Entscheidungsstichwort (Thema)
Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung bei Verhinderung des Prozeßbevollmächtigen
Leitsatz (NV)
1. Ein erheblicher Grund für die Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung liegt nicht ohne weiteres bereits darin, daß der Prozeßbevollmächtige des Klägers vorträgt, er könne wegen berufsbedingter Abwesenheit nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen.
2. Das FG handelt verfahrensfehlerhaft, wenn es den Antrag des Prozeßbevollmächtigten auf Terminsverlegung unter Hinweis auf die bislang unzureichende prozessuale Mitwirkung der Klägerseite ablehnt, ohne die Begründung des Antrags - Teilnahme des Bevollmächtigten an einem Steuerberaterkongreß - zu würdigen.
Normenkette
GG Art.103 Abs. 1; ZPO § 227 Abs. 1; FGO § 119 Nr. 3; EStG § 9 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war als Sonderschullehrerin für Sprachbehinderte und Verhaltensgestörte an einer Gesamtschule beschäftigt. Im Streitjahr 1982 nahm sie an sieben Kursen einer ,,Psychodrama-Weiterbildung" teil. Die Aufwendungen hierfür ließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) nicht zum Abzug zu, weil sie auch privat veranlaßt seien.
Das Finanzgericht (FG) beraumte Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 14. Mai 1986 an. Mit Schriftsatz vom 3. Mai 1986, beim FG eingegangen am 6.Mai 1986, beantragte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin, den Verhandlungstermin aufzuheben. Zur Begründung trug er vor, daß er an diesem Tage dienstlich verhindert sei, da er in der Zeit vom 12. bis 14. Mai 1986 am Deutschen Steuerberater-Kongreß in München teilnehme. In einem weiteren Schriftsatz vom 9. Mai, beim FG eingegangen am 12. Mai 1986, beantragte der Prozeßbevollmächtigte nochmals, den Verhandlungstermin aufzuheben.
Das FG wies aufgrund mündlicher Verhandlung am 14. Mai 1986 die Klage ab. Es führte aus, der Termin zur mündlichen Verhandlung sei nicht aufzuheben gewesen. Aus den Schriftsätzen vom 3. und 9. Mai 1986 seien keine konkreten Gründe dafür ersichtlich, daß die mündliche Verhandlung nur unter Teilnahme des Prozeßbevollmächtigten hätte erfolgen sollen. Insbesondere fehlten Hinweise dafür, daß von dem Prozeßbevollmächtigten in der Verhandlung weiterer, entscheidungserheblicher Sachvortrag zu erwarten gewesen wäre.
Die Klage könne keinen Erfolg haben. Das FA habe die Aufwendungen für die Psychodrama-Kurse zu Recht nicht als Werbungskosten anerkannt, da die Teilnahme an den Kursen nicht ausschließlich oder weitaus überwiegend beruflich veranlaßt sein könne.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Durch die Nichtaufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung habe das FG ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Die Aufwendungen für die Psychodrama-Fortbildung habe es zu Unrecht der privaten Lebensführung zugerechnet.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr.2 FGO).
Das FG hat der Klägerin das Recht auf Gehör (Art.103 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) verweigert, indem es den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht verlegte. Die Vorentscheidung war daher als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend aufzuheben (§ 119 Nr.3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Nach § 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO kann das Gericht ,,aus erheblichen Gründen" auf Antrag oder von Amts wegen einen Termin aufheben oder verlegen. Liegen erhebliche Gründe i.S. von § 227 ZPO vor, verdichtet sich die in dieser Vorschrift eingeräumte Ermessensfreiheit zu einer Rechtspflicht. Der Termin zur mündlichen Verhandlung muß dann zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs verlegt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits durch die Verlegung verzögert wird (Urteil des Bundes- finanzhofs - BFH - vom 5. Dezember 1979 II R 56/76, BFHE 129, 297, BStBl II 1980, 208; BFH, Beschluß vom 7. Dezember 1990 III B 102/90, BFHE 163, 115, BStBl II 1991, 240). Welche Gründe als erheblich anzusehen sind, richtet sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles. Der Prozeßstoff und die persönlichen Verhältnisse der Beteiligten sind dabei ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, daß das FG im steuergerichtlichen Verfahren die einzige Tatsacheninstanz ist und die Beteiligten ein Recht darauf haben, ihre Sache in einer mündlichen Verhandlung vorzutragen (Urteil in BFHE 163, 115, BStBl II 1991, 240).
2. Grundsätzlich kann zwar eine Terminaufhebung geboten sein, wenn der Kläger oder sein Prozeßbevollmächtigter verhindert sind, den Verhandlungstermin wahrzunehmen. Ein erheblicher Grund für die Aufhebung des Verhandlungstermins liegt allerdings nicht ohne weiteres bereits darin, daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers vorträgt, er könne wegen berufsbedingter Abwesenheit nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen. Der prozessuale Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung hat zur Folge, daß die Terminplanung des Gerichts der des Beraters vorgeht (vgl. Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechts- schutz in Steuersachen, Tz.7739/2). Bei Terminverlegungsanträgen von Prozeßbevollmächtigten ist daher ein strenger Maßstab anzulegen (BFH, Urteil vom 26.Januar 1977 I R 163/74, BFHE 121, 286, BStBl II 1977, 348). Ein erheblicher Grund für die Verlegung der mündlichen Verhandlung ist z.B. angenommen worden, wenn gleichzeitig anderweitige, früher anberaumte Gerichtstermine stattfinden (BFH, Urteil vom 14. Oktober 1975 VII R 150/71, BFHE 117, 19, BStBl II 1976, 48 sowie Urteil in BFHE 129, 297, BStBl II 1980, 208) oder wenn sich während einer Sitzung die Verhandlung der vorhergehenden Sachen erheblich verzögert und der Prozeßbevollmächtigte bei weiterem Zuwarten auswärtige andere Termine versäumen würde (BFH, Urteil vom 24. November 1976 II R 28/76, BFHE 121, 132, BStBl II 1977, 293). Dagegen wird der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht durch die Ablehnung eines Terminverlegungsantrags verletzt, den der Prozeßbevollmächtigte mit einer von ihm selbst geplanten Urlaubsreise begründet (Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluß vom 17. Juli 1962 2 BvR 377/62, BVerfGE 14, 195).
3. Der Senat braucht nicht darauf einzugehen, ob im Hinblick auf diese Entscheidungen die geplante Teilnahme eines Steuerberaters an einem Fachkongreß grundsätzlich als erheblicher Grund für die Verlegung eines Termins zur mündlichen Verhandlung vor dem FG zu werten ist. Im Streitfall hat das FG jedenfalls insoweit einen Verfahrensfehler begangen, als es den Terminverlegungsantrag des Prozeßbevollmächtigten unter Hinweis auf die bislang unzureichende prozessuale Mitwirkung der Klägerseite abgelehnt hat, ohne die von dem Bevollmächtigten vorgetragene Begründung des Antrags - Teilnahme am Steuerberaterkongreß - zu würdigen.
Hierzu hätte das FG die Glaubhaftmachung des Umstandes verlangen müssen, daß der Bevollmächtigte sich zu dem Kongreß verbindlich angemeldet hatte. Außerdem wäre von dem Bevollmächtigten glaubhaft zu machen gewesen, daß er den Tagungsbeitrag bereits gezahlt hatte. Da Kongreßgebühren verhältnismäßig hoch sind und erfahrungsgemäß nicht zurückerstattet werden, wenn der Zahlende aus irgendeinem Grund nicht an dem Kongreß teilnehmen kann, hätte es im Falle der Zahlung nahegelegen, einen wichtigen Grund für die Verlegung des Verhandlungstermins zu bejahen. Andererseits hätte bei noch nicht erfolgter Beitragszahlung das FG erwägen müssen, daß zwar keine wirtschaftlichen Dispositionen für den Kongreßbesuch getroffen waren, daß es sich jedoch um den ersten Termin zur mündlichen Verhandlung in dieser Sache handelte und im übrigen der Steuerberaterkongreß für den Bevollmächtigten eine rein berufliche Veranstaltung darstellte.
Aus den vom FG dargelegten Gründen durfte der Antrag auf Terminverlegung dagegen nicht abgelehnt werden. Ein Kläger hat das Recht, seine Sache vor Gericht in mündlicher Verhandlung selbst oder durch einen Prozeßbevollmächtigten zu vertreten, unabhängig davon, ob die Streitfragen zuvor in Schriftsätzen ausführlich erörtert worden sind. Insbesondere im finanzgerichtlichen Verfahren muß dem Kläger die Möglichkeit eingeräumt werden, seine Sache vor der einzigen Tatsacheninstanz mündlich vorzutragen, sich anhand des Vortrags des wesentlichen Inhalts der Akten (§ 92 Abs. 2 FGO) davon zu überzeugen, daß sein Begehren richtig aufgefaßt worden ist, und an der Erörterung der Sache (§ 93 FGO) teilzunehmen. Deshalb bezieht sich das Recht auf Gehör auch darauf, in der mündlichen Verhandlung zu Rechtsausführungen der übrigen Beteiligten Stellung zu nehmen und selbst Rechtsausführungen machen zu dürfen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 129, 297, BStBl II 1980, 208). Im Streitfall kann die Klägerin auch nicht darauf verwiesen werden, daß sie einen anderen Prozeßbevollmächtigten mit ihrer Vertretung hätte beauftragen können. Dies wäre angesichts der Kürze der verbliebenen Zeit bis zur mündlichen Verhandlung nicht zumutbar gewesen.
4. Wird einem Beteiligten die Möglichkeit verschlossen, sich zu dem entscheidungserheblichen Sachverhalt zu äußern, so kann das Revisionsgericht das angefochtene Urteil nicht auf seine sachlich-rechtliche Richtigkeit überprüfen, weil das Gesamtergebnis des Verfahrens i.S. von § 96 Abs. 1 FGO verfahrensrechtlich fehlerhaft die Grundlage der Entscheidung geworden ist. Das angefochtene Urteil ist vielmehr nach § 119 Nr.3, § 126 Abs. 3 Nr.2 FGO aufzuheben. Eine Sachentscheidung ist dem Revisionsgericht verwehrt. Daher hatte der Senat auch keine Gelegenheit, darüber zu befinden, ob das FG die Frage des Abzugs der Kosten für die Psychodrama-Kurse als Werbungskosten ohne Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme entscheiden konnte.
Fundstellen