Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs gemäß § 10d EStG; Feststellungsfrist
Leitsatz (NV)
1. Ein verbleibender Verlustabzug ist auch dann erstmals gemäß § 10d Abs. 3 Satz 1 EStG gesondert festzustellen, wenn der Einkommensteuerbescheid für das Verlustentstehungsjahr zwar bestandskräftig ist, darin aber kein nicht ausgeglichener Verlust berücksichtigt worden ist (Änderung der Rechtsprechung gegenüber BFH-Urteilen vom 9. Dezember 1998 XI R 62/97, BFHE 187, 523, BStBl II 2000, 3, HFR 1999, 544, und vom 9. Mai 2001 XI R 25/99, BFHE 195, 545, BStBl II 2002, 817, HFR 2002, 106).
2. Der Beginn der Feststellungsfrist für einen Verlustfeststellungsbescheid nach § 10d EStG bestimmt sich nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO.
3. § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG i.d.F. des JStG 2007 gilt nach § 52 Abs. 25 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2007 nicht, wenn die Feststellungsfrist zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des JStG 2007 bereits abgelaufen war; § 181 Abs. 5 AO hemmt nicht den Ablauf der Feststellungsfrist.
Normenkette
AO § 181 Abs. 5; EStG § 10d Abs. 3, 4 S. 6, § 52 Abs. 25 S. 5
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger, Revisionsbeklagte und Anschlussrevisionskläger (Kläger) befand sich in der Zeit von Dezember 1994 bis Juli 1996 in Ausbildung zum Piloten; im Anschluss daran absolvierte er auf eigene Kosten eine Standardisierungsschulung. In den Streitjahren 1994 und 1995 wurde der Kläger nicht zur Einkommensteuer veranlagt. Die Einkommensteuer für das Streitjahr 1996 setzte der Beklagte, Revisionskläger und Anschlussrevisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) mit Bescheid vom 27. Februar 1997 auf 0 € fest; der Festsetzung legte das FA einen Gesamtbetrag der Einkünfte von 5 607 DM zugrunde.
Mit Schreiben vom 3. September 2003 reichte der Kläger die Erklärungen zur Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs für die Streitjahre ein, mit denen er die Aufwendungen für seine Ausbildung zum Piloten als vorab entstandene Werbungskosten geltend machte. Das FA lehnte die Feststellung der verbleibenden Verlustvorträge für die Streitjahre mit Bescheid vom 20. November 2003 ab.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1692 veröffentlichten Urteil teilweise statt. Die begehrten Feststellungen seien trotz des Ablaufs der für sie geltenden Feststellungsfristen nach § 181 Abs. 5 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) zu erlassen. Jedoch hindere der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1996 die Berücksichtigung eines nicht ausgeglichenen Verlusts bei der Berechnung des zum 31. Dezember 1996 verbleibenden Verlustabzugs. Im Übrigen sei für dessen Berechnung aber von einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 0 DM auszugehen, da sich die Bestandskraft eines Einkommensteuerbescheids nicht auf den Gesamtbetrag der Einkünfte erstrecke.
Das FA hat Revision, der Kläger hat Anschlussrevision eingelegt.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Die gesonderte Feststellung der verbleibenden Verlustabzüge sei nicht nach § 181 Abs. 5 AO zulässig, da § 10d Abs. 4 Satz 6 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2007 (JStG 2007) vom 13. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2878) die Anwendbarkeit dieser Vorschrift ausschließe; das FA habe die begehrten Feststellungen nicht pflichtwidrig unterlassen. Im Übrigen sei der zum 31. Dezember 1996 verbleibende Verlustabzug um den im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1996 ausgewiesenen Gesamtbetrag der Einkünfte zu mindern.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Anschlussrevision zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen sowie im Wege der Anschlussrevision, das angefochtene Urteil hinsichtlich der gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 1996 aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen mit der Maßgabe, die im Streitjahr 1996 entstandenen Werbungskosten festzustellen und diese bei der Berechnung des verbleibenden Verlustabzugs zu berücksichtigen.
Entscheidungsgründe
II. A. Die Revision des FA ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
1. Verbleibender Verlustabzug zum 31. Dezember 1996
Nach im Ergebnis zutreffender Entscheidung des FG stehen weder § 10d Abs. 3 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung (EStG) noch der Ablauf der Feststellungsfrist einer gesonderten Feststellung des zum 31. Dezember 1996 verbleibenden Verlustabzugs entgegen.
a) Ein verbleibender Verlustabzug ist auch dann erstmals gemäß § 10d Abs. 3 Satz 1 EStG gesondert festzustellen, wenn der Einkommensteuerbescheid für das Verlustentstehungsjahr bestandskräftig ist und darin kein nicht ausgeglichener Verlust berücksichtigt worden ist. Zur Begründung nimmt der Senat auf sein Urteil vom 17. September 2008 IX R 70/06 (zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt) Bezug. In dem dort entschiedenen Fall war zwar § 10d Abs. 4 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999, BGBl I 1999, 402, (StEntlG 1999/2000/2002) anzuwenden. Die Fassung des § 10d Abs. 4 Satz 2 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 hat sich gegenüber § 10d Abs. 3 Satz 2 EStG insoweit geändert, als anstatt des Begriffs des verbleibenden Verlustabzugs der Begriff des verbleibenden Verlustvortrags und an die Stelle des bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichenen Verlusts die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte getreten sind. Der Austausch dieser Begriffe ändert aber nichts daran, dass auch nach dem Wortlaut des § 10d Abs. 3 Satz 2 EStG nicht der Gesamtbetrag der Einkünfte zu den "nach Satz 2 zu berücksichtigenden Beträgen" i.S. des § 10d Abs. 3 Satz 4 EStG gehört, sondern der bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichene Verlust.
b) Nach § 169 Abs. 1 Satz 1, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine gesonderte Feststellung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Feststellungsfrist abgelaufen ist. Die Feststellungsfrist beträgt bei der gesonderten Feststellung nach § 10d Abs. 3 EStG vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO). Entgegen der Auffassung des FG bestimmt sich ihr Beginn nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Juli 2008 IX R 90/07, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt).
c) Nach diesen Maßstäben ist der zum 31. Dezember 1996 verbleibende Verlustabzug gemäß § 10d Abs. 3 Satz 1 EStG gesondert festzustellen; im bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1996 ist kein nicht ausgeglichener Verlust, sondern lediglich ein positiver Gesamtbetrag der Einkünfte ausgewiesen. Entgegen der Auffassung des FG ist der verbleibende Verlustabzug nicht um den im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1996 ausgewiesenen Gesamtbetrag der Einkünfte zu mindern. Das Verfahren der gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs ist hinsichtlich der nach § 10d Abs. 2 EStG abziehbaren Beträge selbständig (vgl. BFH-Urteil vom 2. August 2006 XI R 65/05, BFHE 214, 492, BStBl II 2007, 921, m.w.N.).
Auch die Feststellungsfrist ist nicht abgelaufen. Sie begann (erst) mit Ablauf des Kalenderjahres 1999, da der Kläger bis zu diesem Zeitpunkt keine Feststellungserklärung eingereicht hatte. Ihr Ablauf ist gemäß § 171 Abs. 3a AO, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO bis zu einer unanfechtbaren Entscheidung über die Klage gehemmt, da der Kläger innerhalb der --frühestens mit Ablauf des Jahres 2003 endenden-- Feststellungsfrist den Ablehnungsbescheid vom 20. November 2003 mit einem Einspruch angefochten hat.
2. Verbleibende Verlustabzüge zum 31. Dezember 1994 und zum 31. Dezember 1995
Das FG hat im Ergebnis ebenfalls zu Recht entschieden, dass die gesonderten Feststellungen der zum 31. Dezember 1994 und zum 31. Dezember 1995 verbleibenden Verlustabzüge nicht wegen des Ablaufs der für sie geltenden Feststellungsfristen unzulässig sind.
a) Der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustabzug ist gemäß § 10d Abs. 3 Satz 1 EStG gesondert festzustellen, wenn --wie in den Streitjahren 1994 und 1995-- eine Einkommensteuerveranlagung für das Verlustentstehungsjahr nicht durchgeführt wurde und wegen Ablaufs der zweijährigen Antragsfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG nicht mehr durchgeführt werden darf (vgl. BFH-Urteil vom 1. März 2006 XI R 33/04, BFHE 212, 497, BStBl II 2007, 919).
b) Die zum 31. Dezember 1994 und zum 31. Dezember 1995 verbleibenden Verlustabzüge sind nach § 181 Abs. 5 Satz 1 AO auch nach Ablauf der für ihre gesonderte Feststellung geltenden Feststellungsfristen gesondert festzustellen, da sie für die gesonderte Feststellung des zum 31. Dezember 1996 verbleibenden Verlustabzugs von Bedeutung sind, für die --wie ausgeführt-- die Feststellungsfrist noch nicht abgelaufen ist (vgl. BFH-Urteil vom 12. Juni 2002 XI R 26/01, BFHE 198, 395, BStBl II 2002, 681, m.w.N.).
aa) § 181 Abs. 5 Satz 1 AO ist für die gesonderten Feststellungen der zum 31. Dezember 1994 und zum 31. Dezember 1995 verbleibenden Verlustabzüge einschlägig, weil die für sie geltenden Feststellungsfristen abgelaufen sind; sie begannen mit Ablauf der Kalenderjahre 1997 und 1998 --der Kläger hatte die Feststellungserklärungen erst im Jahr 2003 abgegeben-- und endeten mit Ablauf der Jahre 2001 und 2002 (vgl. § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO).
bb) Entgegen der Auffassung des FA ist die Vorschrift im Streitfall nicht unter der einschränkenden Voraussetzung des § 10d Abs. 4 Satz 6 Halbsatz 2 EStG i.d.F. des JStG 2007 anzuwenden, dass die zuständige Finanzbehörde die Feststellung des Verlustvortrags pflichtwidrig unterlassen hat. Denn die Anwendungsregelung des § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG i.d.F. des JStG 2007 ist ihrerseits gemäß § 52 Abs. 25 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2007 nicht anwendbar, weil die Feststellungsfristen bei Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 2007 am 19. Dezember 2006 bereits abgelaufen waren (hierzu BFH-Urteil vom 10. Juli 2008 IX R 90/07, m.w.N.).
B. Die Anschlussrevision des Klägers ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils hinsichtlich der gesonderten Feststellung des zum 31. Dezember 1996 verbleibenden Verlustabzugs und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das erstinstanzliche Urteil kann unter Durchbrechung des Verbots der Verböserung auch zum Nachteil des Revisionsklägers abgeändert werden (BFH-Urteil vom 20. September 1999 III R 33/97, BFHE 190, 266, BStBl II 2000, 208).
1. Entgegen der Auffassung des FG hat die Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr 1996 nicht nach § 10d Abs. 3 Satz 4 EStG zur Folge, dass bei der gesonderten Feststellung des zum 31. Dezember 1996 verbleibenden Verlustabzugs kein nicht ausgeglichener Verlust berücksichtigt werden darf. Denn der zum 31. Dezember 1996 verbleibende Verlustvortrag ist --wie unter II. A. 1. a ausgeführt-- gemäß § 10d Abs. 3 Satz 1 EStG gesondert festzustellen; § 10d Abs. 3 Satz 4 EStG ist nicht anwendbar.
2. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat --von seinem Standpunkt aus zu Recht-- keine tatsächlichen Feststellungen getroffen, die eine Beurteilung ermöglichen, in welcher Höhe vorab entstandene Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 EStG) des Klägers bei der Ermittlung seiner Einkünfte nach § 19 EStG im Streitjahr 1996 zu berücksichtigen sind. Zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Fundstellen