Entscheidungsstichwort (Thema)
Gestellung einheitlicher bürgerlicher Kleidung durch den Arbeitgeber für Verkaufspersonal nicht zwingend Arbeitslohn
Leitsatz (amtlich)
Auch bei der Gestellung einheitlicher, während der Arbeitszeit zu tragender bürgerlicher Kleidungsstücke kann das eigenbetriebliche Interesse des Arbeitgebers im Vordergrund stehen bzw. ein geldwerter Vorteil des Arbeitnehmers zu verneinen sein.
Normenkette
EStG § 19 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Streitig ist, ob ein geldwerter Vorteil (Arbeitslohn) vorliegt, wenn ein Arbeitgeber seinem Verkaufspersonal verschiedene Kleidungsstücke zur Nutzung zur Verfügung stellt.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) gehört zu einer Unternehmensgruppe, die im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels tätig ist. Sie nutzt zusammen mit zwei weiteren Gesellschaften des Konzerns, die Fleisch- und Wurstwaren bzw. Backwaren vertreiben, die Ladenlokale gemeinsam. In manchen Filialen unterhält die Klägerin auch sog. X-Shops, in denen sie mit eigenen Angestellten für die X-AG tätig ist.
Anlässlich einer Lohnsteuer-Außenprüfung, die sich auf die Jahre 1996 bis 2000 erstreckte, stellte der Prüfer fest, dass die Klägerin aufgrund von Betriebsvereinbarungen Kleidungsstücke angeschafft und diese den Mitarbeitern kostenlos überlassen hatte. Der Prüfer beurteilte die Kleidungsstücke zum Teil als typische Berufskleidung, zum Teil jedoch nicht, weil die Stücke weder als Arbeitsschutzkleidung zu werten seien noch durch ein dauerhaft angebrachtes Kennzeichen (Firmenemblem) objektiv eine berufliche Funktion erfüllten. Die Kleidungsstücke könnten auch im privaten Leben getragen werden. Die Überlassung führe daher zu steuerpflichtigem Arbeitslohn. Dies gelte selbst dann, wenn feststehe, dass die Kleidung ausschließlich bei der Berufsausübung benutzt werde.
Im Einzelnen handelte es sich um folgende Anschaffungen:
2000: für 90 Filialleiter und 40 Filialleiterinnen: jeweils 4 blaue Pullunder, 4 blaue Strickjacken, 2 Krawatten bzw. 2 Halstücher: rd. 78 000 DM,
X-Shop ‐ pro Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerin: 3 Pullunder, 2 Strickjacken, 5 Hemden bzw. Blusen, 2 Krawatten bzw. Halstücher: rd. 25 600 DM.
1996 und 1997: Damenjacken für Filialleiterinnen und Krawatten für Filialleiter: rd. 27 500 DM.
1998: Blusen, Hemden, Pullunder, Tücher und Krawatten für die Arbeitnehmer in den X-Shops: rd. 5 700 DM.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) schloss sich der Auffassung des Prüfers an. Die im Wege der Pauschalierung nach § 40 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) durchgeführte Besteuerung ergab eine Lohnsteuer-Nachforderung in Höhe von rd. 75 000 DM.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 1344 veröffentlichten Gründen statt.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Die Vorentscheidung sei mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht vereinbar. Im Streitfall hätten die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen einen geldwerten Vorteil durch Überlassung der Kleidungsstücke erlangt. Die Klägerin verfolge zwar mit der Gestellung der Kleidung eine Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls ihrer Mitarbeiter. Das Verkaufspersonal solle durch ein einheitliches Outfit sowohl als solches erkennbar sein als auch dem Erscheinungsbild gegenüber dem gehobenen Kundenkreis entsprechen. Andererseits könne aber das Interesse der Mitarbeiter nicht vernachlässigt werden. Durch die Gestellung der Kleidung ersparten die Mitarbeiter Aufwendungen für ähnliche angemessene Kleidungsstücke. Ein erhebliches Eigeninteresse der Mitarbeiter ergebe sich auch aus der Marktgängigkeit der zugewendeten Vorteile. Insbesondere handele es sich nicht um typische Berufsbekleidung.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Das FG hat zu Recht entschieden, dass die überlassenen Kleidungsstücke keine einkommensteuerlich zu erfassenden geldwerten Vorteile (Arbeitslohn) darstellen.
1. Steuerpflichtiger Arbeitslohn ist dadurch gekennzeichnet, dass dem Arbeitnehmer Einnahmen (Bezüge oder geldwerte Vorteile) zufließen, die "für" seine Arbeitsleistung gewährt werden (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Diesem Tatbestandsmerkmal ist nach ständiger Rechtsprechung zu entnehmen, dass ein dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugewendeter Vorteil Entlohnungscharakter für das Zurverfügungstellen der Arbeitskraft haben muss, um als Arbeitslohn angesehen zu werden. Dagegen sind solche Vorteile kein Arbeitslohn, die sich bei objektiver Würdigung aller Umstände nicht als Entlohnung, sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung erweisen. Ein Vorteil wird dann aus ganz überwiegend eigenbetrieblichem Interesse gewährt, wenn im Rahmen einer Gesamtwürdigung aus den Begleitumständen zu schließen ist, dass der jeweils verfolgte betriebliche Zweck ganz im Vordergrund steht. In diesem Fall des "ganz überwiegend" eigenbetrieblichen Interesses kann ein damit einhergehendes eigenes Interesse des Arbeitnehmers, den betreffenden Vorteil zu erlangen, vernachlässigt werden. Die danach erforderliche, in erster Linie vom FG als Tatsacheninstanz vorzunehmende Gesamtwürdigung hat insbesondere Anlass, Art und Höhe des Vorteils, Auswahl der Begünstigten, freie oder nur gebundene Verfügbarkeit, Freiwilligkeit oder Zwang zur Annahme des Vorteils und seine besondere Geeignetheit für den jeweils verfolgten betrieblichen Zweck zu berücksichtigen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. zuletzt Urteile vom 11. April 2006 VI R 60/02, BFH/NV 2006, 1563; vom 18. August 2005 VI R 32/03, BFHE 210, 420, BStBl II 2006, 30; vom 7. Juli 2004 VI R 29/00, BFHE 208, 104, BStBl II 2005, 367, jeweils m.w.N.).
Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen der Intensität des eigenbetrieblichen Interesses des Arbeitgebers und dem Ausmaß der Bereicherung des Arbeitnehmers. Je höher aus der Sicht des Arbeitnehmers die Bereicherung anzusetzen ist, desto geringer zählt das aus der Sicht des Arbeitgebers vorhandene eigenbetriebliche Interesse (BFH-Urteil vom 11. März 1988 VI R 106/84, BFHE 153, 324, BStBl II 1988, 726). Tritt das Interesse des Arbeitnehmers gegenüber dem des Arbeitgebers in den Hintergrund, kann eine Lohnzuwendung zu verneinen sein. Ist aber --neben dem eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers-- ein nicht unerhebliches Interesse des Arbeitnehmers gegeben, so liegt die Vorteilsgewährung nicht im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers und führt zu Lohnzuwendung (BFH-Urteile in BFH/NV 2006, 1563; vom 2. Februar 1990 VI R 15/86, BFHE 159, 513, BStBl II 1990, 472).
2. Von diesen Rechtsgrundsätzen ist das FG ausgegangen. Es gelangte bei Berücksichtigung der den Streitfall prägenden Gesamtumstände (unter Einbeziehung der von der Klägerin vorgelegten Lichtbilder) in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu der Wertung, die Gestellung der Kleidungsstücke sei in erster Linie durch das eigenbetriebliche Interesse des Arbeitgebers veranlasst; der geldwerte Vorteil für die Arbeitnehmer sei gering bzw. zu vernachlässigen (vgl. hierzu auch v. Beckerath, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 3 Nr. 31 Rdnr. B 31/5).
Dabei hat das FG bei seiner Gesamtwürdigung maßgeblich darauf abgestellt, dass den Mitarbeitern keine Individualbekleidung entsprechend deren speziellen Wünschen zur Verfügung gestellt worden sei. Die Mitarbeiter hätten vielmehr eine Gemeinschaftsausstattung erhalten, die aufgrund ihrer Standardisierung den individuellen Neigungen der Mitarbeiter ohnehin nur beschränkt zugänglich gewesen sei. Die Gestellung dieser Kleidungsstücke sei im Zusammenwirken mit dem Betriebsrat erfolgt, um ein einheitliches Erscheinungsbild aller Mitarbeiter zu gewährleisten. Sowohl nach innen im Sinne eines Zusammengehörigkeitsgefühls und der Kollegialität innerhalb der Belegschaft als auch nach außen gegenüber der Öffentlichkeit (Kunden, Lieferanten, Geschäftspartner) habe das Erscheinungsbild des Unternehmens (sog. corporate identity) verbessert werden sollen. Diese Zwecksetzung habe auch die Bediensteten der X-Shops mit eingeschlossen. Diese Würdigung des FG ist nicht zu beanstanden.
Dies gilt auch für die Ausführungen des FG, der Wert der jeweiligen Ausstattung sei nicht so bemessen gewesen, dass die ausschließlich betriebliche Veranlassung der Aufwendungen in Frage stehe (vgl. zur Bedeutung des Werts auch Senatsurteil in BFH/NV 2006, 1563): Die in gewisser Weise uniformähnlichen, auch aus hygienischen Gründen angeschafften Kleidungsstücke seien weder besonders exklusiv noch teuer gewesen. Die jeweils zur Verfügung gestellte Anzahl gleichartiger Stücke sei nicht über das hinausgegangen, was für eine Arbeit, bei der ein höheres Verschmutzungsrisiko auch für Leitungskräfte bestehe, erforderlich sei. Ähnliche Überlegungen würden auch für die Mitarbeiter der X-Shops gelten. Es sei ferner nicht gerechtfertigt, den Lohnsteueranspruch insoweit davon abhängig zu machen, dass auf den Kleidungsstücken ein Firmenlogo angebracht werden müsse.
Fundstellen
Haufe-Index 1575946 |
BFH/NV 2006, 2169 |
BStBl II 2006, 915 |
BFHE 2007, 252 |
BFHE 214, 252 |
BB 2006, 2234 |
DB 2006, 2440 |
DStR 2006, 1795 |
DStRE 2006, 1304 |
DStZ 2006, 701 |
DStZ 2006, 714 |
HFR 2006, 1220 |