Leitsatz (amtlich)
1. "Geschäft" im Sinne des § 11a HessAusfG-FlurbG 1955 war auch die Ergänzung eines Flurbereinigungsplans in Verbindung mit der vorzeitigen Ausführungsanordnung.
2. Hatte die Flurbereinigungsbehörde versichert, daß dieses Geschäft "der Durchführung der Flurbereinigung dient", so hatten die Finanzbehörden und die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit dies "ohne Nachprüfung" anzuerkennen.
Normenkette
GrEStG Hessen § 1 Abs. 1 Nr. 3; GrEStG Hessen § 2 Abs. 3 S. 1; FlurbG §§ 2, 64, 83-84, 108; HessAusfGFlurbG 1955 § 11a Abs. 2; HessAusfGFlurbG 1977 § 12; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 123 Abs. 1, Art. 30, 70
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Gemeinde in Hessen. Ihr eingegliedert ist seit dem 1. Februar 1971 die Gemeinde K. In deren Gebiet war in der Zeit vor ihrer Eingliederung eine Flurbereinigung durchgeführt worden. Zum Flurbereinigungsgebiet hatten mehrere Grundstücke gehört, als deren Eigentümerin die "Privatgemeinde K" (ein Rechtsgebilde aus der Zeit vor dem 1. Januar 1900) im Grundbuch eingetragen war. In Ausführung des Flurbereinigungsplans waren die landwirtschaftlich nutzbaren Grundstücke der Privatgemeinde K auf deren Mitglieder aufgeteilt und zum Teil als Wegebeitrag verwendet worden. Für ihre forstwirtschaftlich nutzbaren Grundstücke (Waldgrundstükke) hatte die Privatgemeinde K andere Waldgrundstücke erhalten. Der neue Rechtszustand war am 3. April 1970 im Grundbuch eingetragen worden.
Am 21. September 1971 wurde der Flurbereinigungsplan ergänzt durch einen Nachtrag III. Durch ihn wurden die Waldgrundstücke "der Privatgemeinde K in das Eigentum der politischen Gemeinde B (Ortsteil K) überführt". Als Gegenleistung befreite die Klägerin die Privatgemeinde K von einer Zins- und Darlehensschuld gegenüber der Teilnehmergemeinschaft K in Höhe von insgesamt 197 123,72 DM.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) setzte für den Grundstückswechsel die Grunderwerbsteuer durch Bescheid vom 21. August 1973 auf 13 798,65 DM fest, den Einspruch wies er zurück. Der Erwerb der bezeichneten Waldgrundstücke durch die Klägerin unterliege der Grunderwerbsteuer. Er sei nicht steuerfrei gemäß § 11 a des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Flurbereinigungsgesetz vom 30. März 1954 in der Fassung des Hessischen Gesetzes zur Ergänzung des Ausführungsgesetzes zum Flurbereinigungsgesetz vom 15. Juli 1955 - AusfGFlurbG - (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen - GVBl - 1955, 35), weil er nicht unmittelbar dem steuerbegünstigten Zweck gedient habe.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin begehrt, den Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Beide Verwaltungsakte seien rechtswidrig. Während des finanzgerichtlichen Verfahrens hat die Flurbereinigungsbehörde auf Anregung des Finanzgerichts (FG) ihre früher erteilte Bescheinigung verdeutlicht und versichert, "daß die mit dem Nachtrag III zum Flurbereinigungsplan von K vom 21. September 1971 vorgenommene Übertragung der Grundstücke Gemarkung K ... von der Privatgemeinde K auf die politische Gemeinde B der Durchführung des Flurbereinigungsverfahrens von K" gedient hat.
Das FG hat den Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung aufgehoben. Sein Urteil ist auszugsweise veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1978, 611.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung des § 11 a AusfGFlurbG. Es beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Die Ergänzung des Flurbereinigungsplans durch den Nachtrag III in Verbindung mit der vorzeitigen Ausführungsanordnung führte zu einem Übergang des Eigentums an den bezeichneten Waldgrundstücken von der Privatgemeinde K auf die Klägerin, ohne daß ein den Anspruch auf Übereignung begründendes Rechtsgeschäft vorausgegangen war und ohne daß es einer Auflassung bedurfte (§§ 64, 83, 84 des Flurbereinigungsgesetzes - FlurbG -). Dieser Rechtsvorgang unterlag - wie das FG richtig erkannt hat - der Grunderwerbsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 3, § 2 Abs. 3 Satz 1 des Grunderwerbsteuergesetzes - GrEStG -), war aber steuerfrei.
Die Steuerfreiheit folgte nicht aus der bundesrechtlichen Befreiungsvorschrift des § 108 Abs. 1 FlurbG, denn diese Vorschrift (in der damals geltenden ursprünglichen Fassung von 1953) ließ unberührt die Regelungen hinsichtlich "der Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungskreis, wie z. B. der Grunderwerbsteuer ..." (FlurbG vom 14. Juli 1953, BGBl I 1953, 591, neu bekanntgemacht am 16. März 1976, BGBl I 1976, 546). Die Steuerfreiheit folgte vielmehr aus der inzwischen aufgehobenen landesrechtlichen Vorschrift des § 11 a AusfGFlurbG (vgl. jetzt § 12 des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Flurbereinigungsgesetz vom 1. April 1977, GVBl I 1977, 151). Nach deren Absatz 1 Satz 1 waren "Geschäfte ..., die der Durchführung der Flurbereinigung ... dienen, ... frei von Steuern,... die auf landesrechtlichen Vorschriften beruhen". Nach deren Absatz 2 war "die Steuerfreiheit" von der zuständigen Behörde "ohne Nachprüfung anzuerkennen, wenn die Flurbereinigungsbehörde versichert" hatte, "daß ein Geschäft ... der Durchführung der Flurbereinigung ... dient". Diese Vorschrift wurde vom FG im Ergebnis richtig angewendet.
Der bezeichnete grunderwerbsteuerbare Rechtsvorgang war ein "Geschäft" im Sinne der Befreiungsvorschrift. Unter diesen Begriff fallen nicht nur Rechtsgeschäfte, z. B. Kaufverträge, welche die Teilnehmergemeinschaft mit Teilnehmern abschließt, um von ihnen Einlagegrundstücke zu erwerben und an aufstockungswürdige Teilnehmer abzugeben (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. November 1971 II 200/65, BFHE 104, 387, 389, BStBl II 1972, 317) oder tatsächliche Handlungen, die in unmittelbarer Erfüllung eines Rechtsgeschäfts vorgenommen werden, z. B. die Beförderung von Grenzsteinen in das Flurbereinigungsgebiet (BFH-Urteil vom 24. Juni 1964 II 125/61 U, BFHE 79, 579, BStBl III 1964, 446) und die Einfuhr eines Geodimeters (BFH-Urteil vom 30. Mai 1972 VII R 121/69, BFHE 106, 162, 165), sondern auch Verwaltungsakte, an die das Gesetz den Eintritt eines neuen Rechtszustandes (den Übergang des Eigentums) knüpft.
Zu den "Steuern ..., die auf landesrechtlichen Vorschriften beruhen", gehört auch die Grunderwerbsteuer. Sie geht in Hessen zurück auf das Grunderwerbsteuergesetz des Reichs vom 29. März 1940 (RGBl I 1940, 585, RStBl 1940, 377). Dieses Gesetz galt über den 7. September 1949 (Zusammentritt des ersten Bundestags) hinaus als Landesrecht fort (Art. 123 Abs. 1, Art. 30, 70 des Grundgesetzes - GG -). In dem hier maßgebenden Zeitpunkt galt es in seiner Neufassung vom 31. Mai 1965 (GVBl I 1965, 110, BStBl II 1965, 116), bekanntgemacht vom Hessischen Minister der Finanzen aufgrund der in Art. 3 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Grunderwerbsteuerrechts vom 16. Dezember 1963 (GVBl I 1963, 192) enthaltenen Ermächtigung, geändert durch Gesetz vom 15. Juli 1970 (GVBl I 1970, 401, BStBl I 1970, 934).
Der bezeichnete grunderwerbsteuerbare Rechtsvorgang diente - wie die Flurbereinigungsbehörde versichert hat -, "der Durchführung der Flurbereinigung". Diese Beurteilung durch die Fachbehörde (§ 2 FlurbG) hatten FA und FG kraft gesetzlicher Anordnung "ohne Nachprüfung anzuerkennen".
Das FA bezweifelt, daß das bezeichnete Geschäft "der Durchführung der Flurbereinigung gedient" hat. Es meint, dieses Geschäft habe mit dem Flurbereinigungsverfahren "überhaupt nicht mehr in Zusammenhang" gestanden, sondern sei "ein neuer eigener steuerbarer Rechtsvorgang zwischen der Privatgemeinde und der Klägerin" gewesen; die Bescheinigung der Flurbereinigungsbehörde sei "materiell unrichtig".
Ob diese Zweifel berechtigt sind, darf der erkennende Senat nicht prüfen. Der Gesetzgeber konnte die Gefahr von Fehlbeurteilungen im Einzelfall für geringer achten als die Gefahr von Streitigkeiten zwischen Behörden verschiedener Verwaltungszweige über ihre Zuständigkeit zu Lasten des rechtsuchenden Bürgers. Auch brauchte er nicht von vornherein damit zu rechnen, daß die Flurbereinigungsbehörde ihre Zuständigkeit mißbrauchen könnte und etwa einen Rechtsvorgang, der offensichtlich nicht den in § 1 FlurbG normierten Zielen der Flurbereinigung dient, trotzdem formell in das Flurbereinigungsverfahren einbeziehen und eine entsprechende Versicherung abgeben würde, um ihn der Besteuerung zu entziehen. Denn auch die Flurbereinigungsbehörden sind Teile der öffentlichen Verwaltung und als solche an Gesetz und Recht gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Das schließt nicht aus, daß das FA, wenn es im Einzelfall die Versicherung der Flurbereinigungsbehörde für "materiell unrichtig" hält, sich mit der Flurbereinigungsbehörde in Verbindung setzt mit dem Ziel, eine Überprüfung der Versicherung und ggf. deren Aufhebung zu erreichen (vgl. BFH-Urteil vom 6. Juli 1960 II 16/56, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1961, 32, 34).
Fundstellen
Haufe-Index 74300 |
BStBl II 1982, 517 |
BFHE 1982, 558 |