen werden.
c) Auch die erstmals im zweiten Rechtsgang aufgestellte Behauptung, daß sich die Post nicht - wie bisher angeführt - mit auf dem Schreibtisch der Angestellten M liegenden Akten, sondern wahrscheinlich mit anderen Posteingängen verhakt habe, sodann an die als für die Angelegenheiten der Klägerin zuständige Sekretärin O weitergeleitet und von dieser die Klagefrist aus unerklärlichen Gründen von dem von ihr geführten Fristenkalender ebenfalls nicht notiert worden sei, so daß der Vorgang ohne die übliche zweite Fristnotierung in die Akten der Klägerin habe gelangen können, kann dem Wiedereinsetzungsbegehren nicht zum Erfolg verhelfen. Dieser neue Sachverhalt hat für die Entscheidung unberücksichtigt zu bleiben. Er ist nicht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 FGO und damit nicht rechtzeitig vorgebracht worden. Bei dem Vorbringen handelt es sich auch nicht um eine bloße Ergänzung oder Vervollständigung bereits zuvor fristgerecht vorgetragener Tatsachen, sondern um einen neuen Wiedereinsetzungsgrund, der in dem fristgerecht gestellten Antrag nicht nur nicht angedeutet worden war, sondern ihm vollständig widersprach.
Fundstellen