Entscheidungsstichwort (Thema)
"Rückgängigmachen" eines Erwerbsvorgangs i. S. des § 16 GrEStG 1983
Leitsatz (NV)
1. Ein Erwerbsvorgang ist im Sinne des Grunderwerbsteuerrechts dann rückgängig gemacht, wenn sich die Vertragsparteien derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen, daß die Möglichkeit der Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt.
2. Der Begriff des Rückgängigmachens war im § 17 GrEStG NW derselbe wie im jetzt gültigen § 16 GrEStG (1983).
Normenkette
GrEStG (1983) § 16; GrEStG NW § 17
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) erwarben durch notariell beurkundeten Vertrag vom 15. November 1982 als Miteigentümer je zur Hälfte ein bebautes Grundstück. Der Kaufpreis betrug . . . DM. Da die Nutzungsmöglichkeit des Grundstücks nicht ihren Vorstellungen entsprach, fochten die Kläger den Kaufvertrag an. Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 25. April 1983 wurde der Kaufvertrag über das Grundstück ,,seinem gesamten Inhalt zur Vermeidung eines Rechtsstreits über eine Aufhebung infolge Anfechtung" aufgehoben. Der Kaufvertrag sollte nicht durchgeführt werden. Alle Beteiligten bewilligten und beantragten die Löschung der zugunsten der Kläger eingetragenen Auflassungsvormerkung im Grundbuch. Im Anschluß daran (nächste Urkunden-Nummer des beurkundenden Notars) wurde ein weiterer Vertrag notariell beurkundet, mit dem das Grundstück wiederum an die Kläger verkauft wurde. Dieser Vertrag stimmte mit dem ersten Vertrag inhaltlich überein. Der Kaufpreis betrug jedoch nur mehr . . . DM. Es wurde im Vertrag festgestellt, daß von diesem Kaufpreis bereits ein Teilbetrag von . . . DM an die Verkäuferin gezahlt worden sei. An der notariellen Beurkundung der beiden Verträge am 25. April 1983 waren nur die Kläger beteiligt. Sie traten als Vertreter ohne Vertretungsmacht für die Grundstücksveräußerin auf. Beide Verträge wurden jedoch (durch Genehmigung) wirksam.
Das beklagte Finanzamt (FA) setzte zunächst für den Vertrag vom 15. November 1982 gegen die Kläger jeweils Grunderwerbsteuer in Höhe von . . . DM (7 v. H. von insgesamt . . . DM) fest. Während des Einspruchsverfahrens änderte das FA die Steuerbescheide auf je . . . DM (7 v. H. von insgesamt . . . DM) ab.
Hiergegen richtete sich die Klage. Mit dieser machten die Kläger geltend, der Vertrag vom 15. November 1982 unterliege wegen Rückgängigmachung nicht der Grunderwerbsteuer. Für die Besteuerung allein maßgeblich sei der Vertrag vom 25. April 1983.
Das Finanzgericht (FG) hat unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung die Steuer auf jeweils . . . DM (2 v. H. von insgesamt . . . DM) festgesetzt. Der ursprüngliche Kaufvertrag vom 15. November 1982 sei durch Anfechtung und Aufhebungsvertrag rückgängig gemacht worden.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 16 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG 1983) bzw. des § 17 des früher geltenden nordrhein-westfälischen Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG NW).
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Die Klage zielt darauf, daß die vom FA vorgenommene Besteuerung des ursprünglichen Vertrags aufgehoben wird, da dieser steuerbegünstigt rückgängig gemacht worden sei. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Der Vertrag vom 15. November 1982 ist nicht ,,rückgängig gemacht". Dabei kann offen bleiben, ob auf den Streitfall § 16 GrEStG 1983 oder § 17 GrEStG NW anzuwenden ist, da in beiden Vorschriften der entscheidungserhebliche Begriff des Rückgängigmachens derselbe ist. Nach beiden Vorschriften wird ein Erwerbsvorgang auf Antrag nicht besteuert, wenn er rückgängig gemacht wird, bevor das Eigentum am Grundstück auf den Erwerber übergegangen ist und die Rückgängigmachung (Aufhebung) durch Vereinbarung, durch Ausübung eines vorbehaltenen Rücktrittsrechts oder eines Wiederkaufsrechts innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer stattfindet (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 bzw. § 17 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG NW).
Rückgängig gemacht in diesem Sinne ist ein Erwerbsvorgang dann, wenn sich die Vertragspartner derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen, daß die Möglichkeit der Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6. Oktober 1976 II R 131/74, BFHE 120, 557, BStBl II 1977, 253, und vom 4. Dezember 1985 II R 171/84, BFHE 145, 448, BStBl II 1986, 271).
Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Heben die Partner eines Grundstückskaufvertrags diesen zwar auf, schließen jedoch dieselben Personen im unmittelbaren Anschluß an die Aufhebung einen neuen Vertrag über dasselbe Grundstück - wenn auch ggf. mit modifizierten Bedingungen (z. B. bezüglich der Höhe des Kaufpreises) -, so ist damit der ursprüngliche Vertrag in der Regel nicht ,,rückgängig gemacht". Zumindest grunderwerbsteuerrechtlich ist dies vielmehr regelmäßig als Vertragsänderung zu werten. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine derartige Sachverhaltsgestaltung nicht auch bürgerlich-rechtlich als Vertragsänderung zu beurteilen ist. Aus einem solchen Geschehensablauf wird jedenfalls die Absicht der Beteiligten deutlich, sich nicht tatsächlich aus ihren bestehenden vertraglichen Bindungen zu entlassen, sondern diese nur modifizieren zu wollen. Die Möglichkeit, daß eine der Parteien - planwidrig - nach Aufhebung des ersten Vertrags ihre rechtlich erforderliche Mitwirkung zum Abschluß des neuen Vertrags verweigert, muß insoweit außer Betracht bleiben.
Die besondere Sachverhaltsmodalität im Streitfall, daß bei Aufhebung und Neuabschluß der Verträge die Erwerber zugleich als Vertreter ohne Vertretungsmacht für die Veräußerin auftraten, die Vereinbarungen deswegen zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung der Veräußerin bedurften, ändert nichts an diesem Ergebnis. Bei dieser Gestaltung waren sogar zumindest die Erwerber zu keinem Zeitpunkt aus ihrer Bindung entlassen. (Bereits vor Wirksamwerden des Aufhebungsvertrags hatten sie sich im Hinblick auf den Neuabschluß des Vertrags in einer Weise gebunden, die nur noch der Annahme - Genehmigung - durch die Veräußerin bedurfte.) Im Streitfall ist darüber hinaus zu berücksichtigen, daß die bereits geleistete Kaufpreisanzahlung nicht erstattet wurde und wohl auch nicht erstattet werden konnte.
Das Urteil des FG war aufzuheben, weil dieses von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist. Die Sache ist spruchreif. Die Besteuerung des Vertrags vom 15. November 1982 durch das FA erfolgte zu Recht, da die Voraussetzungen für eine steuerbegünstigte Rückgängigmachung nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 bzw. § 17 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG NW nicht vorlagen. Die Klage war daher abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 417399 |
BFH/NV 1991, 413 |