Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlaß eines Gewinnfeststellungsbescheides für eine OHG trotz Konkurseröffnung gegen die Gesellschafter
Leitsatz (NV)
Wird über das Vermögen eines oder aller Gesellschafter einer Personengesellschaft das Konkursverfahren eröffnet, so hindert dies zwar die Geltendmachung von Steueransprüchen durch Steuerbescheid, nicht hingegen den Erlaß eines einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheides für die Personengesellschaft.
Normenkette
AO 1977 § 251 Abs. 2-3; HGB § 131 Nr. 5; KO §§ 144, 164
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Gebrüder . . . OHG (im folgenden OHG) betrieb eine . . . Fabrik. Gesellschafter waren A. und B.
Ein Konkursantrag für die OHG wurde im August 1977 mangels Masse abgelehnt. Daraufhin wurde am 15. September 1977 der Konkurs über das Vermögen der beiden Gesellschafter A. und B. eröffnet. In beiden Verfahren wurde der Kläger und Revisionskläger Rechtsanwalt . . . (Kläger) zum Konkursverwalter bestellt.
Da die OHG für das Streitjahr 1976 keine Gewinnfeststellungserklärungen einreichte, erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) einen Gewinnfeststellungsbescheid, in dem die Besteuerungsgrundlagen geschätzt waren und der Gewinn auf 0 DM festgestellt war. Der Bescheid war an A. und B. gerichtet und wurde am 4. Oktober 1977 in zwei Ausfertigungen zur Post gegeben.
Mit Schreiben vom 5. März 1978 teilte B. dem FA mit, daß weder er noch sein Konkursverwalter den Feststellungsbescheid 1976 erhalten hätten. Daraufhin sandte das FA den Feststellungsbescheid 1976 unter dem Datum vom 10. März 1978 erneut an B., ,,da der Nachweis der Zustellung nicht erbracht werden kann".
Hiergegen legten B. am 28. März 1978 und der Kläger am 6. April 1978 Einspruch ein mit der Begründung, bei der OHG sei 1976 ein Verlust entstanden.
In zwei Schreiben vom 8. November 1978 teilte das FA sowohl dem B. als auch dem Kläger mit, daß es den Feststellungsbescheid 1976 vom 10. März 1978 gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2a der Abgabenordnung (AO 1977) aufhebe. In dem Schreiben an den Kläger heißt es des weiteren, der Feststellungsbescheid (und ebenso die gleichzeitig aufgehobenen Umsatzsteuerbescheide 1976 und 1977 und Gewerbesteuermeßbescheide 1974 und 1975) hätten dem Kläger als Konkursverwalter zugestellt werden müssen; die Bescheide seien jedoch an die Gemeinschuldner bzw. die OHG adressiert gewesen. Eine wirksame Bekanntgabe liege somit nicht vor; die Bescheide seien daher aufzuheben und neu zuzustellen. Zur Vermeidung neuer Einspruchsverfahren werde um bestimmte - allein die Gewerbesteuer und die Umsatzsteuer betreffende - Angaben gebeten.
Am 1. Dezember 1978 gab das FA einen neuen Gewinnfeststellungsbescheid 1976 zur Post, der an den Kläger als Konkursverwalter über das Vermögen des A. und des B. als ehemalige Gesellschafter der OHG adressiert war; darin war der Gewinn wiederum auf 0 DM festgestellt.
Mit Schreiben vom 4. Januar 1979, beim FA eingegangen am 5. Januar 1979, und mit Telegramm vom 5. Januar 1979 legte der Kläger ,,rein vorsorglich" gegen den Feststellungsbescheid 1976 vom 1. Dezember 1978 Einspruch ein.
Das FA teilte dem Kläger mit Schreiben vom 18. Januar 1979 mit, der Einspruch sei unzulässig, weil die Rechtsbehelfsfrist mit Ablauf des 4. Januar 1979 geendet habe, der Einspruch aber erst am 5. Januar 1979 eingegangen sei.
Mit Schreiben vom 9. Februar, 12. Februar und 16. Februar 1979 bat der Kläger ,,rein vorsorglich" um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er trug insbesondere vor, er sei zunächst davon ausgegangen, daß es sich bei dem Bescheid vom 1. Dezember 1978 lediglich um eine förmliche Wiederholung des bereits bekanntgegebenen Feststellungsbescheids 1976 handele, gegen den er bereits Einspruch eingelegt habe; er sei der Ansicht gewesen, daß ein erneuter Einspruch nicht notwendig sei. Lediglich aus äußerster Vorsicht habe er dann doch noch Einspruch eingelegt. Im übrigen stehe er auf dem Standpunkt, daß während des Konkursverfahrens kein Feststellungsbescheid ergehen dürfe. Vielmehr seien Steuerforderungen zum Konkurs anzumelden und, soweit sie bestritten würden, durch Bescheid gemäß § 146 Abs. 6 der Konkursordnung (KO) festzustellen. Wie sich aus der zwischenzeitlich vorliegenden Bilanz ergebe, habe die OHG in 1976 einen Verlust von 373 573 DM erlitten. Die sich hieraus für die Gemeinschuldner ergebenden Einkommensteuererstattungsansprüche seien bei den vom FA angemeldeten Konkursforderungen nicht berücksichtigt worden.
Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig. Auch die Klage hatte keinen Erfolg.
Mit der Revision beantragt der Kläger, das angefochtene Urteil aufzuheben, den Einspruch gegen den Feststellungsbescheid 1976 für zulässig zu erklären und entsprechend der abgegebenen Steuererklärung für das Streitjahr einen Verlust von 373 573,47 DM anzuerkennen. Der Kläger rügt Verletzung materiellen Rechts.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Der Einspruch ist zulässig, da der Kläger den Einspruch ohne Verschulden verspätet eingelegt hat und ihm daher Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (§ 110 AO 1977).
Zwar ist es grundsätzlich schuldhaft, wenn aufgrund eines Irrtums über tatsächliche oder rechtliche Umstände versäumt wird, eine fristwahrende Handlung (Einlegung eines Rechtsbehelfs) rechtzeitig vorzunehmen. Ein Rechtsirrtum und die dadurch bewirkte Fristversäumnis können jedoch ausnahmsweise unverschuldet sein, wenn die Rechtslage in hohem Maße unsicher ist und die Frist versäumt wird, weil es der Betroffene aufgrund rechtlich vertretbarer Erwägungen unterläßt, einen Rechtsbehelf fristgerecht einzulegen (vgl. Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung mit Nebengesetzen, 12. Aufl., § 233 Anm. 5 f.). Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts (FG) trifft dies im Streitfall zu, denn die Meinung des Klägers, daß mit dem Bescheid vom 1. Dezember 1978 lediglich die bisher unterbliebene Bekanntgabe eines Bescheids, gegen den bereits Einspruch eingelegt ist, nachgeholt wurde, und daß es demgemäß keines erneuten förmlichen Einspruchs gegen diese Bekanntgabe bedarf, war vertretbar.
1. Der Senat pflichtet der Vorentscheidung im Ergebnis darin bei, daß der Gewinnfeststellungsbescheid 1976 für die OHG nicht gemäß § 183 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 nur einem vertretungsberechtigten Gesellschafter, sondern gemäß § 183 Abs. 2 AO 1977 allen Gesellschaftern als materiell Betroffenen bekanntzugeben gewesen war, weil die OHG im Zeitpunkt des Erlasses des Feststellungsbescheids aufgelöst war und sich in Liquidation befunden hat. Entgegen der Meinung des FG folgt dies allerdings nicht aus der Ablehnung des Konkursantrags für die OHG, denn die Ablehnung eines Konkursantrags mangels Masse zieht noch nicht notwendig die Auflösung einer OHG nach sich (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 8. Oktober 1979 II ZR 257/78, BGHZ 75, 178). Die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der beiden Gesellschafter der OHG führte jedoch zur Auflösung der OHG (§ 131 Nr. 5 des Handelsgesetzbuches - HGB -).
2. Auf dieser Grundlage ist der Vorentscheidung auch darin zu folgen, daß trotz des Konkurses über das Vermögen der beiden Gesellschafter noch ein Gewinnfeststellungsbescheid für die OHG erlassen werden durfte und daß dieser Bescheid, der inhaltlich an die beiden Gesellschafter der OHG als davon materiell Betroffene zu richten war, nicht nur diesen, sondern auch deren Konkursverwalter bekanntzugeben war.
Wird über das Vermögen einer natürlichen Person das Konkursverfahren eröffnet, ist der Erlaß eines Steuerbescheids z. B. über Einkommensteueransprüche, die vor Konkurseröffnung entstanden sind, nicht mehr zulässig. Die Steueransprüche sind zur Konkurstabelle anzumelden. Werden sie weder vom Konkursverwalter noch von einem Konkursgläubiger, wohl aber vom Gemeinschuldner bestritten, gelten sie als festgestellt, aber mit der Maßgabe, daß daraus gegen den Gemeinschuldner nicht vollstreckt werden kann (vgl. §§ 144, 164 KO). Werden sie vom Konkursverwalter bestritten, sind sie gemäß § 251 Abs. 3 AO 1977 durch besonderen Bescheid festzustellen (vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6. Mai 1975 VIII R 202/7l, BFHE 115, 307, BStBl II 1975, 590). Die Konkurseröffnung hindert jedoch nur die Geltendmachung von Steueransprüchen durch Steuerbescheid, nicht hingegen die gesonderte und einheitliche Feststellung von einzelnen Besteuerungsgrundlagen. Demgemäß ist nach herrschender Lehre auch dann, wenn über das Vermögen eines oder aller Gesellschafter einer Personengesellschaft das Konkursverfahren eröffnet ist, der Erlaß eines Feststellungsbescheids für die Personengesellschaft zulässig (Tipke/Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 251 AO 1977 Rz. 16; Schlücking, Betriebs-Berater - BB - 1982, 917, 921). Da durch einen solchen Feststellungsbescheid aber in erster Linie die Konkursmasse betroffen wird, ist der inhaltlich für die Gesellschafter der Personengesellschaft bestimmte Bescheid dem Konkursverwalter des oder der in Konkurs geratenen Gesellschafter der Personengesellschaft bekanntzugeben (Schlücking, BB 1982, 917, 921; Tipke/Kruse, a. a. O., 11. Aufl., § 122 AO 1977 Rz. 3; Geist, Insolvenzen und Steuern, 3. Aufl., Rz. 9).
,43. Im Streitfall hat das FA den Feststellungsbescheid vom 4. Oktober 1977, der an die Gesellschafter A. und B. gerichtet war und den das FA mit gleichem Datum diesen Gesellschaftern bekanntgeben wollte, unter dem Datum vom 10. März 1978 zunächst nur dem Gesellschafter B. bekanntgegeben. Mit dieser Bekanntgabe an B. war der Feststellungsbescheid 1976 als Steuerverwaltungsakt entstanden (vgl. § 155 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 124 Abs. 1 AO 1977), aber zunächst nur gegenüber dem B. wirksam geworden, nicht auch gegenüber dem Kläger als Konkursverwalter des A. und des B. (und auch nicht gegenüber A.). Entgegen der Auffassung des FG bewirkte dieser Mangel in der Bekanntgabe nicht, daß der Feststellungsbescheid vom 4. Oktober 1977/10. März 1978 insgesamt nichtig und damit unwirksam (vgl. § 124 Abs. 3 AO 1977) war (BFH-Urteil vom 31. Juli 1980 IV R 18/77, BFHE 131, 278, 281, BStBl II 1981, 33) und daß er somit unabgängig von den Voraussetzungen der §§ 172 ff. AO 1977 jederzeit von Amts wegen wieder aufgehoben werden konnte (vgl. § 125 Abs. 5 AO 1977). Vielmehr war der Feststellungsbescheid lediglich mit einem (durch nachträgliche Bekanntgabe behebbaren) Mangel behaftet, der dazu führte, daß die Einspruchsfrist für den Kläger nicht in Lauf gesetzt wurde, der aber andererseits den Kläger nicht hinderte, gegen den Feststellungsbescheid bereits Einspruch einzulegen (BFHE 131, 278, 281, BStBl II 1981, 33).
Wenn daher das FA sowohl dem B. als auch dem Kläger mit Schreiben vom 8. November 1978 mitteilte, daß es hiermit den Feststellungsbescheid 1976 vom 10. März 1978 gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 aufhebe, so war dies fehlerhaft, weil der Einspruch des Klägers nicht auf ersatzlose Aufhebung des Feststellungsbescheids, sondern auf Verlustfeststellung gerichtet war und demgemäß die Voraussetzungen des § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 nicht erfüllt waren, und weil darüber hinaus auch den tatbestandlichen Voraussetzungen anderer Vorschriften über die Aufhebung von Steuerbescheiden nicht genügt war. Wenn sich gleichwohl die Auffassung des FG, der Einspruch des Klägers vom 6. April 1978 gegen den Bescheid vom 10. März 1978 habe sich ,,erledigt", sei also nicht etwa noch anhängig und noch nicht verbeschieden, letztlich objektiv als richtig erweist, so nur deshalb, weil der Kläger keinen Rechtsbehelf gegen den im Schreiben vom 8. November 1978 enthaltenen Aufhebungsbescheid eingelegt hat. Aus diesem Grunde ist es auch unvermeidlich, den Bescheid vom 1. Dezember 1978 nicht lediglich, wie naheliegend, als nachträgliche Bekanntmachung des ursprünglichen Bescheids vom 4. Oktober 1977/10. März 1978 an einen der davon Betroffenen, sondern als neuen (erstmaligen) Feststellungsbescheid zu werten.
Die gegenteilige Auffassung des Klägers, die letztlich dazu geführt hat, daß dieser nicht fristgerecht gegen den neuen Bescheid vom 1. Dezember 1979 wiederum Einspruch eingelegt hat, erscheint dem Senat jedoch vertretbar und die Fristversäumnis deshalb entschuldbar. Bei dieser Wertung muß der Senat auch berücksichtigen, daß sowohl das FA als auch das FG die verfahrensrechtliche Rechtslage unrichtig beurteilt haben.
Die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung des FA waren daher aufzuheben; das FA hat nunmehr in der Sache über den Einspruch zu befinden.
Fundstellen