Normenkette
FGO § 90 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Über die Klage des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) hat das Finanzgericht (FG) trotz übereinstimmenden Verzichts der Beteiligten auf mündliche Verhandlung durch Vorbescheid entschieden. Gegen diesen Vorbescheid hat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) mündliche Verhandlung beantragt und zu deren Vorbereitung weitere Rechtserwägungen vorgetragen. Mit weiterem Vorbescheid hat das FG der Klage erneut stattgegeben. Zur Zulässigkeit eines nochmaligen Vorbescheids hat das FG auf die Zweckmäßigkeit dieses Verfahrens hingewiesen. Es handele sich hier zum einen um reine Rechtsfragen, zum anderen sei das weitere Vorbringen des FA gewürdigt worden. Zudem habe das FA durch seinen früheren Verzicht auf mündliche Verhandlung zu erkennen gegeben, daß es auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung keinen Wert lege.
Mit seiner Revision rügt das FA u. a. Verletzung rechtlichen Gehörs. Das FG, so führt es im wesentlichen aus, hätte den Antrag auf mündliche Verhandlung nicht mit einem zweiten Vorbescheid beantworten dürfen. Das FG habe verkannt, daß sich der Verzicht auf mündliche Verhandlung nur auf die nächste Sachentscheidung des Gerichts beziehe. Mit dem Erlaß des ersten Vorbescheids sei der Verzicht auf mündliche Verhandlung hinfällig geworden. Mit den vom FG angestellten Zweckmäßigkeitserwägungen hätte der Antrag auf mündliche Verhandlung nicht übergangen werden dürfen. Unter Hinweis darauf, daß die Vorentscheidung auch in der Sache unzutreffend sei, beantragt das FA, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung aus formellen Gründen und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz. Das FG hat unzulässigerweise über die Klage durch erneuten Vorbescheid entschieden, nachdem das FA gegen den ersten Vorbescheid mündliche Verhandlung beantragt hatte.
§ 90 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eröffnet dem Gericht aus verfahrenswirtschaftlichen Gründen die Möglichkeit, statt durch Urteil durch Vorbescheid zu entscheiden. Gegen den Vorbescheid kann mündliche Verhandlung beantragt werden. Widersetzt sich ein Betroffener dem Vorbescheid durch einen Antrag auf mündliche Verhandlung, so hat das Gericht durch Urteil, sei es aufgrund mündlicher Verhandlung, sei es mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, zu entscheiden. Die Möglichkeit, durch wiederholten Vorbescheid zu entscheiden, sieht die FGO nicht vor. Es kann auch nicht unterstellt werden, daß der Gesetzgeber den Erlaß eines weiteren Vorbescheids für zulässig erachtet. Dies folgt aus der Anordnung des Gesetzes, daß einem Vorbescheid nur mit einem Antrag auf mündliche Verhandlung widersprochen werden kann (§ 90 Abs. 3 Satz 2 FGO). Zwar gilt durch diesen Antrag auf mündliche Verhandlung der Vorbescheid als nicht ergangen (§ 90 Abs. 3 Satz 3 FGO); das Verfahren befindet sich in dem Verfahrensstadium wie vor Erlaß des Vorbescheids. Dadurch wird aber nicht der Antrag auf mündliche Verhandlung beseitigt, der in diesem Verfahrensstadium wegen der Folgewirkung des § 90 Abs. 3 Satz 3 FGO ein anderes Gewicht hat als ein vor Erlaß des Vorbescheids gestellter Antrag auf mündliche Verhandlung, dem das Gericht im Hinblick auf § 90 Abs. 3 Satz 1 FGO nicht zu folgen verpflichtet ist. Der Betroffene hat somit einen Anspruch darauf, daß nach seinem Antrag auf mündliche Verhandlung durch Urteil in der dafür vorgesehenen Besetzung - also anders als im Falle des Vorbescheids (§ 5 Abs. 3 Satz 2 FGO) unter Einschluß der ehrenamtlichen Richter (§ 5 Abs. 3 Satz 1 FGO) - entschieden wird (ebenso Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 90 Anm. 15; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 90 FGO Tz. 4; Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 8. Aufl., § 84 Anm. 17; Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 6. Aufl., § 84 Anm. 7; wohl auch Redeker/von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 7. Aufl., § 84 Anm. 12). Es ist dem Betroffenen nicht zuzumuten, um dies zu erreichen, erneut mündliche Verhandlung gegen den zweiten Vorbescheid zu beantragen, zumal dieses Verfahren sonst endlos fortgesetzt werden könnte.
Soweit der Bundesfinanzhof (BFH) unter der Geltung des § 294 der Reichsabgabenordnung (AO) unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Reichsfinanzhofs (RFH) vom 11. Juli 1934 VI A 1381/33 (RFHE 36, 298, RStBl 1934, 993) die Möglichkeit bejaht hatte, durch einen erneuten Vorbescheid zu entscheiden (BFH-Entscheidungen vom 28. Mai 1953 V z 24/52 S, BFHE 57, 714, BStBl III 1953, 272; ferner vom 10. Mai 1962 IV 53/60, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Einkommensteuergesetz, § 26a, Rechtsspruch 99, und vom 27. Mai 1959 VII 52/55, nicht veröffentlicht; für die Geltung der FGO ebenso Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 90 FGO Anm. 30; Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Rz. 9225; Ziemer/Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 90 Anm. 22), folgt der Senat dem für § 90 FGO nicht.
Der Senat verkennt nicht, daß es Fallgestaltungen geben kann, in denen sich der Erlaß eines erneuten Vorbescheids aus Gründen der Verfahrensvereinfachung anbieten könnte. Jedoch erscheint es nicht möglich, eindeutige Abgrenzungsmerkmale für derartige Fallgestaltungen zu entwickeln. So kann man auch im Streitfall zweifeln, ob der Erlaß des erneuten Vorbescheids den Verfahrensinteressen der Beteiligten entsprach. Daher ist im Interesse der Rechtsklarheit zu fordern, daß nach einem gegen einen Vorbescheid gerichteten Antrag auf mündliche Verhandlung in keinem Fall erneut durch Vorbescheid entschieden werden darf. Aus diesem Grunde war die Vorentscheidung aufzuheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden.
Hiermit setzt sich der Senat nicht etwa in Widerspruch zur Praxis des BFH, nach einem im Anschluß an einen Vorbescheid eingehenden Antrag auf mündliche Verhandlung im Verfahren nach Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFH-EntlG) zu entscheiden. Die Vorschriften des BFH-EntlG stellen insoweit eine Sonderregelung zu § 90 Abs. 3 FGO dar.
Der Senat mußte die Sache nicht im Hinblick auf das Urteil in BFHE 57, 714, BStBl III 1953, 272 wegen Divergenz dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen. Jene Entscheidung war zur Rechtslage der AO ergangen, die z. B. für die FG eine Entscheidung durch Vorbescheid überhaupt nicht vorsah. Die FGO trifft - allein auch schon, was die unterschiedliche Besetzung des FG bei einer Entscheidung durch Urteil oder durch Vorbescheid anbetrifft (§ 5 Abs. 3 Satz 2 FGO) - andere Regelungen.
Fundstellen
BStBl II 1984, 720 |
BFHE 1985, 227 |